DIE ALBANISCHE ANARCHIE: EINE FUSSNOTE DER WELTPOLITIK

 

I. ALBANIENS ÜBERGANG ZUR MARKTWIRTSCHAFT

 

I.1. Das Ende des „Dritten Weges“: Ein Land ohne Freunde

Albanien galt lange Zeit als ein „Modell“-Land, sein Sozialismus zumindest als ein „Experiment“, das sich von dem Sozialismus der Warschauer Pakt-Staaten unterschied. Viele Freunde hat dieser „Sonderweg“ Albanien nie eingebracht: Für die imperialistischen Mächte, mit anderem Namen: den „Freien Westen“ war es strategisch und größenmäßig zu unbedeutend, um sich der Wertschätzung zu erfreuen, die Jugoslawien, China und eine Zeitlang auch Rumänien entgegengebracht wurde.
Die ehemaligen Bruderländer waren entweder sauer wegen verschiedener Striche, die ihnen die Regierung Enver Hodschas im Lauf der Zeit durch ihre Rechnung gemacht hatten, oder sie trieben gönnerhaft Handel mit Albanien, wohl wissend, daß sie sich die Unbotmäßigkeit der Albaner gegenüber ihrer Schutzmacht, der Sowjetunion, nicht leisten konnten und angesichts der an Albanien zu besichtigenden Folgen auch gar nicht leisten wollten.
Für Freunde eines alternativen Sozialismus wiederum fiel die albanische Variante etwas zu schäbig und beschränkt aus, um wirklich als rosa Hoffnungs-Wolke für „konkrete Utopien“ herhalten zu können. Die Ernährung des Volkes, ein paar Fahrräder, ein Stahlwerk und viele Eselskarren, ein kleiner Balkan-Diktator ohne Charisma – was ist das schon. Keine Sinnsprüche für alle Lebenslagen, keine aufregende Kulturrevolution, keine feschen Mulattinnen, keine karibische Exotik – und das noch bei 3 Millionen Einwohnern. Nein danke, da waren meisten Fans von „Dritten Wegen“ doch anspruchsvoller und verschenkten ihr Herz nicht leichtfertig an das kleine Balkanländchen.

Und großartig war es ja auch nicht, was die Partei der Arbeit Albaniens ihrem Volk über 40 Jahre lang geboten hat: Die Möglichkeit, im eigenen Land in relativer Ruhe zu leben, sich zu ernähren und zu kleiden und ihre Kinder in die Schule zu schicken. Leider keine Selbverständlichkeiten, sondern in Albanien tatsächlich „Errungenschaften“.

Andersartenden Gerüchten zufolge war der albanische Sonderweg keine archaische oder spinnöse Erfindung Enver Hodschas und seiner Getreuen, sondern eine Reaktion auf die Behandlung, die dieser Staat seit seiner Gründung erfahren hatte. Auch im Verkehr mit den sozialistischen Staaten mußten die albanischen Kommunisten einige herbe Enttäuschungen einstecken, die ihre nationalen Ambitionen, sogar den Bestand ihres Staates überhaupt, in Frage stellten. Immer wieder meinten ihre mächtigen Verbündeten, auf die wie immer gearteten Bedürfnisse eines solchen Mini-Landes keine Rücksicht nehmen zu müssen. Die albanische Führung hielt am Ideal der Völkerfreundschaft und Gleichberechtigung fest – und verabschiedete sich aus ihren Bündnissen.
Die albanische Führung unterhielt mit den meisten Staaten der Welt diplomatische Beziehungen, trieb Handel und wissenschaftlichen Austausch. Nur immer unter dem einen Vorbehalt: daß diese Beziehungen die Unabhängigkeit Albaniens nicht gefährden durften. Dieses Ideal der zwischenstaatlichen Beziehungen ist ein Dauerbrenner von Regierungsreklärungen und Sonntagsreden rund um die Welt – wenn jedoch eine Regierung damit wahrmacht und ihre Politik danach ausrichtet, so gilt das als der Gipfel des politischen Unverstandes und der kommunistischen Verblendung.

Soviel nur zur „Isolation“ Albaniens.

Dieses Beharren auf Souveränität nach außen ist nicht zufällig ein reines Ideal: Die imperialistischen Mächte, seit 45 unter Führung der USA, beanspruchen seit jeher die Verfügung über den Erdball, sie betrachten den Rest der Welt als potentielle Rohstoffquelle, Absatzmarkt, verlängerte Werkbank ihrer eigenen kapitalistischen Ökonomien. Die Souveränität der subalternen Staaten ist in diesem Weltbild nur als Garant der Botmäßigkeit eingeplant, deren Regierungen sollen den auswärtigen Zugriff von außen auf ihr Land und ihre Leute garantieren. Die Existenz der Sowjetunion und ihrer Verbündeten stellte daher jahrzehntelang ein Ärgernis erster Güteklasse dar: Diese Staatenwelt verschloß sich dem universalen Anspruch des internationalen Kapitals und seiner mächtigen Paten. Dieser unhaltbare Zustand ist nun gottlob vorbei und nun gibt es nur mehr die harte Realität der „One World“, in der nur zwei Dinge gelten: Geschäft und Gewalt.

Der albanische „Sonderweg“ endete mit dem Ende des Systemgegensatzes: Ausgerechnet das Abdanken der Sowjetunion, die von der albanischen Führung immer der Weltherrschaftsambitionen bezichtigt worden war, besiegelte auch das Schicksal Albaniens: Dessen Sonderweg beruhte nämlich auf der Existenz eines antiimperialistischen Staatenbundes; – mit dem Ende des zweiten Weges endeten auch alle dritten.

