NACHWORT

Diejenigen ungarischen Historiker, die sich mit dem in dieser Arbeit behandelten Zeitabschnitt beschäftigt haben, heben oft die Benachteiligung Ungarns gegenüber den übrigen Erbländern der Monarchie hervor. Vor allem die Geschichtsschreibung nach 1945 hat die Klage um den „kolonialen Status“ Ungarns zur selbstverständlichen Grundlage aller ihrer Untersuchungen gemacht. Namentlich Erzsébet Andics und Gyula Mérei seien als Vertreter dieser Richtung genannt. Der Umstand, daß gerade diese beiden die Paradehistoriker des sozialistischen Ungarn waren, sei nur nebenbei angemerkt: Gerade überzeugte Kommunisten beklagen am lautesten die unterlassene Kapitalismusförderung in der Geschichte ihres Vaterlandes!

Damit schließen diese Historiker sich der Sichtweise der seinerzeitigen Reformopposition, der Anhänger Kossuths, Batthyánys usw. an, die mit der Regierung in Wien die österreichischen Erblande gleichsetzten, und diese wiederum mit dem schädlichen Ausland an sich. Die Verfasserin dieser Arbeit will zwar keineswegs die hemmende Wirkung der österreichischen Regierungspolitik auf das ungarische Wirtschaftsleben bestreiten, sondern sie in den gehörigen Zusammenhang zu anderen gesetzlichen und verfassungsmäßigen Hindernissen des feudalen Ungarn, sowie fehlenden Voraussetzungen einer Kapitalakkumulation stellen.

Es sei aber darauf hingewiesen, daß die national gefärbte Geschichtsschreibung ein verklärendes Licht auf die Vorgänge des restlichen Teils der Monarchie wirft. Um ein Beispiel aus dem Kreditwesen zu nennen (alles andere würde den Rahmen dieser Arbeit überschreiten): Die Gewährung einer Hypothekenbank mit Pfandbriefausgabe fand nur in einem Fall statt, für das Armenhaus des Staates, das am äußersten Ende liegende Galizien, aber ein solches Institut wurde nicht nur Ungarn verweigert, sondern auch den niederösterreichischen Ständen und dem zweiten großen Finanz- und Handelsplatz der Monarchie, Prag.
Die obersten Beamten dieses Staates waren hauptsächlich daran interessiert, den politischen Status quo zu erhalten, alles andere hatte nur untergeordnete Bedeutung. Der Kredit war für sie gleichzusetzen mit den Geldbedürfnissen des Staates, der politischen Herrschaft; die Wirtschaft stellte für sie ein Mittel dar, an dem sich der Staat zu bedienen hatte.

Die theoretische Behandlung des Kreditwesens vom nationalen Standpunkt aus hat dabei einige nicht zu übersehende Schwachstellen: So besprechen österreichische Historiker die den ungarischen Institutionen oder Aristokraten gewährten Kredite gerne als Hilfeleistung für das arme und unterentwickelte Ungarn, mit denen der dortigen rückständigen Ökonomie auf die Sprünge geholfen werden sollte. Diese Sichtweise ähnelt ein wenig der heutigen Besprechung der Kredite an die Länder der 3. Welt, die auch als quasi-Geschenk für die betroffenen Staaten verhandelt werden, ungeachtet dessen, daß diese Länder den Schuldendienst kaum bewältigen können und ihr gesamtes nationales Mehrprodukt darauf verwenden müssen.
Ungarische Historiker wiederum beklagen den Kreditmangel und werfen den österreichischen Bankhäusern und der Regierung im nachhinein vor, sie hätten den ungarischen Ständen oder Unternehmern den Kredit verweigert. Diejenigen Kredite, die dennoch gewährt wurden, werden von der Geschichtsschreibung flugs als ein eigennütziger Akt des Kreditgebers „entlarvt“ und mit dem Vorwurf belegt, hier sei eine Notlage unverschämt ausgenützt worden.
Daß Kredit keine Hilfe oder ein ähnlich uneigennütziger Beitrag ist, sondern ein Mittel der Bereicherung des Gläubigers, – oder auch des Schuldners, insofern er ihn produktiv zu nutzen versteht, sonst aber nicht – diese Tatsache sollte mit dieser Untersuchung einmal mehr belegt werden.

Ich hoffe, mit meiner Arbeit einen Beitrag geleistet zu haben, sich ein wenig von national eingefärbten Betrachtungsweisen zu lösen und sich mehr dem ökonomischen Gehalt der behandelten Gegenstände zuzuwenden. Mit den Worten eines Mannes, der schon in der damaligen Zeit bemerkt hatte, daß Nationalismus ein wenig den Blick für die Realität trübt:
„»Der Wille der Nation muß nur fest genug sein – so spricht Lajos Kossuth seiner Gewohnheit gemäß – und schon löst sich vor diesem Willen jedes wirkliche und eingebildete Hindernis in Nichts auf, als wäre es ein Traumbild.« Tatsächlich? Auch die wirklichen Hindernisse sind bloß Traumbilder? und würde es der Sache des Fortschritts sehr schaden, einmal den Versuch zu unternehmen, nicht nur fest, sondern auch mit etwas Überlegung zu wollen?“(1)

 

(1) Emil Dessewffy, Alföldi levelek, S. 294 (gegen Kossuths und Fogarassys Banknoten-Pläne)

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