DAS KREDITWESEN UNGARNS IM VORMÄRZ

 

I. TEIL. EINLEITUNG


1. Einige Bemerkungen zum Wesen des Kredits

2. Kredittheorien des Vormärz

1.) Die Klagen und wirtschaftlichen Verbesserungsvorschläge als Ausdruck der verschiedenen gesellschaftlichen Interessen

2.) Die Verwechslung von Geld und Kredit

 

II. TEIL. DIE RECHTLICHEN RAHMENBEDINGUNGEN DES KREDITWESENS IN UNGARN

1. Der Grundbesitz. Die Avitizität.

2. Der Schuldbrief

3. Die Intabulation

4. Der Schuldprozeß

5. Reformen und Reformversuche durch den ungarischen Reichstag

 

III. TEIL. DIE WIRTSCHAFTLICHE ENTWICKLUNG BIS 1848

1. Die Auswirkungen der napoleonischen Kriege

2. Das Devaluationspatent und die Kreditkrise

3. Die Lage des Agrarsektors zwischen 1815 und 1840

4. Die Cholerawelle von 1830/1831

5. Die 40-er Jahre

 

IV. TEIL. DAS FEUDALE LAND

1. Die Kreditverhältnisse des Adels
1.) Die Kreditverhältnisse in einigen Komitaten
2.) Die Verschuldung der Familie Eszterházy in Tata und Gesztes
3.) Die Schulden Széchenyis und die Frage des ansteigenden Zinsfußes
4.) Modalitäten der Kreditvergabe. Vorschuß- und Warenkredit.
5.) Schätzwert für die Gesamtschulden des ungarischen Adels

2. Die traditionellen Kreditgeber des feudalen Ungarn
1.) Die Kirche
2.) Stiftungskassen
3.) Waisenkassen
4.) Sonstige Kreditquellen

3. Die Partialobligationen
1.) Allgemeines
2.) Die Anleihen Grassalkovichs
3.) Die betrügerischen Anleihengeschäfte Seeligmanns
4.) Die Anleihen der Fürsten Eszterházy
5.) Wem nützten die Privatanleihen?


V. TEIL. DIE STADT, MANUFAKTUREN UND HANDEL

1. Der kommerzielle Kredit. Der Wechsel.
1.) Der ungarische Wechsel und seine Tücken
2.) Der Akzeptkredit
3.) Form und Verbreitung des Wechsels. Wechsel-Betrügereien.
4.) Das Wechselgesetz von 1840
5.) Die Frage des Wechselescomptes
6.) Erntevorschuß-Kredit
7.) Das Projekt des Zentrallagers und die ersten Versuche, es mittels Aktiengesellschaften ins Leben zu rufen
8.) Kredit auf Basis von Kommission
9.) Kaufleute und Immobilen

2. Die ersten Aktiengesellschaften in Ungarn
1.) Die ersten, gescheiterten Versuche zur Gründung einer DDSG auf Aktienbasis
2.) Die Kettenbrücke
3.) Die Pester Josef-Walzmühle
4.) Die ungarischen Eisenbahnen
5.) Die Erste Pester Zucker-Fabrikations-Gesellschaft
6.) Die Ungarische Handelsgesellschaft
7.) Fazit

3. Ein Beispiel für die Kreditverbindungen der 30-er und 40-er Jahre: Die Pester Zuckerraffinerie
1.) Einleitendes zur Zuckerproduktion in Ungarn.
2.) Die Anfänge der Pester Zuckerraffinerie. Die Kreditaufnahme bei Kappel
3.) Der Vertrag von 1834
4.) Die Verträge von 1837
5.) Der Pacht- und Pfand-Vertrag von 1838
6.) Der Vertrag von 1839 mit dem Bankhaus Steiner
7.) Die Folgen des Konkurses der Bankhäuser Steiner und Geymüller auf das Raffinerieunternehmen und dessen Gläubiger

4. Der Wucher oder Die Höhe des Zinsfußes im Vormärz
1.) Legaler und erhöhter Zinsfuß
2.) Für eine Aufhebung der Wucherverbotsgesetze

 

VI. TEIL. DIE KREDITINSTITUTE DES VORMÄRZ


1. Die Sparkassen

1.) Vorläufer der ungarischen Sparkassen. Filialen der österreichischen Sparkasse
2.) Die Verbreitung der Sparkassen-Idee in Ungarn. Die Pester Sparkasse.
3.) Die übrigen Sparkassen Ungarns
4.) Einlagenhöhe, Zinssätze, Tätigkeitsbereiche der Sparkassen
5.) Versuche zur gesetzlichen Vereinheitlichung
6.) Die Wirtschaftskrise am Vorabend der Revolution. Sturm auf die Sparkassen
7.) Der Widerspruch des Sparkassengedankens

2. Zur Problematik einer eigenen Notenbank. Das Geldbedürfnis des Staates gegen dasjenige der Wirtschaft

3. Die Pester Ungarische Commerzbank
1.) Der lange Marsch durch die Institutionen
2.) Aktienzeichnung und Stammkapital
3.) Anfangsschwierigkeiten. Geld„überfluß“ und Statutenänderung.
4.) Einlagen
5.) Hypothekarkredite
6.) Wechsel-Escompte
7.) Vorschüsse
8.) Die Krise

4. Fazit

KREDITINSTITUTE, DIE ÜBER DAS PLANUNGSSTADIUM NICHT HINAUSKAMEN:

5. Der Plan einer Kredit- und Girobank

6. Die nicht zustandegekommene Hypotheken-Kreditanstalt und
die Frage der Pfandbriefausgabe in Ungarn

1.) Der Entwurf Dessewffys
2.) Die Vorschläge der ungarischen Behörden
3.) Das Gutachten Kübecks
4.) Die Ablehnung durch den Reichstag 1844
5.) Der Versuch, die Bodenkreditanstalt als privates Kreditinstitut unter Leitung der Wiener Bankhäuser zu errichten
6.) Die Entwicklung im folgenden. Das endgültige Scheitern.


