2. Aktiengesellschaften im Vormärz

 

Um das spannungsgeladene Verhältnis von Sina und Széchenyi und die Grundlage ihrer Zusammenarbeit vollständig zu begreifen, ist es unumgänglich, einen Blick auf das Wesen der damaligen Aktiengesellschaften zu werfen.

Die Aktien waren die ersten kommerziellen Wertpapiere in Österreich. Wer bis dahin Wertpapiere erwarb, kaufte Staatspapiere, die zum Zeitpunkt des Auftretens der Aktien bereits eine mehr als hundertjährige Tradition besaßen. Außer den verschiedenen Staatsanleihen, für die auch im 18. Jahrhundert die Wiener Börse eingerichtet worden war, zirkulierten wohl auch Wechsel und Schuldscheine. Diese waren aber nicht Gegenstand öffentlicher Nachfrage, sondern das Produkt fest umrissener Geschäftsbeziehungen, innerhalb der Verwandtschaft abgewickelter Verleih-Manöver, oder sie gehörten in das gesellschaftliche Halbdunkel des Glücksspiels und des Wuchers. Die Aktien tauchten in einer Gesellschaft auf, der der Begriff der Geldanlage ebenso neu war wie derjenige der Investition. In der Neuheit lagen Chance und Hindernis für denjenigen, der eine Unternehmung ins Leben rufen wollten: Ein Teil des angepeilten Publikums schreckte vor dem Wagnis zurück, ein anderer ließ sich bei entsprechender Bewerbung der Angelegenheit rasch überzeugen.

Die Aktiengesellschaften erschienen ihren Initiatoren als ein geeignetes Mittel, mit Hilfe der in der Gesellschaft unnütz herumliegenden Spargroschen große Unternehmungen anzupacken, für die ihnen selbst das nötige Kapital fehlte. Die meisten der frühen Aktiengesellschaften waren keineswegs direkt gewinnorientiert, sondern sollten eher dazu dienen, Kosten zu minimieren – d.h. andere Geschäfte zu ermöglichen oder zu befördern, indem sie dort auftretende Hindernisse beseitigten. Diese Aktiengesellschaften gingen oft auf die Initiative von Kaufleuten zurück, die die Transportwege und  -mittel verbessern oder sich gegen die Fährnisse des Handelsverkehrs versichern wollten. Oder – wie im Falle der Pester Zuckerraffinerie – wollten die Aktionäre, die größtenteils selbst Zuckerfabrikanten waren, eine zentrale Raffinerie zur Verfügung haben, um Aufwand und Kosten des Raffinierens zu verringern.

In den 20-er und 30-er Jahren des vorigen Jahrhunderts schossen die Aktiengesellschaften wie Pilze aus dem Boden, und sie verschwanden ebenso schnell wieder, wie sie aufgetaucht waren, weil ihre Mitglieder bald feststellen mußten, daß das geplante Vorhaben ihre finanziellen Kräfte weit überstieg. Einer der Gründe dafür war, daß sich diejenigen, die die jeweilige Gesellschaft gegründet hatten, nicht sehr genau mit den zu erwartenden Schwierigkeiten und Kosten befaßt hatten, sondern gemeint hatten, ihr guter Ruf und ihr gesellschaftliches Ansehen müßten schon für sich allein die nötige Menge Geldes anziehen und im Verein mit dem guten Willen ihrer Aktionäre im weiteren das Gelingen des Werkes verbürgen. Ein anderer Grund war sicherlich, daß sie bei ihrem Unterfangen oft Neuland betraten und die Kosten daher gar nicht so genau berechnen konnten. Ein dritter Grund war, daß es damals auch nicht allzuviele Menschen gab, die überflüssiges Geld besaßen, das sie in Unternehmen mit zweifelhafter Zukunft anlegen hätten können.

Diejenigen Aktiengesellschaften, die bestehen blieben und sich entwickelten, konnten dies deshalb nur, weil sie nicht allein auf die eher bescheidenen Kapitalien des breiteren Publikums angewiesen waren, sondern auch noch mindestens ein finanzkräftiges Gründungsmitglied besaßen, das willens und fähig war, das Unternehmen durch fortgesetzte Geldspritzen am Leben zu erhalten. Eine andere Überlebenschance für eine solche Gesellschaft war, daß es ein staatliches Interesse an der von ihr in die Wege geleiteten Unternehmung gab und ihr daher von dieser Seite finanzielle und politische Unterstützung gewährt wurde. Die drei beteiligten Parteien einer Aktiengesellschaft sollen einer näheren Betrachtung unterzogen werden.

