Das
Kreditwesen Ungarns und der IWF
Mitte Februar 1994 berichteten die Medien von einem etwas skurril anmutenden
Konkurs in Ungarn: Eine Brokerfirma konnte ihren Verpflichtungen nicht
mehr nachkommen und bei den darauf folgenden Untersuchungen stellte sich
heraus, daß zu ihren Gläubigern einige Ministerien und andere
staatliche Institutionen gehörten: So hatte das ungarische Heer ihr
811 Millionen frt in Form von Staatsanleihen und anderen staatlich
garantierten Wertpapieren zur Veranlagung überlassen. Die ungarischen
Staatsbahnen hatten ihr sogar insgesamt 1 Mrd. 85 Mill. frt. übergeben,
wovon ein Teil aus einem Kredit herrührte, den die Eisenbahn selbst
bei einer Bank angeblich zur Auszahlung von Gehältern
aufgenommen hatte.
Folgende Fragen drängen sich auf: Was treibt das Heer dazu, Staatsanleihen
1. zu erwerben und 2. zur Veranlagung weiterzugeben und was haben die
übrigens schwer defizitären Staatsbahnen bei einem
Wertpapierhändler verloren?
Im Anschluß an diese Berichte hielt es eine österreichische
Tageszeitung für angebracht, diese Meldung durch positive Nachrichten
zu ergänzen:
Der Fall des Brokerhauses hat
den Budapester Börsenboom nur gebremst, aber nicht beendet. So stiegen
die Aktien der Hotelkette Danubius, im Vorjahr um 667 frt verkauft, auf
2200 frt. (35,7% der Danubius-Aktien waren im größten Geschäft
der Budapester Börsengeschichte von 3 US-Investoren erworben worden.)
Auch Fotex, Pick, Skála-Coop und Styl halten »Traumpreise«.
(Presse, 14. 2. 94)
Es gab also in Budapest einen Börsenboom, der
nach einer kleineren Flaute im Vorjahr wieder von sich reden macht:
Voriges Jahr mußte die
ungarische Wirtschaft eine äußerst schwere Rezession überwinden,
zusätzlich verursachte die Mexiko-Krise ein Mißtrauen
internationaler Anleger gegenüber Ungarn
Daß
die Erholung der Wirtschaft tatsächlich gelang, zeigen nicht nur
die sich verbessernden makroökonomischen Indikatoren, sondern auch,
daß im Vorjahr auf der Budapester Börse die wichtigsten, im
BUX-Indexkorb vereinigten Aktien einen Kursgewinn von durchschnittlich
85% erreichten. (Heti Világgazdaság=HVG, 20.4. 1996)
Was heißt Börsenboom in einem
Land wie Ungarn?
Die Börse
a) Aktien
In den Heimatländern der freien Marktwirtschaft
ist eine Aktiengesellschaft eine Vereinigung, mittels derer Industrielle
ihrem Betrieb Liquidität zuführen. Ein profitorientiertes Unternehmen
hat nämlich ein ständiges Bedürfnis nach Leihkapital, sei
es, weil es noch nicht genug Produkte verkauft hat, um seine Ausgaben
decken zu können, sei es, weil die Produktion modernisiert werden
soll oder weitere Unternehmen gekauft werden, in Erwartung auf gesteigerten
Gewinn, der sich aber erst nach einiger Zeit einstellt. Schließlich
auch deswegen, um schlechten Geschäftsgang auf Grundlage von Krediten
zu durchtauchen, bis es wieder aufwärts geht. Ein bei
einer Bank aufgenommener Kredit will mit Zinsen bedient und innerhalb
gewisser Fristen getilgt werden.
Bei einer Aktie hingegen macht sich der Emittent von der Rückzahlung
des solchermaßen beschafften fremden Geldes unabhängig. Er
zieht Geldkapital an, das in Folge dem Unternehmen frei zur Verfügung
steht und für die anfallenden Kosten eingesetzt werden kann. Die
Käufer dieses Papiers wollen ebenfalls Geschäfte damit machen,
sie wollen, daß sich der Wert dieses Papiers über den dafür
gezahlten Preis erhöht. Grundlage für eine Aktienausgabe ist,
daß sich der entsprechende Betrieb bereits bewährt hat, Gewinne
daher zu erwarten sind. Das gilt dem Anleger als Sicherheit dafür,
daß sein Geld gut angelegt ist. Die Aktie verspricht
zunächst Beteiligung am Gewinn des Unternehmens. Dabei gibt es gar
keine Garantie auf das Auszahlen einer Dividende, oft weigern sich die
Aktiengesellschaften, eine solche auszuschütten. Die Anleger wissen
jedoch, daß der Rechtstitel auf Gewinnbeteiligung selbst
wieder einen Wert besitzt. Es erhöht den Wert einer Aktie, wenn das
Unternehmen gut geht. Damit tritt aber eine völlige Verselbständigung
dieser Wertsteigerung ein: Das Vertrauen der Anleger, daß der Wert
einer Aktie steigen könnte, läßt ihn auch wirklich steigen.
Es ist also nicht nur die Erwartung der Dividende, sondern vor allem die
Aussicht auf Kurssteigerung, die die Aktie als Anlage attraktiv
macht. Der Aktienhandel befreit sich so von den wirklichen Erfolgen eines
Unternehmens und das ist auch eine der Ursachen der Krise und des Börsenkrachs
da wird durch Vernichtung von Vermögen, d. h. Entwertung investierten
Geldkapitals, daran erinnert, daß ohne erfolgreiche Ausweitung der
Produktion die Gewinne im Kreditsektor auf tönernen Füßen
stehen.
Angesichts der eigenen Bewegungen der Aktienkurse und der Spekulation
soll nicht vergessen werden, wie sie mit der Produktion zusammenhängen:
Wenn ein Unternehmen bekanntermaßen nicht floriert, daher auch kein
Vertrauen in seinen Geschäftsgang besteht, so kauft auch niemand
seine Wertpapiere. Einen Börsengang können sich
im Westen daher nur Unternehmen leisten, die Erfolge in der Konkurrenz
vorzuweisen haben.