VII. TEIL. DIE STÄDTE ALS KREDITNEHMER

1. Der Katastrophenhilfe-Kredit der Nationalbank an die Städte Pest, Buda und Esztergom
1.) Die Bedingungen der Kreditvergabe
2.) Das angebliche Rothschild-Darlehen
3.) Auszahlung und Form des Schuldscheins

2. Die Kommunalobligation

3. Debrecen


NACHWORT

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A N H A N G

 

Originaldokumente:

Wechsel

Aktien-Subskriptionsbogen

Bilanz der Pester Walzmühle

Statuten von Aktiengesellschaften aus den 40-er Jahren
1.) Die Zucker-Fabrikations-AG
2.) Die Spodium-AG Lichtls

Bilanzen der Pester Sparkasse und anderer Geldinstitute Ungarns

Die 3. Privatanleihe Grassalkovichs:
1. Hauptschuldverschreibung
2. Partiale (Formular und handschriftliches Exemplar)
3. Coupon-Bogen

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Landkarte

Verzeichnis der Archive und Bibliotheken

Personenverzeichnis

Literaturverzeichnis

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XX

I. TEIL. EINLEITUNG


1. Einige Bemerkungen zum Wesen des Kredits

Geldverleih hat es schon im Römischen Reich gegeben, im Mittelalter, in der Renaissance. Auch der kaufmännische Kredit ist in der Form des Wechsels bereits im Mittelalter nachgewiesen. Gemeinsam ist dem Geldverleih der Antike, des Feudalismus und des Kapitalismus das Geschäftsinteresse des Gläubigers: Er verleiht sein Geld, um es zu vermehren. Zwischen diesen Urformen des Kredits und dem heutigen Kreditwesen besteht jedoch auch ein wesentlicher Unterschied, der durch die Stellung des zinstragenden Kapitals zur Produktion gekennzeichnet ist.

Die eigentlichen Produzenten der feudalen Epoche, die leibeigenen Bauern, produzierten für ihre Subsistenz, und um ihre Abgaben gegenüber den Grundherren und der Kirche leisten zu können. Sie verkauften ihre Überschüsse nicht, in erster Linie deshalb, weil sie keine erzeugten. Aber es existierte weder die Not noch ein gesellschaftliches Bedürfnis, für den Markt, also für Verkauf gegen Geld zu produzieren. Dieser überwiegende Teil der Bevölkerung lebte also praktisch außerhalb jeder Geldzirkulation, rein in der Naturalwirtschaft. Falls doch einmal Geld in die Hände eines Leibeigenen gelangte, so schritten sie meist zur Schatzbildung, entzogen es also der Zirkulation. Gerieten sie durch Katastrophen wie Kriege oder Mißernten in die Lage, sich zu verschulden, so mußten sie sich notgedrungen an den Wucherer wenden, was die Vernichtung ihrer Existenz nur hinausschob, aber dafür um so sicherer zur Folge hatte.
Die Bedürfnisse der Grafen und Fürsten des europäischen Mittelalters wurden aus den Abgaben und den unentgeltlichen Arbeitsleistung ihrer Untertanen bestritten. Die Abgaben wurden in Naturalform geleistet. Die einzige Möglichkeit, in größerem Umfang an Geld zu kommen, bestand für die Herren daher nur im Krieg und der damit einhergehenden Chance auf Plünderung. In geringen Mengen erhielten die Grundherren Geld durch verschiedene Abgaben von Handwerkern. In Ungarn existierte eine bescheidene Geldquelle durch die Einrichtung der Regalia (minora) oder „kleineren königlichen Nutznießungen“, Abgaben, die vom 15. Jahrhundert bis in den Vormärz an den Grundherren für die Genehmigung von Tätigkeiten wie das Betreiben eines Ausschanks, einer Brauerei, einer Schlachtbank usw. auf seinen Ländereien zu leisten waren.
Ein Bedürfnis nach Geldbesitz hatten die Adeligen deswegen natürlich schon, weil eben nur das Geld ihnen einen Zugriff auf Luxusgüter eröffnete, die ihre eigenen Ländereien nicht hervorbrachten. Das Ausmaß dieses Hungers nach Kredit war jedoch im Feudalismus gering. In Ungarn erfolgte die Kreditaufnahme der Adeligen oft für Aussteuer oder die Auszahlung der Geschwister bei Erbschaft, oder Ausgleichszahlungen im Falle eines Tausches verschiedener Ländereien innerhalb der Familie, ihrer Natur nach ebenso unproduktive Ausgaben, wie der reine Verzehr es auch war. Nicht immer wendeten sie sich zum Zweck der Geldaufnahme an Personen, die den Geldverleih als Geschäft betrieben, sondern wurden durch andere Adelige, oft Verwandte, oder den Klerus mit den nötigen Mitteln versehen. (Siehe dazu IV. 2. Die traditionellen Kreditgeber des feudalen Ungarn.)

Der Wucher ist also einerseits eine Begleiterscheinung der feudalen Verhältnisse, kann sich aber andererseits gerade durch sie nur innerhalb gewisser Grenzen bewegen. Der Fall, daß dringend Geld gebraucht wird, tritt selten ein.

In der Epoche der Entstehung des Kapitalismus, als alle Schichten der Gesellschaft plötzlich ein gesteigertes Bedürfnis nach Geld entwickeln, gewinnt der Geldbesitzer für einige Zeit eine überragende Bedeutung: Er ist der Monopolist des abstrakten Reichtums, des neuen und allumfassenden Maßstabes, an dem plötzlich alles gemessen wird. (Warum in dieser Zeit ein gesteigertes Bedürfnis nach Geld, Liquidität, entsteht, wird in den folgenden Abschnitten ausgeführt.) Durch diese Abhängigkeit werden die verschiedenen Schichten der Bevölkerung in unterschiedlicher Weise getroffen:

Im Ungarn des Vormärz waren die Angehörigen des Kleinadels genötigt, ihre Ernten, ihre Arbeitsmittel oder auch nur ihre Arbeitskraft zu verpfänden, um sich kurzfristig über ihre Mittellosigkeit hinwegsetzen zu können und sie gerieten dadurch unaufhaltsam in den Strudel der Verschuldung.
In dieser Zeit tauchen in Ungarn auch die Pächter auf, die Ländereien übernehmen, um mehr aus ihnen herausschlagen zu können als ihre Besitzer. Kaufleute, denen die Gutsbesitzer im Falle einer Kreditaufnahme ihre Güter verpfänden mußten, oder durch säumige Schuldentilgung gerichtlich dazu verpflichtet wurden, werden zu den unbeschränkten Nutznießern des Grundbesitzes. Die alte feudale Klasse verliert immer mehr die Verfügung über ihre Existenzgrundlagen und ist oft nur mehr der rein nominelle Besitzer der eigenen Güter.