 

2.1. Die Gründer

Unternehmungen wie die, von denen in diesem Buch die Rede ist, waren nach heutigen Maßstäben allesamt Verlustgeschäfte für den Unternehmer – Geschäfte, bei denen sich das investierte Kapital, wenn überhaupt, oft erst nach einem oder mehreren Jahrzehnten amortisierte. Solche Maßstäbe werden jedoch den Unternehmungen, die die Anfänge des Kapitalismus in Österreich markieren, nicht gerecht. Die Unternehmer der ersten Stunde wußten, daß die Früchte ihrer Investitionen erst von ihren Nachfahren geerntet werden würden. (Von solchen Vorstellungen geleitet, forderte Georg Sina anfänglich ein ganzes Jahrhundert als Dauer für sein Recht auf Einhebung des Brückenzolles.) Sie ließen sich auf diese Unternehmungen ein, weil ihr auf anderen Gebieten – Kreditierung des Staates und des Adels, Handel mit landwirtschaftlichen Produkten – erworbenes Kapital an die Grenzen seiner Verwertungsmöglichkeiten stieß und sie deshalb bereit waren, in Hoffnung auf spätere Gewinne kommerzielles Neuland zu betreten. Sie sahen über die Landesgrenzen und bemerkten, daß viele ihrer Handelspartner im Ausland sich auf Investitionen im Verkehrswesen einließen, und sie nahmen auch wahr, daß die Regierungen gegebenenfalls diese Unternehmungen zu fördern bereit waren, weil sie ein nationales Interesse an Entwicklung des Landes betrafen. All dies ließ das Wagnis der Investition lohnend erscheinen. Auch Sina hat gewiß bei seinen Unternehmungen auf den Rückhalt der Regierung gezählt und im Falle der DDSG und der Eisenbahnen auch teilweise recht behalten.

Eine andere Art von Gründern waren Personen wie Széchenyi. Er bezeichnete die von ihm betriebenen Unternehmen oft als „gemeinnützige“ Veranstaltungen. Bei den von ihm ins Leben gerufenen AGs, wie der Kettenbrücke oder der Pester Walzmühle, wollte er den technischen Fortschritt, den er im Ausland kennengelernt hatte, nach Ungarn verpflanzen. Auch er war überzeugt, daß die auf diesem Gebiet getätigten Investitionen sich einmal amortisieren würden, aber er dachte dabei nicht an kommerziellen Gewinn im engeren Sinne, sondern sein Streben war auf gesellschaftliche Entwicklung gerichtet. Schließlich war dieser Mann auch ein Staatsmann von eigenen Gnaden, ein Politiker aus eigenem Entschluß, ohne offizielle Bestätigung. Er dachte ungefähr so: Gäbe es eine Eisenbahn, so könnte man landwirtschaftliche Produkte weiter und schneller transportieren, dadurch neue Märkte erschließen, und damit einen Anreiz zur Steigerung der Produktion im Lande liefern. Dies würde dann wieder gesellschaftliche Reformen notwendig machen, z.B. die Aufhebung der Leibeigenschaft, und für diese einen breiteren Konsens schaffen, usw. usf. Ähnlich war es mit der von ihm gegründeten Pester Walzmühle: Könnte man das Mehl zwischen eisernen Walzen mahlen und nicht mehr zwischen Mühlsteinen, so ginge es schneller und zudem bliebe das Mehl trocken und dadurch transport- und lagerungsfähig und wäre daher auch für weiter entfernte Käufer attraktiv. Man könnte es exportieren. Dann könnte mehr Mehl verkauft werden, mehr Getreide würde angebaut, …

Das erste Publikum für die Bewerbung von Aktien waren daher für Széchenyi immer die Menschen aus dem Adel und der Verwaltung Ungarns, an deren Patriotismus er appellierte, wobei er nie vergaß, auch auf die wirtschaftlichen Vorteile hinzuweisen, die für die Aktionäre dabei herausspringen könnten. Zunächst wollte er jedoch bei der Elite des Landes ein Bewußtsein ihrer Verantwortung für das Wohl der Nation wecken und dieses zum Motor des Fortschritts machen. Damit forderte er im Grunde genommen von denen, die über Vermögen verfügten, Opfer für das Gemeinwohl.
Er war sich jedoch klar darüber, daß das nie und nimmer ausreichen würde, um Neuerungen ins Leben zu rufen, die größere finanzielle Anstrengungen erforderten. Deshalb suchte er das Bündnis mit dem Bürgertum, mit den Kaufleuten und „Geldfürsten“ Wiens und Ungarns. In den 30-er und 40-er Jahren verkehrte er mit den jüdischen, griechischen und deutschstämmigen Händlerfamilien der Monarchie beinahe mehr als mit dem Mitgliedern des Adels, und dieser zumindest teilweisen Überwindung seiner Standesdünkel ist es zu verdanken, daß aus den meisten seiner Unternehmungen tatsächlich etwas wurde, – d.h., daß sie bestehen blieben.

