Protokoll 26 12. KAPITEL: Teilung der Arbeit und Manufaktur
5. Der kapitalistische Charakter der Manufaktur Die manufakturmäßige Arbeitsteilung hat also folgende Effekte: Es gibt ein Minimum von Arbeitern, das angestellt werden muß, um eine Manufaktur zu gründen/eröffnen. Nach oben ist einiges offen, die Manufaktur kann wachsen und die Arbeitsteilung verfeinern. Das führt zur Steigerung der Produktivität der Arbeit, sodaß in gleicher Zeit mehr Material verarbeitet wird. So erfaßt die kapitalistische Produktion immer größere Teile der gesellschaftlichen Produktion: Selbständige Handwerker werden zu Lohnarbeitern und immer mehr Rohmaterial wird in den Manufakturen verarbeitet. Marx weist im 2. Ansatz (S 381/382) darauf hin, daß dem Arbeiter durch die manufakturelle Arbeitsteilung die Fähigkeit abhanden kommt, selbständig irgendeine Ware herzustellen, und er nur mehr zu einem ausführenden Organ des Verwertungsprozesses des Kapitals wird. _______________ DISKUSSION: Entfremdung Ist das das, was mit „Entfremdung“ gemeint ist? Die mit der Manufaktur eingeleitete Arbeitsteilung teilt mit der Zeit überhaupt die ganze Gesellschaft neu: „Es ist ein Produkt der manufakturmäßigen Teilung der Arbeit, ihnen die geistigen Potenzen des materiellen Produktionsprozesses als fremdes Eigentum und sie beherrschende Macht gegenüberzustellen. Dieser Scheidungsprozeß beginnt in der einfachen Kooperation, wo der Kapitalist den einzelnen Arbeitern gegenüber die Einheit und den Willen des gesellschaftlichen Arbeitskörpers vertritt. Er entwickelt sich in der Manufaktur, die den Arbeiter zum Teilarbeiter verstümmelt. Er vollendet sich in der großen Industrie, welche die Wissenschaft als selbständige Produktionspotenz von der Arbeit trennt und in den Dienst des Kapitals preßt.“ (Exkurs: Die vom Produzenten getrennte und in den Dienst des Kapitals gestellte Wissenschaft muß heute von irgendwoher erhalten werden, und da ist noch nicht das letzte Wort gesprochen, wie sehr sich Staat und Kapital diese – toten – Kosten teilen ...) Die Manufaktur neigt dazu, die in ihr Beschäftigten zu verdummen, da jeder Handgriff vorgegeben und eingelernt ist, und man nicht nachdenken muß: „Die Einförmigkeit seines stationären Lebens verdirbt natürlich auch den Mut seines Geistes ... Sie zerstört selbst die Energie seines Körpers und verunfähigt ihn, seine Kraft schwunghaft und ausdauernd anzuwenden, außer in der Detailbeschäftigung, wozu er herangezogen ist. Sein Geschick in seinem besondren Gewerke scheint so erworben auf Kosten seiner intellektuellen, sozialen und kriegerischen Tugenden. Aber in jeder industriellen und zivilisierten Gesellschaft ist dies der Zustand, worin der arbeitende Arme (the labouring poor), d.h. die große Masse des Volks notwendig verfallen muß.“ (A. Smith, "Wealth of Nations", b. V, ch. I, art. II.) Eine interessante Einsicht im Lichte der heutigen Rassismus-Debatte: Smith weist darauf hin, daß die Arbeiterklasse systematisch verdummt werden muß, um ihren gesellschaftlichen Platz einzunehmen: Eintönige Arbeit stumpft ab, und ist nur für bereits Abgestumpfte auszuhalten. (Daß er das anderswo rechtfertigt und als notwendig für gesellschaftliche Entwicklung ansieht, tut hier nichts zur Sache.) Heute werden die Armen beschimpft, weil sie angeblich dumm sind, und das ist der Grund für angeblichen wirtschaftlichen Niedergang. Ursache und Wirkung verdrehen sich heute also völlig. _______________ EXKURS: Begabung Deshalb gibt es ja so Tips an Eltern, wie sie die Kinder schon vor und nach der Geburt mit möglichst vielen Eindrücken und Lehrinhalten bombardieren sollen, damit dann „Hochbegabte“ herauskommen, die auf jedem Fall dem Lohnarbeiterdasein entkommen ... Also die Theorie ist, wenn man nur einfache Dinge macht, so entwickelt sich der Geist nicht? Das wäre ja eine richtige Einsicht, aber die heutige Begabungsideologie verdreht auch hier die Dinge: es gibt Begabte, und die muß man nach Möglichkeit fördern. Und bei wem kein Fall von „Begabung“ festgestellt wurde, der hat auch gar keine, ist also ein Dödl. Und das ist schon die Grundlage des heutigen Biologismus à la Sarrazin. Früher wurde noch zwischen „Anlage“ und „Umwelt“ laviert, um sich zu erklären, warum die einen es in der Konkurrenz zu was bringen, andere nicht. (Arbeiterkinder auf die Uni!), heute ist die Sichtweise schon sehr in Richtung „Anlage“ verfestigt. Weiter als Smith ist sein Übersetzer, der meint, Volksbildung bringe alles durcheinander, und eine Klasse von Dummen sei der beste Garant für Reichtum und Prosperität der anderen Klasse. Das ist der „naturgemäße Gang“ der manufakturmäßigen Arbeitsteilung. (S 384) Beide, Smith und Garnier, erkennen aber irgendwie den Charakter der Klassengesellschaft. Was Marx auf S. 384 unten und in der Fußnote „industrielle Pathologie“ nennt, und was heute „Berufskrankheit“ heißt, ist die gesellschaftliche Einsicht darüber, daß die Arbeitsteilung im Kapitalismus krank macht und tatsächlich oftmals verkrüppelt.(1) Etwas übertrieben erscheint folgende Behauptung Marx’: „Eine gewisse geistige und körperliche Verkrüppelung ist unzertrennlich selbst von der Teilung der Arbeit im ganzen und großen der Gesellschaft.“ (S. 384, 3. Absatz) Das ist ja nicht mehr und nicht weniger, als zu sagen, wer sich auf etwas spezialisiere und konzentriere, „verkrüpple“ sich bereits. Z.B. Mozart – nicht nur kein Genie, sondern ein Krüppel? „Hegel hatte sehr ketzerische Ansichten über die Teilung der Arbeit. »Unter gebildeten Menschen kann man zunächst solche verstehn, die alles machen können, was andre tun«, sagt er in seiner Rechtsphilosophie.“ (S. 385, Fußnote 74) Dieses Ideal stammt offenbar aus jenen Zeiten, wo Wissenschaftler sich mit allem befaßten und sich Einzelwissenschaften noch nicht herausgebildet hatten. Die manufakturmäßige Teilung der Arbeit, einmal halbwegs eingespielt, so meint Marx, habe auch – ebenso wie die zünftische Ordnung – etwas Statisches an sich, wenn nicht durch technischen Fortschritt Arbeitsgänge verändert würden. Ein Moment der Überwindung dieser Schranke war eben die manufakturmäßige Herstellung von Arbeitsinstrumenten und damit auch der ersten Maschinen. Ein weiteres Ergebnis der Manufakturperiode ist die Entstehung der politischen Ökonomie als eigener Wissenschaft. Die Volkswirtschaftslehre entsteht aus dem Interesse, den Staatsmännern ein Verständnis von Ökonomie zu vermitteln, um die nationale Wirtschaft irgendwie lenken und fördern zu können. Das wirtschaftliche Treiben wird erstmals als nationale Einheit betrachtet, als ein Körper, dessen Glieder die einzelnen Unternehmen, und Wirtschaftszweige sind. Die Manufaktur hat vom Standpunkt des Unternehmers, der seine Arbeiter möglichst gut ausbeuten möchte, einen großen Nachteil: er ist immer noch abhängig vom Geschick, der Qualifikation der Arbeiter, die ihn dadurch „erpressen“ können, auf ihre Interessen zumindest teilweise Rücksicht zu nehmen, was Lohn und Arbeitszeit betrifft. Dieser vom Standpunkt des Kapitals ärgerliche Zustand wurde durch die Erfindung der Maschinen beendet. __________________________________________ (1) David Urquhart, den Marx zitiert, war ein schottischer Politiker und Kenner und Bewunderer des Osmanischen Reiches, der auch türkische Bäder in England einführte. Sein Vergleich der englischen Entwicklung mit der Kultur des Orients machte ihn zu einem Zivilisations-Pessimisten und Gegner der Industrialisierung und der Marktwirtschaft – er meinte, daran ginge jede Nation zugrunde. Er gab eine Zeitung heraus, in der Marx Artikel veröffentlichte. Das Kapitel, aus dem Marx zitiert, heißt: „The Subdivision of labour“, und die gesamte 1855 erschienene Schrift „Familiar words, as affecting the conduct of England“ gehört auch in die damals geführte Debatte über Fluch und Segen der Arbeitsteilung. |