Die Magnaten, die dem einfachen Volk als Inbegriff des Reichtums erschienen, erlitten ein ähnliches Schicksal, nur vermittelt über Pester und Wiener Großhändler und Bankiers, weniger sichtbar für ihre Umgebung. Die gute alte Gewohnheit, Schulden abzuzahlen, indem man neue aufnahm, erwies sich in Zeiten des erhöhten Geldbedarfs, der gesteigerten Abhängigkeit von Markt und Gewinn, als fatal, und sie waren genötigt, sich immer mehr zu verschulden, um ihre bisherigen Verbindlichkeiten bedienen zu können.

Aber nicht nur die Herren entwickelten ein gesteigertes Bedürfnis nach Geldbesitz. In gewissem Rahmen war die Grundablöse in Ungarn bereits im Vormärz möglich. Dem Leibeigenen, der sich und sein Land freikaufen wollte, stellte sich der Geldbesitz als das Tor zur Freiheit dar, als Möglichkeit, von Zehent und Robot befreit für den Markt und die eigene Tasche wirtschaften zu können.

Die Besitzer des Geldes waren vor allem Händler, die den Austausch von Produkten verschiedener Regionen oder Hemisphären vermittelten und deshalb über Geld verfügen mußten. Sie verliehen Geld zu ihren Bedingungen, das heißt, zu dem Zinsfuß, den sie eben erhalten konnten. Die feudale Gesetzgebung gegen den Wucher hatte daher stets mit der Schwierigkeit zu kämpfen, wo die Linie zwischen erlaubt und verboten zu ziehen sei. Meist wurde der landesübliche Zins zum Maßstab genommen, also das Gebräuchliche sanktioniert. Die Gesetze gegen den Wucher waren gleichzeitig ziemlich erfolglos, da in diesen Zeiten die Kaufleute als die einzigen, die über Geld verfügten, diese Situation weidlich ausnützten, ein Umstand, der sich durch Gesetze nicht ändern ließ. Diese Praxis des Geldverleihs hatte notwendig früher oder später den Ruin des Schuldners zur Folge, weil die Festlegung des Zinsfußes in keinem Verhältnis zu seiner wirtschaftlichen Potenz stand und daher auch nicht daraus bezahlt werden konnte. (Das ist übrigens die Bestimmung dessen, was Wucher ist, und nicht eine quantitative Festlegung auf einen Höchstzins.) Das Wucherkapital hat somit das seinige dazu getan, um die Subsistenzwirtschaft, die keine verwertbaren Überschüsse erzeugt, zu vernichten.

Der kapitalistische Kredit hingegen ist der Produktion, die seine Grundlage ist, untergeordnet. Der kapitalistische Unternehmer bedient sich fremden Geldes, um stets liquide zu sein, auch dann, wenn zwischen der Erzeugung der Waren und deren Absatz Stockungen eintreten. Mit Hilfe von Kredit bewerkstelligt er die Kontinuität der Produktion und macht sich von den Schwankungen des Marktes temporär unabhängig. Will er seine Produktion erweitern, so greift er für die fälligen Investitionen wiederum zum Leihkapital, um in Zukunft erhöhte Gewinne an sich zu ziehen, die auch den Aderlaß der Rückzahlung und des Zinsendienstes zu zahlen erlauben. Er teilt also seinen Profit mit dem Geldverleiher, der landesübliche Zinsfuß muß daher unter dem liegen, was innerhalb dieses Landes als Durchschnittsgewinn erzielt werden kann. Wo dies nicht mehr der Fall ist, in der Krise, wenn der Zins den Gewinn verzehrt oder gar übersteigt, wird durch Entwertung von Kapitalien, im Falle des Geldkapitals durch Aktienkursverfall und Börsenkrach, auf der produktiven Seite durch massenhafte Insolvenzen diese Beziehung zwischen Leihkapital und Produktion empfindlich gestört. So werden beide Seiten praktisch daran erinnert, daß sich ersteres zwar temporär vom Geschäftsgang des letzteren emanzipieren kann, sein Erfolg jedoch auf dem der produktiven Unternehmen beruht.
(Die staatliche Geldpolitik in einer entwickelten kapitalistischen Ökonomie greift in dieses Verhältnis ein, um die Geldbedürfnisse des Staates selbst zu befriedigen, kann sich aber von diesem Verhältnis nicht lösen.)

Dort, wo Kredit an Personen vergeben wird, die nicht über die Möglichkeit verfügen, ihr Einkommen durch Investitionen zu steigern, also beim Kredit an Gehaltsempfänger, dem Konsumentenkredit, hat die Kreditvergabe immer noch den Charakter des alten Wuchers: Der Schuldendienst überfordert den Schuldner, bedeutet Abzug von seinem Lebensunterhalt und erweist sich bei Verlust oder Verschlechterung der Einkommensquelle als existenzielle Bedrohung. (Die derzeitige Debatte der Überschuldung der Privathaushalte und der daraus resultierenden Pfändungen und Delogierungen, das sei nur nebenbei angemerkt, trägt diesem Phänomen Rechnung.)

