Protokoll 5
17. 4. 2011


4. Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis

Was soll der Anfang mit dem Tisch, der sich auf den Kopf stellt? Soll da auf seltsame Art auf den mystischen Charakter der Ware vorbereitet werden, den sie im bürgerlichen Bewußtsein einnimmt?

„Der mystische Charakter der Ware ... entspringt ebensowenig aus dem Inhalt der Wertbestimmungen.“(S 85, Absatz 3)

Der Inhalt der Wertbestimmungen – was ist das?
Falls gemeint ist, die gesellschaftlich notwendige durchschnittliche Arbeitszeit (im Weiteren gndA), so will Marx offenbar im 2. Absatz des Abschnitts darauf hinweisen, daß die für die Erzeugung eines Produktes aufgewandte Arbeitszeit in jeder Gesellschaft ein Gesichtspunkt ist – also in der kapitalistischen, der feudalen, und auch einer imaginären kommunistischen.

1. Ist das so?
2. Warum ist es Marx hier so wichtig, diesen Umstand zu betonen?

Verausgabung von Hirn, Muskel, Nerv – so definiert Marx doch die abstrakte Arbeit, die er als Spezifikum des Kapitalismus bestimmt.
Der Absatz erweckt den Eindruck, als sei der Wert etwas Überhistorisches und die abstrakte Arbeit die „Zähleinheit“ aller Gesellschaften – was im Widerspruch zum bisher Abgehandelten steht.
Das sind halt so die Stellen, die dann die Realsozialisten dazu verführen, mit ihrem Arbeitsquatsch daherzukommen.
Umgekehrt – jede konkrete Arbeit läßt sich natürlich auf abstrakte Arbeit zurückführen, also auf bloße Verausgabung von ... Marx will vielleicht nur einfach auf den Umstand hinweisen: Von nix kommt nix, gearbeitet muß immer werden.
Nur – warum eigentlich? Wer bestreitet das?
Oder geht es darum, daß die Gleichsetzung von abstrakter und konkreter Arbeit dazu führt, daß man den Wert für etwas Naturgegebenes hält?

„Endlich, sobald die Menschen in irgendeiner Weise füreinander arbeiten, erhält ihre Arbeit auch eine gesellschaftliche Form.“ (S 86, 1. Absatz)

Auch hier wieder eine Formulierung, die Anlaß für Mißverständnisse gibt: Teilung der Arbeit, die hier offenbar gemeint ist, muß nicht „füreinander“ sein – wie man am Kapitalismus sieht, kann sie sehr wohl auch gegen einander abgewickelt werden. Und aus der Formulierung „gesellschaftliche Form“, also des Umstands, daß hier mehrere Personen beteiligt sind, wurde in der sozialistischen Marx-Rezeption eine Art Rechtsanspruch auf Beteiligung am Produkt abgeleitet.

Das Aufzählen von Bestimmungen der Ware, die nicht ihren mystischen Charakter ausmachen können, machen die Sache zwar spannend, sind aber nicht klärend.

„Die Gleichheit der menschlichen Arbeiten erhält die sachliche Form der gleichen Wertgegenständlichkeit der Arbeitsprodukte, das Maß der Verausgabung menschlicher Arbeitskraft durch ihre Zeitdauer erhält die Form der Wertgröße der Arbeitsprodukte, endlich die Verhältnisse der Produzenten, worin jene gesellschaftlichen Bestimmungen ihrer Arbeiten betätigt werden, erhalten die Form eines gesellschaftlichen Verhältnisses der Arbeitsprodukte.“ (S 86, 2. Absatz)

Teilen wir doch dieses Satzungetüm auf.
Schritt 1: Die Waren streifen die Besonderheit, die sie als Gebrauchswerte haben, ab und vergleichen sich als Wertträger miteinander auf dem Markt, werden also zu Gleichen.
Schritt 2: Woraus bestimmt sich die Wertgröße? Aus der investierten gndA.
Schritt 3: Das gesellschaftliche Verhältnis, das die Produzenten zu einander haben – als Privateiegentümer, Privatarbeiter, Konkurrenten, Marktteilnehmer – springt sozusagen in die Ware und grinst sie von dort an, hat sich also verselbständigt. Es gibt Waren nur, weil sich Privatproduzenten gegeneinander betätigen, aber ihnen erscheint es dann so, als müßten sie so produzieren, wie sie es tun, weil die Ware selbst ihnen dieses Verhältnis aufnötigt, – und das sei sozusagen eine Naturnotwendigkeit von Produktion überhaupt.

