II. DER BAUMWOLLHANDEL, DIE NAPOLEONISCHEN KRIEGE UND DIE ANFÄNGE DES BANKHAUSES

 

Die Geschichte, wie die Sinas den Grundstock ihres großen Vermögens gelegt hatten, hat Georg Sina einem Zeitgenossen erzählt. Unter der Voraussetzung, daß er die Wahrheit gesagt hat, verdanken die Sinas ihren Aufstieg einem industriellen Rohstoff und einem Krieg, in Verbindung mit rechtzeitig erfolgten Todesfällen und mit Eigenheiten der Beamtenrotation im Osmanischen Reich:

„Der alte Georg Sina, der Begründer des Hauses ... eröffnete in Wien in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts einen Großhandel, unter dem Schutze der Privilegien der türkischen Untertanen. In jener Zeit wurde in Amerika noch keine Baumwolle angebaut, dieser Wirtschaftszweig florierte jedoch in ganz Mazedonien, und zwar übte der dortige Pascha ein Monopol aus; er gestattete nicht, daß die Bevölkerung ihre Baumwollernte Fremden verkaufe, er löste diese ein und verkaufte dann stets seinen ganzen Vorrat seinem Landsmann Sina. Dieser befand sich einmal in dieser Angelegenheit in Monastir und hatte gerade den Vertrag mit dem Pascha abgeschlossen, als er aus Wien einen Eilbrief erhielt, daß sein Prokurist sich in die Donau gestürzt habe. Sina eilte sofort in den Konak zum Pascha und teilte ihm mit, daß der Vertrag nichtig sei, da sein Freund, dem er sein Vermögen anvertraut, sich umgebracht habe und es könne sein, daß sein Geld verloren sei, er könne daher keine Verpflichtung übernehmen, die er vielleicht nicht erfüllen könnte. Worauf der Pascha bemerkte, daß Allah dem Menschen wohl Geld nehmen könne, Redlichkeit hingegen nicht, ihre Geschäftsverbindung bleibe also weiterhin aufrecht, es gehe lediglich darum, ihr eine andere Form zu verleihen. Von nun an werden sie als Gesellschaft fungieren, der Pascha werde die Baumwolle dem Bankier um einen noch zu bestimmenden Preis nach Wien schicken, der verkaufe sie auf gemeinsamen Gewinn, und er verwalte auch den Teil des Paschas; denn dieser ahnte bereits, daß die Zeit kommen werde, in der ihm der Sultan die seidene Schnur schicken und sein Vermögen einziehen werde, – der Bankier würde dann seiner Familie den ihr zustehenden Teil auszahlen. Auf dieser Grundlage florierte die Gesellschaft einige Jahre lang, endlich langte aus Stambul die seidene Schnur ein, aber nicht nur für den Pascha, sondern auch für seinen Sohn, die ganze Familie wurde ausgelöscht, und Sina, als der gesetzliche Erbe des Paschas, behielt die inzwischen angesammelte gewaltige Summe, die während der Franzosenkriege durch den Umstand erneut anwuchs, daß Simon Sina, der nicht nur der Sohn, sondern auch der Kompagnon seines Vaters war, auf den Ratschlag und unter Mithilfe eines bei Wagram verwundeten französischen Offiziers, der vor der Revolution Kaufmann gewesen war, und nun im Hause der Sinas gepflegt wurde, seine Bücher auf Silber umschreiben ließ, alle Anleihen und sein gesamtes Kapital in Silber einwechselte und so alle Verluste, die ihm aus dem Patent von 1811 hätten erwachsen können, vermied, während andere Wiener Häuser schwer in Mitleidenschaft gezogen wurden.“(1)

 