Der Vormärz in Ungarn ist die Periode des Überganges vom Feudalismus zum Kapitalismus. Der Prozeß der Unterordnung des zinstragenden Kapitals unter die Produktion stellt sich hier genau umgekehrt dar: Die Kaufleute und Geldverleiher spannen die Agenten der alten Ordnung in den Schraubstock des Schuldendienstes, versichern sich der legalen Rückendeckung und lösen die alten ökonomischen Verhältnisse gründlich auf. Die ersten Kreditinstitute und das Wechselgesetz bewirken zwar eine Senkung des Zinsfußes, aber gleichzeitig eine Ausdehnung des Kredits auf immer breitere Schichten der Bevölkerung. Die Vorstellung, Verschuldung stelle kein Problem dar, solange man durch Neuverschuldung an andere Stelle die Altschulden tilgen und so seine Verbindlichkeiten „ordnen“ könne, war weit verbreitet und fand sogar im österreichischen Hofkammerpräsidenten ihren Verteidiger. Sie setzt aber einen Typus von Geldverleiher voraus, der sein Geld nicht als Kapital behandelte, es nicht vermehren, sondern eher zum Zweck des Rentenbezuges irgendwo anlegen wollte. Auf die Kaufleute und Bankiers des Vormärz, die Geldverleih als Geschäft betrieben, waren die Produzenten des Vormärz nicht eingestellt.
So ist die Kreditgeschichte des Vormärz in Ungarn eine der fortwährenden Neuverschuldung des Adels, am Rande des Konkurses ihr Dasein fristender Manufakturen, philanthropischer Gesellschaften, einiger florierender Großhandelshäuser, der Schuldprozesse und des Kreditschwindels, nicht zu vergessen die einengende Wirtschaftspolitik der österreichischen Regierung, vor allem Metternichs, aber auch anderer Politiker am österreichischen Hof, die jede ökonomische Forderung der ungarischen Stände als eine Machtfrage der Verfügungsgewalt über Ungarn betrachteten und behandelten.


2. Kredittheorien des Vormärz

Die Publizistik des Vormärz spiegelt die damals herrschende Überzeugung wieder, daß gerade die Frage des Kredits von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung der Wirtschaft sei. Als Vorbild galt England mit seinen Manufakturen und Fabriken, danach Preußen. Als maßgebliche Theoretiker derjenigen Wirtschaft, die augenscheinlich Macht und Reichtum für eine Nation hervorbrachte, wurden die englischen Ökonomen angesehen. Die Theorien Smiths und Says, auch Friedrich Lists Werk „Das nationale System der politischen Ökonomie“ waren den ungarischen Reformern, aber auch ihren Gegnern bekannt.
Reformpolitiker und Kaufleute, konservative Adelige und Schriftsteller befaßten sich mit dem Problem des zu teuren Kredits und seiner Beseitigung. Vom Kredit wurden sich wundersame Dinge versprochen. Wären die rechtlichen Hindernisse beseitigt, so wäre der Zins niedriger. Dann könnten mehr Leute Kredit aufnehmen und gewinnbringend investieren. Dann wäre die Abzahlung des Kredites einfacher. Und so weiter. Die Vorstellung, durch Kredit könnte eine profitable Produktion in die Wege geleitet werden, war weit verbreitet.


2. 1.) Die Klagen und wirtschaftlichen Verbesserungsvorschläge als Ausdruck der verschiedenen gesellschaftlichen Interessen

Losgetreten hat diese Lawine der Kredittheorien István Széchenyi mit seinem Buch „Kredit“. Der Titel des Buches ist ein wenig irreführend, denn der Autor faßt darin alle möglichen Reformvorschläge unter diesem Motto zusammen, von der Frage der Grundablöse über die Erziehung und Bildung bis zu den schlechten Transportwegen, weshalb einer seiner schärfsten Kritiker ihm nicht ganz unberechtigt vorgeworfen hat:

„Über alles ergeht er sich in seinem Buch ausgiebiger als über den Kredit …“(1)

Széchenyi sieht eben den Kredit nicht als eine ordinäre geschäftliche Transaktion, bei dem der Verleiher des Geldes, der Gläubiger, für diese Dienstleistung einen Preis verlangt und der Schuldner diesen Preis zahlen muß, sondern ihm gilt der kommerzielle Kredit nur als eine Erscheinungsform eines allgemeinen gesellschaftlichen Vertrauens, das seiner Meinung nach durch verschiedene Maßnahmen hergestellt werden müßte, um dann auf allen Gebieten segensreich zu wirken. Demgegenüber ist festzuhalten, daß eine Kreditoperation den Charakter eines Vertrages hat, dieser wiederum – wie jeder Vertrag – seine Gültigkeit darüber erhält, daß eine dritte, höhere Instanz, nämlich das Recht, die Partner zur Einhaltung des Vertrages zwingt. Ein Schuldbrief beruht daher auf mehr als dem bloßen Vertrauen der beiden beteiligten Seiten. Eine Tatsache, der Széchenyi dadurch Rechnung trägt, daß er strengere Gesetze fordert, sich also ausdrücklich auf die übergeordnete dritte Instanz bezieht.

An einigen Stellen macht er jedoch den wirklichen Kredit zum Gegenstand seiner Betrachtungen. Er sieht im mangelnden Kredit einen Hemmschuh des Fortschritts im Agrarsektor:

„Der andere“ (d.h., der Grundbesitzer,) „erhält trotz seiner ausgedehnten Ländereien und auf all sein Hab und Gut ohne datur modus in rebus keinen Forint, mag er sich auch noch so sehr drum bemühen und der Eifrigste weit und breit sein“.(2)

und diesen wieder in der mangelnden Rechtssicherheit begründet:

„Dabei gäben bei uns viele Menschen gern ihr Geld für 5 und 6 auf 100, wenn ihr Kapital auf festem Boden stünde und nicht in der Luft, auf Hypothek und nicht auf Hypothesen fußte, und viel lieber gäben sie’s, als zu 10 und 20 auf 100 ohne Sicherheit und Gewißheit“.(3)

[Zum Problem der mangelnden Sicherheit der Hypothek siehe: II. 1. Die Avitizität.]