„das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen“(S 86, 3. Absatz)

Was ist mit „Gesamtarbeit“ gemeint? So etwas wie „Wachstum“?
Nein, hier geht es um etwas anderes: Mit seiner eigenen Arbeit trägt man ja zur Gesamtarbeit bei, sie wird ihr einverleibt – tritt jedoch dem einzelnen Produzenten als feindselige Macht gegenüber, an der er sich bewähren muß.

Zur Kritik von Wertkritikern, die meinen, in der Konkurrenz seien ja alle Opfer, Gefangene ihrer gesellschaftlichen Rollen: Es wird doch hier gerade darauf hingewiesen, wie sie gleichzeitig auch Akteure sind, und wie sie die Ergebnisse ihres Handelns auffassen: Sie erscheinen ihnen als etwas Äußerliches. Das ist eben der Fetisch, weil in Wahrheit tun sie das selbst, womit sie dann konfrontiert sind.

Die Sache mit dem Sehnerv soll über eine Analogie das Problem des mystischen Verhältnisses erhellen. Tut sie das? Sehen tut man wirkliche Dinge, aber der Ware sieht man ihren gesellschaftlichen Hintergrund eben nicht an.
Ein Beispiel für den Fetischcharakter der Ware: „Knappheit“, z.B. bei Wohnraum – viele Wohnungen stehen leer, weil sie nicht profitabel vermietet werden können, aber den Leute erscheint es so, daß es zuwenig Wohnungen gibt. Oder Lebensmittel – davon sind ja auch nicht zu wenig da, aber viele erklären sich Hunger eben lieber aus Knappheit oder falscher Verteilung, anstatt aus dem Verwertungsinteresse des Kapitals.

„Dieser Fetischcharakter der Warenwelt entspringt, wie die vorhergehende Analyse bereits gezeigt hat, aus dem eigentümlichen gesellschaftlichen Charakter der Arbeit, welche Waren produziert.“ (S 87, 2. Absatz)

Also daraus, wie im Folgenden ausgeführt, daß unabhängige Produzenten in Konkurrenz zueinander für den Austausch produzieren, also bei all ihrer Gegensätzlichkeit doch wieder aufeinander verwiesen sind.

„Diese Spaltung des Arbeitsprodukts in nützliches Ding und Wertding betätigt sich nur praktisch, sobald der Austausch bereits hinreichende Ausdehnung und Wichtigkeit gewonnen hat, damit nützliche Dinge für den Austausch produziert werden, der Wertcharakter der Sachen also schon bei ihrer Produktion selbst in Betracht kommt.“ (S 87, 4. Absatz)

Hier wird festgehalten, daß in der historischen Entwicklung einmal der Punkt erreicht sein muß, bei dem die Marktlogik sich der Produktion bemächtigt, also für den Verkauf prodziert wird und nicht, wie vorher, in erster Linie für den Verzehr, und nur etwaige Überschüsse auf den Markt getragen werden.

Frage: In so vorkapitalistischen Verhältnissen, als eben die elfte Kartoffel am Wochenmarkt veräußert worden ist – waren diese verkauften Produkte auch schon Waren, und wie ist es da um den Fetisch bestellt?
Antwort: da der Zweck der Produktion damals der unmittelbare Konsum des Hergestellten war, so konnte die Vorstellung: „Alles hat seinen Preis!“ gar nicht erst entstehen.
Die Kartoffel mag eine Ware sein, einen Tauschwert erhalten, sobald sie auf dem Markt veräußert wird, aber sie wurde ursprünglich nicht für diese Endbestimmung produziert. Der Warenfetisch kann nur dann entstehen, sobald die Marktlogik die Produktion durchdringt. Die „Spaltung  ... in nützliches Ding und Wertding“, Gebrauchs- und Tauschwert, findet bei besagter Kartoffel auch statt, aber eben erst nachdem sie geerntet wurde und man draufkommt: es ist genug da, um auch was zu verkaufen.