1. Die Baumwolle

Im 18. Jahrhundert bauten die Bauern in Mazedonien und Nordgriechenland Baumwolle an, die Initiative dazu ging von den damaligen Paschas und Wesiren aus. Die Zentren für den Handel mit dieser Baumwolle waren Seres und Saloniki. In Österreich bezogen diese Baumwolle und die daraus verfertigten Garne hauptsächlich Weber in Siebenbürgen und Manufakturen in Mähren. Das Handelsvolumen war anscheinend beträchtlich, denn um die Jahreswende 1783/1784 wurde „zur Beförderung des Baumwoll-Handels“ ein österreichisches Konsulat in Seres eingerichtet.(2) Den größten Aufschwung nahm dieser Handel während der Napoleonischen Kriege, als der Seehandel mit der Levante erst wegen kriegerischer Handlungen im Mittelmeer, dann wegen der Kontinentalsperre ausfiel und alle Waren aus dem Osmanischen Reich auf dem Landweg und daher über Österreich oder Rußland transportiert werden mußten. Gleichzeitig nahm offenbar wegen des Bedarfs für die Heere die Nachfrage nach der Baumwolle zu. Das galt nicht nur für Österreich, sondern auch für andere Nationen: „Nach dem gegenwärtigen Fabriksstande wird in Österreich nicht nur allein türkische, sondern auch ost- und westindische verarbeitet.“ Diejenige aus der Levante „kommt freilich der von Bengalen, Siam, … Java, Jamaica … nicht gleich. Unter der Levantiner ist die von Zypern die vorzüglichste. Die mazedonische weicht ihr an Güte … Smyrna und Saloniki sind die Haupt-Verladeplätze dieses Produktes, von welchen beiden jährlich bei 120.000 Ballen ausgeschickt werden, die größtenteils Frankreich und Deutschland erhalten. … Endlich muß man daran erinnern, daß auch England und Holland Levantiner Baumwolle zum Fabrikbetriebe abnehmen, woraus sich … unwidersprechlich zeiget, daß Österreich von der Levante abhängig ist, denn wenn selbst England und Frankreich, welchen doch die Wolle aus Ost- und Westindien aus erster Hand zu Gebote steht, noch Wolle aus der Levante suchen, so ist für uns keine Möglichkeit vorhanden, dieses Bedürfnis aus einer anderen Quelle zu befriedigen.“(3)

Diese solchermaßen konstatierte Abhängigkeit versuchte Österreich wiederholtermaßen durch eigenen Anbau zu überwinden. Bei diesen Anbauversuchen, noch im 18. Jahrhundert, hat sich ein Grieche, Christoph Nako, hervorgetan, der für seine Bemühungen, in der Gegend von Temesvár Baumwolle anzubauen, von Josef II. ausgezeichnet wurde.(4) Von großem Erfolg waren diese Versuche offenbar nicht gekrönt, denn die Baumwolle wurde weiterhin, vor allem aus der Türkei, eingeführt.
Eine neue Initiative, doch endlich Baumwolle selbst zu erzeugen, ging vom Hofkriegsrat aus. Es folgten Versuche, sie in der Militärgrenze anzubauen. 1808 züchtete ein Major in Pancsova Baumwolle, von der gemeldet wird, sie sei etwas kurz geraten, das könnte aber am vergangenen sehr trockenen Sommer liegen: „Auf jeden Fall würde es ein großer Vorteil für den Staat sein, dieses zum allgemeinen Bedürfnis gewordene Material, obgleich vielleicht nicht in der größten Vollkommenheit, auf eigenem Grund und Boden zu erzielen.“ Der Hofkriegsrat erteilte den Auftrag zur Fortsetzung des Experiments.(5) Des weiteren wurde ein Bericht eines „gelehrten Abtes“ angefordert und über den Internuntius in Stambul Baumwollsamen aus Mazedonien, Anatolien und überhaupt allen Anbaugebieten der Türkei angefordert, später beschaffte auch der österreichische Botschafter in Paris Samen aus Amerika.(6) Für die erbärmlichen Ergebnisse wurden abwechselnd Trockenheit, Hagel, Insekten oder Beschädigungen beim Transport der Samen verantwortlich gemacht. Ein Hauptmann der Militärgrenze unternahm einen heroischen Versuch, die Unzulänglichkeiten von Boden und Witterung durch den Einsatz von Mistbeeten zu überwinden.(7) Endlich setzte sich 1813 die Erkenntnis durch, daß sämtliche Gegenden Österreichs für den Anbau von Baumwolle ungeeignet seien. Ausschlaggebend dafür waren die Rückmeldungen der Spinnereien, die die einheimische Baumwolle als völlig unbrauchbar einstuften.(8) Somit war wieder bewiesen, wie unentbehrlich die levantinische Baumwolle für die Monarchie war.

