IV. DIE FINANZTÄTIGKEIT DES BANKHAUSES

 

1. Geschäfte mit dem Staat

 

1.1. Das Kreditwesen im Vormärz. Die Wechselhäuser

Der Einstieg in das Geschäft mit dem Staat gelang Georg Sina 1826. Bei dem ersten Anlehen, das in diesem Jahr stattfand, hatte sich das in Geldschwierigkeiten befindliche Bankhaus Fries an ihn gewandt, weil dieses aus eigener Kraft nicht mehr imstande war, seine Verbindlichkeiten in der Höhe von 1 Million fl. gegenüber der Staatsverwaltung zu erfüllen, dieses aber den Zuständigen aus verschiedenen Gründen auch nicht mitteilen wollte. Als Fries im Frühjahr 1826 den Konkurs anmelden mußte, nützte Sina die Gelegenheit, mit Berufung auf seine praktisch schon erfolgte Teilnahme an der vorigen Anleihe an der nächsten auch offiziell beteiligt zu werden. In seiner Eingabe an die Hofkammer betonte er, daß es ihm nicht nur um diese eine Anleihe ginge, sondern daß er auf Dauer Partner der Staatsverwaltung in dergleichen Kreditgeschäften bleiben wolle. Das Ansuchen wurde positiv erledigt.
Georg Sina war der letzte, der in dieses illustre Gremium der Krediteure des österreichischen Staates aufgenommen wurde. 6 Jahre vor ihm hatte es Salomon Rothschild nach einigen vergeblichen Versuchen mit Hilfe des Hamburger Bankiers David Parish geschafft, in diese Domäne einzudringen und danach letzteren daraus verdrängt, worauf Parish sich einige Jahre später aus Verbitterung über diesen Vertrauensbruch das Leben nahm. Diese Episode soll nur den Kampf um diese Art von Kreditgeschäft verdeutlichen und das Interesse, das in der ganzen Welt des Geldkapitals des In- und Auslandes daran herrschte. Die anderen, die 1826 neben Rothschild daran beteiligt waren, das jüdische Bankhaus Arnstein & Eskeles und der Schweizer Geymüller, waren – ebenso wie das ebenfalls aus der Schweiz stammende Bankhaus Fries, über das Sina Zugang zu dieser Pfründe erhielt – bereits im 18. Jahrhundert Krediteure des österreichischen Staates und hatten sich während der Napoleonischen Kriege um die Aufbringung der Kontributionen während der französischen Besatzung verdient gemacht. Geymüller schied 1841 wegen Konkurs aus, und bis in die 50-er Jahre waren Rothschild und Sina, in etwas geringerem Maße Arnstein & Eskeles, die Monopolisten des Staatskredites. Sie verhinderten, daß andere Bankiers sich direkt mit der Staatsverwaltung in Verbindung setzten. Beteiligungen anderer an den Staatsanleihen kamen während des Vormärz’ nur mit Erlaubnis von und über Vermittlung dieser „Geldfürsten“ zustande. Es gab zwar „Subskriptionsanleihen“, die öffentlich ausgeschrieben wurden und an denen sich auch andere beteiligen konnten, – aber eben erst, nachdem die „Großen“ den Löwenanteil für sich gesichert hatten. Die Staatsverwaltung ihrerseits legte auf diese Bankiers deshalb so großen Wert, weil sie sich bei ihnen sicher sein konnte, daß sie in der Lage sein würden, ihre Verbindlichkeiten zu erfüllen. Hätte sie mehr Geldkapitalisten zu dem Geschäft zugelassen, so hätte die Verläßlichkeit und Pünktlichkeit der Ratenzahlungen darunter gelitten.
Das Bankhaus Geymüller schied 1841 mittels Konkurs aus dieser „Viererbande“ aus. Es verfügte über zuwenig Reserven, als die Einschränkung des Kreditrahmens der Bankhäuser bei der Nationalbank durch den neuen Hofkammerpräsidenten Kübeck verfügt wurde. Dadurch ging Geymüller von einem Tag auf den anderen seiner Zahlungsfähigkeit verlustig. Im Juli 1841 meldete er Konkurs an. Die anderen Bankhäuser waren nicht bereit, mit Stützungskrediten einzuspringen. An Geymüller hing aber ein guter Teil der kleineren Bankhäuser. Die Staatsverwaltung sah Handlungsbedarf gegeben, um den Schaden zu begrenzen: Sie gewährte einen Monat später einen Kredit von 4 Millionen Gulden, um Folgekonkurse nach Möglichkeit zu vermeiden. Mit der Verteilung dieser Kredite an die Finanzwelt wurden die drei anderen Großbankiers betraut.
Arnstein & Eskeles standen 1848 vor dem Konkurs. Im In- und Ausland forderten Bankhäuser ihre Außenstände ein, kündigten Kredite vor der Zeit, Wechsel platzten, der gesamte europäische Privatkredit verknappte sich zusehends. Die österreichische Staatsverwaltung versuchte, über die „außerordentliche Kreditkasse“ zu erreichen, daß der „hiesige Platz vor den schwersten Folgen“ verschont bliebe. „Allein plötzlich stellten mehrere Frankfurter Häuser, darunter vorzüglich das Haus Haber und Söhne, ihre Zahlungen ein, und hierdurch wird das hiesige Wechselhaus Arnstein & Eskeles mit dem Untergange bedroht.“