Die albanische kommunistische Führung reagierte auf die weltpolitischen Veränderungen als allererstes mit einer rein innenpolitischen Maßnahme, mit der Verkündigung der Religionsfreiheit. In Erwartung schwerer Zeiten dachte sie, die Gewährung des bewährten Opiums koste nichts und würde es der Bevölkerung leichter machen, leere Speisekammern zu ertragen. An der angespannten Lage änderte diese Maßnahme nicht viel: Die Devisen-Exporte Albaniens, vor allem Rohstoffe und Strom, gingen zurück, der Barter-Handel mit den ehemaligen RGW-Staaten bewegte sich gegen Null, die Importe konnten nicht mehr bezahlt werden, Versorgungsmängel traten auf.
Noch vor den ersten Wahlen 1991 erklärte die Albanische Partei der Arbeit ihre bisherige Politik zu einem Irrweg und beschloß die Aufgabe des „Isolationismus“, die Einführung der Marktwirtschaft und die Aufnahme von Krediten, die bisher verfassungsmäßig verboten war.
Die Wirtschaftskrise wurde dadurch eher befördert als gemildert. Die Bevölkerung Albaniens machte wechselweise die bisherige Regierung für alle Mängel verantwortlich oder versuchte, mehr spektakulär als erfolgreich, dem Land den Rücken zu kehren und bei ihren westlichen und südlichen Nachbarländern ihr Glück zu versuchen.

Sowohl Regierung als auch Volk waren also 1991 überzeugt: Die einzige Chance für Albanien liegt im Freien Westen!

Der einzige Rufer in der Wüste, – Ehre, wem Ehre gebührt –, war 1991 der Thronprätendent Leka, der sich sinngemäß ungefähr so äußerte: Der Westen hätte sich bisher um Albanien auch nicht gekümmert, warum sollte sich dies auf einmal ändern? (1)


I.2. Die Einführung des Privateigentums in Albanien

Als der inzwischen in der politischen Versenkung verschwundene Gründer der Demokratischen Partei und deren erster „Wirtschaftsexperte“, der auch die Aufnahme Albaniens in IWF und Weltbank verhandelt hatte, Gramoz Pashko, im Dezember 1991 verkündete: „In eineinhalb Jahren werden in Albanien bereits die Weichen für die Marktwirtschaft gestellt sein, … die völlige Umstellung der Wirtschaft wird mindestens 3 bis 5 Jahre dauern“(2) – so wurde dies als vielleicht etwas optimistische, aber auf jeden Fall Verheißung zum Besseren, verstanden. Eine irrige Ansicht: Es war eigentlich, nicht der Absicht, aber dem Inhalt nach eine Drohung, und sie wurde wahrgemacht: Von der alten Art des Wirtschaftens ist nichts mehr übrig in Albanien.
Die Landreform, d.h. die Zerschlagung der Kooperativen wurde noch unter der Regierung von Ramiz Alia eingeleitet: Die Bauern bekamen Land, eine Briefmarke zwar, aber dafür Privateigentum: „Die Kooperativen wurden in winzige Parzellen von etwa einem Hektar aufgeteilt“(3), die Tiere der Kooperativen an die Bauern verkauft. Genaueres über den Verlauf dieser Aufteilung ist nicht herauszubekommen, es wird wohl so zugegangen sein wie bei allen derartigen Landreformen der letzten Jahre von Böhmen bis China: Wer gute Beziehungen zum Bürgermeister oder Dorfvorsteher hat, bekommt besseres Land und eine bessere Kuh, der Rest muß nehmen, was ihm zugeteilt wird. Wer unzufrieden ist, bekommt eine auf den Deckel. In Albanien wird die Lage noch dadurch verschärft, daß von Haus aus nicht sehr viel zu verteilen ist. Man hört ja auch nebenbei, daß die Fälle von Blutrache in Albanien in neuerer Zeit wieder sehr zugenommen haben – das wird wohl sehr handfeste, mit dem neuen Zwang zur Bereicherung zusammenhängende Ursachen haben. Zum Spaß erschießen die Leute einander nicht, auch nicht in Albanien.

Zersplitterung des landwirtschaftlichen Grundes in der Myzeqe, der fruchtbaren Ebene südwestlich von Tirana.

Ein weiteres Nebenprodukt dieser Landreform war eine beachtliche Landflucht: Die Bevölkerung Tiranas hat sich seit 1990 fast verdoppelt – das bedeutet ein Anwachsen von Slumsiedlungen in einer Relation, vor der Sao Paulo oder Mexico City alt ausschauen.

Über den Stand der Produktion gab es in den letzten Jahren sehr widersprüchliche Meldungen, die sich aus der Erfolgspropaganda der Regierung zusammen mit den flüchtigen Impressionen ausländischer Journalisten ergaben, beides gepaart mit gründlicher Unkenntnis der wahren Situation. So wurde in ein und demselben Artikel der damalige Wirtschaftsminister Ruli mit der Aussage zitiert, der Rückgang der Industrieproduktion sei gestoppt und ein paar Zeilen später festgestellt, daß es eigentlich gar keine Industrieproduktion im Lande gebe.(4) Die Arbeitslosigkeit wurde wechselweise mit 30, 50 oder 80% angegeben, ähnliche Unstimmigkeit herrschte über die Höhe des Exports und Imports. Die einzige Einigkeit in allen Berichten bestand in dem Eingeständnis, daß die landwirtschaftliche Produktion den Inlandsbedarf nicht decke und daß die einzige Grundlage der albanischen Wirtschaft, genauer gesagt: des Geldumlaufs in Albanien, die Überweisungen der im Ausland arbeitenden Albaner – im Juni 1996 auf 400.000 geschätzt – waren. Im volkswirtschaftlichen Jargon ausgedrückt: „Ohne den freien Grenzverkehr hinüber in die griechische Provinzstadt Ioannina ist Südalbanien nicht entwicklungsfähig.“(5)

Einen guten Teil der Importe wiederum machten die ausländischen Hilfslieferungen aus, die dann teilweise über dunkle Kanäle in den Handel gelangten und für gute $ auf den diversen Märkten erworben werden konnten.