„Von diesem Augenblick erhalten die Privatarbeiten der Produzenten tatsächlich einen doppelten gesellschaftlichen Charakter. Sie müssen einerseits als bestimmte nützliche Arbeiten ein bestimmtes gesellschaftliches Bedürfnis befriedigen und sich so als Glieder der Gesamtarbeit, des naturwüchsigen Systems der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit, bewähren. Sie befriedigen andrerseits nur die mannigfache Bedürfnisse ihrer eignen Produzenten, sofern jede besondre nützliche Privatarbeit mit jeder andren nützlichen Art Privatarbeit austauschbar ist, also ihr gleichgilt.“ (S 87, 4. Absatz)

Ausführung zu „gesellschaftlich“ und „doppelt“: Als Gebrauchswerte müssen sich an den Bedürfnissen orientieren, die in der Gesellschaft existieren (deshalb gibts z.B. Marktforschung), als Tauschwerte befriedigen sie die individuellen Bedürfnisse der jeweiligen Produzenten, die durch den Tausch an Gegenstände herankommen, die ihre eigene Produktion nicht hergibt.

„Es steht daher dem Werte nicht auf der Stirn geschrieben, was er ist.“(S 88, Absatz 2)

Das ist ja keine Besonderheit des Wertes. Kein Gegenstand trägt seine Erklärung mit sich herum.

Aus dem in Seite 88 Ausgeführten geht hervor, daß die Entdeckung des Wertes und die Theorien seines Zustandekommens den Schein nicht verscheuchen. Im Gegenteil, sie zementieren ihn sogar ein, weil der Wert zur Bedingung von Produktion schlechthin erklärt wird.
Dabei kann Marx sich noch auf Wirtschaftstheorien (Smith, Ricardo) beziehen, bei denen die Arbeit als dem Wert immanentes Maß unbestritten war. Seit es als Anti-Marx-Theorie die subjektive Wertlehre gibt, ist das ja nicht mehr so. Es ist im Gegenteil Konsens in der VWL, daß Wert nichts mit Arbeit oder überhaupt der Produktion zu tun hat, sondern er entspringt lediglich der Zirkulation.
(Marx konnte sich gar nicht vorstellen, daß irgendwer den simplen und eigentlich ins Auge springenden Umstand, daß Arbeit Wert schafft, leugnen könne.)
Zur Vorgangsweise der VWL bei ihrem Kampf gegen die Arbeitswertlehre gehört auch dazu, daß sie die Trennung von Gebrauchswert und Wert nicht zur Kenntnis nehmen und stets beides vermischt. Was manche Lehrbücher mit ihren dummen Beispielen sich auf diesem Gebiet leisten, ist echt peinlich, weil man merkt ihnen an, daß die Autoren nicht einmal die ersten 5 Steiten des „Kapitals“ gelesen haben.

„Sobald diese Proportionen zu einer gewissen gewohnheitsmäßigen Festigkeit herangereift sind, scheinen sie aus der Natur der Arbeitsprodukte zu entspringen, so daß z.B. eine Tonne Eisen und 2 Unzen Gold gleichwertig, wie ein Pfund Gold und ein Pfund Eisen trotz ihrer verschiednen physikalischen und chemischen Eigenschaften gleich schwer sind. In der Tat befestigt sich der Wertcharakter der Arbeitsprodukte erst durch ihre Betätigung als Wertgrößen.“ (S 89, Absatz 1)

An den Sprüchen der letzten Jahre rund um Gold und den Goldpreis sieht man, daß es bei Gold völlig selbstverständlich ist, Wert und Preis zu haben, während bei Lebensmitteln schon manchmal Kritik aufkommen mag. Aber Gold gilt als naturgegebener Wert schlechthin.

Ansonsten geht es bei diesem Absatz vor allem darum, daß das Handeln der anderen den Wert des eigenen Produktes beeinflußt. Andere Produzenten haben gehandelt, rationalisiert, oder sind ausgestiegen, und jemand, bei dem sich im Produktionsablauf gar nichts geändert hat, merkt das an der Wertveränderung seiner eigenen Ware.