Die Folgen wären für die gesamte österreichische Wirtschaft katastrophal gewesen. Dieses Bankhaus hatte den Bau einer Eisenbahn in Lombardo-Venetien und andere „Industrieunternehmungen“ finanziert. Diese Unternehmen hätten dann ebenfalls nicht mehr weiter bestehen können. Die Bankhäuser Stametz und Wertheimstein, die an dem Bankhaus „mit sehr namhaften Summen beteiligt“ waren, hätten Folgekonkurs anmelden müssen. Arnstein & Eskeles waren bei der Nationalbank hoch verschuldet und standen bei der Sparkasse „mit beiläufig 2 Millionen in Obligo“. Diese beiden Geldinstitute wären also mit einem Konkurs des Bankhauses ins Wanken geraten. Der Markt wäre mit Staatspapieren überschwemmt worden, weil das Bankhaus selbst und alle Mitbetroffenen sämtliche bei ihnen befindliche Wertpapiere veräußern würden. Ein Fall des Kurses der Staatspapiere unter eine bestimmte Grenze hätte – einer geheimen Klausel gemäß – den Anleihenvertrag vom März 1847 (über 80 Millionen fl.) aufgehoben, die Wechselhäuser ihrer Verpflichtungen entbunden und damit die Anleihe selbst platzen lassen.
„Von der durch dieses Ereignis herbeigeführten unheildrohenden Lage der Dinge überzeugt, haben die beiden Wechselhäuser Rothschild und Sina dem Freiherrn v. Kübeck die Notwendigkeit dargestellt, das Haus Arnstein & Eskeles vor seinem Untergange zu bewahren und sich erklärt, zu diesem Zwecke ihre eigenen disponiblen Kräfte aufbieten zu wollen. Weil aber diese in der gegenwärtigen bedrängten Lage zur Erreichung des beabsichtigten Zweckes nicht hinreichen, haben sie um die Mitwirkung der Finanzverwaltung gebeten.“
Die Finanzverwaltung sollte ihnen Staatspapiere im Wert von 6,6 Millionen ausfolgen, die beiden Wechselhäuser würden ihre eigenen Wechsel sowie Aktien verschiedener Unternehmungen – sowohl ihrer eigenen als auch der von Arnstein & Eskeles finanzierten – in gleichem Wert als Sicherheiten hinterlegen.
Das bedeutet, daß Rothschild und Sina im Jänner 1848 Staatspapiere für sicherer und leichter veräußerlich ansahen als Eisenbahn- und DDSG-Aktien.
Rothschild und Sina verbürgten sich dafür, daß Arnstein & Eskeles ihre Schulden bei der Nationalbank begleichen würden, und zwar eine halbe Million Gulden pro halbem Jahr. Dies stellt eine für ein gerade vom Konkurs bedrohtes Bankhaus sehr hohe Summe dar. Mit welchen Mitteln die anderen beiden diesen Schuldendienst erzwingen wollten, geht aus den Akten nicht hervor, die ganze Aktion war hochgeheim. Es läßt sich schließen, daß Arnstein & Eskeles mit mehreren Millionen Gulden bei der Nationalbank verschuldet waren.
Die Aktien der Mailand-Comoer Bahn nahm die Staatsverwaltung nur ungern in Pfand, sie sah die Bahn als besonders verlustreiches Unternehmen an. Genau diese Bahnaktien sollten jedoch nach Willen der beiden Bankhäuser unbedingt vor Wertverfall gerettet werden, weil sie von einem solchen unheilvolle Folgen für ihre eigenen Bahnaktien (Rothschild für die Nordbahn, Sina für die Südbahn) befürchteten.

Welche Verpflichtungen Arnstein & Eskeles gegenüber den anderen beiden Bankhäusern eingingen und in welcher Form sie sie erfüllten, ist größtenteils nicht aktenkundig. In den 50-er Jahren gingen einige Immobilien aus ihrer Hand in den Besitz des Bankhauses Sina über. (Siehe dazu: VI. DER GRUNDBESITZ)

Die Übernahme und Plazierung der österreichischen Staatsanleihen erfolgte also während des Vormärzes:

1. von 1815 bis 1820 durch Geymüller, Arnstein & Eskeles, Fries und einige ausländische Wechselhäuser
2. von 1820 bis 1826 von Geymüller, Arnstein & Eskeles, Fries und Rothschild
3. von 1826 bis 1841 von Geymüller, Arnstein & Eskeles, Rothschild und Sina,
4. von 1841 bis 1848 von Arnstein & Eskeles, Rothschild und Sina


1.2. Anleihen

1.2.1. Eine „gewöhnliche“ Metalliques-Anleihe (1841)

Die eigentlichen Anleihengeschäfte fanden so statt, daß die Bankhäuser die auszugebende Staatsanleihe zu einem bestimmten Preis „kauften“. Am Beispiel der Anleihe von 1841 sei dies kurz dargestellt: Sie war ursprünglich auf 80 Millionen Gulden sogenannter Münzobligationen oder Metalliques geplant, abgeschlossen wurde sie schließlich auf 40 Millionen. Diese waren zu 5% verzinslich. Ihre Bezeichnung hatten diese Obligationen daher, daß sie auf Konventionsmünze, also auf das wertbeständigere Silbergeld, lauteten und auch dessen Kurs zufolge verzinslich waren, wenngleich ihre Auszahlung in Papiergeld erfolgte. Die Käufer der Obligationen waren dadurch gegen etwaige Kursschwankungen des Papiergeldes gegenüber dem Münzgeld, das sogenannte Agio, gesichert.
Diese fünfprozentigen Münzobligationen waren der Gradmesser für den österreichischen Staatskredit: Fielen sie im Kurs, so stand es um den Ruf des Staates und damit auch seine Kreditwürdigkeit nicht zum Besten und die Finanzverwaltung beeilte sich, Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Die Metalliques waren auch das Zugpferd am Wertpapiermarkt: Sie bestimmten den Zinsfuß aller privaten und öffentlichen Anleihegeschäfte, denn diese mußten mit ihnen konkurrieren. Die Aktien, die im Vormärz ausgegeben wurden, mußten ihren Aktionären einen fixen Zins zahlen, um überhaupt Anleger zu finden, und konnten diesen praktisch nicht unterhalb der 5% ansetzen, da die Aktien sonst kaum jemand gezeichnet hätte.
Auch die anderen Schuldverschreibungen des Staates hatten sich an den 5%-igen Obligationen zu messen. Eine zu nur 3% verzinsliche Anleihe hatten die Bankiers 1835 zu 75 für 100 übernommen, wodurch der von der Staatskasse zu entrichtende Zins auf 4,27% zu stehen kam. Dabei verschuldete sich der Staat mit 40 Millionen, um dafür 30 Millionen zu erhalten. Der Hofkammerpräsident Eichhoff argumentierte in seinem Gutachten mit dem Vorteil des niedrigeren Zinsfußes, verschwieg jedoch beflissen, daß dieser mit einer erhöhten Neuverschuldung erkauft war.

