V. UNTERNEHMUNGEN

 

Die Unternehmer der ersten Stunde in Europa waren oft Männer, die ihr Vermögen mit Handelstätigkeit erworben hatten und bereit waren, zumindest einen Teil davon in Manufakturen, Maschinen, neue Produktionsmethoden zu investieren. So war es auch bei den Sinas. Es erwies sich hier jedoch, daß diese Investitionen kommerziell erfolglos blieben, im besten Falle den politischen Einfluß des Bankhauses auf den Staatsapparat sicherten und erhöhten.

Dies ist ein Hinweis auf die allgemeine Lage in der Donaumonarchie, zumindest für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts: Der größte Unternehmer war der Staat, privates Kapital bildete sich bei denen, denen es gelang, mit der Staatsverwaltung in Geschäftsbeziehungen zu treten.

Privates Unternehmertum florierte, wenn überhaupt, nur mit Unterstützung staatlicher Stellen. Diese Unterstützung konnte politischer oder finanzieller Natur sein, und sie erfolgte dann, wenn der Staat ein Interesse an der Existenz eines Verkehrsweges oder Industriezweiges besaß. Konkret sah diese Unterstützung so aus, daß staatliche Beamte zur Verfügung gestellt oder spezielle Kreditkassen eingerichtet wurden. Als Unterstützer und auch, um sich ihren politischen Einfluß zu sichern, kauften Behörden oder einzelne Politiker Aktien von Unternehmen, an denen sie ein gesteigertes Interesse besaßen. Im In- und Ausland wurden nach Möglichkeiten politischer Widerstand aus dem Weg geräumt. All das reichte meistens gerade dazu aus, diese Unternehmen vor dem Bankrott zu bewahren, aber nicht dazu, ihren Initiatoren Gewinne zu verschaffen.

Das Bankhaus Sina ist vor allem bekannt für seine Unternehmungen (oder Beteiligung an solchen) auf dem Gebiet der Infrastruktur, die alle mit Ungarn in Verbindung standen. Die Grundlage dieser Unternehmungen – der DDSG, der Eisenbahnen und der Kettenbrücke, – war die über ein Jahrzehnt währende Freundschaft zwischen Georg Sina und dem ungarischen Magnaten Stephan Graf Széchenyi.(1) Über die Beteiligungen an produktiven Unternehmen ist sehr wenig bekannt. Aus gutem Grund: Es war dies eben derjenige Teil der Tätigkeit des Bankhauses, der am wenigsten ins Gewicht fiel.

 

1. Fabriken und Manufakturen

Das größte Engagement bei Investitionen in die Produktion und neue Technologien bewies der ständig im Schatten seines älteren Halbbruders stehende Johann Sina. Das war wahrscheinlich auch der Grund, warum er von den Zeitgenossen als der „arme Sina“ bezeichnet wurde: Seine Unternehmungen rechneten sich nicht, sie brachten ihm keinen Gewinn ein und auch keinen besonderen Ruhm. Bereits beim Ableben seines Bruders im Jahre 1856 war er mit 1,756.871 fl. bei dem Bankhaus verschuldet, als er 1869 starb, war diese Schuld noch nicht abgetragen und ging auf seine Witwe über.

 

1.1. Zuckerraffinerien

Johann Sina setzte auf die Rübenzuckergewinnung und -raffinierung. Er ließ ausgerechnet „in den bewegten Jahren 1848-49, begleitet von Kanonendonner“, angeblich auf Anregung seines damaligen Gutverwalters Eduard Egán, auf seinem Gut Szent-Miklós in Ungarn eine der größten Zuckerfabriken Europas errichten. Auf einer Fläche von 2.400 Katastraljoch ließ er Zuckerrüben anbauen, für deren Bearbeitung im Sommer mehrere hundert Taglöhner aufgenommen wurden. Zur Steigerung des Ertrages ließ die Gutsverwaltung Prämien an die Arbeiter auszahlen. Die Erträge reichten jedoch nie aus, um die Kapazitäten der Fabrik auszulasten, sodaß regelmäßig sowohl Zuckerrüben als auch Rohzucker angekauft werden mußten. 1851 z.B. wurden 137 Zentner Rüben pro Joch, im folgenden Jahr nur 51 Zentner pro Joch geerntet.