Die Anleger, die die Aktien erwerben, sind Leute, die ihr Geldkapital
arbeiten lassen wollen. Sie verfügen über genug
überschüssiges Geld, um es profitabel anlegen zu können.
Für die Gründung eines konkurrenzfähigen Betriebes mag
es ihnen zu wenig sein, aber sie vergleichen ständig alle Anlagesphären,
in- und ausländische Börsen, Staatspapiere, Immobilien etc.
Ihre Zahlungsfähigkeit ist groß genug, um die selbständige
Entwicklung des Aktienmarktes hervorzubringen: Ihre eigenen Käufe
und Verkäufe sind dort die Folge von und die Ursache für die
Bewertung von Aktien, und was die Unternehmen selbst treiben, ist nur
mehr ein Faktor unter anderen, die die Börsenspekulanten bei ihren
Entscheidungen beeinflußt.
In Ungarn gibt es Betriebe, deren Geschäftsgang
eine Aktienausgabe rechtfertigen würde, eigentlich nicht. Vor dem
Anspruch, gewinnträchtig zu produzieren, haben sich die Fabriken,
Kombinate, Gewerbebetriebe dieses Landes mit einigen wenigen Ausnahmen
bisher blamiert. Dennoch gibt es Wertpapiere, die Aktien
heißen. Um was für eine Art von Wertpapier handelt es sich
dabei?
In Ungarn ist die Börse der Ort, über den die Privatisierung
hauptsächlich abgewickelt wird. Nur wenige ungarische Unternehmen
sind direkt verkauft worden, auf den meisten ist der Staat sitzengeblieben.
Will die ungarische Vermögensagentur einen Betrieb privatisieren,
so gibt sie auf diesen Betrieb unter Zuhilfenahme internationaler Wertpapierfirmen
Aktien aus. Der Betrieb bleibt weiterhin mehrheitlich in Staatshand,
aber durch die Verwandlung in eine AG, eine zunächst rein rechtlich-formelle
Umwandlung, soll er als Privatbetrieb gelten, funktionieren und auch von
den Anlegern, den neuen Eigentümern, so behandelt werden.
Der Börsengang eines Betriebes ist oft auch ein Versuch, potentielle
finanzkräftige Anleger anzulocken und ihnen den restlichen Anteil
direkt zu verkaufen. Mit den Einnahmen aus der Aktienausgabe versucht
der Staat meistens, den Betrieb zu entschulden oder Sozialpläne bei
Entlassungen zu finanzieren, um ihn für potentielle Käufer attraktiver
zu machen.
Die Trennung zwischen Eigentümern und Management, die für die
Aktiengesellschaft charakteristisch ist, ist in Ungarn also ein Versuch,
dem Betrieb erst richtige Eigentümer zu verschaffen.
Die ungarischen Aktien sind im Grunde Staatspapiere, die oftmals auch
fix verzinst sind. Mit der Aktienausgabe tut die Vermögensverwaltung
gleichzeitig kund, daß der Staat an diesem Betrieb Interesse hat
und ihn daher auch stützen wird, wenn es mit dem Gewinne-Machen nicht
ganz klappt. Wenn ein in- oder ausländischer Investor ( die
ungarischen Aktien werden u.a. auch an der Londoner Börse gehandelt,)
ungarische Aktien kauft, so ist sein Vertrauen in den Staatskredit
Ungarns und nicht in den Geschäftsgang des Betriebes die
Grundlage dieser Erwerbung.
Das Gerede vom Börsenboom ist daher irreführend:
Man mag das schon einen Boom nennen, zweifelhafter ist allerdings das,
was unter Börse zu verstehen ist. Denn die dort zirkulierenden
Aktien sind eher Verkörperungen des Prinzips Hoffnung, der rettende
Investor möge sich doch einstellen, als Aktien im eigentlichen Sinne:
Ausweis kapitalistisch erfolgreicher, steigerungsfähiger Produktion.
b) Entschädigungsscheine
Ein weiterer erwähnenswerter Faktor der Budapester
Börse sind eine andere Art von Wertpapieren: Einen nennenswerten
Posten im Aktienhandel neben den Aktien von rund 20 Firmen
stellen regelmäßig die Entschädigungsscheine. Diese
Papiere, die als Ergebnis der beiden Entschädigungsgesetze seit Mitte
1991 an die Anspruchsberechtigten ausgeteilt wurden, stellen zunächst
ihren gestzmäßigen Bestimmungen nach Anspruchstitel
auf immobiles Vermögen dar. Ein Wust von Bestimmungen regelt die
Verwendung dieser Papiere:
Sie sind auf bestimmte Summen in Forint ausgestellt, jedoch nicht auf
der Bank in Bargeld einwechselbar. Es gibt verschiedene Arten von Entschädigungsscheinen.
Diejenigen, die zum Kauf landwirtschaftlicher Nutzflächen aus dem
Besitz der Kooperativen berechtigen, unterscheiden sich von den anderen.
Bei ihnen ist auch ein Wert in Goldkronen ( in dieser Münze
wird der Wert des Grundes berechnet ) verzeichnet, wobei eine Goldkrone
2000 frt gleichgesetzt wird. Die Kooperativen sind verpflichtet, das in
ihrem Besitz befindliche Staatsland gegen Entschädigungsscheine zu
deren Nennwert, also zu der auf ihnen verzeichneten Summe, zu verkaufen.
Diese Art von Entschädigungsscheinen macht den überwiegenden
Teil aus: 90% der Ansprüche entfallen auf Betroffene der Kollektivierung.