 

2. Napoleon, die Baumwolle und Illyrien

1808, auf dem Höhepunkt seiner Macht, beschloß Napoleon, den Levantehandel, vor allem den mit der Baumwolle, dem Einfluß Österreichs zu entziehen und über von ihm beherrschtes Territorium zu lenken. Der Transport der Baumwolle und anderer Waren sollte, anstatt wie bisher hauptsächlich durch Serbien und Ungarn, über Bosnien, hernach über das mit dem Frieden von Wien 1809 an Frankreich gefallene Dalmatien, „Illyrien“, erfolgen. Die Entsendung eines französischen Konsuls nach Travnik diente unter anderem diesem Zwecke. Die neue Handelsroute verlief über Sarajevo, Travnik, Jajce und Prijedor nach Kostajnica, wo sie über die türkische Grenze auf französisches Gebiet gelangte. Napoleon betraute 1811 ein Marseiller Handelshaus mit der Abwicklung des Handels auf dieser Strecke.(9)

Die österreichische Regierung verfolgte diese Pläne mit Entsetzen. Eine offene Konfrontation mit Frankreich konnte sie sich zu diesem Zeitpunkt nicht leisten. Sie entsandte einen Gegen-Konsul nach Bosnien, mit dem Auftrag, die Pläne der Franzosen nach besten Kräften zu durchkreuzen. Die Meldungen der österreichischen Konsuln und anderer Kenner der Lage waren meistens beruhigend: Die Baumwolltransporte über Travnik und Kostajnica waren geringfügig, sie scheiterten an den strengen Zollabfertigungs-Vorschriften der Franzosen und an der Geographie und dem Klima der Gebiete, über die der Transport erfolgen sollte, weil „im Winter die Passage durch Illyrien sehr beschwerlich und über den Simplon kaum praktikabel sein soll.“(10) Der Transport „zur Achse mit Ochsenwägen“ sei in Bosnien ganz unmöglich, weshalb „die Güter … bloß zu Pferd zu 2 Ballen auf eine Last mit großer Mühseligkeit über die Gebirge … transportiert werden“(11) können, und die Fracht über Bosnien daher zwei- oder dreimal soviel Geld verschlinge wie die durch Serbien. Der Grund, warum überhaupt Baumwolle durch Bosnien verführt wurde, lag an Kriegshandlungen zwischen Rußland und der Türkei, die damals den Zug über Or‚ova behinderten. Nicht allzusehr, wie verlautet: „Was die durch den Krieg Rußlands mit der Pforte gehinderte Zufuhr der Baumwolle über Ungarn betrifft, versichert man, daß die Griechen Mittel gefunden hätten, dieselbe durch die Armeen hindurch zu bewerkstelligen.“(12) Die noch wichtigere Strecke über Semlin war durch den serbischen Aufstand für Handelskarawanen unpassierbar.

Die Griechen, deren angestammtes Geschäft der Baumwollhandel war, – „dieser wichtige Handel befindet sich ausschließlich in den Händen der Griechen“(13) – waren ebenfalls entschlossen, die Pläne der Franzosen zu vereiteln. Sie wollten die Monopolisten des Ankaufs der Baumwolle und ihres Transportes durch die Türkei bleiben und die Franzosen dazu nötigen, die Baumwolle von ihnen in Österreich zu kaufen und dann von dort (über Straßburg) nach Frankreich zu verführen. Solange die Baumwolle über Bosnien transportiert werden mußte, sorgten die Griechen dafür, daß der Handel der französischen Handelshäuser unbedeutend blieb, da alle Baumwolle vorher aufgekauft und über Brod nach Österreich eingeführt wurde. Es half auch nichts, daß die französische Regierung im Juni 1811 ein Einfuhrverbot für Baumwolle, die nicht über Illyrien eingeführt wurde, erließ.(14) Den Franzosen gelang es nie, den Griechen den Baumwollhandel zu entwinden, was zu einer gewissen Verärgerung eines betroffenen französischen Kaufmannes führte: „Man müsse alles liquidieren, und zwar je eher, desto besser, und müsse andere Handelswege ausfindig machen, Wege durch ein anderes Land, in dem man … mit den Menschen zusammenarbeiten könne.“(15) Das Scheitern der illyrischen Transitpläne Napoleons wurde durch seine militärischen Niederlagen besiegelt.