Die DDSG hatte bei ihrer Gründung 1830 bereits mindestens 2 gescheiterte Versuche der Gründung einer Dampfschiffahrtsgesellschaft hinter sich. Nur dem Interesse der österreichischen Regierung an Einflußnahme auf die Donaufürstentümer und das Osmanische Reich, sowie der Bewerbung des Unternehmens durch Széchenyi in Ungarn ist es zu verdanken, daß der dritte Versuch nicht genau so endete wie die vorangegangenen.
Ob aus Patriotismus oder Gewinnsucht gegründet: Als Goldgruben erwiesen sich die AGs des Vormärz für ihre Gründer und Großaktionäre nicht. Als Salomon Rothschild 1851 aufgefordert wurde, die neu eingeführte Einkommenssteuer zu deklarieren und zu entrichten, versuchte er diesen Aderlaß u.a. mit dem Hinweis abzuwenden, er besäße Aktien der meisten Industrieunternehmungen der Monarchie und zahle daher indirekt ohnehin sehr viel Steuer.(1)

 

2.2. Die Aktionäre und die Aktien

Genauso wie die AGs aus verschiedenen Motiven gegründet wurden, wurden ihre Aktien aus verschiedenen Motiven gezeichnet. Es gab Aktionäre, die bessere Verkehrsverbindungen oder einheimische Geldinstitute wünschten und daher AGs zur Beförderung dieses Anliegens durch Aktienkäufe unterstützten. Die Beteiligung des kleinen Kaufmannes, der etwas Geld auf die Seite legen konnte und dieses dann waghalsig in Aktien investierte, sollte auch nicht unterschätzt werden. Vor allem dann, wenn er sah, daß die reichsten Leute der Monarchie, die Erfolgreichen, ebenfalls dieses Unternehmen für perspektivenreich hielten. So wußte Széchenyi, daß, sollte Sina von einer Sache Abstand nehmen, „mit ihm das Heer der Geldmänner“ ihr Interesse an der Sache verlieren würde.(2) Für diesen Typus von Aktionären war daher ein kräftiges Zugpferd vonnöten, das die guten Aussichten der Sache verbürgte.
Persönliche Faktoren, d.h. Verwandtschaft und Freundschaft, spielten ebenfalls eine Rolle: Széchenyi bewarb die DDSG so leidenschaftlich, daß auch seine Brüder und seine spätere Frau 1834 insgesamt 7 Aktien der DDSG zeichneten.(3)

Schließlich waren die Aktien auch Gegenstand der Spekulation. Auf diese verfielen jedoch oft Leute, deren Mittel äußerst gering waren und die sich von einer Investition in Aktien wahre Wunder erwarteten. Ein schönes Beispiel hierfür bietet der Schriftverkehr rund um den vom Staat konfiszierten Nachlaß des in Arad hingerichteten Honvéd-Generals Ernő Kiss: Dieser hatte durch einen Pester Händler 1100 Aktien der Gloggnitzer und 600 Aktien der Mailand-Comer Eisenbahn einkaufen lassen, deren Kurs damals auf 127%, später auf 120%(4) stand, und dafür diesem eine Schuldverschreibung über 958.204 fl. auf 3 Jahre ausgestellt. Der Pester Händler, Koppely, hatte die Aktien bei Wodianer deponiert und darüber selbst einen Kredit erhalten.(5) Dieser Kredit diente ihm wiederum dazu, die Aktien zu kaufen, da er ja von Kiss kein Bargeld erhalten hatte, sondern nur einen Schuldschein. Diese Form des Aktienkaufes, die später unter dem Namen „Kostgeschäft“ zu zweifelhaftem Ruhm gekommen ist, beruht auf der Illiquidität des Aktienkäufers, gepaart mit der Hoffnung auf Kurssteigerungen der Aktien. Wenn wir dieses Manöver genau betrachten, so stellen wir fest, daß eigentlich kein Bargeld in die Transaktion involviert war: Kiss kaufte die Aktien auf Kredit, den ihm Koppely eingeräumt hatte. Koppely vergab den Kredit mittels eines Kredites, den er von Wodianer erhielt, und Wodianer kreditierte Koppely gegen ein Pfand oder Deposit, das auf Pump gekauft worden war. Wenn an einer Stelle der Kredit aufgekündigt wurde, in diesem Falle durch den Tod des einen Beteiligten, so war damit die ganze Transaktion geplatzt, d.h., der Aktienkauf hatte praktisch nicht stattgefunden. Vom Standpunkt der AG hieß das: Der Gesellschaft war kein Kapital zugeflossen.