Die Fabrik war ursprünglich auf eine Kapazität von 350.000 Zentner Rüben pro Jahr eingerichtet, später, 1860, ist die Rede von einer „Leistungsfähigkeit täglicher 2.564 Ztr. frischer Rüben“, also selbst bei einer 5 Tage-Woche fast das Doppelte. Diese Verarbeitungsmenge hat sie nie erreicht, nicht nur wegen Schwierigkeiten in der Beschaffung des Rohstoffes, sondern auch wegen fehlender Absatzmöglichkeiten. Im besten Jahr (1864/65) verarbeitete sie 320.832 Ztr. Rüben, im schwächsten Jahr (1856/57) 66.167 Ztr.
Die notwendige Energie zum Betreiben der Maschinen wurde hauptsächlich durch Verbrennen von Torf erzeugt, zu einem Viertel mit Braunkohle. Letztere wurde nur bis 1854 verwendet.

1852 erzeugte die Fabrik 13.019 Ztr. Zucker und 7.143 Ztr. Melasse, 1864 25.475 Ztr. Zucker. Aus Melasse und Sirup wurde in zwei Destillerien – in Szent-Miklós und in Bormaz – Schnaps gebrannt. Der Zucker wurde in Wien und Pest verkauft. Die Produkte der Fabrik gewannen Preise auf mehreren Weltausstellungen.
Johann Sina war offenbar stets bereit, neue Verfahren auszuprobieren – vielleicht auch, um die Misere der ewig nicht ausreichenden Zuckerrüben zu beheben. 1856 wurden in der Zuckerfabrik Versuche gemacht, aus Maisstroh Zucker zu gewinnen. Es wurde „kein weiterer Versuch dieser Zuckererzeugung gemacht, … da die Zuckerausbeute gar zu gering war.“

1860 suchte die Gutsverwaltung von Szent-Miklós um eine Erhöhung des Steuerkredites von 130.000 auf 180.000 fl. jährlich an. Die Fabrik war also (wahrscheinlich aufgrund der möglichen Verarbeitungsmengen) steuerlich viel höher eingestuft, als es ihrem tatsächlichen Umsatz oder Gewinn entsprach. Um diese Krediterhöhung wurde „anläßlich der Anschaffung einer größeren Quantität Rüben“ angesucht, Sina setzte dafür ein anderes seiner ungarischen Güter als Hypothek ein.(2)

1866 wurde die Fabrik aufgelassen. Sie war bis zu ihrem Ende die größte Zuckerfabrik Ungarns und eine der größten der Monarchie. Ihr Scheitern soll außer auf die Schwierigkeiten mit dem Rübenanbau auch auf die Zollpolitik Österreichs zurückzuführen gewesen sein. In einem Nachruf auf Johann Sina heißt es, daß sie „für ihn mit bedeutenden materiellen Verlusten verbunden war, sodaß er es vorzog, den Betrieb dieser Fabrik einstellen zu lassen.“

Fast gleichzeitig mit derjenigen in Szent-Miklós ließ Johann Sina auch eine Fabrik im mährischen Rossitz errichten. Über diese Fabrik ist wenig bekannt. 1851 ersuchte die Gutsverwaltung um Steuernachlaß, da durch heftige Schneefälle der Transport der Zuckerrüben behindert war und der Betrieb zeitweilig eingestellt werden mußte. Das heißt, selbst wenn Johann Sina auch in Rossitz Rüben anbauen ließ, so reichten sie dort ebenfalls nicht für den Eigenbedarf und mußten von woanders bezogen werden. 1867 gehörte die Fabrik mitsamt dem gesamten Besitz Rossitz nicht mehr Johann Sina, sondern seinem Neffen Simon. In dessen Vermögensausweis wird sie 1876 mit einem jährlichen Gewinn von 121.834 fl. angeführt, fast so viel als die ganze restliche Herrschaft Rossitz, und mehr, als irgend ein anderer Besitz der Sinas einbrachte. Anscheinend hatte die Fabrik also begonnen, doch Gewinn abzuwerfen. Wann und wodurch der Umschwung herbeigeführt wurde, ist nicht mehr rekonstruierbar.