Ferner sind die Kommunen verpflichtet, bei Verkauf staatlicher Mietwohnungen
an die Mieter Entschädigungsscheine als Zahlung anzunehmen. Was die
Gemeindeverwaltungen dann damit machen, ist deren Problem. Vermutlich
tragen sie sie auf die Börse
Bei Privatisierung von staatlichen Unternehmen durch Aktienausgabe ist
ein bei jedem einzelnen Unternehmen von der Vermögensagentur
gesondert festzulegender Anteil für die Besitzer von Entschädigungsscheinen
reserviert. Diese Scheine müssen von der Vermögensagentur ebenfalls
zu ihrem Nennwert angenommen werden. Je nachdem, in welchem Verhältnis
und zu welchen Bedingungen Entschädigungsscheine gegen Aktien eingetauscht
werden können, gewinnen und verlieren diese Scheine an Wert. Der
derzeitige Kurs liegt zwischen 32 und 45% des Nennwertes, aber sie hielten
im Vorjahr auch schon einmal bei 12%.
Die gesamte Entschädigung ist auf das Drängen der Kleinlandwirte-Partei,
der Erfinder der Entschädigungsscheine, zurückzuführen
und zielte auf die Wiedereinrichtung kleinbäuerlicher Wirtschaften
ab. Die Rechnung ist nicht oder kaum aufgegangen: Die Nachkommen der seinerzeit
zur Kollektivierung gezwungenen Kleinbauern sind in anderen Berufen tätig
und verspüren wenig Lust, Bauern zu werden. Sie haben die Entschädigungsscheine
größtenteils verkauft oder gegen Konsumgüter getauscht.
Bald nach ihrer Ausgabe wurden sie bereits als Zahlungsmittel bei gewöhnlichen
Einkäufen angenommen der aufgrund der fortgesetzten Verarmung
der Bevölkerung mit Absatzschwierigkeiten kämpfende Einzelhandel
versuchte auf diese Weise etwas Kaufkraft an sich zu ziehen.
Die Palette der Wertpapiere, die mit ihnen erworben werden können,
ist erweitert worden. Die Entschädigungsscheine sind zu einem zwar
deutlich unter seinem Nennwert, aber sehr lebhaft kursierenden Wertpapier
geworden.
Diese Scheine sind also eine Mittelding zwischen Forint,
Staatsanleihe (sie werden 5 Jahre lang verzinst) und spekulativem Wertpapier.
Das meiste, was man mit Forint erwerben kann, ist auch gegen Entschädigungsscheine
erhältlich. Mit Forint und Staatsanleihen haben sie auch gemeinsam,
daß sie Zahlungsversprechen des Staates sind, zu dem sie
früher oder später zurückkehren werden und der dafür
geradesteht, daß sie überhaupt einen Wert haben. Bei ihnen
ist augenscheinlich, daß ihre einzige Grundlage der Staatskredit
ist.
Soviel zum Angebot der Börse. Die überwiegende
Mehrheit der dort kursierenden Papiere sind Staatspapiere, obwohl sie
Anspruch darauf erheben, betriebliche Erfolge zu repräsentieren.
Wie sollte es auch anders sein? Spekulation mit Geldkapital ist Folge
erfolgreicher Gewinnmacherei im produktiven Sektor, nicht deren Verursacher.
Wo die Produktion keine Gewinne macht, kann sie auch keine Sphäre
des Kredits schaffen. Gibt es letztere dennoch, so kann sie nur ein Ergebnis
staatlicher Garantien sein.
Übrigens: Der Anteil beider Arten von Papieren am Börsengeschehen
bzw. am Wertpapierhandel ist relativ gering:
Der Umsatz der Budapester Börse
betrug im Jahr 1993 186 Milliarden frt., davon entfielen jedoch nur 10%
auf den Aktienhandel, der Rest stammt zum überwiegenden Teil aus
dem An- und Verkauf von Staatspapieren. (HVG, 29.4. 94)
Daran hat sich bis heute nicht viel geändert, (außer
dem Umstand, daß der sogenannte außerbörsliche Handel
zugenommen hat):
Der gesamte Wertpapier-Umsatz
(d.h., im In- und Ausland, auf und außerhalb der Börse) betrug
der staatlichen Wertpapier- und Börsenaufsichtsbehörde zufolge
1995 1827 Mill. Forint, insgesamt 13,7% davon
machte der Aktienhandel
aus. (HVG, 30.3. 1996)
Ein weiteres Phänomen ist erklärungsbedürftig:
Warum gibt es nach solchen Papieren überhaupt eine Nachfrage? Dafür
ist es notwendig, einen Überblick über die anderen, eindeutig
als Staatspapiere deklarierten Wertpapiere zu geben.
Der Staatskredit
Die restlichen in oder außerhalb Ungarns umlaufenden ungarischen
Wertpapiere beruhen völlig und eingestandenermaßen auf dem
Staatskredit. Sie sind entweder staatliche Papiere, wie die
Staatsanleihen oder Schatzscheine, oder staatlich garantierte
Papiere, wie von Betrieben selbst ausgegebene Obligationen oder Investscheine.
Für die meisten dieser Wertpapiere wird Steuernachlaß
gewährt, sofern sie innerhalb einer bestimmten Frist von einem
bis zu drei Jahren nicht verkauft werden. (Das gilt übrigens
auch für einige Aktien.) Obwohl das international üblich ist,
hat es in Ungarn doch andere Gründe und Wirkungen. Die einheimischen
Käufer der Wertpapiere sind nicht Anleger in dem Sinne, daß
sie ihr Kapital arbeiten lassen wollen, um ein deutliches Mehr über
die aufgewandte Summe hinaus einzustreifen, sondern es sind Personen,
die ihre Spargroschen vor der Inflation retten wollen. Die in einem westlichen
Land üblichen Sparformen scheitern nämlich in Ungarn an der
fortschreitenden Geldentwertung, sodaß jeder, der sein Geld davor
in Sicherheit bringen will, genötigt ist, sich selbst als Spekulant
zu versuchen. Im Falle der Staatspapiere ist das recht großzügig
anmutende Steuerabschreibungs-Angebot der hauptsächliche Nutzen,
den ein Käufer daraus zieht.