Diese Form der Spekulation wurde begünstigt durch die Modalitäten des Aktienkaufes, die wiederum der Kapitalarmut der Aktionäre Rechnung trugen: Die Aktien waren in Raten einzuzahlen, üblicherweise in solchen von 20% oder 25%. Die erste Rate war beim Aktienkauf zu entrichten, die anderen in ein- oder zweijährlichen Raten. So konnte es bis zu 10 Jahre dauern, bis eine AG das in den Statuten projektierte Stammkapital erreicht hatte. Und nicht nur das: Die regelmäßige Einzahlung der Raten war keineswegs eine Selbstverständlichkeit. Wenn ein neuer Einzahlungstermin heranrückte, so begann bei der Direktion der AG ein Zittern und Zagen, wieviele der Aktionäre ihre Rate einzahlen würden. Dieses Geld war nämlich meist schon verplant und wurde deshalb dringend erwartet, für Einkauf von Rohstoffen oder Bedienung von Krediten. Ging ein Teil des Geldes nicht pünktlich ein, so wurde die Frist verschoben und flehentliche Aufrufe in den Zeitungen gedruckt, doch bitte! die fällige Rate einzuzahlen. Oft wurden individuelle Moratorien verfügt. Das letzte Mittel, eine nur teilweise eingezahlte Aktie für verfallen zu erklären und neu zum Verkauf auszuschreiben, versuchten die Leiter der AG nach Möglichkeit zu vermeiden. Es wäre sehr schwierig gewesen, solche Aktien neu zu plazieren, vor allem hätte es dem Ruf der AG geschadet, wenn der solchermaßen geschädigte Aktionär verbreitet hätte, wer Aktien kaufe, riskiere sein gutes Geld. Das Einhalten von Fristen und das pünktliche Bedienen von Schulden war nämlich den Aktionären des Vormärz ebenso fremd wie darauf folgende rechtliche Sanktionen.

Während die AG einerseits um ihre Geldzuflüsse stets bangen mußte, war sie gleichzeitig gebunden, ihre Aktien jährlich fix zu verzinsen. Sie hatte also, ohne sichere Gewinne vor Augen und ohne sich auf die Einzahlung des Kapitals verlassen zu können, bereits jährliche fixe Geldabflüsse statutenmäßig festgelegt. Dies war der Preis dafür, überhaupt Geldkapital anziehen zu können: Die Aktien mußten sich mit fix verzinslichen Wertpapieren wie den Staatsanleihen messen. Während sich Versäumnisse in der Einzahlung des Aktienkapitals kaum nachteilig für den säumigen Zahler auswirkten, verursachten solche bei der fixen Zinszahlung durch die AG sofort eine Verschlechterung ihres Kredits, der sich im Sturz der Aktienkurse äußerte. Das war die Ursache für den staatlichen Beschluß zur Zinsengarantie bei denjenigen Unternehmen, an denen der Staat selbst ein gesteigertes Interesse besaß.
Ein wichtiges Datum war auch die Auszahlung der Dividende. Oft mußte die Generalversammlung einer AG bekanntgeben, daß es in diesem Jahr für die Dividende einfach nicht reichte, weil es keinen Gewinn gegeben hatte oder weil der Gewinn unbedingt in einen Reparatur- oder Reservefonds abgelegt werden mußte. Dann fielen die Kurse der Aktien sofort. Umgekehrt, wurde wider Erwarten eine Dividende ausgezahlt, so stiegen die Aktienkurse, und zwar beträchtlich. 1841 schlug Széchenyi sein Gutsverwalter Lunkányi vor, um 20.000 fl. Aktien der DDSG zu kaufen, „welche jetzt auf 510-515 fl. stehen, bei Auszahlung der kommenden Dividende ... auf 700-780 fl. steigen werden, und dann verkaufen wir sie wieder, wodurch wir ca. 8.000 fl. gewinnen werden.“(6)