Die Anleihe von 1841 wurde zu 104% abgeschlossen. Das heißt, daß die Bankhäuser einen um einige Prozentpunkte höheren Preis entrichteten, als es dem Nennwert der Obligationen entsprach. Die Anleihe von 1841 stellte in dieser Hinsicht eine Ausnahme dar: Sie war die erste, die „über pari“ abgeschlossen wurde. Bis dahin hatten die Bankhäuser stets einen unter dem Nennwert liegenden Preis oder den Nennwert selbst entrichtet. Der neuernannte Hofkammerpräsident Kübeck hielt sich viel darauf zugute, einen solchen guten Preis für „seine“ erste, also die erste von ihm abgeschlossene Anleihe, herausgeschlagen zu haben. Er gab dann zwar zu, daß die Bankhäuser eine Provision verlangt hatten, und sich der Übernahmepreis der Anleihe nach Abzug derselben und aller Taxen eigentlich auf 102% stelle, aber immerhin: immer noch besser als seine Vorgänger! Die Grundlage für diesen hohen Preis war der damals eben vorherrschende hohe Kurs der Staatspapiere. Dieser wiederum war durch verschiedene Maßnahmen des neuen Hofkammerpräsidenten, die den Privatkredit trafen und eine Reihe von Konkursen hervorriefen, verursacht worden: Alle Anleger suchten Staatsschuldverschreibungen als sicheren Hafen für ihr Kapital.
Für die Übernahme und Bezahlung der Obligationen wurden 22 monatliche Termine festgesetzt. Die Obligationen waren also in diesem Zeitraum, vom 30.11. 1841 bis 31.8. 1843, zu übernehmen. Die Bankhäuser hatten 40 Millionen zu entrichten und erhielten dafür Obligationen im Wert von 38 Mill. 461.500 fl.

Die Bankhäuser knüpften noch einige eigene Bedingungen an diesen Abschluß:

1. „die Facultät, … einen Teil der 5%igen Staatsschuldverschreibungen … in Obligationen mit italienischem Text oder in dergleichen Staatspapiere umschreiben zu lassen“. Dazu später.

2. Es dürfe in den nächsten 15 Jahren keine Zinsenreduktion für Staatsschuldverschreibungen geben, mit Ausnahme der Rückzahlung der zu diesem Zeitpunkt bereits per Dekret reduzierten. Dies bezog sich auf frühere „Konversionen“ von Obligationen, bei denen der Zinsfuß nachträglich heruntergesetzt worden war, was das Vertrauen der Käufer von dergleichen Papieren nicht gerade gefördert und den Handel mit Wertpapieren erschwert hatte. (Siehe nächster Abschnitt: Eine Konversionsanleihe)

3. Wenn die Anleihen während der 22 Monate mehr als 14 aufeinanderfolgende Tage 8% oder mehr unter ihren Nennwert fallen sollten, so sei ein neuer Vertrag zu schließen. Eine solche Klausel war bis dahin nicht üblich, etwaige Kursverluste hatten die Bankhäuser als Risiko mit in das Darlehensgeschäft übernommen.

4. Die Staatsverwaltung dürfe während der ersten 15 Monate keine neue „auf das allgemeine Kreditwesen gegründete“ Anleihe aufnehmen. Die Bankhäuser waren nämlich im November 1841 noch damit beschäftigt, die Obligationen aus der Anleihe von 1839 auf dem Wertpapiermarkt unterzubringen. Sie setzten daher eine Frist, innerhalb derer sie die neuen Staatsanleihen unterzubringen hofften. Wäre dann noch eine weitere Anleihe abgeschlossen worden, so wäre der Markt mit Staatsanleihen überschwemmt worden, was unweigerlich zu einem Kursverlust aller Staatspapiere geführt hätte. Oder sie hätten, um die Menge der Papiere gering zu halten, bei sich im Tresor Münzobligationen horten müssen, die sie nicht verwerten konnten, für die sie aber bereits Bargeld erlegt hatten.

Mit der Formulierung „auf das allgemeine Kreditwesen gegründet“ war aber der Staatsverwaltung ein Hintertürchen offengelassen worden, für den Fall, daß sich plötzlich ein unvorhersehbarer Kreditbedarf ergeben sollte. Ohne eine solche Ausnahme hätte die Regierung dieser Bedingung schwerlich zugestimmt, da sie eine Einschränkung ihrer Finanzhoheit und daher ihrer politischen Handlungsfähigkeit darstellte. Die Quelle solcher plötzlich auftretenden Kreditbedürfnisse waren Kriege. Sofern so ein Waffengang für Österreich ungünstig ausfiel, verursachte er auch noch einen Kurssturz der Anleihen. Dieser Umstand machte die Krediteure des Staates zu Pazifisten. Vor allem Salomon Rothschild hatte in den 30-er Jahren wiederholtermaßen darauf gedrungen, daß alle zur Aufnahme von Anleihen abgeschlossenen Verträge im Kriegsfalle als nichtig anzusehen sein würden, und damit angeblich einmal sogar den Unmut Metternichs auf sich gezogen, „indem er sich niemals dazu verstehen würde, die Entscheidung der Kriegs- und Friedensfragen von dem Wohlgefallen der Wechselhäuser abhängig zu machen.“ Eine diesbezügliche fixe Klausel wurde zwar nie in die Verträge aufgenommen, aber diese Frage war immer wieder Gegenstand der Erörterung. Bei einer Anleihe im Jahre 1831 war den Bankhäusern zugesichert worden, daß ein „wirklich ausgebrochener Krieg einer europäischen Macht mit Österreich“ die Bankiers ihrer vertraglichen Pflichten entbinden würde.