All dies brachte Albanien Lob von den internationalen Wirtschaftsexperten ein: „Laut der Weltbank erreichte das Wirtschaftswachstum 1993 11%, das ist die höchste Wachstumsrate unter den Oststaaten … IWF-Chef Camdessus zeigte sich bei seinem Besuch in Albanien mit der Performance zufrieden.“ (6)
Der Mangel an Erwerbsmöglichkeiten war entgegen allen Jubelmeldungen über den raschen „Aufschwung“ des Landes so umfassend, daß außer Auswanderung nur die Möglichkeit zu solchen Tätigkeiten blieb, die überall auf der Welt verboten sind und sich in Albanien als „Schattenwirtschaft“ fest etabliert haben: In Durres und Vlora wurden Barackensiedlungen für die Flüchtlinge aus aller Welt, die von Albanien in den freien Westen wollten, errichtet, und Schlepperorganisationen sorgten für den Weitertransport per Schnellboot nach Italien, 1995 für ca. 7.000 Schilling pro Person. (7) Mit weniger professionellen Seelenverkäufern sind andere Schlepper an der ganzen albanischen Küste an diesem Geschäft beteiligt.
Die nordalbanische Stadt Shkodër und die gesamte Grenzregion zu Restjugoslawien lebte während der Zeit des Jugoslawien-Embargos vom Benzinschmuggel. Das Benzin wurde z.B. nachts in Milchkannen und ähnlichen Gefäßen über den Shkodër-See nach Montenegro geschmuggelt. Auch die albanische Regierung soll sich an diesem lukrativen Wirtschaftszweig beteiligt haben, allerdings nicht mit Milchkannen: „Nach Schätzungen ausländischer Beobachter wurden im Jahre 1994 täglich rund 800.000 Liter Treibstoff illegal über die Grenze gebracht … mit Wissen staatlicher Stellen.“(8) Inzwischen ist der Handel mit Schrott die Haupteinnahmequelle dieser Region, und zwar in beide Richtungen: Albanische Laster liefern Schrott nach Montenegro; albanische Schlepper kaufen alte Schiffe in Montenegro, um mit ihnen Fluchtwillige für gute $ nach Italien zu bringen.
Im Süden wird großflächig Haschisch angebaut, seit 1993, als Griechen und Italiener die Samen einschmuggelten. (9) So kann man auch mit kleinen Parzellen noch Devisen an Land ziehen! Eine „Aktion Scharf“ der italienischen Polizei erbrachte im Mai dieses Jahres die Beschlagnahmung von aus Albanien stammendem Marihuana mit einem Wert von 34 Mill. $. (10) Angeblich sollen auch Koka-Pflanzen in Albanien angebaut werden. (11)
Sonst werden über Albanien Güter verschoben, deren Handel in anderen Staaten problematisch ist: Waffen, gestohlene Autos, Diebsgut aller Art … Auch für Geldwäsche ist Albanien eine heiße Adresse. Diese Art von Wirtschaft fördert den Zerfall des Staates: Um solche Geschäfte machen zu können, braucht man Bewaffnung und Todesverachtung, aber weder Schulen noch Steuereintreiber, weder ein nationales Zahlungsmittel noch eine Polizei. Für die Regelung der hieraus entstehenden Rechtsstreitigkeiten eignet sich das Faustrecht besser als eine Justiz mit mehreren Instanzen, Stempelmarken und Fristen. Albanien hat seit 1995 ein neues Strafrecht mit drakonischen Strafen: Angewendet wird es relativ selten, weil die meisten darin definierten Verbrechen gar nicht vor die Gerichte kommen. Ganz verkehrt ist hier das Deuten auf die albanische Tradition als Grund dieser urtümlichen Rechtsauffassung: Wenn die Albaner nicht schon ein passendes Gewohnheitsrecht gehabt hätten, so hätten sie es jetzt geschwind erfinden müssen!

 

I.3. Die Parteienkonkurrenz

Die Demokratische Partei Albaniens, die bei den Wahlen im Frühjahr 1992 unter tumultartigen Verhältnissen und dem fast völligen Zusammbruch der Wirtschaft an die Macht kam, bekennt sich eindeutig: „Die DP ist die erste antikommunistische Partei, die in Albanien nach 50 Jahren Diktatur gegründet wurde.“ (12) Es wäre daher falsch, dieser Partei wegen ihrer nicht zimperlichen Methoden mangelndes Demokratieverständnis vorzuwerfen. So lautet eben ihr Demokratieverständnis: Demokratie ist Antikommunismus.

In Albanien selbst hat die DP ihre Methoden den Verhältnissen angepaßt. Zunächst bediente sich Sali Berisha für die Beseitigung politischer Gegner der ihm sehr willfährigen Justiz. (Das kommunistische Albanien besaß kein Justizministerium und keine der unsrigen vergleichbare Rechtspflege. Der Aufbau eines Justizwesens wurde erst nach der Wende in Angriff genommen, die frisch ernannten Richter fühlen sich ihrem Brotgeber sichtlich sehr verpflichtet.)
Die wichtigsten Köpfe der ehemaligen Partei der Arbeit: die Witwe Hodschas, der letzte Präsident und der letzte Ministerpräsident Albaniens, Ramiz Alia und Fatos Nano, wurden in den Jahren 1993 und 1994 – wegen Machtmißbrauch und Unterschlagung – verhaftet bzw. vor Gericht gestellt und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Wegen Spionage und illegalem Waffenbesitz wurden 1994 fünf Parlamentsabgeordnete der griechischen Minderheitenpartei „Omonia“ verurteilt. Dazu und daneben gab es Anti-Korruptions-Kampagnen in der Partei, bei denen sich Berisha unliebsamer Kritiker oder Konkurrenten um die Macht ebenfalls durch Verhaftung und Verurteilung entledigte. Journalisten, die die Maßnahmen der DP kritisierten, wurden verhaftet, bedroht oder zusammengeschlagen, die Redaktionen unliebsamer Zeitungen mit richterlichem Befehl zeitweise geschlossen, ihre Lieferfahrzeuge beschlagnahmt. Durch die fest in der Hand der DP befindlichen Medien Radio und Fernsehen wurden Kritiker der DP als Agenten Serbiens verleumdet. Daneben fanden in einem fort Verfahren gegen Leute statt, die sich seinerzeit angeblicher „Verbrechen gegen die Menschheit“ schuldig gemacht hatten, und gegen Personen, die noch immer die inzwischen für verfassungsfeindlich erklärte kommunistische Propaganda trieben. So sorgten Berisha und seine Mannschaft für die politische Stabilität, für die sie von ausländischen Institutionen gelobt wurden. Bei einem Referendum zur Annahme einer neuen Verfassung, die das Präsidentenamt noch mehr stärken sollte, erlitt die DP einen ersten Rückschlag: Die Mehrheit der Wähler sprach sich dagegen aus. Dann kamen die Wahlen des Jahres 1996.