 

2.3. Der Staat

Im Rahmen gewisser bescheidener Grenzen versuchte die Staatsverwaltung im Vormärz, so etwas wie Wirtschaftspolitik zu treiben. Immer auf die von Leere bedrohte Staatskasse schielend und von dem Prinzip »Gut wäre es schon, aber kosten soll es nichts« geleitet, versuchten die Politiker, gewissen Unternehmungen ihre Unterstützung angedeihen zu lassen. Das erste Unternehmen dieser Art war die DDSG. Ursprünglich auf rein private Initiative einiger Bankiers, vor allem Geymüllers, ins Leben gerufen, entdeckte die Staatsverwaltung diese Gesellschaft bald als ein Mittel der Erschließung des Orients für österreichische Waren und der Einflußnahme auf dem Balkan.

1833 genehmigte die Staatsverwaltung eine „bedeutende und vollkommen hinreichende Summe“(7) für die Regulierung der Stromschnellen beim Eisernen Tor. In diesem Jahr kaufte Metternich viele der Aktien der DDSG und sicherte sich dadurch eine Einflußnahme auf die Entscheidungen der Direktion. Als seinen Vertreter bei den Sitzungen der DDSG bestimmte er den ehemaligen österreichischen Botschafter in Stambul, Franz von Ottenfels.(8) In der Folge wurde auf diplomatischem Wege das Einverständnis des Sultans, der Hospodaren Moldaus und der Walachei und der serbischen Regierung eingeholt. Ottenfels vermittelte auch das erste wirklich profitable Geschäft der DDSG: Die Beförderung der Briefpost zwischen Smyrna (Izmir) und Stambul.(9) Die Donaudampfschiffahrtsgesellschaft machte also ihr erstes wirkliches Geschäft im Mittelmeer. In den 40-er Jahren geriet die Gesellschaft durch politische Veränderungen im Osmanischen Reich und eine allgemeinen Geldkrise in Europa finanziell ins Strudeln und wurde daraufhin der Hofkammer unterstellt, um ihr Fortbestehen zu garantieren. Dies hatte auch eine vollständige Änderung der Statuten von 1846 zur Folge.(10) Széchenyi kommentierte verbittert, die Dampfschiffahrt sei jetzt ganz in den Händen der Regierung gelandet.(11)

Bei den Eisenbahnen war die Vorgangsweise etwas anders. Nach dem ersten Aktienfieber Ende der 30-er Jahre und dem Eintreten der Finanzkrise 1840/41 war der Eisenbahnbau in Österreich grundsätzlich in Frage gestellt und die Regierung mußte handeln, wollte sie, daß es hierzulande überhaupt Eisenbahnen geben sollte. Am 23.12. 1841 erließ die Regierung daher den Beschluß zum Bau von Staatsbahnen. Das war zunächst nur eine Absichtserklärung, aus der von Regierungsseite gar nichts folgte. Das Vertrauen in die Aktien der Eisenbahngesellschaften stieg jedoch und ihre Kurse erholten sich leicht.(12)

Dieser generelle Beschluß gab der Regierung die Möglichkeit, sehr selektiv diejenigen Linien zu unterstützen, die sie selbst vom nationalen Standpunkt aus als wichtig ansah. Das war in erster Linie die Kaiser Ferdinand-Nordbahn, die die Verbindung Wiens mit Mähren und Galizien plante. An zweiter Stelle kam die Südbahn, bei der – zumindest von Seiten der Staatsverwaltung – die Verbindung mit Triest als Endziel ins Auge gefaßt wurde. Die Hilfestellung des Staates ist aktenmäßig nicht vollständig nachvollziehbar, aus verschiedenen Anzeichen läßt sich jedoch erschließen, daß die Nordbahn vor allem mit günstigen Krediten und mit staatlichen Transportaufträgen unterstützt wurde. Im Jahre 1842 z.B. erhielt Rothschild Kredit von der Nationalbank, um damit die Aktien der Nordbahn auf der Börse aufzukaufen.(13) Immer wieder beanspruchte die Nordbahn das Wechselescompte der Nationalbank, in deutlich geringerem Ausmaß wurde dies auch die anderen Eisenbahngesellschaften gewährt.(14)