 

1.2. Andere Fabriks-Unternehmungen

1853 plante Johann Sina, eine sonderbare Art der Biererzeugung in großem Maßstab aufzuziehen. Bei dem Verfahren sollte die Bierwürze zu einem Konzentrat („Getreidestein“) verfestigt werden, was Lagerung und Transport dieses Stoffes sehr vereinfacht hätte. Dieses Verfahren sollte sich aber angeblich auf die Qualität des daraus gewonnenen Bieres negativ auswirken; ein anderer Einwand der Behörden war, daß dieser Getreidestein ein Exportartikel war und im Falle ausgiebiger inländischer Verwendung der Staat um seine Zolleinnahmen umfiele!

Aus dem Unternehmen scheint nichts geworden zu sein.

Das Bankhaus Sina war zusammen mit Constantin von Reyer, (einem Triester Zuckerfabrikanten), bis Oktober 1856 Besitzer einer Flachsspinnerei in Pottendorf. Diese Spinnerei wurde einige Monate vor ihrem Verkauf mit einer Schuld von 530.248 fl., aufgeteilt auf drei verschiedene Posten, in der Bilanz des Bankhauses geführt. Wann und wie die Spinnerei in den Besitz der Familie Sina gelangte, ist unbekannt. Georg Sina soll auch „Repräsentant und Mitinteressent … der Klein-Neusiedler Papierfabrik“ gewesen sein. Von dieser Fabrik besaß das Bankhaus 1856 Aktien im Wert von 120.300 fl.

 

2. Finanzkonsortien

Da nach 1848 die Staatsanleihen dem Bankhaus nicht mehr in solchem Maße Einnahmen verschafften wie in den drei Jahrzehnten davor, da auch keine neuen Privatanleihen mehr aufgenommen wurden, war das Bankhaus Sina wie auch seine beiden Konkurrenten Rothschild und Arnstein & Eskeles auf andere Geschäftssphären verwiesen. Die Staatsverwaltung und der Adel verloren als Kunden an Gewicht, und die Privatwirtschaft und das Ausland nahmen an Bedeutung für die Kredittätigkeit des Bankhauses zu. Deshalb begann es auch, sich bei Manufakturen zu beteiligen.

Bei dem Versuch, ausländische Bündnispartner zu gewinnen, befand es sich im Nachteil zum Bankhaus Rothschild, das bereits international gewesen war, bevor Salomon Rothschild sich in Österreich niedergelassen hatte, und damit bei der Einbeziehung ausländischer Finanzquellen über weitaus größere Möglichkeiten verfügte als Sina. Das Bankhaus Sina mußte daher kürzer- oder längerfristige Bündnisse mit anderen Bankhäusern eingehen, wenn es für einen bestimmten Zweck größere Geldsummen bewegen wollte. Mit dem Bankhaus Wodianer gab es eine dauernde Verbindung, die jedoch wegen der deutlich geringeren Mittel dieses Bankhauses nicht wesentlich zur Verstärkung der Kapitalkraft beitrug. Zweimal verband sich Sina mit Arnstein & Eskeles und damit mit dem Credit Mobilier(3), anläßlich des Verkaufes der Staatsbahnen und des gescheiterten Versuches zur Gründung der Creditanstalt. Die Einbeziehung des französischen Kapitals brachte dem Konsortium jedesmal den Ruf ein, den Ausverkauf der Nation zu betreiben – ein Verdacht, der den Rothschilds gegenüber weitaus weniger in Anschlag gebracht wurde.