Wahlen sind in Ländern desjenigen Status, zu dem sich Albanien inzwischen hingearbeitet hat, nicht normale Konkurrenzveranstaltungen um die Staatsmacht, deren Zwecke unabhängig von den jeweiligen Parteien mehr oder weniger feststehen – so wie das in den Heimatländern des Kapitals und der Demokratie üblich ist. In Staaten wie Albanien müssen die politischen Chefs periodisch bei Wahlen beweisen, daß sie ihr Land und ihre Leute unter Kontrolle haben und daß sie weiterhin als Ansprechpartner brauchbar sind. Erst wenn ihre Gönner im Ausland bestätigt haben, daß sie die Wahlen – mehr oder weniger „den demokratischen Spielregeln gemäß“ – gewonnen haben, werden sie als „vertrauenswürdig“, eingestuft, ihr Land als „stabil“, und sie können wieder auf Kredite, Militärhilfe und anderes hoffen.

Die Demokratische Partei war entschlossen, diesen Vertrauensbeweis zu liefern. Mit Ausschluß diverser Oppositionspolitiker und dem rücksichtslosen Einsatz von Polizei und Geheimpolizei verunmöglichte sie den Wahlkampf der Opposition, verhaftete am Vorabend des Wahltages die wichtigsten Oppositionspolitiker, bedrohte Wähler und Wahlhelfer und fälschte das Wahlergebnis nach Kräften. So feierte die DP einen „Erdrutschsieg“ und erlangte 122 der 140 Parlamentssitze.
Die OSZE und die US-Administration stießen sich ein wenig an diesen Vorkommnissen und empfahlen eine Wiederholung der Wahlen. Die albanische Regierung, in korrekter Einschätzung der Lage, schlug diese Ermahnungen in den Wind. Einige Monate später war Gras über die Sache gewachsen und die Regierung der DP als Faktum hingenommen.
Einerseits ist das alles nichts besonderes: Genauso wird auch in Kolumbien, in Kenya oder in Pakistan gewählt, und so werden Regierungen aufgrund von Wahlen als legitimierte anerkannt. Andererseits ist jede Wahl in einem postkommunistischen Land ein Präzedenzfall und wird genauer unter die Lupe genommen. Der Grund dafür ist die Erinnerung, daß diese Länder noch nicht lange zum Freien Westen gehören und daß angesichts der verheerenden Folgen der Integration in die Weltwirtschaft schon dem einen oder anderen Politiker der Gedanke an eine neuerliche „Desintegration“ kommen könnte. Wahlen zeigen an, in welchem Ausmaß eine solche Politik bei den Bürgern des betreffenden Landes populär ist.
In dieser Hinsicht gab es in Albanien wenig zu befürchten: Als Ergebnis auf die Wahlniederlage forderte der (damals im Gefängnis befindliche) Führer der Sozialisten, Fatos Nano, der Partei ein „europäischeres“ Profil zu geben und alle Hinweise auf Marxismus aus dem Parteiprogramm zu streichen. Dieser Vorschlag wurde von der Partei im August 1996 angenommen. (13)

 

I.4. Das außenpolitische Programm der albanischen Demokraten: Anschluß an die NATO

Die DP hat es sich zum Anliegen gemacht, sich auch auf außenpolitischem Gebiet von der zurückhaltenden Politik der früheren Führung Albaniens zu veranschieden und eine „aktive“ Außenpolitik zu treiben. Den Versuchen, sich mit Berufung auf die außerhalb der Grenzen lebenden albanischen Minderheiten in die Belange Restjugoslawiens und Mazedoniens einzumischen, sind jedoch am Willen der weltpolitisch tonangebenden Mächte Grenzen gesetzt: In Mazedonien wacht ein sehr US-lastiges UNO-Kontingent über die territoriale Integrität des Landes, und auch die Destabilisierung Restjugoslawiens steht heute weniger denn je auf dem Programm der NATO und der EU. In dem in den Jahren 1994 und 95 vom Zaun gebrochenen Streit mit Griechenland mußte Albanien klein beigeben, da die in Griechenland jobbenden Albaner, wie bereits erwähnt, das wirtschaftliche Rückgrat Albaniens ausmachen und die massiven Ausweisungen von Albanern durch die griechische Regierung sich als wirkungsvolles Druckmittel erwiesen. Inzwischen ist diese Front weitgehend aufgelöst und die albanische Regierung hat Griechenland als Verbündeten und Pforte für einen Beitritt in die NATO entdeckt.
Auf ein gutes und möglichst nahes Verhältnis zur NATO konzentrierten sich in den letzten Jahren die Bemühungen der albanischen Regierung. Hochrangige NATO-Militärs gaben sich in Tirana die Klinke in die Hand. Von den USA erhielt Albanien ausrangiertes Gerät aus den Beständen der in der BRD stationierten US-Truppen. Auch von Frankreich und Deutschland erhielt Albanien Zusagen für die Lieferung von Ausrüstung. Mit den meisten NATO-Staaten wurden bilaterale Verträge geschlossen. Albanische Soldaten wurden in den USA trainiert, im Rahmen von „Partnership for Peace“ wurden multinationale und bilaterale Manöver in Albanien abgehalten. Die US-Flugzeuge für den letzten entscheidenden Luftangriff gegen die serbischen Stellungen in Sarajevo stiegen aus Albanien auf, und mit den Deutschen zusammen hat Albanien inzwischen ein 40-Mann-IFOR-Kontingentchen in Zadar stationiert.
Zunächst ist diese militärische Kooperation Albaniens nur eine Fortsetzung des auf allen Gebieten praktizierten bedingungslosen Anschlusses an die westliche Welt. Darüberhinaus soll sie auch Ersatz und Kompensation für das ökonomische Desinteresse sein, das Albanien bisher erfahren hat. Für vermutlich nicht allzuviel Geld hat Albanien die Schürf- und Prospektierungsrechte für seine 2 Rohstoffe, Chrom und Erdöl, verkauft. Ein paar italienische Firmen lassen in Albanien Textilien herstellen, eine österreichische Firma hat ein Hotel gebaut. Das Interesse an Albanien ist äußerst gering: Ein kleiner Markt, geringe Kaufkraft, keine Infrastruktur – was soll der westeuropäische Unternehmer dort? Billig sind die Arbeitskräfte woanders auch. Also setzte die albanische Regierung auf die letzte ihr verbliebene Karte und versuchte ihre geographische Lage in politisches Gewicht und im Gefolge dessen in wirtschaftliche Hilfe umzumünzen. Daß der Erfolg bescheiden ausfiel, liegt in der Natur der Sache.