Die Analyse der Ware beginnt bei ihrem Endpunkt: wenn sie am Markt ist, und von da muß man sich zu hrem Ausgangspunkt vorarbeiten.

„Es ist aber ebendiese fertige Form - die Geldform - der Warenwelt, welche den gesellschaftlichen Charakter der Privatarbeiten und daher die gesellschaftlichen Verhältnissen der Privatarbeiter sachlich verschleiert, statt sie zu offenbaren.“ (S 90, 1. Absatz)

Dadurch, daß der Wert in der Geldform verselbständigt ist, wird bei der Ware sein Verhältnis zur in ihr enthaltenen Arbeit ausgelöscht und es erscheint so, daß die Ware den Wert von außen, durch den Kuß von Prinz Geld, erhält.

Wofür steht der Abschnitt über Robinson?
Angebote:
1. Marx will sich über die bürgerliche Ökonomie lustig machen, die auch dort, wo gerade kein Markt vorhanden ist, dennoch alle Momente der Warenproduktion entdeckt.
2. Er muß sich seine Zeit einteilen, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, macht also daher eine vernünftige Wirtschaftsplanung.
3. Er will darauf hinweisen, daß Arbeit die Quelle des Werts ist.

Zumindest mißverständlich ist der Satz:

„Und dennoch sind darin alle wesentlichen Bestimmungen des Werts enthalten.“ (S 91, Absatz 1)

Das können sie ja gar nicht, weil kein Austausch stattfindet. Meint er, daß die Nationalökonomie fälschlicherweise dort Wertbestimmungen entdeckt? Oder meint er, wie das in der realsoziaistischen Ökonomie interpretiert wurde, daß Wert auch ohne Markt „objektiv“ da ist (Wertgesetz)? Dies stünde im Widerspruch zur Bestimmung des Wertes, wie sie im Abschmitt über die Wertformen dargelegt wird..

Warum folgt auf Robinson der Teil über das Mittelalter? Eine Gegenüberstellung von ökonomischem „Modell“ und Wirklichkeit? Robinson ist der ideale Bürger, der sich seine bürgerliche Welt ohne allen Zwang erschafft und gefällt daher den Ökonomen, oder mehr noch, den Politologen. Dennoch, das ist festzuhalten gegenüber dieser Fiktion: Sie ist als solche erkennbar. Es ist klar, daß Robinson eine Ausnahme ist, nicht dieser Gesellschaft angehört – eben deshalb, weil er allein ist.
Bei der Beschreibung der feudalen Gesellschaft findet ein Vorgriff auf Lohnarbeit und Ausbeutung statt, da wir bisher ja nur mit Kleinproduzenten, Handwerkern zu tun hatten. Daß wer für jemanden anderen arbeitet, ist ein neuer Gesichtspunkt, und er wird sehr unvermittelt eingeführt.
Est ist eine Gegenüberstellung von einer Fiktion der politischen Ökonomie – Freiheit, Unabhängigkeit – gegenüber der Realität einer vergangenen Epoche, und deren Abhängigkeitsverhältnissen.

Die geschlossene Hauswirtschaft des Mittelalters wird als Beispiel für gesellschaftliche Arbeit ohne Markt angeführt. Teilung der Arbeit findet statt, ohne Tausch. Hier gibt es auch sowas wie abstrakte Arbeit, oder Arbeitszeit-Messung nicht. Der Ablauf jeder Tätigkeit ergibt sich aus ihr selbst, niemand steht mit der Stoppuhr daneben.

Der „Verein freier Menschen“, wie er auf den Seiten 92-93 vorgestellt wird, produziert zwar gemeinsam, aber nicht fürs Bedürfnis. Sonst gäbe es nicht das an die Arbeitszeit geknüpfte Verteilungsschema. Allerdings ist das nur ein Modell zur Verdeutlichung des Zusammenhanges von Arbeitszeit und Arbeitsprodukt:

„Nur zur Parallele mit der Warenproduktion setzen wir voraus, der Anteil jedes Produzenten an den Lebensmitteln sei bestimmt durch seine Arbeitszeit.“ (S 93, Absatz 1)

Dieser Verein stellt also nicht einen Entwurf für eine zukünftige kommunistische Gesellschaft dar, als der er von ML-lern oft gelesen wird.