An diesem Punkt tritt Széchenyis auch an anderer Stelle oft genug bezeugte Auffassung zutage, derer zufolge er alle gesellschaftlichen Interessen im Grunde und bei rechter Handhabung für vereinbar hält. Er nimmt den Gegensatz, der zwischen Gläubiger und Schuldner herrscht, nur als Mißstand zur Kenntnis, obwohl er sich aus der Natur der Transaktion ergibt: Ein Kreditgeber, der sein Kapital für 10% verleihen kann, verleiht es ohne Not nicht für 5%: Er will sich ja beim Geldverleih bereichern, nicht dem Schuldner oder gar der Nation einen Dienst erweisen. Er verleiht nicht zu 20%, weil ihm die rechtliche Sicherheit fehlt – dann würde er gar nicht verleihen –, sondern weil er auch zu diesem Zins Kreditnehmer findet. Die andere Sicherheit, nämlich die, daß der Schuldner die aufgenommene Schuld plus Zinsen zurückzahlen kann, also rein materiell dazu imstande ist, stellte das weitaus größere Problem in Ungarn dar. Denn die Unsicherheiten in der Bedienung der Schuld ergaben sich hauptsächlich aus der mangelnden Zahlungsfähigkeit der Schuldner, weniger aus ihrem mangelnden Willen. Daher versuchten die Pester Großhändler und Bankiers auch, ihr Geld in der österreichischen Reichshälfte zum dortigen niedrigeren Zins anzulegen, sobald sich eine Möglichkeit dazu ergab. Die Schwierigkeit dabei bestand vor allem darin, daß die großen Handelshäuser in Wien den Kredit für sich monopolisiert hatten und ein ungarischer Bankier daher schwer ins Geschäft kam.

Der von Széchenyi beschriebene Schuldner ist, seinen Ausführungen zum Trotz, eher Vertreter einer Minderheit. Was tun, wenn jemand keine ausgedehnten ertragreichen Ländereien hat, wie ein Magnat vom Format Széchenyis, wenn er sie vielleicht erst durch Zuhilfenahme von Fremdkapital zu solchen machen will? Denn die gesetzlichen 6% mögen zwar Széchenyi wohlfeil erscheinen, können aber bei einem anderen Schuldner, dessen Erträge geringer sind oder der seine Produkte nur teilweise veräußern kann, ebenfalls zu Konkurs und Pfändung führen, genauso wie die vorherigen 10%. Széchenyi verschwendet keinen Gedanken darauf, in welchem Verhältnis der gesetzliche Zins oder der darüber liegende Wucherzins zu den Investitionen und Erträgen eines Landwirtes steht, also aus letzteren bedient werden kann. Er verlangt gesetzliche Sicherheit für den Gläubiger und meint, daß damit auch dem Schuldner gedient wäre, da eine klare Gesetzeslage ihm Schutz vor Wucherern gewährt. Diese Auffassung, das soll in den folgenden Kapiteln nachgewiesen werden, beruht auf einem Irrtum.

Das Buch Széchenyis ist allerdings Ausdruck eines relativ neuartigen Interesses der Grundbesitzer, aus ihren Ländereien Profit zu schlagen, sich dafür Leihkapitals zu bedienen, und der Enttäuschung über die Diskrepanz zwischen ihrem Bedürfnis nach Kredit und dem Geschäftsinteresse der Geldbesitzer. Kreditmangel und Zinshöhe werden als mangelnde Bedingung, sich am eigenen Besitz zu bereichern, besprochen.

Die Transaktion des Geldverleihs beruht zwar einerseits auf dem Gegensatz zwischen Verleiher und Borger, aber auch andererseits auf einer Gemeinsamkeit: Gläubiger und Schuldner wollen miteinander ins Geschäft kommen, sie brauchen einander. Daher erhielt Széchenyi den meisten Beifall nicht von seinen eigenen Standesgenossen, sondern vom Kaufmannsstand.

Der Preßburger Kaufmann Bernhard von Wachtler pflichtete ihm – unter Berufung auf seine eigenen schlechten Erlebnisse – vorbehaltslos bei:

„Es darf nicht eine andere Gerechtigkeit für den Fürsten G. und eine andere für den Kaufmann W. sein; es müssen zuverlässige Hypotheken-Bücher“ (vermutlich Grundbücher) „eingerichtet werden.“(4)

Wachtlers Einwand ist der eines Vertreters der bürgerlichen Gesellschaft gegen die ständische Verfassung Ungarns, die Forderung des Drittens Standes zur Aufhebung der feudalen Privilegien als Schranken der kapitalistischen Produktionsweise. Gegen den Grafen József Dessewffy, einen Kritiker Széchenyis und Verteidiger der alten Ordnung, schreibt er:

„ … wenn der Herr Graf die Erhaltung der Familien auf seine Art bezwecken will, so wünscht er mit anderen Worten, daß für den Fürsten G., der eine Familie ist und Güter hat, eine andere Gerechtigkeit herrsche, als für den Kaufmann W., der keine ist und keine Güter hat.“(5)

Und als Fürsprecher nicht nur seiner eigenen ökonomischen Interessen, sondern der kapitalistischen Produktionsweise überhaupt hat Wachtler recht: Die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz ist erst die Grundlage der kapitalistischen Konkurrenz, die dann wirklich keinen anderen Maßstab kennt als den des Erfolges in ihr, des scheinbar objektiven Kriteriums, nach dem sich Arme und Reiche, Kapitaleigner und Lohnarbeiter, Arbeitslose und Rentiers usw. voneinander scheiden.

Auch Wachtler ist, gleich Széchenyi, vom Gedanken der Harmonie, des Interessensausgleichs bestimmt. Er hält die Vergabe und Bedienung des Kredits nur für eine Frage des Charakters, des guten Willens:

„Die Gesetze überhaupt sind nicht wegen der Guten, die sie ohnehin befolgen, sondern wegen der Bösen gemacht …“(6)

Schließlich unterbreitet Wachtler seine Analyse des Kreditmangels:

„ … nicht die Quantität der in einem Lande umlaufenden Geldmittel ist es, welche das hervorbringt, was man im gemeinen Sprachgebrauche Geldmangel oder Geldüberfluß zu nennen pflegt, sondern die Trägheit oder Lebhaftigkeit der Zirkulation,“(7)

und damit die Begründung, warum er die Verschärfung der Gesetze für ein geeignetes Mittel hält, dem Kreditmangel abzuhelfen: Könnte man die Wechsel [vgl. Zitat Wachtlers in Teil V. 4. 2.) Für eine Aufhebung der Wucherverbotsgesetze.] problemlos weiterindossieren, so wäre die Umlaufgeschwindigkeit dieser Zahlungsversprechungen erhöht, dadurch mehr gesellschaftliche Zahlungsfähigkeit vorhanden, mehr Geschäfte würden abgeschlossen, dadurch mehr Gewinn gemacht und so erhöhe sich wiederum die Geldmenge, weil Geld aus dem Ausland angezogen würde.