Der Wortführer der Griechen bei den österreichischen und vermutlich auch bei den türkischen Behörden war Simon Georg Sina. Seiner in dieser Zeit entfalteten Tätigkeit ist vermutlich die Auffassung geschuldet, die Sinas stammten aus Sarajevo oder Brod. In dieser Zeit lebten sie aber bereits in Wien, wo auch Johann Sina, der „arme“ Sina, der zweite Sohn Simon Georg Sinas, 1804 geboren wurde. In Brod hatten sie, wenn überhaupt, nur eine Niederlassung. Laut Adelsakt von 1818 unterhielten sie eine „Filiale“ in Sarajevo.(16) Auf eine Anfrage der Bankal-Gefälls-Administration reichte Simon Georg Sina 1811 gemeinsam mit seinem Sohn eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen zur Sicherung des Transithandels der Baumwolle über österreichisches Gebiet ein.(17) Sie lassen sich in 2 Punkte zusammenfassen: Die Zollabfertigung in Oršova sollte durch Bestellung verläßlicher Beamter und Zusammenlegung mit der Quarantäne erleichtert werden, die störungsfreie Abwicklung des Handels gehöre durch die Errichtung von Konsulaten in den türkischen Orten Neu-Oršova und Vidin gesichert. Zu den dabei entstehenden Unkosten würden die griechischen Kaufleute beitragen.
Dem Direktor der Bankal-Administration hielt Simon Sina noch einen oder mehrere ergänzende Vorträge zur Lage des Baumwoll-Transportes auf türkischem Gebiet: Die Strecke über Oršova sei vor allem wegen der zu entrichtenden überhöhten Abgaben an das russische Militär in Craiova und den korrupten türkischen Pascha von Vidin zu teuer geworden, aber damit sei jetzt Schluß, das Kriegsglück neige sich auf die Seite der Pforte, die Russen müßten Craiova räumen und für den Pascha von Vidin sei bereits ein Nachfolger bestimmt, nämlich „der Gouverneur von Mazedonien Ismail Beg, ein alter, gerechter und sehr weiser Mann“. Dieser war offenbar ein guter Bekannter Sinas, mit dem er bereits das Nötige geregelt hatte: „Ismail Beg verspreche den Handelsleuten, daß er in Vidin alles auf den alten Fuß setzen, nur 3 Piaster von 2 Ballen Ware nehmen und gute Nachbarschaft mit uns halten werde.“ Der Bankal-Administrator versicherte Simon Georg Sina, daß seine Vorschläge bezüglich der Erleichterung der Zollabfertigung berücksichtigt würden, darüber „war er sehr vergnügt und sieht dem Augenblick der Ausführung mit Sehnsucht entgegen: Er versicherte …, daß die Kosten dieser Maßregeln die interessierten Handelsleute gern bestreiten werden.“(18)
Im Adelsakt werden die Verdienste Simon Georg Sinas um die Rettung des levantinischen Transithandels als Hauptgrund seiner Erhebung in den Adelsstand genannt, neben wohltätigen Spenden und den beträchtlichen Einnahmen, die er durch Entrichtung von Zoll der österreichischen Staatskasse verschafft hatte.(19) Schließlich enthält eine Beilage zu einem zollämtlichen Bescheid von 1811 die Bemerkung: „Übrigens nehme ich mir die Freiheit, Sinas (Vaters) geheime Dienste in Erinnerung zu bringen.“(20)

 