(Exkurs zu Proudhon und seiner Tauschbank: Da ging es wirklich um das Verhältnis von Arbeitszeit zu den Tauschzetteln, die man dafür erhielt, es war aber gar nicht als gemeinsame Produktion organisiert, sondern die individuellen Privatarbeiter gingen zu der Bank und erhielten dort ihre Zettel.)

Sätze wie der:

„Die Arbeitszeit würde also eine doppelte Rolle spielen. Ihre gesellschaftlich planmäßige Verteilung regelt die richtige Proportion der verschiednen Arbeitsfunktionen zu den verschiednen Bedürfnissen.“ (ebd.)

geben weiterhin Rätsel auf.

Wie läßt sich Arbeitszeit planmäßig verteilen? Was soll überhaupt das Gerede von der Arbeitszeit? Das mach doch nur Sinn, wenn man von abstrakter Arbeit redet. Nur dann wird einfach Arbeit pro Zeit gemessen, bei konkreter Arbeit ist das hergestellte Produkt wichtig. Die konkrete Arbeit wird zu „verschiedenen Arbeitsfunktionen“, also sozusagen aus dem großen Topf der Gesamtarbeit wieder rekonvertiert – wie soll man da planen nach Bedürfnis? Und dann geschieht eine „Verteilung in richtiger Proportion“. Verteilung von Arbeitszeit zu Bedürfnis. Hilfe! Die DDR-Planungskommission läßt grüßen.

Natürlich muß es auch in einer rationellen Planwirtschaft Überlegungen dazu geben, welche Bedürfnisse bedient werden, und für welche der Aufwand zu groß ist. (z.B. Raumfahrt. Mag ja ganz interessant sein, aber lohnt sich das?)

Wofür steht der Absatz eigentlich, was ist das Gemeinsame zu dem über die Bauernfamilie und dem über Robinson? Es geht doch immer um die Einteilung der Arbeitszeit. Erst, so scheint hier der Tenor zu sein, verrichtet man eine Arbeit, dann schreibt man auf, wieviel Zeit dabei draufgegangen ist, und dann teilt man Arbeiten zu. Da stimmt doch überhaupt die Reihenfolge nicht!
Erst wird vorausgesetzt, Leute tun sich zusammen und planen eine Produktion, und dann stellt sich nachher wieder ein eigenartiges Verteilungsproblem der Güter und Belastungen.
Und außerdem: Was hat das jetzt wieder mit dem Thema Fetisch zu tun?

Es gab da noch eine kleine Debatte zu einer VWL-Theorie, die behauptet, nur wer Bedürfnisse hat, arbeitet auch dafür, und damit die Arbeitslosigkeit erklären (oder eliminieren?) will. Eine absurde Theorie, die Leute unterstellt, die gar nichts brauchen, und es sich daher auch aussuchen könnten, nicht zu arbeiten.

Was soll das heißen:

„Jene alten gesellschaftlichen Produktionsorganismen ...  beruhen entweder auf der Unreife des individuellen Menschen, der sich von der Nabelschnur des natürlichen Gattungszusammenhangs mit andren noch nicht losgerissen hat, oder auf unmittelbaren Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnissen. Sie sind bedingt durch eine niedrige Entwicklungsstufe der Produktivkräfte der Arbeit und entsprechend befangene Verhältnisse der Menschen innerhalb ihres materiellen Lebenserzeugungsprozesses, daher zueinander und zur Natur.“ (S 93, 2. Absatz)

Wieso bedingt „eine niedrige Entwicklungsstufe der Produktivkräfte der Arbeit“ „befangene Verhältnisse“? Also, wenn wirklich Mangel herrscht, warum ist es dann so selbstverständlich, sich das gegeneinander auszumachen – Herrschaft und Knechtschaft usw.? Hier wird ein Menschenbild eingeführt, und die Idee der historischen Entwicklungsstufen. Erst wenn genug da ist, geht „vernünftige Planung“. Warum? Nach der vorigen Logik ist doch dadurch umso mehr Grund da, sich für den Reichtum der Welt den Schädel einzuschlagen.