Ähnlich dachte auch Ferenc Deák:

„Der Handel Ungarns war daher lediglich auf die im Umlauf befindliche Geldmenge angewiesen und konnte diese nicht steigern, er konnte die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes nicht durch diejenigen Mittel steigern, die andere Nationen dieses Kontinents mit großem Erfolg und glänzenden Ergebnissen anwenden. Dies hatte auch schädliche Folgen für die Klasse der Produzenten, da Kredit und Umlauf, Produktion und Handels sich stets wechselseitig beeinflussen.“(8)

Diese Theorie Wachtlers und Deáks, nämlich daß durch Erhöhung der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes die Wirtschaft belebt werden könnte, verwechselt Ursache mit Wirkung. Steigerung der Produktion, mehr Verkäufe, erhöhte Zahlungsfähigkeit, daher erhöhte Nachfrage – das mag eine Beschleunigung der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes zur Folge haben. Weder läßt sich diese jedoch selbständig erhöhen, noch kann sie ihre eigenen Voraussetzungen hervorbringen. Denn wo nichts zu kaufen und verkaufen ist, sind vergeblich die Hindernisse des Zahlungsverkehrs aus dem Weg geschafft – seine Grundlage, ausreichendes Angebot und zahlungsfähige Nachfrage, fehlen.

Die traute Eintracht zwischen Széchenyi und Wachtler verdeckt den Umstand, daß der Vertreter der Interessen des Gläubigers hier sozusagen beklagt, wie sehr ihm in Ausübung seines ehrsamen Geschäftes durch das feudale Recht die Hände gebunden sind, während der Wortführer des kredithungrigen Adels bereits die Freiheit zu spüren bekommen hat, die sich die Geldbesitzer ihm gegenüber herausnehmen können.
Während Wachtler und Széchenyi bei der Frage des Kredits die ökonomischen Subjekte ihren Interessen gemäß auftreten lassen und behandeln, so stellen sich andere bereits auf eine dezidiert politische, staatsmännische Ebene. Sie besprechen den Kreditmangel vom Standpunkt der Nation und des Volkscharakters.

Den Ansichten Széchenyis und Wachtlers wurde von einem zwar wenig einflußreichen, aber doch sehr eifrigen Schriftsteller heftig widersprochen. Der slowakische Ethnologe Csaplovics betrachtet das Kreditwesen als nationale Charakterfrage und resigniert: Wofür brauchen die Ungarn Kredit, sie mißbrauchen ihn doch nur!

„Aber wer kann sagen, daß es uns an Kredit gebreche? Sind denn die zahllosen Schuld- und Concursprozesse nicht ein deutlicher Beweis des Credits? … Man kann daraus entnehmen, welche Eminenzen im Schuldenmachen wir haben.“(9)

Csaplovics mißversteht hier sehr absichtsvoll das Problem des Kreditmangels. Der beklagte Mangel besteht ja darin, daß der Preis für das geliehene Geld so hoch ist, daß er gegen jedes ökonomische Interesse des Schuldners ausschlägt, da er die geforderten Zinsen mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht aufbringen kann. So hat ein guter Teil der Schuldprozesse nicht dem bösen Willen des Schuldners zur Grundlage, den Gläubiger um sein Geld zu prellen, sondern die schlichte Unmöglichkeit, den Zins zu bedienen.
Der Einwand Csaplovics’ macht die Bezahlung des Zinses zu einer völkischen Eigenschaft. Daher bespricht er die Nationalökonomie vom Standpunkt des Volkscharakters, eine leider gar nicht unmoderne Betrachtungsweise. Er meint, das Problem Ungarns sei, daß es mehrheitlich von Ungarn bewohnt wird, ein Übel, dem auch strengere Gesetze und andere Maßnahmen nicht abhelfen könnten. Solange Ungarn wirtschaften, kann nur eine Mißwirtschaft herauskommen. Die einzige Chance, dem Schicksal eines Agrarlandes zu entkommen und Gewerbe und Industrie emporzubringen, sieht er im städteweisen Ansiedeln von geeigneten Individuen:

„ … wenn wir im Ernst Gewerbe vermehren wollen, so müssen wir damit anfangen, daß wir ein paar hundert Städte neu bauen, und diese mit fleissigen, an die Gewerbe gewöhnten Ausländern bevölkern. Alljährlich segeln Tausende von fleissigen Deutschen nach Amerika. Wir könnten sie sehr gut brauchen.“(10)

Kossuth empfindet beim Betrachten der darbenden Ökonomie seines Vaterlandes genau umgekehrt: Das ungarische Volk wäre zu allem fähig, alle Bedingungen, zu einer Großmacht zu werden, wären gegeben, aber ausländische Mächte verhindern, daß sich der Fleiß und die Ambitionen der Ungarn entfalten können:

„Schauen wir in den düsteren Spiegel der Wirklichkeit und wir werden erblicken: den allgemeinen Geldmangel, den hohen Zinsfuß, welcher doch der sicherste Maßstab des Geldmangels ist; wir werden sehen, daß die Volkssteuer bloß durch strenge Exekutionen eingetrieben werden kann … das Volk hat kein Geld. Wir sehen, daß die Landwirtschaft kaum vorwärtskommt, denn wir haben keine Investitionskapitale, wir sehen das Elend in den industriellen Unternehmungen und daß wir kaum einige, ein paar Hunderttausende fordernden derselben, ohne Hilfe des Auslandes zustande bringen können, wir sehen, daß wir unsere Eisenbahnen, unsere Kettenbrücke mit fremdem Gelde zu bauen genötigt, unsere Flüsse mit fremdem Gelde zu regulieren gezwungen sind; wir sehen, daß wir im Vaterlande zum schönsten Zwecke, zur Ablösung einer Unterthanen-Gemeinde, kein Geld aufzutreiben vermögen, wir sehen, daß fremde Herzöge und Kapitalisten unsere schönsten Herrschaften der Reihe nach an sich kaufen, denn es findet sich im Lande kein Käufer, weil kein Geld vorhanden ist; wir sehen, daß unsere Aristokratie sich im Auslande immer mehr verschuldete, unser erster Handelsplatz mit Wiener Geld spekuliert und wir vermögen uns nicht, ohne Wiener Geld von den Folgen der Pester Überschwemmung zu erholen usw.“(11)