Obwohl die Erträge auf solche staatlich garantierten Papiere im vergangenen
Jahr weitaus geringer waren als die auf Aktien, so verfügen erstere
bis heute über eine deutlich größere Anziehungskraft als
letztere eine Reflexion der in- und ausländischen Käufer
darauf, daß der Staat der einzige Fixpunkt in der Ökonomie
Ungarns ist, und ein Subjekt, das schwerlich Bankrott machen kann
zum Unterschied von Betrieben, Banken usw. Der ungarische Staat
wie jeder andere auch verpflichtet nämlich alle seine Untertanen
darauf, seine eigenen Schuldverschreibungen, die Geldscheine, als Zahlungsmittel
zu akzeptieren. Er ist also der Garant und die Grundlage des wirtschaftlichen
Treibens im Lande und in dieser Eigenschaft läuft er außer
Konkurrenz.
Diese Endverbraucher des Wertpapierhandels, die sogenannten kleinen Leute,
sind aber nur ein kleiner Teil der Käufer der Anleihen. Hauptsächlich
sind es die ungarischen Banken, die nach diversen Stützungsaktionen
des Staates in den Jahren 93 und 94 wieder mehrheitlich im Staatsbesitz
sind. In einem komplizierten Gewebe von Verschuldung, Garantien und Bankschätzen
aus Staatsanleihen wäscht eine Hand die andere: Die Banken kaufen
Anleihen und der Staat stützt die Banken.
Ausländische Anleger, hauptsächlich Investment-Fonds, haben
einen abgeklärten Standpunkt zu den Staatspapieren eines emerging
market: Solange Ungarn das Vertrauen des IWF genießt und die
Renditen stimmen, d.h., der Investor nach Abzug der Inflationsrate mehr
herausbekommt als in anderen weniger inflationären Ländern,
so werden ungarische Anleihen eben gekauft.
Der ungarische Staat muß einen hohen Preis
für seine Staatsverschuldung entrichten: Er muß auf seine Anleihen
zumindest so hohe Zinsen zahlen, daß sie wenigstens zum Zeitpunkt
ihrer Emission spürbar über der Inflationsrate liegen.
Das waren Anfang dieses Jahres zwischen 29 und 35%, je nach Laufzeit der
Anleihen. Damit verteuert er sich selbst seine Kreditschöpfung, vergrößert
die Staatsschuld und heizt damit die Inflation noch mehr an. Und er hat
dabei, was dasAnlagebedürfnis der potentiellen Käufer
seiner Anleihen betrifft, einen mächtigen Konkurrenten direkt vor
der Tür sitzen: Der Drang, ihr Geld in Devisen, namentlich in einer
relativ sicheren Währung wie der DM oder sogar dem Schilling, anzulegen,
ist bei den Besitzern von Forint klarerweise recht stark. Ob in Form von
Bankkonten im Westen oder Lebensversicherungen in Österreich findet
seit Jahren ein privater Abfluß von Devisen ins westliche Ausland
statt, der zwar nach dem Devisengesetz verboten ist, aber sich nicht unterbinden
läßt: Die Grundlage dieses Transfers ist die beschränkte
Konvertibilität des Forint, auf die Ungarn unter keinen Umständen
verzichten will.
Konvertibilität
Die Konvertibilität einer Währung kann
noch so oft von einer Regierung verkündet werden, kommt aber nichtsdestotrotz
nicht durch Absichtserklärungen zustande. Ein nationales Geld ist
dann konvertibel, wenn es weltweit nachgefragt wird. Grundlage davon sind
die Leistungen der Wirtschaft des betreffenden Landes: Deren Unternehmen
produzieren kapitalistisch erfolgreich, d.h. sie können sich mehrheitlich
gegen diejenigen anderer Länder am Weltmarkt behaupten. Ihre Waren
sind auch jenseits der Landesgrenzen begehrt, können sich gegen andere
in Preis und Qualität durchsetzen und bescheren ihren Herstellern
satte Gewinne. Daher bemüht sich auch jeder, der Geschäfte machen
will, in den Besitz dieses Geldes zu kommen, weil es ihm erstens Zugriff
auf in- und ausländische Waren sichert, zusätzlich auch dafür
Garantie bietet, daß ihm die Profite, die er selbst gemacht hat,
nicht durch Geldentwertung unter der Hand verschwinden: Eine konvertible
Währung verschafft universellen Zugriff auf Waren, und sie stellt
einen sicheren Hafen für Vermögen dar: Sie bewahrt seinen Wert.
Eine solche Währung ist selbst wieder Ware auf Geldmärkten,
wo mit ihr gehandelt wird und wo sie ständig mit den Geldern anderer,
verwandter Nationen verglichen wird. Dort wird in einem fort die Wucht
der Wirtschaft, aber auch die politische Autorität der Devisen-Staaten
miteinander verglichen und manche Währung für zu leicht befunden
und dadurch gegenüber den anderen entwertet.
Wenn eine Regierung einseitig die Konvertibilität ihrer Währung
ausruft, also bekundet, daß sie ihre Nation zum Tummelplatz der
internationalen Geschäftswelt machen will und deshalb bereit ist,
ihre Währung auch vom Ausland bewerten zu lassen, so ist das
ein Angebot, das angenommen werden kann oder auch nicht. Schließlich
machen inzwischen alle Staaten der Welt dieses Angebot, und jeder Unternehmer
hat eine unerschöpfliche Auswahl von billigen Arbeitskräften,
mit und ohne Arbeitsrecht, mit mehr oder weniger Infrastruktur und mehr
oder weniger liberalen Gewinntransfergesetzen.
Die Konvertibilität, also der Umstand, daß eine
in Währungstabellen unter Exoten geführte Währung
dennoch in einer westlichen Bank angenommen wird, verdankt sich dem Beschluß
der im IWF organisierten Staaten, dem Forint diese Eigenschaften zu verleihen.