5. Für den Fall, daß die Bankhäuser Obligationen vor den festgesetzten Terminen übernehmen und bezahlen würden, könnten sie der Staatsverwaltung den – damals 4%igen – Diskontsatz verrechnen. Das war für den Fall gedacht, daß entgegen den Berechnungen der Bankiers ein solch reißender Absatz der Obligationen stattfinden würde, daß sie vor den festgelegten Terminen Nachschub benötigen würden.

6. Die Bankhäuser verlangten ferner, daß der Diskonto, d.h. Zinssatz der Nationalbank für die Diskontierung von Wechseln während der Laufzeit des Anlehens auf 4% bleibe. Dies war wichtig, um ihren eigenen Kreditrahmen zu erhalten. Die Wechselescompte-Abteilung der Nationalbank wurde nämlich hauptsächlich von den Bankhäusern, zum Diskontieren ihrer eigenen „trockenen“ oder Sola-Wechsel benützt. Mit dem 4%-Diskontsatz sicherten sie sich einen beinahe unbegrenzten Rahmen für zu 4% verzinsliche Kredite, während sie selbst Geld zu 5% und mehr verliehen. Kübeck hatte ursprünglich sein Amt mit der Absicht angetreten, diese Praxis der Bankhäuser durch Einschränkung ihres Kreditrahmens zu erschweren. Nach einer Konkurswelle im Banksektor und angesichts einer neuaufzunehmenden Anleihe hatte er nun für das Anliegen der Bankhäuser Verständnis. Er meinte in seinem Gutachten, eine Veränderung des Diskontos würde das Anleihengeschäft stören.

Die Anleihen wurden in halbjährlichen Terminen getilgt. Der Staat kaufte bei diesen „Zahltagen“ seine Obligationen zurück. Die Obligationen, die an diesen Terminen voll ausbezahlt wurden, wurden duch Los ermittelt. Auf die anderen, noch nicht bezahlten Obligationen wurden die Zinsen entrichtet. Die Laufzeit solcher Anleihen hing daher sowohl von der Höhe der aufgenommenen Summe als auch vom Umfang der jeweiligen halbjährlichen Zahlungen ab. Die Obligationen von 1820 und 1821 waren mehr als 20 Jahre später noch im Umlauf. Mit diesen regelmäßigen Tilgungsterminen pflegte die Staatsverwaltung das Ideal der Entschuldung: Aus dem Umstand, daß sie aufgenommene Schulden öffentlich und aus eigener Initiative abzahlte, wollte sie beweisen, daß es ihr tatsächlich um die Tilgung der Schuld ging und nicht um deren Perpetuierung, daß Staatsschulden sozusagen etwas Vorübergehendes seien und daß diesem staatlichen Schuldner an Gewissenhaftigkeit kein Privater das Wasser reichen konnte. Damit sollten auch alle Zweifel über die Solidität neuer Anleihen ausgeräumt werden – die Aufnahme neuer Schuld war ja deshalb unbedenklich, weil die alten Schulden nicht nur zinsenmäßig bedient, sondern auch tatsächlich in vollem Umfange zurückgezahlt worden waren oder noch wurden. Daß das mittels neuer Schuldaufnahmen aufgenommene Geld gerade dazu diente, die alten Anleihen abzuzahlen, war jedem, der sich dafür interessierte, leicht erkennbar und wurde oft von der Staatsverwaltung selbst als Grund für eine Kreditaufnahme angegeben. Dies schadete aber der Glaubwürdigkeit des Schuldners nicht – und nur wegen dieser wurde das ganze Manöver veranstaltet: Um den Kredit des Staates zu befestigen.

Die Anleihe von 1841 wies gegenüber den anderen gewöhnlichen 5%-Anleihen zwei Besonderheiten auf: Den Abschluß über dem Wert der Obligationen und auch den Umstand, daß das eine der Bankhäuser, Geymüller, während der Verhandlungen um die Ausgabe der Anleihe durch Konkurs ausschied und die anderen drei die auf ihn entfallende Summe übernahmen.

 