 

2.1. Die Privilegierte Österreichische Staatsbahn-Gesellschaft

Zum Jahreswechsel 1854/1855 verkaufte die Staatsverwaltung eine Eisenbahnlinie in von Bodenbach über Brünn (Brno, Tschechien) nach Olmütz (Olomouc, Tschechien), eine Linie von Szeged in Ungarn bis Marchegg bei Wien (die von der Staatsverwaltung ausgebaute ungarische Zentralbahn) und einige in Bau oder Planung befindliche Abschnitte im Banat. Damit gelangte ein großer Teil des österreichischen Eisenbahnnetzes wieder in Privatbesitz. Der Grund für diesen Verkauf war die finanzielle Not des Staates, dessen Repräsentanten damit ungern, aber notgedrungen die staatliche Planung des Eisenbahnnetzes wieder aus der Hand geben mußten. Die Erfahrungen der ersten Periode des Eisenbahnbaues, in der die Linien nach allen möglichen Gesichtspunkten errichtet wurden, aber nicht unbedingt dort, wo sie vom volkswirtschaftlichen, verwaltungsmäßigen oder militärischen Standpunkt wichtig oder nützlich waren, hatten die Regierung zur weitgehenden Verstaatlichung der Eisenbahnen bewegt. Der traurige Zustand der Finanzen veranlaßte sie 1854, diesen Schritt rückgängig zu machen.(4)
Die Käufer dieser Strecken waren neben dem Bankhaus Sina das Bankhaus Arnstein & Eskeles und die Societé Generale de Credit Mobilier. Die Frage ist nun: Was bewegte Georg Sina (– er war als Chef des Bankhauses für die Entscheidung verantwortlich –,) dazu, diesen Kauf zunächst in die Wege zu leiten(5) und sich selbst daran in nicht unbeträchtlichem Ausmaß zu beteiligen?

Das bisherige Engagement beim Eisenbahnbau hatte nämlich nicht gerade zum Florieren des Bankhauses beigetragen, die Eisenbahn stellte eher einen steten Zuschußposten dar. Die Aktien aller österreichischen Eisenbahngesellschaften waren lange Zeit hindurch von Kursstürzen bedroht gewesen, sodaß in den 40-er Jahren eine staatliche Kreditkasse zur Stützung dieser Aktien durch fortwährende Ankäufe gegründet worden war. Bei der Übernahme der Südbahn durch die Staatsverwaltung im Jahre 1853 war die Rede von einer „schwebenden Schuld“ von „2 Millionen 136.338 Gulden“, die die vorherige Wien-Gloggnitzer Eisenbahn-AG auf sich nahm. Das war also eine Schuld, die durch den Bau oder den Betrieb im Laufe der Zeit aufgelaufen war und beim Verkauf nicht auf den Käufer abgewälzt werden konnte.

Die Überlegungen Sinas scheinen die gleichen gewesen zu sein wie diejenigen, die ihn vor 1848 bei seinen Eisenbahnunternehmungen geleitet hatten:

1. Er vertraute darauf, daß die Eisenbahnen einmal ertragreich werden müßten.
Dieses Vertrauen beruhte auf einer positiven Einschätzung der künftigen Wirtschaftsentwicklung. Wird viel an Waren oder Personen transportiert, weil viel produziert wird, reger Handel herrscht und die Reisetätigkeit zunimmt, so kann eine Eisenbahnlinie Gewinne abwerfen – in einer Zeit, in der es noch keine solche Alternative für schnelle Beförderung gab, wie sie heute durch Auto und Flugzeug existieren.

2. Er nahm an, daß die Eisenbahnen erst dann ihre volle Wirkung entfalten würden, wenn sie durch Ausbau ein Netz darstellten und an das ausländische Netz angeschlossen würden. Deshalb schrieb er die bisherigen Verluste vor allem den noch nicht existierenden Verbindungen zu.

3. Er wollte seinen politischen Einfluß dadurch stärken und befestigen, daß er die für das gesamte Staatswesen wichtige Infrastruktur betreute und in sie investierte.
Das Bankhaus Sina soll bei diesem Verkauf zusammen mit Arnstein & Eskeles 45 Millionen französische Francs gezeichnet haben. Bei der Vorbesprechung des Verkaufes war erst die Rede von 30 Millionen Francs (11,55 Mill. fl.), die die beiden Bankhäuser nicht aufbringen konnten oder wollten, weswegen sie bis zur gelungen Unterbringung der Aktien auf einen staatlichen Überbrückungskredit angewiesen waren.