Es besteht genügend Interesse westlicher Firmen an Geschäften
in Ungarn, daher muß das dortige Geld in begrenztem Maße die
Eigenschaften besitzen, die diese Geschäfte ermöglichen: Er
muß im Inland als Geld anerkannt sein, also zur Zahlung angenommen
werden. Er darf sich nicht zu schnell entwerten, um als Zahlungsmittel
tauglich zu bleiben, und seine Einlösbarkeit in weltmarkttaugliche
Währungen muß gewährleistet sein.
Wenn ein Staat sich so wie der ungarische fortgesetzt bei seiner eigenen
Wirtschaft verschuldet das heißt es nämlich, wenn er
Staatsanleihen ausgibt: Er wird zum Schuldner derer, die sie kaufen
, während die Produktion dem Anspruch, profitabel zu sein,
genausowenig genügt wie früher, als es diesen Anspruch noch
gar nicht gab, und außerdem von 1989 bis 1995 fortwährend rückläufig
war, inzwischen soll sich ein Wachstum eingestellt haben,
so ist die Folge notgedrungen eine recht geschmalzene Geldentwertung.
Und zwar in einer Höhe, die vor allem den ausländischen Hütern
der Währungsstabilität sehr mißfällt.
Die wollen nämlich in einem Land wie Ungarn bei der Inflationsrate
unbedingt mitreden, während die Staaten mit Weltwährungen
ungehindert Staatsschuldverschreibungen auf den Markt werfen können,
die diejenigen Ungarns an Menge in nichts nachstehen.
Es ist ebenso Tatsache, daß die ungarische Staatsverschuldung auch
dazu dient, eine weitere Schrumpfung der Produktion zu verhindern
wenn defizitäre Betriebe nicht subventioniert, sondern zugesperrt
werden, so verbessert das die nationale Wirtschaftsleistung ja auch nicht,
sondern schmälert sie weiter. Die Beschränkung der Staatsverschuldung
durch den IWF löst also keineswegs den Widerspruch auf, sondern verschärft
ihn nur: Das ist eine der Ursachen der langwierigen Verhandlungen und
der immer kürzeren Kreditgewährungsfristen.
Der Staatskredit ist für den ungarischen Staat also
ein sehr bedingtes Mittel zur Bestreitung seiner Ausgaben: Will er anlagesuchendes
Geld für sich nutzbar machen, also seine Abwanderung in andere, harte
Währungen verhindern, so muß er ihm Bedingungen bieten, die
die Einnahmen, die er sich so verschafft, auf der anderen Seite verringern.
Dazu gehören die hohen Zinsen, die er zahlen muß, dazu gehören
aber auch die Steuereinnahmen, auf die er verzichtet, um die Nachfrage
nach Wertpapieren zu steigern. Es war für den ungarischen Staat eine
Zeitlang sehr schwierig, seine Anleihen abzusetzen. Die wirkliche Schranke
seiner Verschuldung liegt jedoch nicht in der in- und ausländischen
zahlungsfähigen Nachfrage, sondern in dem vom IWF vorgeschriebenen
Verschuldungsrahmen, also um Beschränkungen bei der Ausgabe
der Anleihen.
Das Budget und der IWF
Die Verhandlungen mit dem IWF im Jahre 1993 waren langwierig
und mündeten in der Gewährung eines Standby-Kredites in der
Höhe von 478 Mill. $. Das hat damals bei der ungarischen Regierung
Befremden ausgelöst: Standby-Kredite werden meist an Staaten vergeben,
die mit Zahlungsschwierigkeiten kämpfen. Ungarn habe bisher aber
seine Verpflichtungen stets erfüllt, so beklagten sich die Finanzfachleute,
die eher eine Verlängerung des vorherigen, für Ungarn günstigeren
Vertrages aus dem Jahre 91 erwartet hatten, der eigentlich erst 1994 ausgelaufen
wäre.
Über die Verschuldungsfähigkeit Ungarns bestehen offensichtlich
unterschiedliche Auffassungen zwischen dem IWF und der ungarischen Seite:
Während die Ungarn nach ihrem Wohlverhalten bei der Rückzahlung
ihrer Schulden eingestuft werden wollten, richtete sich der IWF eher nach
dem Zustand der ungarischen Wirtschaft und der ungarischen Finanzen und
kam dabei zu einer wesentlich unvorteilhafteren Beurteilung der Zahlungsfähigkeit
Ungarns.
Bei diesen Verhandlungen war der Hauptgegenstand die Höhe des Budgetdefizits.
Der ungarische Staat durfte sich nur innerhalb des vom IWF vorgegebenen
Rahmen bei seiner eigenen Wirtschaft verschulden. Das setzte die Regierung
bezüglich ihrer Ausgaben schwer unter Druck:
Die Gewerkschaften rechneten
aus, neben den Einnahmen aus der Sozialversicherung einen Zuschuß
von 80 Mill. frt zu benötigen, die Regierung hingegen hält höchstens
einen Zuschuß von 25 Mill. für finanzierbar, und behauptete,
daß womöglich die Einigung mit dem IWF an diesem Posten scheitern
könnte. (HVG, 10.7. 93)
Daß beim Sozialen immer als erstes gespart werden
muß, ist ja auch hierzulande hinlänglich bekannt, obwohl die
Differenz zwischen der angestrebten und der finanzierbaren
Summe den Rahmen des in einem westlichen Staat Üblichen sprengt.
Völlig ungewöhnlich ist jedoch folgendes:
In den Vorschriften für
das Militärbudget 1993 stand, daß das Verteidungsministerium
mehr als 7 Mrd. ft aus eigenen Mitteln beschaffen muß. (HVG
12.2. 94)
Eine schwere Aufgabe. Schon 1,8 Mrd. aus Immobilienverkäufen
zu erwarten, erwies sich als Illusion. Was tun in einem solchen Fall?
Volkstanzveranstaltungen und Tombolas? Oder vielleicht doch das Näherliegende,
Waffenverkäufe und Beschützerdienste gegen Bezahlung? Was in
der russischen Armee zum Leidwesen ihrer Führer heute gang und gäbe
ist, in einem NATO-Heer unvorstellbar, schien die ungarische Regierung
ihrer Armee förmlich vorschreiben zu wollen: Macht eure Verfügung
über Waffen zu Geld!