 

I.5. Die Pyramidenspiele: Keine Besonderheit Albaniens

Nachher hat es jeder gewußt: Das konnte ja nicht gutgehen! Angeblich gab es schon seit dem Vorjahr Warnungen an die Regierung, etwas gegen die Sparpyramiden zu unternehmen. Komisch, offiziell hatte das 1996 ganz anders geklungen: „Albaniens Wirtschaft ist die am schnellsten wachsende in ganz Europa … die Wirtschaft ist im Vorjahr um 11% gewachsen, … die jährliche Inflation betrug nur 6%.“(14)

Selten tritt so offenkundig zutage, wie sehr solche Wachstumszahlen in postkommunistischen Ländern nur die Bereicherung irgendwelcher Subjekte messen und in keinem wie immer gearteten Verhältnis zur tatsächlichen Produktion eines Landes stehen. Für die angebliche „Naivität“, derer die Albaner jetzt geziehen werden, ist ihnen im Vorjahr von allen möglichen „Experten“ auf die Schulter geklopft worden.

Die Sparpyramiden sind dabei keineswegs eine Besonderheit Albaniens. In anderen Ländern heißen solche Sparvereine „Banken“, das Verfahren, das Geld der Bürger zu attrahieren, heißt in vielen osteuropäischen Ländern „Kuponprivatisierung“ oder „Anteilsscheine“. Gemeinsamen ist allen diesen Vereinen, daß sie das Geld der Einleger einsammeln und dadurch in einer Hand konzentrieren. Durch Verleihen an Unternehmer, die es gewinnbringend investieren, verwandeln sich dadurch die unproduktiven Spargroschen der kleinen Leute in Kapital. So funktioniert zumindest eine Bank in unseren Breiten – in den Heimatländern des Kapitals. In Osteuropa hat dieses System den Haken, daß es eine gewinnbringende Produktion nicht oder fast nicht gibt. Wenn Banken daher Geld verleihen, so schlägt sich dieser Kredit nur zu oft später als „fauler“, d.h. uneinbringlicher Kredit zu Buche. Die Schuldner, ungarische Bauern oder tschechische Kombinate, können den Kredit nicht zurückzahlen, sie können oft nicht einmal die Zinsen bedienen. Dann gibt es entweder einen Bankenkrach, oder die betroffene(n) Bank(en) werden über Finanzspritzen durch die Regierung gestützt – mit stiller Duldung des IWF, der weiß, daß mit der Fiktion eines nationalen Kreditwesens auch das ganze Potemkinsche Dorf des „Übergangs zur Marktwirtschaft“ in sich zusammenfallen würde. Der Kreditsektor postkommunistischer Staaten hängt in der Luft, er stützt sich nicht auf eine mehr oder weniger profitable Produktion, sondern auf in- und auswärtige Garantien, Standby-Kredite, Konsolidierungsanleihen, und ausländische Investoren, die wiederum auf diese Garantien spekulieren. Gleichzeitig ist er aber auch der wichtigste Sektor der Bereicherung: der Sumpf, in dem die neue Unternehmerklasse entsteht. Im Schaffen von privaten oder halbstaatlichen Wertpapieren, im Handel mit solchen oder mit Staatsanleihen werden Vermögen geschaffen, die zum Ärger der Regierungen dann – aus den oben geschilderten Gründen – meist nicht im Land investiert, sondern auf ausländische Konten verschoben werden. So entstehen die „Neuen Menschen“, die ost- und südosteuropäischen Neureichen.

So war es auch in Albanien. Die teilweise bestätigten Vorwürfe der Opposition, die Regierung hätte die Pyramiden-Betreiber gedeckt, und diese hätten dafür den Wahlkampf der DP finanziert, lassen sich daraus leicht erklären: Die Pyramiden-Betreiber waren eben die albanischen Unternehmer, die Regierung wollte eine Klasse von Kapitalisten schaffen, natürlich mußte sie deren Geschäfte decken. Was hätte sie denn anderes tun sollen, die vom IWF so belobigte Demokratische Partei! So sieht nämlich die Einrichtung des Privateigentums in einem Land aus, in dem vorher alles dem Staat gehörte: Ein paar Leute werden reich, der Rest verelendet. Probleme gibts erst dann, wenn diese sich das nicht gefallen lassen, – wie in Albanien.

 

II. UNRUHE IM NEUEN HINTERHOF: Der Aufstand und seine Folgen

Als der Volkszorn über die großflächige Enteignungsaktion, die der Zusammenbruch der Pyramidengesellschaften bedeutete, immer mehr eskalierte, wendeten die Demokraten zunächst die weltweit bewährten Mittel für solche Situationen an: Versprechungen auf etwaige und teilweise Entschädigung der Geprellten wechselten sich mit Drohungen ab. Berisha tat die Rebellion als Verschwörung dunkler Kräfte ab, und bezichtigte die Sozialistische Partei und die albanischen Zeitungen des Schürens der Unzufriedenheit. Auf Drohungen des Auslandes, ihm die Unterstützung zu entziehen, erließ er eine Amnestie und bildete eine Koalitionsregierung mit den Sozialisten.