Kossuth spricht hier zwar von ökonomischen Phänomenen, sie interessieren ihn aber nur unter einem Gesichtspunkt: Weg mit den Fremden, den Nicht-Ungarn, und mit allem, was von ihnen kommt! Es gibt kaum ein deutlicheres Dokument der von nationalistischer Verblendung getragenen politischen Ambition als diese Bemerkungen Kossuths zu den patriotischen Aufgaben des Schutzvereins. Er macht sich zum Wortführer jedes zu kurz gekommenen Interesses, auch wenn es zu einem anderen im Gegensatz steht, und verspricht auf einfache Art Abhilfe: Durch die richtige, eigene Leitung und das Ausschalten jedes fremden ausländischen Einflusses. Besonders sticht bei dieser Aufzählung die Beschwerde über die Überschwemmungshilfe aus Wien ins Auge, bei der gar kein Nachteil für die Bezieher des Kredites benannt wird: Ihr einziger Fehler besteht offenbar darin, daß sie aus Wien kommt, und somit den Eindruck erwecken könnte, daß seiner, Kossuths, Diagnose zum Trotz das Ausland doch zu etwas gut ist.

Was den ökonomischen Gehalt seiner Rede angeht, so wirft er hier Geld, Kapital und Kredit umstandslos in einen Topf. Die verschiedenen Ursachen für die mangelnden finanziellen Mittel der erwähnten Personengruppen und deren ebenso unterschiedliche Pläne, die sie mit diesen Mitteln verwirklichen würden, fallen bei Kossuth in eins. Die einzige konsequente Antwort auf die solchermaßen diagnostizierten Mißstände kann nur das Anwerfen einer nationalen Banknotenpresse sein, ein Weg, den er schließlich auch beschritten hat, allerdings auch nicht mit dem Zweck, allen Einwohnern Ungarns Geld in die Hand zu drücken. Eine solche umstandslose Versorgung der Bevölkerung mit Liquidität stünde nämlich gerade dem von Kossuth beabsichtigten Anspornen der Produktion und des Handels entgegen: Wenn ohnehin jeder Geld bekommt, muß sich niemand mehr darum bemühen, eines zu verdienen. So geht niemand mehr arbeiten für Geld, niemand verkauft mehr für Geld, und es wird nicht mehr als Repräsentant von Wert anerkannt.

Interessanterweise vertritt einer der entschiedensten Gegner Kossuths, der auch an anderer Stelle die Ideen der Kreditschöpfung mittels Banknoten angreift, in einer vertraulichen Eingabe an den österreichischen Hofkammerpräsidenten einen ähnlichen Standpunkt:

„Geld ist der Abgott unseres Jahrhunderts, nichts wird für einer größere Wohltat angesehen, als wenn man den Leuten zu Geld verhilft. Man verhelfe ihnen also dazu, und man hat die meisten gewonnen, denn die meisten brauchen Geld oder werden eines benötigen.“(12)

Es handelte sich bei dem Vorschlag, das sei nur angemerkt, um die Anregung einer Hypothekenbank. Emil Dessewffy bespicht jedoch den Kredit hier als eine Art Geschenk, mit dem Unzufriedene zum Schweigen gebracht werden – auch eine sehr unökonomische Betrachtung des Geldverleihs.

Der bereits erwähnte Präsident der Hofkammer in den 40-er Jahren, Kübeck, meint:

„Der Kredit überhaupt beruht auf einfachen Grundlagen. Er ist einerseits durch das Vorhandensein von Kapitalien, welche Verwendung suchen, andererseits durch das materielle und moralische Vermögen, die eingegangenen Verbindlichkeiten erfüllen zu können, und erfüllen zu wollen, bedingt“,(13)

unterläßt es aber, das Geheimnis zu lüften, wie denn das „materielle Vermögen“ zustandekommt, die „eingegangenen Verbindlichkeiten“, also Kapital plus Zinsen, zurückzuzahlen.


2. 2.) Die Verwechslung von Geld und Kredit

Zwei Haupt-Argumentationslinien ziehen sich durch die Diskussion um die praktische Bewältigung des Kreditmangels: Erstens: Geldinstitute sind zu errichten, die Kredit schaffen, sei es durch die Ausgabe von Banknoten oder durch Ausgabe von Wertpapieren. Die zweite angebotene Lösungsmöglichkeit besteht in der Forderung nach Verschärfung der Gesetze, Aufhebung feudaler Privilegien und Sonderbestimmungen, wie der Avitizität, also durch Schaffung der Bedingungen für den Kredit.

Die erste Variante war in Ungarn durch die politischen Umstände schwer in die Praxis umsetzbar: Die Österreichische Nationalbank hatte das Privileg auf Banknotenausgabe und die Ausgabe von Pfandbriefen scheiterte am Widerstand der Regierung. Das erhöhte nur die Popularität dieser Anschauungen, durch Kreditzettel Liquidität zu schaffen.

Die Vorstellungen über die Kreditschöpfung waren den Theorien Laws verwandt und durch sein Scheitern diskreditiert. Ihre Gegner wandten dagegen ein, daß Geld, Kredit nicht unbeschränkt vermehrbar seien und daß es auf die „richtige“ Geldmenge ankomme – „Industrie und Handel erfordern ein ihnen verhältnismäßiges Tauschmittel“,(14) – ohne freilich angeben zu können, wann diese richtige Menge erreicht sei und wie man vorher und nicht erst im nachhinein bestimmen könne.