Es war die Argumentation der sowjetischen Politiker, daß sie sich Sozialismus nennen müssen, weil für Kommunismus zuwenig da sei, und erst einmal die Produktivkräfte entwickelt werden müßten. Und heute führen kritische Verteidiger der Sowjetunion an, daß sie ja gar nicht viel anderes machen konnten, weil so wenig da war, und deshalb gewaltsam die unterm Zarismus unterbliebene Akkumulation nachgeholt werden mußte.

Weiteres Bedenkliches:

„Der religiöse Widerschein der wirklichen Welt kann überhaupt nur verschwinden, sobald die Verhältnisse des praktischen Werkeltagslebens den Menschen tagtäglich durchsichtig vernünftige Beziehungen zueinander und zur Natur darstellen.“ (S 94, Absatz 1)

Wenn dem wirklich so wäre, wäre ja eine Überwindung des Kapitalismus gänzlich unmöglich, weil sich ja erst die materiellen Umstände – naturbedingt? – ändern müssen, bevor der Geistes-Himmel der Bürger aufreißen kann und der mystische Nebel verschwindet.
Praktisch betätigt man den Warenfetisch jedesmal, wenn man einkaufen geht, aber theoretisch kann man sich doch wohl drüber erheben! Und da ist es wichtig, was man an Ware und Preis auszusetzen hat, weil sonst kommen bei der Gesellschaftskritik falsche Aktivitäten heraus.

Überhaupt kommt bei dem ganzen Fetisch-Abschnitt ein ärgerlicher Geschichtsdeterminismus heraus: Erst muß der Kapitalismus genügend entwickelt sein, damit man ihn überhaupt erkennen und kritisieren kann. Und dann hält gerade diese reife Entwicklungsstufe die Bürger davon ab, hnter den mystischen Schleier zu blicken und die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen sie leben, zu durchschauen!
Und während er das behauptet, hebt er gerade den Schleier in die Höhe!
Die Wertkritiker schließen sich diesem Determinismus an und lösen den hier angeführten Widerspruch auf, indem sie festsetzen: Der außerhalb des Produktionsprozesses stehende Intellektuelle kann den Fetisch durchschauen, die innerhalb desselben Befangenen – Arbeiter und Unternehmer – können das nicht.
Schon bemerkenswert, wo die seinerzeitige angebliche „historische Mission der Arbeiterklasse“ in der marxistischen Tradition angekommen ist: Die Typen sind die letzten, die Revo machen können!

Bemerkung eines Anwesenden: Irgendwie gefällt mir dieser Abschnitt über den Fetisch nicht.
Frage: Warum steht dieser Abschnitt überhaupt hier? Warum kommt nach der Erklärung der Ware die Erklärung der Ideologien über sie, anstatt die ganze Ideologie-Abteilung zu einem späteren Zeitpunkt abzuhandeln?

Angesichts des Hinweises auf frühere „Gesellschaftsformationen“ (S 95) auch ein Hinweis auf das, was Marx mit historisch meint: Er weist damit darauf hin, daß früher anders produziert wurde. Die Nationalökonomen hingegen meinen, es war immer schon so, was anderes gibts nicht, und wenn man sie auf einen Unterschied hinweist, so erklären sie das zu einer unvollkommenen Vorform von Produktion überhaupt – als die sie die Warenproduktion bestimmen.

Wenn

„der Produktionsprozeß die Menschen, der Mensch noch nicht den Produktionsprozeß bemeistert“,

so sind damit offenbar vorbürgerliche oder vorwissenschaftliche Produktionsweisen gemeint, aber im Grunde trifft es ja auf den Kapitalismus auch zu, daß das Individuum ein Anhängsel des Produktionsprozesses ist ... Man sieht das jetzt schön bei der Finanzkrise: Alle verhalten sich gegenüber den Ergebnissen ihres eigenen Handelns so, als wäre eine Naturkatastrophe über die hereingebrochen.