1.2.2. Eine Konversionsanleihe (1830)

Im Jahr 1830 hatte die Staatsverwaltung nach langem Hin und Her eine „Konversionsanleihe“ begeben. Dabei waren – ebenfalls über die 4 Bankhäuser – zu 4% verzinsliche Obligationen in Umlauf gebracht worden, die gegen die älteren, zu 5% verzinslichen Staatsschuldverschreibungen eingewechselt werden mußten. Obligationsbesitzern, die ein zu 5% verzinsliches Wertpapier gekauft hatten, wurde somit mitgeteilt, daß sie sich von nun an mit 4% zufriedengeben müßten. Der damalige Hofkammerpräsident, Nádasdy, hatte dieses Vorgehen für zweckmäßig erachtet, um den Schuldendienst des österreichischen Staates zu erleichtern. Die während der Napoleonischen Kriege in bis dahin unbekanntem Ausmaß aufgehäufte und seitdem nicht geringer gewordene Staatsschuld beunruhigte die damaligen Währungshüter. Zusätzlich zu den Versuchen, die im Umlauf befindlichen Obligationen durch den Tilgungsfonds und eine ähnliche Kasse in Oberitalien anzukaufen und dadurch aus dem Verkehr zu ziehen, sollte auch noch die Zinsenmenge verringert werden, eben mit Hilfe dieser Konversion. Das ganze Manöver hatte von Anfang an etwas leicht Widersprüchliches an sich, der Staat strapazierte seine Verschuldungsfähigkeit, um sich von Schulden zu befreien, er verschuldete sich zum Zweck der Entschuldung.
Die Konversion betraf Schuldverschreibungen im Gesamtumfang von 20 Millionen Gulden. Zunächst waren 50 Millionen ins Auge gefaßt worden, dieser Plan wurde aber später fallengelassen. Die zu halbjährlich festgesetzten Terminen umzuwechselnden Obligationen wurden mittels Los ermittelt. Zur Umwechslung ausgeschriebene, aber von den Besitzern nicht umgetauschte Obligationen verfielen. Es gab für die Besitzer der 5%igen Obligationen auch die Möglichkeit, sie freiwillig umzutauschen, aber darauf, daß dies massenhaft erfolgen werde, verließ sich die Staatsverwaltung wohlweislich nicht. In verschiedenen Zirkularen wurde der einheimischen Bevölkerung mitgeteilt, daß der unmittelbare Schaden, den sie durch diese Zinssenkung erlitten, die Staatskasse entlaste, daher im allgemeinen und in weiterer Folge auch im besonderen Interesse jedes Einzelnen liege.
Bei ausländischen Kunden war die Sache etwas schwieriger, da ließ sich diese Umwandlung nicht so einfach dekretieren und man konnte sich auch nicht auf Patriotismus verlassen. Den Frankfurter und Amsterdamer Bankhäusern, die im Ausland die österreichischen Anleihen verbreiteten, wurde mitgeteilt, diese Konversionsmaßnahmen „auf die geeignete Weise zur Kenntnis der dortigen Besitzer von österreichischen Staatspapieren zu bringen“ und dann „über die Willfährigkeit der Kapitalbesitzer rücksichtlich der freiwilligen Umsetzung ihrer Schuldbriefe“ nach Wien zu berichten. Die Aufgabe, die 4%igen Obligationen auch im Ausland einzutauschen, wurde gegen entsprechende Vergütung ebenfalls den 4 Bankhäusern übertragen. Für die Abwicklung der Plazierung dieser Anleihe im Inland war bereits vorher ein Abkommen mit ihnen geschlossen worden.
Obwohl der Hofkammerpräsident in einem Gutachten bemerkte, daß die Bedingungen der 4 Bankhäuser so beschaffen waren, daß sie die ganze Absicht der Verringerung der Schuldenlast torpedieren mußten – „der pekuniäre Vorteil, welcher daraus für den Staat hervorginge, wäre von keinem wesentlichen Belange“–, den Besitzern der Obligationen schadeten und nur der Bereicherung der Bankhäuser dienen konnten, wurde die Anleihe dennoch ausgegeben. Die Bankhäuser übernahmen die Anleihe zu einem Kurs von 97 und zahlten die Hälfte des Kaufpreises für die Obligationen nicht in Bargeld, sondern in ihren eigenen, auf sich selbst ausgestellten, Wechseln. Der Staat und die Bankhäuser tauschten somit ihre jeweiligen Schuldscheine gegeneinander aus.

Die Konversionsanleihe war von ihrem Zweck her – der Reduktion der Schuld – sicherlich ein Flop. Zusätzlich erschütterte sie ebenso sicher das Vertrauen des In- und Auslandes in die österreichischen Staatsschuldverschreibungen. Nach 1830 wurde keine solche Anleihe mehr begeben.

 

1.2.3. Eine Losanleihe (1839)

Die Los- oder Lotterieanleihen hatte Salomon Rothschild 1820 in Österreich eingeführt. Sie hatten eine niedrigere Verzinsung, die dadurch wettgemacht wurde, daß der Besitzer einer solchen Anleihe bei den jeweiligen Zahlungsterminen zwar eine – meist zu 2,5- oder 3% verzinste – „Niete“ ziehen konnte – oder aber einen „Treffer“. Die Losanleihen verbanden die Solidität des hoheitlichen Schuldners mit dem Nervenkitzel eines Glücksspiels und sollten die Staatsanleihen auch solchen Bevölkerungsschichten interessant machen, die ihnen vorher ablehnend oder gleichgültig gegenübergestanden waren. Die Treffer betrugen das Doppelte des Nennwertes der Obligation oder noch mehr. Die höchsten „Treffer“ waren stets auf die letzten Ziehungstermine der Anleihe verteilt, um die Obligationen für die gesamte Laufzeit der Anleihe attraktiv zu halten. Von Rothschild stammte auch die Praxis, die Schuldverschreibungen in Serien zu unterteilen. Im Falle der Anleihe von 1839 wurden 120.000 Obligationen auf 6.000 Serien von jeweils 20 Stück verteilt. Drei Monate vor dem Ziehungstermin gaben die Bankhäuser über die Zeitungen und die Börse bekannt, welche Serien bei dem nächsten Termin verlost würden. Dadurch lösten sie eine zusätzliche Nachfrage nach Losen dieser Serien aus, und konnten alle etwaigen Restbestände noch schnell loswerden. Bei der Anleihe von 1839 wurden auch Ziehung und Auszahlung zeitlich voneinander geschieden: Die Auszahlung erfolgte erst 3 Monate nach der Ziehung.

Eine andere Einführung Rothschilds war die Unterteilung der Obligationen in Teil-Obligationen, 1839 in Fünftel. Zielgruppe dieser Maßnahme waren einkommensschwache Personen: Sie konnten sich mit Verwandten oder Freunden zusammenschließen und eine Obligation gemeinsam erwerben, wobei durch die Form der Obligation, d.h. ihre Unterteilung, Betrügereien oder Streit über die Verteilung etwaiger Gewinne möglichst vermieden werden sollten.

(Diese Tricks der Wertpapier-Gestaltung, -Bewerbung und des Handels mit ihnen übertrug Rothschild auch auf die Privatanleihen und auf die unter seiner Mitwirkung ausgegebenen Aktien.)

Die Anleihe von 1839 war zu 4% verzinslich. Das heißt, daß bei jeder Ziehung 4% Zinsen auf die weiterhin im Umlauf befindlichen Obligationen ausgezahlt wurden, berührte die Frage der Verteilung der Zinsen auf die ausgezahlten Schuldverschreibungen aber nur am Rande. Die ausgeschütteten Gewinne mußten sich vermutlich aus der den 4% entsprechenden Summe rekrutieren, zu Lasten der restlichen abgezahlten Obligationen. Vielleicht wurde auch noch etwas zugesetzt. Genauere Angaben über die Abwicklungen der Ziehungen existieren deshalb nicht, weil die Verhandlungen mit der Staatsverwaltung und die Verträge nur ein Teil der Organisation der Anleihen waren. Die gegenseitigen Absprachen der Bankhäuser machten den anderen Teil aus, diese sind aber nicht aktenmäßig erfaßt.
Diese Losanleihe von 1839 wurde – im Unterschied zu den Losanleihen von 1820 und 1821 – im Ausland nicht beworben und auch nur auf dem Gebiet der Monarchie ausgezahlt. Sie wurde – wie andere Anleihen auch – mittels der Wiener Zeitung und verschiedener Provinzblätter unter die Leute gebracht.