Als Vorkämpfer des Aufstandes präsentierte sich die Stadt Vlora, die von den internationalen Medien 1991 und 1992 als „weltoffenste“ Stadt Albaniens gefeiert worden war, weil sie sich damals als Bastion der Demokratischen Partei präsentiert hatte. Die von der DP gestellte Stadtverwaltung Vloras lehnte am 11.2. die Verhängung des Ausnahmezustandes über Vlora ab, einige Tage später forderte der Bürgermeister von Vlora den Rücktritt der Regierung Berisha. (15) Versuche, als loyal eingeschätzte Polizeitruppen und Freiwillige aus Nordalbanien gegen die Aufständischen von Vlora einzusetzen, (16) endeten mit deren raschem Frontwechsel auf die Seite der Aufständischen. Schließlich erwies sich, daß die Polizei, die sich während des Wahlkampfes von 1996 sehr um die Sache der DP bemüht hatte, und das Militär, von dem der Verteidigungsminister im Jänner versprochen hatte, „es würde nie gegen das Volk eingesetzt werden“, sich tatsächlich weigerten, gegen die Bevölkerung vorzugehen: Die Verhängung des Ausnahmezustandes am 2.3. und die darauf folgende Volksbewaffnung im ganzen Land beendete endgültig jede staatliche Autorität in Albanien, und führte der Weltöffentlichkeit vor Augen, daß die Regierung Sali Berishas in Albanien selbst keinerlei Unterstützung mehr hatte.

Seitdem hat es in der ausländischen Presse einige Versuche gegeben, der Leserschaft den unerhörten Umstand zu erklären, daß die Bevölkerung eines Landes sich relativ geschlossen gegen die Regierung wendet und die Armee sich auf die Seite der Aufständischen stellt. Von den Besonderheiten Albaniens war da die Rede, von Räuber-Traditionen und Stammes-Gegensätzen. Die Linguistik und die Historie wurden bemüht. Im österreichischen Fernsehen wurde sogar die rhetorische Frage gewälzt, ob es nicht ein Fehler Groß-Österreichs gewesen sei, diesen Staat 1913 – zur Schwächung Serbiens – zu gründen. Besonders beliebt wurde die Strapazierung eines angeblichen Gegensatzes zwischen „Norden“ und „Süden“ Albaniens. Der Süden sei irgendwie stärker dem Kommunismus verfallen gewesen, hieß, das sei nun wieder hervorgebrochen. Im Norden sollen sie irgendwie altmodischer sein. Und übrigens: Sie reden ganz verschieden!
Abgesehen davon, daß die beiden Sprachgruppen sich in den entscheidenden Momenten sehr gut verständigt haben, sei an einige Fakten im Zusammenhang mit dem albanischen Aufruhr erinnert: Der erste Zusammenbruch einer Pyramidengesellschaft fand Ende 1996 in Shkodër statt, von da ab begleiteten Meldungen über Demonstrationen in dieser Stadt die Berichterstattung über Albanien. In Peshkopia zündeten Demonstanten am 27.1. 1997 das Rathaus an und attackierten die Polizeistation. (17) Im März plünderten Aufständische Armeedepots in Kukës und Bajram Curri, 2 Tage später forderten ähnliche Aktionen in Shkodër mehrere Tote und Verletzte. (18) Versuche, im Norden Freiwillige zur Rückeroberung des Südens anzuwerben, schlugen fehl. (19) Auch Shkodër hat sein selbsternanntes „Bürgerkomitee“ und auch von dort werden regelmäßig Schießereien gemeldet. Daß man vom Rest der Region wenig hört, liegt daran, daß das, was in der albanischen Provinz geschieht, sowieso niemanden interessiert, nicht erst seit dem Aufstand.
Es kann daher nicht stimmen, daß die Bewohner Nordalbaniens der Regierung loyal gegenüberstehen und den Rebellen im Süden gegenüber feindselig eingestellt sind. Der „regierungsfreundliche Norden“ scheint eine Erfindung der DP zu sein, die damit ihre Position in Albanien stärker darstellen will als sie wirklich ist. Deswegen werden OSZE-Beauftragte und auch Fino selbst von Berisha und seiner Prätorianergarde seit Wochen davon abgehalten, den Norden zu bereisen – sie könnten dabei herausfinden, daß auch in Nordalbanien kein Hahn mehr nach der DP kräht.
Schließlich bleibt noch der Südosten des Landes übrig, aus dem zwar keine Aufstände gemeldet wurden, aber von da scheint auch niemand Unterstützungsadressen nach Tirana geschickt zu haben.

Die Gründe für das Desinteresse an einer Wiederherstellung der staatlichen Autorität sind in Norden und Süden gleich: Eine Ökonomie, die auf Subsistenz, Schmuggel und anderen illegalen Geschäften beruht, bedarf keiner Staatsmacht. Alle bisher gehegten Hoffnungen der Bevölkerung, daß sich in Albanien andere Formen des Erwerbes entwickeln könnten, sind durch die Ereignisse um die Pyramidenfirmen endgültig praktisch dementiert worden. Die einzige Alternative zur selbstverwalteten Raub- und Schmuggelwirtschaft – hauptsächlich für die Kassen der italienischen Mafia – besteht in der Flucht, zu der die Albaner immer wieder verzweifelte Versuche unternehmen, auch angesichts des Risikos, ihr Leben vorzeitig im adriatischen Meer zu beschließen.