Der genaue Umfang der finanziellen Beteiligung des Bankhauses Sina an der „Staatseisenbahn-Gesellschaft“ läßt sich nicht feststellen. Unter anderem deshalb, weil aufgrund der volkswirtschaftlichen Wichtigkeit bei gleichzeitiger ungünstiger Ertragslage der Eisenbahnen alle möglichen Zusatz-Wertpapiere zur Deckung von Schulden und anläßlich von Stützungsaktionen durch die Staatsverwaltung entstanden:

1856 scheinen 1932 Stück Aktien dieser Gesellschaft in der Bilanz des Bankhauses auf, mit einem Wert von X 684.165 fl.
Dazu kommen noch „Staatsbahn-Certifikate“ mit einem Wert von 1,720.147 fl.
Außerdem scheinen „Gloggnitzer(6) Metalliques Obligationen“ auf, im Wert von 1,470.533 fl.
Dazu gesellen sich „Oedenburger(7) Metalliques Obligationen“ um Xx83.962 fl.
und „Gloggnitzer Prioritäts-Obligationen“ im Wert von X X3.116 fl.
Außerdem besaß das Bankhaus auch noch Aktien der ältesten Eisenbahn Ungarns, der Pferdebahn von Preßburg nach Tyrnau (Trnava, Slow.) im Wert von X X2.880 fl.
  ––––––––––
Das zu diesem Zeitpunkt in Eisenbahnunternehmungen investierte Kapital des Bankhauses stellt sich also als eine Summe von 3,280.638 fl. dar.

Über spätere Entwicklungen liegen keine Angaben vor.

 

2.2. Die Idee des Credit Mobilier und die gescheiterte
Bankgründung

Die Idee, eine österreichische Variante des Credit Mobilier(8) zu gründen, ging sicher von den Brüdern Pereire und deren österreichischen Verwandten aus und nicht vom Bankhaus Sina.

Die damals populären Anschauungen über die Aufgaben einer solchen „Gründerbank“ sahen so aus:

1. Die Bank sollte an neu zu gründende Industrieunternehmungen Kredite vergeben,
um den Aufschwung der nationalen Industrie zu befördern. Das für diese Kredite notwendige Kapital sollte sie außer über Aktien über Bank-Anleihen beschaffen, unter möglichst hoher Einbeziehung ausländischen Kapitals.
Einer der Gesichtspunkte einer solchen Bank war also die Dienstbarmachung internationalen Kapitals für nationale Zwecke.

2. Die nötigen Sicherheiten für die Gewährung solcher Kredite sollte der Staat durch Garantien aller Art oder durch Stützung durch Staatspapiere zur Verfügung stellen. Hier wurde also das Ideal einer Nationalbank vom Standpunkt der Grundlage in Vereinigung mit einer privatwirtschaftlichen Kommerzbank bezüglich der Tätigkeit entworfen.
Ein weiteres Merkmal dieser Bank war also die Wirtschaftsförderung durch Staatskredit, aber nicht durch Direktsubventionen, sondern vermittelt durch ein gewinnorientiertes privatwirtschaftliches Unternehmen.

3. Schließlich erhoffte sich die Staatsführung in Frankreich bei der Gründung des Credit Mobilier eine Einschränkung der Abhängigkeit der Regierung vom Bankhaus Rothschild. Napoleon III. wollte sich für seine ehrgeizigen innen- und außenpolitischen Projekte einen zuverlässigen Partner im Bereich des Kreditwesens schaffen, und setzte aus diesem Grund auf die Brüder Pereire.
Ein weiterer Geburtshelfer dieses Bankmodells war also der Kreditbedarf des Staates. Die Überlegung zielte auf eine zeitverschobene Rückwirkung der staatlichen Unterstützung durch das solchermaßen geförderte Institut: Wenn sich die Wirtschaftsförderung bewährte – davon gingen alle beteiligten Parteien aus –, die mittels Kredit geförderten Unternehmungen Gewinne abwerfen würden und die Bank durch die Solidität ihre Schuldner an Finanzkraft und dadurch Kreditwürdigkeit gewinnen würde, so könnte sie auch als Stütze des Staatskredits dienen. Eine gewisse Reziprozität der Kreditierung war also von beiden Seiten eingeplant.