Die Bankhäuser zogen die Form der Losanleihe der gewöhnlichen Anleihe vor, da die Papiere leichter abzusetzen waren und die Bankiers mehr Freiheiten in der Preisfestsetzung hatten. Die Staatsverwaltung zog fix verzinsliche Schuldverschreibungen vor, da diese weniger starken Kursschwankungen ausgesetzt waren und, wie Kübeck später einmal ausdrückte, „leichter in feste Hände“ gerieten. Während bei den gewöhnlichen Anleihen das Zielpublikum bürgerliche Existenzen waren, die ihre Spargroschen in fix verzinslichen Wertpapieren anlegen wollten, zogen bei den Losanleihen die Kursgewinne die Spekulanten an, die sich große Mengen dieser Anleihen verschafften und im Falle einer als günstig eingestuften Lage des Geldmarktes auf den Markt warfen. Es konnte dadurch immer zu überraschenden Kursstürzen kommen, die den Kurs der übrigen Anleihen negativ beeinflußten und auch die Ausgabe neuer Anleihen erschwerten. Das Interesse der Bankhäuser an den Losanleihen kam auch darin zum Ausdruck, daß sie bei gewöhnlichen Anleihen eine Provision verlangten, bei Losanleihen nicht.

Die Losanleihen waren daher meistens ein letztes Hilfsmittel, wenn die Kurse schlecht standen und der Staat dringend Geld brauchte. So war es 1820 und 1821, als Österreich noch immer damit beschäftigt war, die Verwüstungen, die die Franzosenkriege im Kreditwesen verursacht hatten, zu beseitigen. 1839 hingegen hatten alle Staatspapiere einen hohen Kurs, es stand gerade einmal kein Krieg vor der Tür und die Bedingungen für eine 5%-Anleihe wären äußerst günstig gewesen – für die Staatsverwaltung, nicht aber für die Bankhäuser. Diese verfügten nämlich stets über eine größere „Interventionsmenge“ an Staatspapieren, die sie zu genau dem Zeitpunkt, in dem sie in Verhandlungen mit der Staatsverwaltung eintraten, auf den Markt warfen, um die Kurse zu drücken und mit dem Hinweis auf den gegenwärtig schlechten Stand der Staatspapiere einen günstigen Preis für den Kauf der Anleihe auszuhandeln.
Dies war ihnen 1839 offenbar nicht gelungen, oder sie hatten den damaligen Hofkammerpräsidenten, Joseph von Eichhoff, von Anfang an für ihr Projekt der Losanleihe gewonnen, mit der Aussicht, dafür von ihrem üblichen Manöver abzusehen. Eichhoff verfaßte jedenfalls ein Gutachten, demzufolge ausgerechnet die hohen Kurse der Staatspapiere ein Hindernis für eine gewöhnliche Anleihe darstellen würde. Daher sei die Losanleihe die einzige Möglichkeit, derzeit eine Anleihe zu begeben. Die Anleihe wurde vom Kaiser genehmigt und zu den Bedingungen der Bankhäuser abgeschlossen. Nach 1839 wurde im Vormärz keine Losanleihe mehr ausgegeben. Erst in den 50-er Jahren erfolgten erneut solche Anleihen.

 

1.2.4. Das Nationalanlehen von 1854

Die Ereignisse von 1848/49 hatten nicht nur die österreichische Staatskasse völlig geleert, sie hatten auch den Kredit Österreichs im In- und Ausland schwer geschädigt. Die Ausgabe von Anleihen war schwer bis unmöglich geworden. Die Künste der Bankhäuser waren mehr denn je notwendig, um Käufer für die Staatspapiere zu finden. Die Anleihe von 1849 trug bereits alle Züge einer Zwangsanleihe, vor allem die künstlich wirkende Begeisterung in der Berichterstattung der Behörden über den Erfolg dieser Anleihe. 1851 gab der Staat eine Anleihe heraus, die er mit den Bankhäusern Sina, Rothschild und Biedermann abschloß. Von dieser Anleihe zeichnete Sina 5,160.000 fl. Diese Anleihe kann sich daher auf höchstens 15 Millionen belaufen haben. (Biedermann zeichnete sicher weniger, Rothschild wahrscheinlich gleich viel wie Sina.) Eine weitere Anleihe wurde 1852 begeben, vermutlich in ähnlicher Höhe. Diese beiden Anleihen dienten vor allem der Zahlung von Zinsen im Ausland, die Obligationen wurden im Ausland abgesetzt. Um überhaupt wieder zu Einnahmen zu gelangen, die einer Großmacht den ihr entsprechenden finanziellen Spielraum verschaffen könnten, griff die Staatsverwaltung 1854 zu dem Mittel eines „Nationalanlehens“, mit anderem Namen Zwangsanleihe. „Die Abnahme dieses Anlehens wurde den Bürgern und Korporationen zwangsweise auferlegt, indem sie einen auf Grund ihrer Steuerleistung bemessenen Betrag zeichnen mußten. Die Behörden gingen hierbei schonungslos vor und trieben die erpreßten Summen mittels Exekution ein. In den zeitgenössischen Journalen und Bankberichten ist von dieser Glanzleistung der Bachschen Verwaltungskunst kein Wort zu finden. Im Gegenteil, wir lesen allenthalben die begeistertesten Lobeserhebungen über das Gelingen dieser patriotischen Anleihe.“