 

III. DIE KÖNIGSMACHER AUS DER EU

III.1. Alte und neue Marionetten-Könige

Viel Einfluß ist der albanischen Regierung also nicht geblieben: Territorial „kontrolliert“ sie mit Hilfe der internationalen Truppen ungefähr Tirana, Durres und die Gegend zwischen diesen beiden Städten. „Kontrollieren“ heißt: Dort werden Regierungsvertreter nicht beschossen, wenn sie zwecks Wahlwerbung vorbeischauen. In Tirana und Durres gilt die Ausgangssperre und die Pressezensur, die mit dem Ausnahmezustand verhängt wurden, die Parteienkonkurrenz spielt sich auch weitgehend in diesen beiden Städten ab, und das wird die Einflußzone sein, über die der zukünftige Wahlsieger gebietet.

Den Einsatz ausländischer Truppen haben der neuernannte Premierminister Fino am 13. März, einen Tag später Berisha selbst gefordert. Nach einigen Bedenken hat auch der Führer der Sozialisten, Fatos Nano, einen Monat später versichert, eine ausländische Intervention hätte „seine vollste Unterstützung“.(20) So eine Aufforderung ist eigentlich für jeden Politiker, ob Regierung oder Opposition, ein Offenbarungseid: Er gesteht damit ein, daß er nicht imstande ist, seine Souveränität über das von ihm regierte Land selbst herzustellen und zu bewahren und daß sein Amt daher jeder Grundlage entbehrt. Die albanischen Politiker gehen bei diesem Ruf nach ausländischer Militärhilfe von der realistischen Einschätzung aus, daß sie über keine Mittel mehr verfügen, die Oberhoheit über ihr Territorium selbst herzustellen. Angesichts solcher Zustände ist es begreiflich, daß der Nachkomme des Königs sich auch wieder Chancen auf den albanischen Thron ausrechnet. Die schmeichelhafte Beschreibung der Herrschaft seines Vaters entbehrt nicht gewisser Parallelen mit den heutigen Perspektiven Albaniens: „Die inneren Stützen dieses Regimes bildeten die einheimischen reaktionären Klassen: das kaufmännische Großbürgertum … Stammeshäuptlinge … Da sich die an der Macht befindliche Zogu-Clique nicht sicher fühlte, suchte sie bei den imperialistischen Staaten Hilfe … Zogus Politik öffnete den ausländischen kapitalistischen Mächten Tür und Tor …“ , usw.(21)
Eine völlige Besetzung Albaniens, d.h. die Übernahme der dortigen Staatsgeschäfte durch eine oder mehrere ausländische Mächte, ist jedoch aus weiter unten angeführten Gründen nicht vorgesehen. Das heißt aber, daß eine Staatsmacht im eigentlichen Sinne dort auch nicht mehr zustandekommen wird. Wer immer die Wahlen, sofern sie überhaupt stattfinden, gewinnt, ist dann aber nach außen anerkanntes Oberhaupt des Staates und damit Empfänger und Verteiler von Krediten, Militärhilfe und Hilfssendungen. Das ist die Basis, auf die sich ein künftiger „Staatsmann“ Albaniens einrichtet: Vom Ausland alimentierte Marionette mit dem Titel „Präsident“ bzw. „Minister“ Albaniens. Bei der prekären Einkommenssituation in Albanien ein sehr erstrebenswerter Posten, um den es sicherlich ein heftiges Gerangel geben wird.

 

III.2. Die europäischen Ordnungs-Hersteller

Als die Freie Welt nach dem Ende des „Ostblocks“ immer lauter die „Öffnung“ Albaniens forderte, so war das nicht deswegen, weil es in Albanien besonders wichtige Dinge gegeben hätte, an die irgendein deutscher oder US-Konzern unbedingt herankommen wollte. Die Zeiten, als albanisches Erdöl und andere Rohstoffe einen Anziehungspunkt für ausländisches Kapital bedeuteten bzw. für europäische Staaten kriegswichtig waren, sind lange vorbei. Es war eben nur der Anspruch, daß keine Regierung der Welt sich dem Eindringen des internationalen Kapitals und den von den imperialistischen Staaten gesetzten Bedingungen verschließen dürfe.
Daß dort jetzt Chaos herrscht und es drunter und drüber geht, stört vergleichsweise weniger. Ähnliche Zustände wie in Albanien gibt es ja auch in Afghanistan, Liberia, Somalia und einer Reihe anderer Staaten. Die etwaig stattfindende Benützung eines Landes leidet darunter kaum: Wie man hört, ist der Abtransport der Rohstoffe aus Angola oder Zaire durch Bürgerkrieg ja auch nicht nennenswert behindert worden.
Klar ist aber auch: Zuschauen und die Albaner die Sache unter sich ausstreiten zu lassen, das geht auf keinen Fall, sondern die EU meldet Zuständigkeit an. Schließlich möchten die EU-Staaten immer noch den Balkan zu ihrem neuen Hinterhof machen, und nicht nach Bosnien und Mazedonien eine dritte Schlappe durch die USA einstecken, die ihnen da eine Nasenlänge voraus sind. Es geht also um die Demonstration: Wir sind Herren der Lage! und: In Albanien geschieht nichts, was wir nicht wollen!
Einmischung ist also angesagt, aber zu welchem Zweck? Was will man dort eigentlich? Das ist das Problem der OSZE-Mission und der Operation Alba: Es ist jedem klar, daß die Wahlen, die die ausländischen Truppen ermöglichen und sichern sollen, das Problem nicht lösen, sondern nur wieder neue Rechtstitel auf Einmischung liefern können. Andererseits ist Albanien viel zu unwichtig, um eine richtige multinationale Besatzungsarmee hinzuschicken. Eine Kolonisierung Albaniens, also eine Einverleibung ins eigene Staatsgebiet, wie sie Italien 1939 vorgenommen (und wie es die BRD vor einigen Jahren mit der DDR gemacht) hat, würde jedoch derzeit von den keinem europäischen Staat geduldet werden.
Italien und Griechenland sind an Grenzsicherung interessiert, um sich vor Flüchtlingsströmen zu schützen, und haben deshalb auch gleich die „Sicherung“ der Häfen von Vlora und Durres übernommen. Bei der Überwachung der mazedonischen Grenze helfen Mitglieder des in Mazedonien stationierten UN-Kontingents. Griechenland forderte im Mai die Stationierung ausländischer Soldaten auf der albanischen Seite der gemeinsamen Grenze. (22)
Die Rolle Italiens, das rund 3.000 Soldaten – mehr als dreimal so viel als jeder andere Staat – nach Albanien geschickt hat, wird von den anderen EU-Staaten mit scheelen Augen betrachtet und als Anmaßung angesehen. In Italien selbst gibt es einen Kampf zweier Linien, deren eine die Truppenstationierung in Albanien als kostspieliges Abenteuer mit ungewissem Ausgang ansieht, die dem Ruf Italiens mehr schadet als nützt. Die andere betont die historische Chance, außerhalb der Grenzen militärische Autorität geltend zu machen und zumindest an dieser kleinen Front Führungsqualitäten zu beweisen. (23) Der italienische Botschafter Foresti wurde aus Tirana abberufen, nachdem dieser versucht hatte, durch persönliche Einflußnahme auf die DP die Einigung der albanischen Parteien bezüglich der im Juni abzuhaltenden Wahlen zu torpedieren. (24) Österreichs Beitrag zur Krisenlösung, der abgehalfterte Bundeskanzler Vranitzky, der die OSZE-Delegation anführt, dementierte den Optimismus bezüglich der Wichtigkeit der Wahlen mit der Forderung, das Mandat der ausländischen Truppen für die Zeit nach den Wahlen zu verlängern. Die Unklarheit über das in Albanien zu Vollbringende heizt zwar einerseits die Konkurrenz der beteiligten (und auch die der unbeteiligten) EU-Staaten an. Griechenland will bei Albanien mitreden; die Türkei will zeigen, daß sie auch in Europa Interessen hat; Frankreich entdeckt den Balkan als Einflußsphäre; Rumänien will sich für die NATO qualifizieren. Für all diese Absichten ist Albanien zwar Anlaß, aber eben nicht Ziel, und so will sich auch kein Land so recht in Albanien „engagieren“ – deswegen wird dann doch wieder Italien das Feld überlassen. Dieses lauwarme Hin und Her wird sicher noch einige Fortsetzungskapitel liefern. Auch eine Einmischung der USA ist nicht auszuschließen, mit ähnlichen Resultaten übrigens.