Die Heeresleitung konnte sich zu diesem Schritt offenbar nicht entschließen
und versuchte, auf dem derzeit einzigen anerkannten Weg der Bereicherung
zu den nötigen Mitteln zu kommen: Sie kaufte Wertpapiere und trug
sie zu dem anfangs erwähnten Brokerhaus. Ähnliche Vorschriften
im Budgetentwurf dürften auch das Innenministerium und die Staatsbahnen
dazu bewogen haben, sich an die Brokerfirma zu wenden.
Es kommen für den Staat noch Ausgaben hinzu, die nicht vorhersehbar
waren, denen aber offenbar höchste Priorität eingeräumt
wird:
Die Autofabrik Suzuki, zur Zeit
des Systemwechsels als Perle der wirtschaftlichen Umgestaltung betrachtet,
ist ein halbes Jahr nach Inbetriebnahme in Konkursgefahr. Zur Rettung
braucht der Betrieb eine Kapitalerhöhung um 7,5 Mrd. frt (etwa 900
Mill. S), 20% vom ungarischen Staat. So muß die Budapester Regierung
tief in den Staatssäckel greifen, obwohl sie der Firma schon bisher
zahlreiche Unterstützungen und Vergünstigungen gewährt
hat. (Presse, 13. 12. 93)
Alle den vom IWF vorgeschriebenen Rahmen überschreitenden
notwendigen Ausgaben müssen von den internationalen Finanzaufsichtsbehörden
zusätzlich genehmigt werden, meist in Form von Krediten der Weltbank:
wenn die Einigung mit
dem IWF am 15. Juli nicht gelingt, können die Banken auch dem für
ihre Konsolidierung notwenigen Kapital von der Weltbank Ade sagen
(HVG 10.7. 93)
Angeblich geht das auch ohne Zustimmung des IWF:
Es gelang sogar, in der Zeit
der Verstimmung zwischen dem IWF und Ungarn 3 Weltbankkredite
zu erhalten. (Für ein Programm für die Pensionsverwaltung und
die Gesundheitsversicherung 132 Mill. $, für Dienstleistungen im
Gesundheitswesen 91 Mill. $, für die Steuerverwaltung 29 Mill. $)
(HVG 25. 9. 93)
Die Banken wurden schließlich mit sogenannten Konsolidierungs-Anleihen
gestützt, also einer Art von Staatsanleihen. Auch die Dienstleistungen
im Gesundheitswesen und die anderen oben erwähnten Posten wurden
nicht mit Dollars finanziert, sondern mit Forint und staatlichen Garantien.
Woher also die Notwendigkeit, sich solche Schritte durch Dollar-Kredite
für die ja auch Dollar-Zinsen zu entrichten sind genehmigen
zu lassen? Die Erklärung liegt darin, daß jede zusätzliche
im Budgetentwurf nicht vorgesehene Staatsausgabe von IWF
oder Weltbank genehmigt werden muß und dafür mit einer $-Deckung
versehen wird, was natürlich die Auslandsverschuldung erhöht.
Ungarn muß also für jede Ausgabe im Inland quasi um Erlaubnis
fragen; der Preis dafür, sie zu erhalten, ist ein erhöhter Schuldendienst
in Devisen.
Im März dieses Jahres einigte sich die ungarische Regierung mit dem
IWF abermals auf einen Standby-Kredit in der Höhe von 400 Mill. $.
Die Unzufriedenheit hält sich diesmal in Grenzen. Die Regierung hat
zwar über die Art des Kredites und die an ihn geknüpften Bedingungen
Mißfallen geäußert, ist aber über das Zustandekommen
des Abkommens nach 2 Jahren Verhandlungen sehr erfreut:
Ungarn wartet nur deswegen
auf den Genehmigungsstempel auf das Abkommen, um dadurch zur Gruppe der
entwickeltesten Länder aufzuschließen, und damit die Regierung
und der Regierungschef ihr Prestige in der internationalen Finanzwelt
steigern können. (HVG, 16. 3. 1996)
Der Kredit soll gar nicht in Anspruch genommen werden,
sondern die Einigung mit dem IWF ist nach wie vor die Eintrittskarte Ungarns
in die internationalen Finanzmärkte und entscheidet über die
Zinshöhe und Laufzeit der Kredite, die das Land erhält. In diesen
Kreisen ist man in letzter Zeit sehr zufrieden mit Ungarn:
Im März 95 hat der Finanzminister Lajos Bokros ein Sparpaket erlassen,
das das Ende des ungarischen Sozialstaates eingeläutet hat. Obwohl
wegen des Widerstandes des Verfassungsgerichtshofes nicht alles durchgesetzt
werden konnte, was an Kürzungen vorgesehen war, so war doch das wichtigste
Ziel erreicht: Ungarn war dem IWF und der internationalen Finanzwelt wieder
vertrauenswürdig genug, um zu erträglichen Konditionen Kredite
zu erhalten. Der Regierung wird bescheinigt, mit diesem Paket ihre Wirtschaft
stabilisiert zu haben. Über die Umstände,
die der Verkündigung dieses Sparpaketes vorangingen, äußerte
sich ein Experte der Weltbank so:
Heuer im März mußte
die Regierung sehr rasch handeln: Die Zinsen der von Ungarn aufgenommenen
Kredite begannen in gefährlichem Maße zu steigen, die Laufzeit
dieser Kredite verkürzte sich gleichzeitig, ein Zeichen dafür,
daß die Wirtschaft immer schwerer finanzierbar ist. (HVG,
7. 10. 95)
Auch die Folgen sind allgemein bekannt:
das dafür erbrachte
gesellschaftliche Opfer bedeutete eine Kürzung der Einkommen von
über 10%
(HVG, 16.3. 1996)
Der IWF und die Auslandsverschuldung
Im Jahr 1993 bekam Ungarn in der Zeitschrift »Euromoney«
den Titel: Kreditnehmer des Jahres. Bis August 93 legte Ungarn
nämlich Anleihen in der Höhe von 170 Mrd. Yen, 150 Mill. $,
100 Mill Pfund, 100 Millionen Schweizer Franken und 2,6 Mrd. Mark auf
internationalen Geldmärkten auf. Woher rührte dieses Vertrauen
in die Zahlungsfähigkeit Ungarns?