Diese Anleihe erstreckte sich von 1854 an über die folgenden 4 Jahre und sollte sich auf 500 Millionen Gulden österreichischer Währung belaufen. Die projektierte Summe wurde jedoch überschritten, der österreichische Staat begab zwischen 1854 und 1859 in Wirklichkeit 611 Millionen Gulden. Diese Überschreitung war zwar hochgeheim, ließ sich aber auf die Dauer nicht verheimlichen. Sie „kam zu Tage, als Piemont“ (nach dem Anschluß der Lombardei) „einen Teil der österreichischen Staatsschuld übernehmen sollte und Napoleon III, zum Schiedsrichter aufgerufen, Auskunft über deren Stand verlangte.“ Diese zusätzlichen Schuldverschreibungen waren angeblich auf ausländischen Börsen verkauft worden, aber auch da war es zu kleinen Pannen gekommen: Im Jahre 1859 waren Obligationen dieser Anleihe unter dem Verdacht der Fälschung an der belgischen Grenze von den Zöllnern beschlagnahmt worden, „weil die frische Druckerschwärze mit der aufgedruckten Jahreszahl 1854 im Widerspruch zu stehen schien.“ Der Fälscher, wie sich dann herausstellte, war der Aussteller selbst. Solche Ereignisse waren nur in eingeschränktem Maße geeignet, die Kreditwürdigkeit Österreichs im Ausland wiederherzustellen.

Von dieser Nationalanleihe zeichnete das Bankhaus Sina 5 Millionen Gulden. Zusätzlich mußte Georg Sina noch in seiner Eigenschaft als Grund- und Hausbesitzer den staatlich verordneten Anteil an der Anleihe entrichten. Einen Teil dieser Geldsummen verabfolgte er in den auf diese Güter entfallenden Grundentlastungs-Obligationen. Diese Papiere waren ein Ergebnis der Bauernbefreiung in Österreich: Die den Grundherren als Entschädigung für aufgehobene Natural- und Robotleistungen ihrer ehemaligen Untertanen zugesprochene Summe war zur Hälfte vom Bauern zu leisten. Die andere Hälfte übernahm das Land, das diese Summe nicht in Bargeld, sondern eben in den Grundentlastungs-Obligationen auszahlte. Für diese Schuldscheine haftete der Staat, und sie wurden bei jährlichen Terminen eingelöst. Die Besitzer der jeweils einzulösenden Obligationen wurden durch Los ermittelt.

Es gelang Sina also, einen Teil der Anleihe mit – noch dazu staatlichen – Kreditzetteln an Stelle von Bargeld zu bezahlen. Er versuchte auch noch, zweifelhafte Außenstände seiner Bank auf diesem Wege zu „verwerten“, dies wurde aber von der Finanzverwaltung abgelehnt.

Georg Sina bemühte sich, einen Teil der Anleihe auf auswärtigen Börsen unterzubringen. Er lud seine ausländischen Geschäftspartner mittels Zirkular ein, sich an der Anleihe zu beteiligen. Mit denjenigen ausländischen Bankhäusern, die nicht direkt bei der Staatsverwaltung subskribierten, schloß er Verträge mit ab, denen zufolge diese eine bestimmte Anzahl von Obligationen aus dieser Anleihe von ihm zu übernehmen hatten. Diese Bankiers mußten zur Sicherheit eine Kaution dafür hinterlegen. So hoffte Sina, auch einen Teil der von ihm freiwillig gezeichneten 5 Millionen fl. an den Mann zu bringen. Der Verkauf der Obligationen war dann Sache seiner Vertragspartner.

Diese Anleihe scheint bereits bald international in ein schiefes Licht geraten zu sein. Ende 1855 benachrichtigte Sina das Finanzministerium, daß einer seiner Vertragspartner, das Antwerpener Bankhaus Havenith, auf die weitere Teilnahme an der Anleihe verzichtet habe. „Die Erklärung ist zu bestimmt, als daß sich auf gütlichem Wege eine Änderung ihres Sinnes erwarten ließe“, meinte Sina und gab bekannt, deshalb den Rechtsweg beschreiten zu wollen. Er erinnerte das Ministerium, daß es bereits ähnliche Fälle gegeben habe, die „unter Vermeidung gerichtlicher Entscheidungen … den politischen Behörden zur Austragung zugewiesen“ worden waren, um nicht (weiteres) nachteiliges Aufsehen um diese Anleihe zu erregen. Da „Ausländer keiner Exekution unterzogen werden“ konnten, waren die Aussichten einer solchen Klage eher ungünstig. Das Finanzministerium teilte Sina mit, gegen eine private Klage gebe es kein staatliches Bedenken. Jede politische Hilfestellung bei diesem Verfahren lehnte das Ministerium ab.
Bei dieser Anleihe (und mit ziemlicher Sicherheit auch bei den beiden vorhergehenden von 1849 und 1851) machte Georg Sina die gleiche Erfahrung wie viele Krediteure von Regierungen und Herrschern vor und nach ihm: Die Geschäfte mit dem Staat waren eine reich sprudelnde Einnahmequelle, solange die Macht dieses Staates sich im In- und Ausland eines angemessenen Ansehens erfreute. Wurde seine Souveränität jedoch in Frage gestellt, mußten Aufstände mit fremder Hilfe niedergeschlagen werden und gingen Bündnispartner oder Kriege verloren, so wurde es zusehends schwieriger, Käufer für die Schuldverschreibungen eines solchen Staates zu finden. Sina konnte jedoch die Dienstleistung, die in solchen schweren Zeiten von ihm gefordert wurde, nicht verweigern: Sein Reichtum beruhte auf der Verbindung mit dem Staat, dieser war sein Hauptabnehmer beim Handel, von ihm erhielt er Privilegien und Monopolien, Kredit und Zinsgarantien, von ihm schließlich hatte er einen guten Teil seines Grundbesitzes gekauft. Ein großer Teil seines Vermögens bestand aus Immobilien in Österreich und aus Schuldverschreibungen dieses Staates oder seiner eigenen privaten Unternehmungen. Hätte er sich der Beteiligung an diesen für ihn wahrscheinlich verlustreichen Anleihen zu entziehen versucht oder auch nur in einem geringeren Maße beteiligt, als dies die Finanzverwaltung von ihm erwartete, so hätte er keine andere Wahl gehabt, als zu dem letzten Hilfsmittel seiner Vorfahren zu greifen: sein mobiles Vermögen zusammenzupacken und über die türkische Grenze in Gegenden zu verschwinden, die sich dem Zugriff der österreichischen Staatsgewalt entzogen.