Eines ist den Vorstellungen der Gegner und Anhänger der Kreditschöpfung gemeinsam: Die Gleichsetzung von Geld als Zirkulationsmittel mit Kredit überhaupt. Geld als Zirkulationsmittel vermittelt lediglich den Warentausch, seine Vermehrung ändert nichts, solange die Menge der umlaufenden Waren gleich bleibt. Nur der Wertausdruck auf den Preiszetteln ändert sich, das Geld entwertet sich gegenüber sich selbst, für die gleiche Quantität an nominellem Wert erhält man nach der Geldvermehrung weniger an Ware. In gewissem Grade ist diese Art der Geldvermehrung gebräuchlich und gehört zum Alltag eines kapitalistischen Staates, überschreitet sie aber ein gewisses Maß, so stellt sie die Funktion des Geldes als Maß der Werte, als universelles Kauf- und Zahlungsmittel, in Frage und bedingt dadurch Stockungen und Störungen in der Zirkulation.

Bei Kreditvergabe hingegen wird Versprechen und gleichzeitig Anspruch auf Vermehrung des Wertes, also der Warenmenge selbst, in die Welt gesetzt. Wer Kredit nimmt, darf nicht einfach sein Kapital reproduzieren, um einen neuen Kreislauf der Produktion zu beginnen, sondern er muß Gewinn machen. Dieser Anspruch wird von Seiten des Kreditgebers durch den Preis des Kredits, den Zins, an den Schuldner gestellt. Damit ist klar, daß die Geschäftsgrundlage der Bank oder des privaten Anlegers der Erfolg des Schuldners ist, durch den allein die Bedienung des Zinses gewährleistet ist. Diese Wahrheit wird von denen übersehen, die den Kredit für den Hebel zur Schaffung von profitabler, also auf Erzielen von Gewinn ausgerichteter Produktion halten; – diese muß umgekehrt bereits zugrundeliegen und kann durch Kredit nur gesteigert werden.

In Ungarn wurde beides versucht, Schaffung von Kredit und von Bedingungen für ihn: Kreditinstitute wurden ins Leben gerufen, denen die Banknotenausgabe zwar nicht gestattet wurde, die aber dennoch mit der Fähigkeit ausgestattet waren, Kredite zu vergeben – wenn sie nur die entsprechenden Anlagemöglichkeiten gefunden hätten. Dabei stießen sie allerdings auf Schwierigkeiten. (Siehe Teil VI. Die Geldinstitute des Vormärz.)
Auch die Gesetze wurden verschärft, die feudalen Privilegien schrittweise abgeschafft und den neu aufkommenden Interessen wurde Rechnung getragen. Aber die Gesetzesverschärfungen konnten das, was sie erwirken sollten, nicht hervorbringen: Die Solidität, d.h., Zahlungsfähigkeit des Schuldners. Diejenige Produktion, die es allein ermöglicht, Kredit zu bedienen, die erfolgreiche, auf Profit gegründete kapitalistische Produktion, ist eben Voraussetzung eines funktionierenden Kreditwesens, nicht seine Folge.

Die Entwicklung des Kapitalismus in Ungarn war durch vielerlei Umstände behindert: Die Türkenkriege, dann die schon ein halbes Jahrhundert dauernde österreichische Zollpolitik, das schlecht entwickelte Transportwesen, die Grundherrschaft, die eine ziemlich unproduktive Landwirtschaft zum Ergebnis hatte. Das alles führte dazu, daß der Handelsstand über sehr geringe Eigenmittel verfügte, d.h., daß sich im Lande nur geringe Kapitalien ansammeln konnten, daß ein innerer Markt sehr spät entstand, der Export behindert wurde usw. Das Kreditproblem kommt daher zu dieser Ansammlung der ungünstigen oder fehlenden Bedingungen hinzu. Es hat in diesem Rahmen das seinige dazu beigetragen, den auch in anderen Staaten auftretenden Gegensatz zwischen Herrschaft und Ständen in Österreich-Ungarn zu einer nationalen Frage zu machen und kann daher als eine der Ursachen für die Ereignisse der Jahre 1848 und 1849 angesehen werden.

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(1) Dessewffy József, A „Hitel“ czímű munka taglalata, Kassa 1831, zitiert nach: Béla Iványi-Grünwald, Gróf Széchenyi István »Hitel« cimű munkája, valamint a Taglalat és a Hitellel foglalkozó kisebb iratok. Budapest 1930, S. 505

(2) Széchenyi István, Hitel, S. 43

(3) ebd.

(4) Bernhard von Wachtler, Freymüthige Bemerkungen zu einer Wechsel- und Prozeßordnung für Ungarn. Preßburg 1831, S. 215

(5) ebd., S. 231

(6) ebd., S. 25

(7) ebd., S. 215

(8) Fényvessy Adolf, A pesti hazai első takarékpénztáregyesület 50 éves története. Budapest 1890, S. 84

(9) Johann von Csaplovics, Ungarns Industrie und Kultur. Leipzig 1843, S. 14

(10) ebd., S. 43

(11) Rede Kossuths in der Generalversammlung des Schutzvereins am 20. 8. 1846, S. 133-135, in: Aktenstücke zur Geschichte des Ungarischen Schutzvereins, Leipzig 1847, zitiert nach: Erzsébet Andics, Metternich und die Frage Ungarns. Budapest 1973, S. 192

(12) Dessewffy Emil, 7. 10 1846, zitiert nach: Andics, S. 198-199

(13) Gutachten zu den Partialobligationen, Finanzarchiv Wien, PA, 8561/1845

(14) Dessewffy Emil, Alföldi levelek és néhány toldalék. Buda 1842, S. 256

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weiter zu Teil II: Rechtliche Rahmenbedingungen

weiter zu Teil III: Entwicklung bis 1848

weiter zu Teil IV: Das feudale Land

weiter zu: Nachwort (Kritik der ungarischen Geschichtsschreibung)

Von der Moral als staatsmännischer Qualität: Zur Person des Hofkammerpräsidenten Kübeck

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