3. Die Anfänge des Bankhauses

Der erste in Österreich aktenkundige Sina war Georg Sina (Popovics), und seine Anwesenheit in Wien ist von 1762 bis 1770 (21) nachgewiesen. Womit er handelte und ob er eine eigene Firma besaß, ob mit oder ohne Großhandelskonzession, ist nicht bekannt. Aus den Akten geht nur hervor, daß er offenbar über finanzielle Mittel verfügte, die diejenigen seiner Mitbürger von Moscopolis um einiges überstiegen. Ansonsten führte er das Leben eines griechischen Händlers, und reiste – vermutlich regelmäßig – von Wien auf den Balkan und wieder zurück. Woanders heißt es, die Famile sei „seit der Hälfte des vorigen Jahrhunderts in unseren Staaten ansässig“ gewesen.(22) „Ansässig“ heißt: Sie hielten sich des öfteren in Wien auf. Ihr Heimatort war Moscopolis, wo Simon Georg Sina 1753 geboren wurde.
Nachdem die Sinas diese Stadt verlassen hatten, sollen sie sich in Veles(23), Sarajevo, und Bosanski Brod(24) aufgehalten haben. Sarajevo („Bosna-Seraj“) wird auch in den Nachrufen österreichischer Zeitungen(25) und in einem Adelsakt von 1832 als Herkunftsort der Familie angegeben. Diese Annahme beruht wahrscheinlich auf dem weiter oben erwähnten Irrtum. In einer Aufstellung der Pester Griechen von 1769 geben die aus Moscopolis stammenden Personen meist Belgrad und Semlin als Stationen ihres Umzuges von der Heimat nach Ungarn an, zwei von ihnen auch Niš.(26) Der übliche Weg von Mazedonien nach Österreich führte also im 18. Jahrhundert über Serbien, nicht über Bosnien. Georg Sina (der „große“, der „reiche“ Sina, 1783-1856, Wien) hat als seinen Geburtsort Niš angegeben, selbstverständlich ohne Beleg, da „er keinen Taufschein aufweisen könne, indem derselbe in der Türkei geboren sei, wo keine Taufscheine üblich sind.“(27) Sein Vater und 5 andere Griechen, „die wir ihn von Kindheit kennen“(28), bestätigten Geburtsort und -datum.

Simon Georg Sina, der Sohn des ersten und der Vater des „reichen“ Georg, eröffnete jedenfalls noch vor 1788 mit einigen anderen Griechen eine Firma unter dem Namen Papanaum, Sina, Saul & Co.(29) 1811 berief er sich darauf, „seit mehr als dreißig Jahren“(30) im Levantehandel tätig zu sein. Diese erste bekannte Firma Simon Georg Sinas stattete u.a. das Militär mit Wechseln aus(31), und handelte mit Baumwolle, nach der eine sehr heftige Nachfrage bestand. Zu ihren Geschäftspraktiken gehörte es offenbar,  die „unter Wegs schwebende Baumwolle“ gegen Vorauszahlung gleich an mehrere Kunden gleichzeitig zu verkaufen, wie ein Streitfall von 1796 zeigt: Einer der Kunden, der wegen Beschlagnahme dieser ca. 250 Ballen Baumwolle durch einen Gläubiger von Sinas Firma seine Ware nicht erhielt, war die „Comercial Leih- und Wechsel-Banque“, und sie zeigte sich kulant: „Wir wollen uns um desto lieber noch bis Ende dieses Monats gedulden, da es doch dem Hause Papa Naum Sina Saul und deren Mitverwickelten allzeit höchst nachteilig sein würde, wenn wir bewiesen, daß sie die Ware an uns verkauft, die Valuta erhalten und sie dennoch zugleich an andere … wieder cediert haben.“(32)

1798 wurde diese Firma aufgelöst und Simon Georg Sina gründete seine eigene, die seither unter diesem seinem Namen firmierte. Zunächst führte er sie mit einem Consozius in Seres(33), von dem er sich 1802 trennte. Ab 1803 führte er die Firma gemeinsam(34) mit seinem Sohn, Georg Simon Sina, der später in den Ruf gelangte, der reichste Mann der Monarchie zu sein. Dieser erhielt 1811 die Großhandelsbefugnis mit der Begründung: Reiche Leute sind uns willkommen! In Ansehung seines kurz vorher erfolgten Übertrittes in den österreichischen Staatsverband und auf seine finanziellen Mittel „müßte doch der allerhöchst angeordnete Umstand für die mit einem beträchtlichen Vermögen einwandernden Ausländer seine volle Anwendung finden, welches auch bei dem Sina der Fall sei, da er in der Eigenschaft eines ottomanischen Untertanen bisher immer als ein Fremder zu betrachten war, und erst durch den freiwilligen Eintritt in die Zahl der kk. Untertanen seine Einwanderung vollendet hatte.“(35)