Der Tauschwert hat mit der Natur gar nichts zu tun, weil er erstens den in der Natur nicht vorkommenden Tausch voraussetzt, und zweitens auf der Arbeit beruht, die in den Gegenständen  enthalten ist:

„Woher die Illusionen des Monetarsystems?*1) Es sah dem Gold und Silber nicht an, daß sie als Geld ein gesellschaftliches Produktionsverhältnis darstellen, aber in der Form von Naturdingen mit sonderbar gesellschaftlichen Eigenschaften.“ (S 97, Absatz 2)

Hiermit sind wir wieder an dem Punkt, wo wir heute schon einmal waren.

Das Zitat:

„Könnten die Waren sprechen, so würden sie sagen, unser Gebrauchswert mag den Menschen interessieren. Er kommt uns nicht als Dingen zu. Was uns aber dinglich zukommt, ist unser Wert. Unser eigner Verkehr als Warendinge beweist das.“ (S 97, Absatz 3)

könnte man als weiteres Beispiel dafür, wie der Produktionsprozeß sich die Menschen untertan macht, begreifen. Die Waren kriegen ein Eigenleben. Zu den Sätzen:

„"Reichtum" (Gebrauchswert) "ist ein Attribut des Menschen, Wert ein Attribut der Waren. Ein Mensch oder ein Gemeinwesen ist reich; eine Perle oder ein Diamant ist wertvoll“ (S 97, Absatz 4)

ist zu bemerken, daß Reichtum inzwischen auch nur mehr in abstraktem Wert gemessen wird, die Sprache sich also dem Fortschritt der Wertproduktion angepaßt hat.

Das Shakespeare-Zitat steht für die Absurdität, offensichtlich gesellschaftliche Dinge wie Lesen und Schreiben der Natur zuordnen zu wollen – die hier augenfällig ist. Genauso absurd ist es jedoch, Tauschwert der Natur zuzuordnen zu wollen, da erhält der Ökonom jedoch Beifall.

Gut auszusehen ist allerdings eine Frage der Umstände, weil das Schönheitsideal ja ein gesellschaftliches Geschmacks-Dogma ist.

 

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*1) Monetarismus, Monetarsystem — Wirtschaftstheorie der Übergangsperiode vom Feudalismus zum Kapitalismus, in der die Naturalwirtschaft durch die Geldwirtschaft verdrängt wurde. Der Monetarismus bzw. Monetarsystem stellte das Problem, Edelmetalle anzusammeln, in den Vordergrund. So wurde z. B. der Außenhandel als ein Mittel der Schatzbildung angesehen. Das Geld wurde noch nicht als potentielles Kapital, als Mittel zur Mehrwertproduktion betrachtet, sondern als Schatz, der u. a. für die Finanzierung der Kriege,  die die Feudalherren führten, von außerordentlicher Bedeutung war. Neben dem Problem der Schatzbildung spielten u. a. auch Fragen der Münzverschlechterung sowie der Menge des umlaufenden Geldes (Gresham) eine Rolle. Die Anfänge des Monetarismus oder Monetarsystem sind bis vor das 15. Jahrhundert zurückzuverfolgen; seine Blütezeit lag im 16. und 17. Jh. Weiteste Verbreitung fand er in den entwickeltsten Ländern Europas, wie England, Frankreich, Spanien, Italien und Deutschland. Auf dem europäischen Kontinent beherrschte der Monetarismus und Monetarsystem noch im 18. Jh. die ökonomische Literatur, während er in England im 17. Jh. durch den Merkantilismus abgelöst wurde. Am prägnantesten spiegelt sich dieser Übergang bei Thomas Mun wider. (Juramagazin.de)

„Der Mann des Monetarsystems schwärmt für Gold, Silber, weil sie Geld sind, selbständiges Dasein, greifbares Dasein des Tauschwerts, und unzerstörbares, ewig dauerndes Dasein desselben, soweit ihnen nicht erlaubt wird, Zirkulationsmittel zu werden, bloß verschwindende Form des Tauschwerts der Waren. Akkumulation derselben, Aufhäufen, Schatzbildung daher seine Art, sich zu bereichern.“
(Marx, Theorien über den Mehrwert, MEW 26-1, Kap. 4, 19)

Das Monetarsystem nennt sich also so in Abgrenzung zum Naturaltausch, nicht zum Papiergeld.

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