IV. EIN VERGLEICH: DAS KLEINE ALBANIEN UND DAS GROSSE RUSSLAND

Anläßlich des albanischen Aufstandes werden viele osteuropäische Politiker von leichten Beklemmungen befallen worden sein. In allen postkommunistischen Staaten wird es dezente Überprüfungen der Sicherheit der Waffendepots und der Stimmung in der Armee gegeben haben.

Die „Izvestija“ ergänzte ihre Berichterstattung über Albanien am 4. März 1997 mit einer Kolumne mit dem Titel: „Ist auch in Rußland die albanische Variante möglich?“ Mit leichter Ironie über die selbstverständlich auf der Hand liegende Unvergleichlichkeit der psychischen Einstellung der Bevölkerung Albaniens und derjenigen Rußlands erinnert der Schreiber daran, daß letztere genug Gründe hätte, ihre Regierung nach albanischem Vorbild zum Teufel zu jagen: Die betrügerische Finanzpyramide Sergej Mavrodis, die einige Millionen Russen um ihre Ersparnisse gebracht hat; das Einfrieren der in den Sparkassen deponierten Sparguthaben durch die russische Regierung selbst; das in Rußland inzwischen übliche monate-, manchmal sogar jahrelange Nicht-Zahlen der Gehälter und Pensionen; schließlich geschobene Wahlen und eine Regierung, die jeder aufrechte Russe verachten muß. Der Unterschied zwischen Albanien und Rußland, so der Schluß des Verfassers, muß daher im subjektiven Faktor liegen: „Man kann unseren Führern zu solchen Untertanen nur gratulieren, die Untertanen selbst sind allerdings weniger zu beglückwünschen.“

Einen anderen Unterschied gibt es freilich auch noch: Rußland verfügt immer noch über ganz andere ökonomische und militärische Potenzen als das Land der Skipetaren, ein russischer Volksaufstand hätte daher eine andere weltpolitische Dimension.

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(1) Aus seiner Rede auf dem außerordentlichen Kongreß vom Jahresende 1990, zitiert nach: HVG – Heti Világgazdaság, xxxxxUngarische Wochenzeitung, 5.1. 1991

(2) HVG, 30.3. 1991

(3) HVG, 7.12. 1991

(4) Salzburger Nachrichten, 5.4. 1993

(5) Salzburger Nachrichten, 30.4. 1993

(6) Bashkim Fino, damals noch Bürgermeister von Gjirokastër, über die „Zukunftsperspektiven“ seiner Region, in: Presse, xxxxx21.9. 1994

(7) Presse, 12.11. 1994

(8) Neue Zürcher Zeitung, 25.10. 1995

(9) Standard, 15.3. 1997

(10) OMRI – Open Media Research Institute, Internet-Nachrichtendienst von Radio Free Europe/Radio Liberty, 13.5. xxxxx1997

(11) Standard, 8.3. 1997

(12) „Albania – Land of the Eagles“ – Internet-Service der Demokratischen Partei Albaniens

(13) Alle Details zu den Wahlen und deren Folgen: OMRI

(14) OMRI, 22.5. 1996

(15) OMRI, 12.2. und 17.2. 1997

(16) OMRI, 11.2. 1997

(17) OMRI, 28.1. 1997

(18) OMRI, 12. und 13.3. 1997 und Standard, 14.3. 1997

(19) Standard, 12.3. 1997

(20) OMRI, 15.4. 1997

(21) „ALBANIEN“, Tirana 1985, S 42

(22) OMRI, 15.5. 1997

(23) OMRI, 14.4. 1997

(24) OMRI, 26.5. und 3.6. 1997

 

(in: ak – Analyse und Kritik Nr. 404, 3.7. 1997)

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