Zurück zu der eingangs dieses Kapitels geschilderten Gründungssaga der Sinas: Der Mann, der den Pascha beerbte, kann sowohl Georg Sina der Erste oder Simon Georg Sina gewesen sein, wobei letzterer eher in Erwägung zu ziehen ist. Derjenige, der während der Napoleonischen Kriege das Geld in Silber eingewechselt haben soll, kann jedenfalls nur Georg Simon Sina gewesen sein, der in nicht näher spezifizierter Sache zum Jahreswechsel 1810/1811 über Straßburg nach Frankreich reiste.(36) Die französischen Verbindungen der Sinas, die später mit dem Tabak- und Wertpapierhandel ausgebaut wurden und bis zur Auflösung des Bankhauses währten, datieren jedenfalls aus dieser Zeit. Wie die Sinas ihr Vermögen in Silber umgewandelt haben, läßt sich nicht feststellen, nur soviel, daß sie in der Zeit zwischen dem Juli 1809 und September 1811 große Mengen französischen Weines, eines Artikels, mit dem sie vorher oder nachher kaum oder gar nicht handelten, einführten; und mit der Baumwolle, aber auch anderen Artikeln eine besonders rege Transithandels-Tätigkeit entfalteten.(37) Sie bemühten sich sichtlich, viel ins Ausland zu verkaufen, z.B. Baumwolle nach Augsburg(38), um Waren gegen die im internationalen Zahlungsverkehr gebräuchliche klingende Münze, und nicht gegen österreichisches Papiergeld zu verkaufen.

In einem Nachruf auf Georg Sina steht, er hätte „dem berühmten Ali Pascha von Janina, mit welchem er seiner Zeit große Geschäfte gemacht, einen Teil seines Grundkapitals …“(39) verdankt. Auch hier wurde, wie oft in Quellen über die Sinas, vermutlich einiges frei erfunden: Ali Pascha von Janina starb erst nach 1811, dem Jahr des Devaluationspatentes, übrigens auf weniger elegante Weise als oben beschrieben. Er war vermutlich der einzige Pascha des Balkans, den die österreichische Öffentlichkeit kannte, deshalb mußte er in diesem Fall herhalten. So wie hier hat überhaupt die Herkunft der Sinas vom Balkan die Phantasie ihrer Zeitgenossen zu Erfindungen aller Art angeregt. Völlig aus der Luft gegriffen sind z.B. alle Momente der von Károly Herein kolportierten Geschichte, Georg Simon Sina sei „mit einem gewaltigen Vermögen aus der Gegend des Bosporus gekommen, … die türkische Regierung hätte 1847 seine Auslieferung von der Wiener Regierung verlangt“ und wegen deren Weigerung, aus diplomatischer Verstimmung, Kossuth 1849 nicht ausgeliefert.(40) Georg Sina stand auf bestem Fuß mit mehreren türkischen Regierungen und war Träger der höchsten Auszeichnungen des Osmanischen Reiches.(41) Dieses wiederum bedurfte keines besonderen Grundes, Kossuth nicht auszuliefern: Die Auslieferung fremder Bürger war dort nicht gängige Praxis, das Osmanische Reich war einige Jahrhunderte lang das Aufnahmeland konfessionell und politisch Verfolgter, mehrheitlich aus Ländern unter habsburgischer Herrschaft.