 

1.2.5. Das Anleihengeschäft nach 1849

Zunächst einige Zahlen: „Wenn man einen Durchschnitt“ (für ihre Beteiligung an Staatsanleihen) „auf der Basis der letzten 10 Jahre annimmt, so entfällt auf jedes der Häuser Sina und Rothschild jährlich ungefähr der Betrag von 5 Millionen Gulden., mit welchem sie an hiesigen Staats-Anlehen seit Anfang 1840 beteiligt wurden. Als Fixprämie kann hierbei die Provision von 2%.genommen werden, welche sie in der Regel bei Staats-Anleihen bezogen. Der Hauptgewinn bestand aber bei diesen Geschäften in dem jeweiligen Unterschiede zwischen dem Börsenkurse und dem Übernahmspreise der Obligationen, der bei den 3%-Anleihen gewöhnlich zwischen 4 und 6% schwankte, bei dem 1839-er Anlehen aber ein Mal sogar 40% betrug. Dagegen darf nicht unerwähnt bleiben, daß bei dem 1847-er Anlehen in dieser Beziehung Verluste für sie eintraten.
Wenn man einen 10-jährigen Durchschnitt der Summen annimmt, mit welchen jedes der Häuser den Kredit bei der Nationalbank im Escompte- und Leih-Geschäft in Anspruch nahmen, so resultiert für das Haus Rothschild der jährliche Betrag von 4 Millionen 700.000 Gulden, für Sina 4 Millionen.“
„Schließlich wird noch der Umstand erwähnt, daß in den letzten zwei Jahren der Gewinn aus den Staats-Anlehen durch das geänderte Finanz-System zwar aufgehört hat, daß aber das an die Stelle der Papier-Spekulation getretene Devisengeschäft (Valuta-Spekulation) wenigstens keine schmälere Quelle des Einkommens abgibt.“

Nach dem Ableben Georg Sinas reduzierte sich die Rolle, die das Bankhaus Sina bis dahin in der österreichischen Finanzwelt gespielt hatte. Das Kartell der Krediteure war nach 1848 zerbrochen. Um die Staatsanleihen konkurrierten nunmehr verschiedene Finanzgruppen, diejenige, die den besten Preis bot, erhielt den Zuschlag. Das Bankhaus Sina bildete in Gemeinschaft mit Wodianer, (der an der Anglo-Österreichischen Bank beteiligt war,) und ausländischen Bankhäusern die eine Gruppe. 1863 stach die von den Rothschilds geführte Konkurrenz bei einer Anleihe in Höhe von 40 Millionen Gulden dieses Konsortium aus. Es handelte sich übrigens um Los-Obligationen einer Anleihe von 1860, die auf diese Art versteigert wurden. Auch 1860 war also bereits eine Los-Anleihe begeben worden.

1864 wurde die Sina-Gruppe bei einer Los-Anleihe von 40 Millionen mit 13,5 Mill. beteiligt, der Rest ging an Rothschild und an die CA. Aus den Akten zu dieser Anleihe geht hervor, daß sich die Finanzverwaltung wieder einmal in großer Not befand, die Auslandsschulden kaum bedienen konnte und im Inland der Markt noch von den Obligationen der Anleihe von 1861 überschwemmt war, die sich auf 200 Millionen belaufen hatte. Wegen außenpolitischer Verwicklungen – es ging um den Streit um Schleswig-Holstein – war die Aufnahme eines Kredites im Ausland unmöglich. Deshalb entschloß sich die Regierung wieder einmal zu einer Losanleihe, der für sie selbst ungünstigsten Anleihenform.

Ebenfalls 1864 übernahm ein aus den Bankhäusern Sina, Wodianer, Baring Brothers in London und der Anglo-Österreichischen Bank 23,5 Mill. Gulden aus einer Silber-Anleihe von 70 Millionen, zu einem Kurs von 77%. Wegen einem rapiden Fall des Wertes der österreichischen Staatsanleihen wurde diese Summe später auf 14 Mill. 495.000 fl. herabgesetzt und in ein „Ersatzanlehen“ umgewandelt. Die Akten geben in erster Linie Aufschluß über die prekäre Lage der österreichischen Staatskasse, weniger über Gewinne oder Verluste der bei diesen Anleihen beteiligten Bankhäuser. Sie erhielten 1 Achtelprozent Provision, „die an jedem einzelnen Platze übliche Courtage, mit Ausnahme der 2 ersten Verkaufstage, an welchen doppelte Courtage genehmigt wird“ und Vergütung aller Spesen.

Es ist anzunehmen, daß die Anleihen eines Staates, dessen Kredit im In- und Ausland schlecht stand, keine so lukrative Einnahmequelle darstellten wie in der Zeit vor 1848.

1865 wurde vom Finanzministerium ein Überbrückungskredit („Vorschüsse“ auf die nächste Anleihe) mit in- und ausländischen Bankhäusern aufgenommen, von der das Bankhaus Sina im Verein mit Wodianer und zwei deutschen Bankhäusern 3,25 Millionen übernahm. Hier betrug die Provision 0,75%.

Bei all diesen Operationen übernahm Wodianer die Initiative für das gemeinsame „Syndikat“. Vom Bankhaus Sina erschien nur der Prokurist Metaxa. Dieser führte praktisch während der letzten 20 Jahre die Geschäfte des Bankhauses, wenngleich Johann Sina bis 1869 formell dessen Vorstand war. Hier ist ein Ratschlag zu erwähnen, den Georg Sina einem seiner Trentschiner Angestellten erteilte: „daß es seine Sache sei, durch eine gute billige Behandlung sich bleibende Diener zu schaffen.“
1876 oder 1877, nach dem Tode Simon Sinas, wurde das Bankhaus aufgelöst. Die Witwe führte es noch solange weiter, bis alle Verbindlichkeiten getilgt und alle laufenden Geschäfte abgeschlossen waren.

 

Fortsetzung: Die Anleihen des lombardo-venezianischen Monte

 

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