Frigyes Hárshegyi, der
Vizedirektor der UNB beeilte sich, hinzuzufügen, daß die international
tonangebenden Finanzkreise trotz der gegenwärtigen »Malörs«
der ungarischen Wirtschaft dem Zahlungsbilanzdefizit von mindestens
1,5 Mrd. $ und dem auf 215 Mrd. frt. geschätzten Budgetdefizit
unverändertes Vertrauen in das Land besitzen und die auf auswärtigen
Märkten inzwischen heimisch gewordene UNB als korrekten Partner betrachten.
(HVG 4. 9. 93)
An den wirtschaftlichen Erfolgen Ungarns kann es also
nicht liegen, daß die internationale Finanzwelt Vertrauen bezeugt,
und die Korrektheit und Geschicklichkeit der Vertreter der Nationalbank
wird es wohl auch nicht sein, die den guten Ruf des Schuldners Ungarn
verursacht. Die Beantwortung der Frage ist nicht schwer, die Finanzwelt
setzt eben auf einen anderen Garanten als auf die Ungarische Nationalbank:
Die internationalen Märkte
warten im Falle Ungarns vorläufig ab, ob die ungarische Regierung
im September die seit Monaten geplante eineinhalbjährige Kreditvereinbarung
mit dem IWF unterzeichnet oder nicht. (ebd.)
Ende des Jahres 1993 hat Ungarn erstmals seit 1989 einen
Bankkredit in der Höhe von 175 Millionen $ von einem internationalen
Konsortium erhalten. Auf Anfrage der Gläubiger wurde angegeben: Der
Zweck des Kredites sei die Befriedigung der Geldbedürfnisse
der Ungarischen Nationalbank. (HVG 18. 12. 93) Das Geld
war also abermals eine Deviseneinlage, die als Grundlage der Forint-Kreditschöpfung
diente und gleichzeitig als Devisenreserve dafür garantierte, daß
Ungarn seinen in harten Währungen anfallenden Verpflichtungen genügen
konnte. Diese Auskunft gereicht offenbar den Bankiers zur Vertrauensbildung:
Hätte der Staat die Dollars irgendwo investiert, womöglich
zur Förderung einer Produktion, zum Einkauf von Maschinen oder Technologie,
so wäre der Verbleib des Geldes unsicher gewesen. Das war eine Auskunft
darüber, wozu Ungarn damals Kredite verwenden durfte: Nicht
nach seinem eigenen Ermessen, um Teile seiner Wirtschaft in Schwung zu
bringen, sondern um ausländischen Investoren und Gläubigern
Sicherheiten zu bieten, daß ihr Geschäftsinteresse in diesem
Land gut aufgehoben ist.
Ungarn hat auf diesem Gebiet im Augenblick etwas mehr Luft: Seit dem Ende
des Jahres 1995 sitzt die ungarische Regierung auf Einnahmen von 3 Milliarden
$, die aus dem Verkauf der nationalen Telefongesellschaft und einiger
Strom- und Gaswerke herrühren. Über die Verwendung dieses Geldes
herrscht in Regierungskreisen Unklarheit. Vorgesehen ist eine Tilgung
der Staatsschuld, wobei sich die Geister scheiden, ob diejenige der Auslands-
oder diejenige der Inlandsschuld Priorität haben sollte. Andere Varianten
der Verwendung dieses Geldes sind nicht ernsthaft im Gespräch. Die
Situation erscheint auf den ersten Blick paradox: Während Ungarn
derzeit international Kredit genießt, über ausreichende Devisenreserven
verfügt, und mit 3 Milliarden $ nicht weiß wohin, zieht seine
Regierung gleichzeitig ein rigoroses Sparprogramm durch, dessen nächster
Schritt erst bevorsteht: Der Zuschuß zur Sozialversicherung darf
laut dem mit dem IWF geschlossenen Abkommen eine bestimmte Summe nicht
übersteigen, das Budgetdefizit nicht mehr als 3,9% des BNP ausmachen.
Die Sozialversicherung ist in diesem Sinne zu reformieren.
Ein anschaulicheres Beispiel dafür, wie wenig sich Volkswohl und
Staatsinteresse vertragen, läßt sich schwer ausdenken. Die
Verschuldung bedeutet für die Regierung Ungarns keinen Druck, der
ihren angestrebten Zielen widersprechen würde. Es besteht daher keine
Not, sie zu verringern. Das Sparprogramm kommt bei den Hütern der
Weltwirtschaft gut an und erhöht die Kreditwürdigkeit Ungarns.
Die Verarmung ihrer Bevölkerung wird von den zuständigen Politikern
zwar mit dem üblichen leider versehen, es fehlen aber
inzwischen Bemerkungen der Art, es würde bald wieder aufwärts
gehen daß für einen Großteil der Ungarn von nun
an einfach Armut vorgesehen ist, gehört heute zum Konsens zwischen
Regierung, Opposition und kritischer Öffentlichkeit.
Das Hin und Her um die vielen Dollars in der Staatskasse offenbart aber
auch das eigentliche Dilemma Ungarns: Während die BRD seit Jahren
ihren Staatskredit für den Aufbau der neuen Bundesländer strapaziert
und Staatsbetriebe durch Finanzspritzen für die freie Konkurrenz
im EG-Raum fit zu machen versucht, verfügt der ungarische Staat nicht
über die Möglichkeit, Teile seiner Wirtschaft durch Subventionen
europareif zu machen, wie das heutzutage so schön heißt.