Der Handel mit levantinischer Baumwolle, der noch bis zum Ende der Napoleonischen Kriege von so außergewöhnlicher Bedeutung für die österreichische Außenpolitik und Wirtschaft gewesen war, verlor mit der Niederlage Frankreichs schlagartig an Bedeutung. Wahrscheinlich begann damals – dank dem Wiedererstarken Englands – die Versorgung der europäischen Staaten mit Baumwolle aus Amerika. Damit verloren auch die Griechen ihre wichtigste Einkommensquelle. Die Sinas führten noch 1816 mindestens 2000 Ballen Baumwolle ein(42), ihr letzter aktenmäßig erfaßter Import von Baumwollwaren datiert von 1817, auch da handelte es sich bereits um verarbeitete Baumwolle, nämlich um Schals.(43) Sie waren daher genötigt, sich nach anderen Handelsgütern und Erwerbszweigen umzusehen.

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(1) Pulszky, S 205-206

(2) HKA, F 34, 117 und 132, jeweils 4 aus Nov. 1783

(3) HKA, Kommerz Litorale, F 132 (r. Nr. 683) 1801-1804, Bericht der niederösterreichischen Landesregierung

(4) Schwartner I, S 327

(5) HKA, Kommerz Ungarn, F 47, 8 aus Januar 1808

(6) HKA, Kommerz Ungarn, F 47, 11 aus Oktober 1811

(7) HKA, Kommerz Ungarn, F 47, 12 aus März 1811

(8) HKA, Kommerz Ungarn, F 47, 32 aus Okt. 1813

(9) Andrić, S 300, das Handelshaus hieß „Frayssinet“.

(10) HKA, Kommerz Litorale, F 132 (r. Nr. 683) Juni 1811

(11) KA, Hkr., B 1-22/24 aus 1811

(12) HKA, Kommerz Litorale, F 132 (r. Nr. 683) Januar 1811

(13) HKA, Kommerz Litorale, F 132 (r. Nr. 683) Sept. 1804

(14) HKA, Kommerz NÖ, F 66, (r.Nr. 163) 10 aus September 1811

(15) Andrić, S 328, Äußerung Frayssinets im Sommer 1812

(16) OL, Libri Regii, 4100/1818, zitiert nach Λαιος

(17) KA, Hkr., B 1-22/24 aus 1811

(18) HKA, Kommerz Litorale, F 132 (r. Nr. 683) August 1811

(19) OL, Libri Regii, 4100/1818, zitiert nach Λαιος.

(20) HKA, Bancale, F 4/2, r.Nr. 1987, 528 aus Nov. 1811

(21 )FL, Rel. aa. 88 und 91 sowie Miss. aa. 4817

(22) Allgemeines Verwaltungsarchiv, Hofakt, 17005/1660 aus 1832, zitert nach: Λαιος, S 295

(23) Λαιος, S 409 und Popović, S 150

(24) Поповић, S 150

(25) Deutsche Zeitung, Abendausgabe und Tagblatt vom 15.4. 1876

(26) Gárdonyi, S 30-32

(27) WSLA, Handelsgericht, Verlassenschaften, 76/1856, F 3, S 17

(28) ebd., S 20

(29) Λαιος, S 249-250, mit Berufung auf nicht mehr auffindbare WSLA-Akten.

(30) KA, Hkr., B 1-22/24 aus 1811

(31) KA, Hkr., Protokollbuch 1794, Buchst. B, Seite 2403

(32) FL, Rel. am. 3069

(33) Λαιος, S 249-250, mit Berufung auf nicht mehr auffindbare WSLA-Akten.

(34) ebd.

(35) HKA, Kommerz NÖ, F 66, r.Nr. 163, 47 aus Juli 1811

(36) WSLA, Handelsgericht, Verlassenschaften, 76/1856, F 3, S 18

(37) HKA, Bancale, Indizes 1809-1811

(38) HKA, Bancale, F 3/2, r.Nr. 1859, 5 und 186 aus Feber 1811

(39) Pester Lloyd, 20.5. 1856, Abendausgabe

(40) Magyar városok monográfiája XXI, S 13

(41) WSLA, Handelsgericht, Verlassenschaften, 76/1856, F 6, S 17

(42) HKA, Ung. Camerale, F 18, 14 aus August 1816

(43) HKA, Bancale, F1/2, r.Nr. 1880, 120 aus März und Juli 1817

 

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