Bei der Südbahn wurde der Staat als Bauherr erst bei der technisch anspruchsvollen und daher äußerst kostspieligen Überquerung des Semmering aktiv. Die Gloggnitzer Bahn befand sich aufgrund ihres hohen Passagieraufkommens in einer besseren Lage als die Nordbahn und war daher weniger auf staatliche Unterstützung angewiesen. Günstige Kredite verachtete ihre Leitung dennoch nicht: 1843 ermächtigte die Regierung auf Initiative Sinas (der wußte, daß die Sparkasse mangels Anlagemöglichkeiten Schwierigkeiten hatte, ihre Einlagen zu verzinsen) die Erste Österreichische Sparkasse, Vorschüsse auf Eisenbahnpapiere zu geben.(15)

Die Absichtserklärung von 1841 bezog sich in ihrer Allgemeinheit zwar auch auf die ungarische Reichshälfte, in Wirklichkeit aber war sie aus verschiedenen Gründen nicht für Ungarn vorgesehen. Ein Grund war, daß die Genehmigungen für Bau und Trassierung, Enteignung und Entschädigung der Grundbesitzer, usw. in die Kompetenz des ungarischen Reichstages fielen und daher die Entscheidungsgewalt nur in eingeschränktem Ausmaß den Wiener Behörden zukam. Der Eisenbahnbau in Ungarn wurde daher zu einem Objekt des den ganzen Vormärz hindurch währenden Souveränitätsstreites zwischen der Wiener Regierung und den ungarischen Ständen, ebenso wie die Geldinstitute, die Frage der Besteuerung, usw. Der Reichstag selbst erließ 1844 – auf Initiative der Betreiber der Zentraleisenbahn – einen Beschluß zur Gewährung einer Zinsgarantie für Eisenbahnbauten.(16) Dieses System der Zinsgarantie war vom Eisenbahnminister des deutschen Zollvereins, Friedrich List, empfohlen und von Metternich und dem Hofkammerpräsidenten Kübeck verworfen worden, mit der Begründung, daß es eine Belastung des Staatshaushaltes ohne wirkliches Mitspracherecht der Staatsverwaltung bedeute.(17) In Ungarn hingegen wurde es durch den Reichstagsbeschluß 1844 eingeführt.

Angesichts der Kreditkrise, die sich bereits 1846 ankündigte, erließ Kübeck gegen Jahresende einen Beschluß zum Ankauf von „Industriepapieren“, d.h. vor allem von Aktien der Eisenbahnen und der Schiffahrtsgesellschaften, durch den Tilgungsfonds der Nationalbank.(18) Dieser Fonds, der ursprünglich zum Ankauf und dadurch zur Verringerung der umlaufenden Menge des Papiergeldes gegründet worden war, bekam später noch andere kreditstabilisierende Aufgaben zugewiesen, so eben auch die Stützung der AGs.

Für Széchenyi präsentierte sich also folgende Lage am Anfang seiner politischen Laufbahn: Auf der einen Seite bahnbrechende Erfindungen und technische Neuerungen, die berufen waren, die Wirtschaft eines Landes zu revolutionieren, auf der anderen Seite Kapitalmangel, der die Umsetzung dieser Erfindungen zu vereiteln drohte. Wie er diese Kluft zu überbrücken plante, ist Gegenstand dieses Buches.

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(1) FA, PA 1449/1851

(2) Széchenyi 1/III, Brief an Rohonczy, 13.1. 1846

(3) Archiv der DDSG, Aktienbuch für die ersten 500 Aktien

(4) MOL, E 333, 5 csomó (Ernő Kiss), 16346/1850

(5) MOL, E 333, 5 csomó, 10505/1850

(6) Kiscelli, Széchenyi iratai, Brief vom 30.1. 1841, (lt. sz. 60.358.1)

(7) DDSG, Protokollbuch Nr.1, Sitzung vom 2.12. 1833

(8) DDSG, Protokollbuch Nr.1, Sitzung vom 31.1. 1834

(9) DDSG, Protokollbuch Nr.1, Sitzung vom 27.2. 1835

(10) DDSG, Protokollbuch Nr.2, Sitzung vom 2.3. 1845

(11) Széchenyi 2/VI, 6.3. 1846

(12) Strach, S. 195-196

(13) Glossy, Bd.1, S. 125-126

(14) Sitzungsprotokolle der Österreichischen Nationalbank, z.B. Sitzung 19/7.5. 1840

(15) Glossy, Bd.1, S. 180

(16) Strach, S. 204/205

(17) Strach, S. 196

(18) Glossy, Bd.2, S. 246

 

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