Selbst der Besitz einer ansehnlichen Summe von Weltgeld, also einem Zahlungsmittel,
mit dem auf der ganzen Welt eingekauft werden könnte, versetzt die
ungarische Regierung nicht in die Lage, dieses Geld in Kapital zu verwandeln
sie kann sich von der ererbten Industrie und Landwirtschaft, die
eben nicht fürs Geschäftemachen eingerichtet war, nicht befreien.
Investitionen in die Wirtschaft, so die einhellige Meinung, würden
lediglich die Inflation anheizen, profitträchtige Betriebe kämen
dabei nicht heraus.
Fazit und Perspektiven
Das Vertrauen in den Staatskredit Ungarns ist ein Vertrauen
in seine Regierung. Ungarn ist ein IWF-Betreuungsfall und will es auch
sein:
Im November des Vorjahres zahlte
Ungarn Schulden in der Höhe von mehr als 600 Millionen $ an den IWF
zurück, sorgfältig darauf achtend, daß die verbleibende
Schuld höher bleibt als 25% seiner Quote. Bis zu dieser Grenze kreditiert
der IWF seine Mitglieder nämlich ohne Bedingungen, die ungarische
Regierung will das Land jedoch genau in dem Bereich halten, innerhalb
dessen dem IWF die Verpflichtung obliegt, seinen Mitgliedern Bedingungen
zu stellen. (HVG, 16. 3. 1996)
In der Bewertung Ungarns durch den IWF und die internationale
Finanzwelt ist im letzten Jahr ein Umschwung erfolgt. Während früher
immer die Vertreter Ungarns leicht beleidigt auf ihre Verdienste aufmerksam
machen mußten, die auf dem internationalen Parkett nie so richtig
gewürdigt wurden, und Ungarn eine Zeitlang als Risikoland mit Mexiko
verglichen wurde, gilt es heute Muster für Stabilität
und Vertrauenswürdigkeit.
Der erste Grund dafür ist der wahrhaftig beispielhafte soziale Friede.
Es ist Ironie der Geschichte und gleichzeitig eine nachträgliche
Klarstellung über die Natur des Sozialismus, der dort 40 Jahre lang
geherrscht hat, daß die ehemaligen Kommunisten sich als die besten
Verwalter des Systemwechsels erweisen. Wenn es darum geht, Land und Leute
den Ansprüchen des Kapitals und des Imperialismus zur Verfügung
zu stellen und gleichzeitig alle sich daraus ergebende Unzufriedenheit
der Betroffenen im Sinne des sozialen Friedens zu betreuen, sind die ehemaligen
Arbeiterfreunde allen politischen Konkurrenten eindeutig überlegen.
Ihre Mitglieder stellen die Reste der ehemaligen und jetzt wieder zu Ehren
gekommenen Staatsgewerkschaft, sind in der Kommunalpolitik fest verankert,
und die Partei ist als Hoffnungsträger für Manager und Unternehmer,
kurz: Erfolgsmenschen auch bei der Jugend wieder attraktiv
geworden. Den Abbau von Sozialleistungen, vor dem die vorige Regierung
zurückgeschreckt ist, weil sie meinte, sie müßte dem Volk
doch irgendetwas bieten, um die Überlegenheit der Marktwirtschaft
gegenüber dem Kommunismus zu beweisen, hat die Mannschaft Gyula Horns
bemerkenswert glatt über die Bühne gebracht, mit weit weniger
Aufruhr oder Streiks als zu Zeiten seiner Vorgänger. Diese Eleganz
beim Schröpfen seiner Untertanen ist von den maßgeblichen Institutionen
des Westens auf Anerkennung gestoßen.
Der unbedingte Wille, sich als willfähriges Instrument ausländischer
Interessen zu gebärden, hat sich auch auf politisch-militärischem
Gebiet geäußert: Ungarn hat sich durch seine Zustimmung zur
Stationierung der Truppen zur Beaufsichtigung des Friedens
in Restjugoslawien zu einem NATO-Vorposten gemacht und damit auch seine
außenpolitische Verläßlichkeit unter Beweis gestellt.
Und auch da hat die Bevölkerung brav mitgezogen: Die Sichtweise der
Regierung, daß mit den IFOR-Truppen nicht etwa eine neue Besatzungs-
oder zumindest fremde politische Macht in Ungarn Einzug hielte,
sondern bloß ein belebender Wirtschaftsfaktor eine Region
bereichert, in der solches gut gebraucht werden könnte, wird von
den meisten Ungarn widerspruchslos hingenommen. Die einzigen Beschwerden,
die über die Soldaten laut werden, sind bisher von der Art, daß
sie zuviel eigenes Zeug mitbringen und daher zuwenig in Ungarn einkaufen.
So ist Ungarn auch zu einer sicheren Anlagesphäre für Geld-
und produktives Kapital geworden, Tummelplatz der Spekulation, verlängerte
Werkbank von Autokonzernen, Absatzmarkt für westliche Konsumgüter.
Die Regierung kann sich auf dem Polster des politischen Vertrauens ausruhen,
das sie derzeit genießt. Das läßt sich mitunter sogar
in Einnahmen für die Staatskasse ummünzen: Ungarn hat im Vorjahr
eine generelle Erhöhung der Importzölle verfügt, die zu
anderen Zeiten zumindest bei den davon betroffenen EU-Staaten einen Schrei
der Entrüstung hervorgerufen hätten, die aber diesmal mehr oder
weniger hingenommen wurden.
Ungarn ist derzeit ein Beispiel für eine erfolgreich verlaufene Transformation:
Das Land hat zwar keinen ökonomischen Erfolg, aber es hat Kredit.
Die Mehrheit seiner Bürger hat zwar nichts davon, aber sie akzeptiert
es. Ungarn hat zwar kein politisches Gewicht in der Welt, aber es darf
dabeisein und es wird benützt.
(erschienen in: OST-WEST GEGENINFORMATIONEN 2/1996)
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