Angesichts der dezidiert nationalen Ausrichtung dieses Bankmodells ist es begreiflich, daß es in Österreich von Staats wegen Widerstand gegen dieses Projekt gab. Ebenso hätte sich jede andere Regierung gegen eine solche zweifelhafte „Filiale“ einer national eingestellten Bank verwehrt. Diese Art von Bank mußte vaterländisch sein, sie konnte sich notwendigerweise außerhalb der Landesgrenzen nicht etablieren.

Gleichzeitig gab es aber von der österreichischen Staatsverwaltung ein Interesse an einer eigenen nationalen „Gründerbank“. Vor allem  der 3. Punkt – die vorgestellte Sanierung der in sehr schlechtem Zustand befindlichen Staatsfinanzen – hatte es dem damaligen Finanzminister Bruck angetan. Wie weit der gesamte Entwurf einer solchen Bank widersprüchlich, ihr Erfolg von Anfang an zweifelhaft war, soll hier nicht abgehandelt werden. Klar ist nur: Ein österreichischer Ableger des Credit Mobilier wäre nicht zugelassen worden.

Es war das Pech des Bankhauses Sina – andererseits ein notwendiges Ergebnis der Rivalität zu den Rothschilds–, zu derjenigen Bewerbergruppe zu gehören, die aufgrund ihrer ausländischen Provenienz zum Scheitern verurteilt war.

________________________________________________________________

(1) zu diesem Thema verweise ich auf die Publikation: Antal András Deák/Amelie Lanier: Die Verbindung von Stephan Széchenyi und und Georg Sina und das Unternehmen Kettenbrücke

(2) FA, Bancale, F 8.3., 48817/1860. (Dieser Akt ist auch eine Auskunft über die österreichische Steuerpolitik in Ungarn nach 1849: Die vorgeschriebenen Steuern waren viel zu hoch, sie wurden daher meist nicht gezahlt und konnten auch mit Gewalt nicht eingetrieben werden; die Steuerrückstände wuchsen mit jedem Jahr.)

(3) Der eine Begründer des Bankhauses, Nathan Adam Arnstein, hatte – da er keine männlichen Nachkommen besaß – seinen Schwiegersohn Heinrich Pereire 1810 adoptiert, um die Kontinuität des Bankhauses und des Namens aufrechtzuerhalten. Die Verbindung mit den Gründern des Credit Mobilier reichte also bis in die Napoleonischen Kriege zurück. (Wurzbach-Lexikon, Arnstein-Pereire)

(4) Für eine erschöpfende Darstellung dieses Verkaufes siehe Strach und Brandt.

(5) Sina reiste selbst nach Paris, um dort mit Vertretern des Credit Mobilier zu verhandeln. FA, GP 9531/1854

(6) Die „Gloggnitzer“ Wertpapiere bezeichnen aus dem Betrieb und/oder Verkauf des hauptsächlich vom Bankhaus Sina finanzierten Teils der späteren Südbahn herrührende Wertpapiere. Diese Bahn verkaufte das Bankhaus 1853 – nicht ganz freiwillig – an die Staatsverwaltung.

(7) Die „Oedenburger“ Bahn zwischen Wiener Neustadt und Sopron war von einer aus ungarischen Adeligen und Soproner Bürgern bestehenden AG gebaut und betrieben worden. Das Bankhaus Sina hatte sie von Anfang an kreditiert und dadurch den Bau überhaupt erst ermöglicht.

(8) zu der detaillierten Beschreibung der Idee und Realität des Credit Mobilier siehe: Steiner, S. 54-59

zurück zu: Die Geschichte des Bank- und Handelshauses Sina

zurück zur Startseite