INTERNATIONALE HEIMATKUNDE: PARAGUAY LAND DER SOZIALEN EXPERIMENTE Das Gebiet des heutigen Paraguay enthält bis heute keine besonderen Bodenschätze, die in der Kolonialzeit den Hunger der Eroberer hätten wecken können. Allerdings ist der Paraná schiffbar und ebenso der Rio Paraguay, der in der Nähe der heutigen argentinischen Stadt Corrientes in den Paraná mündet. In einer Zeit, als die Flüsse die Haupt-Verkehrsadern waren, hätte diese Schiffahrtsroute die Feinde Spaniens bis in die Nähe der heutigen bolvianischen Grenzstadt Puerto Suárez und auf anderen Wasserwegen oder auf dem Landweg weiter bis zu den Silberminen von Potosí und den restlichen Bergbauzentren der Andenkette bringen können. Es hatte also strategische Beutung und wurde auf eigenartige Weise zu einer Art Militärgrenze des Spanischen Kolonialreiches. 1. Das erste Experiment: Die jesuitischen Reduktionen Die spanischen Könige waren daher durchaus kooperativ, als die Jesuiten den Vorschlag machten, dieses wirtschaftlich uninteressante, aber strategisch wichtige Gebiet mit ihren Missionen zu besiedeln. Diese Missionen hießen „Reduktionen“, weil das Seßhaftmachen der nomadischen Eingeborenen nicht ganz zu Unrecht als eine Art Einschränkung betrachtet wurde.
Die gesetzliche Grundlage dieser Missionen geht auf den Dominikanermönch Bartolomé de Las Casas zurück, den „Vertreter der Indianer“, der als Hauptgrund der Ausrottung der einheimischen Bevölkerung die Versklavung dingfest machte und verschiedene Dekrete von Karl V. erwirkte, die alle in den Kolonien bis dahin nie beachtet worden waren: Die Jesuiten bedungen sich für ihre Missionen die Befreiung ihrer indigenen Missionierten von der Encomienda aus, der offiziellen Erlaubnis der Eroberer zur Versklavung der einheimischen Bevölkerung. Außerdem unterstanden sie direkt der spanischen Krone und nicht den verschiedenen Verwaltungseinheiten des Spanischen Kolonialreiches.
Dadurch konnten sie problemlos Anhänger gewinnen – die Jesuitenmissionen wurden zu einer Art Schutzgebiet für die Guaraní-Indianer des heutigen Grenzgebietes zwischen Brasilien, Paraguay und Argentinien.
Die Organisation dieser Jesuitenmissionen war bemerkenswert: Im Zentrum der Siedlung war ein zentraler Platz, an deren einer Seite die Kirche stand. Die anderen Seiten waren rechtwinkelig angeordnet und enthielten sowohl Verwaltungs- als auch Wohngebäude.
Die restlichen Wohngebäude – eine Art Reihenhäuser, wo sich Einzimmerwohnungen mit einer Tür auf einer Seite aneinanderreihten – waren ebenfalls rechtwinkelig über das Gelände verteilt und das ganze von einer Mauer umgeben, gegen die Sklavenjäger. Sie waren eine Art Wehrburg in der Ebene.
Die Missionen auf portugiesischem Hoheitsgebiet wurden nach dem Vertrag von Madrid 1750 – der die Landgrenze zwischen den beiden Kolonialreichen festlegte – an die portugiesische Krone übergeben und mit Waffengewalt aufgelöst. Die restlichen Missionen endeten 17 Jahre später, als der damalige spanische König die Jesuiten verbieten und aus dem gesamten Spanischen Reich – Mutterland und Kolonien – ausweisen und ihre Besitztümer beschlagnahmen ließ. Die Jesuiten gingen, ihr Erbe blieb: Paraguay ist zweisprachig – Spanisch und Guaraní – und die Harfe ist das beliebteste Musikinstrument Paraguays. Auch die Wohnbauten der ländlichen Bevölkerung stellen eine etwas weiter entwickelte Form der jesuitischen Einzimmerwohnung dar. 2. Das zweite Experiment: Unabhängigkeit = Autarkie In den turbulenten Zeiten der napoleonischen Kriege in Spanien und der dadurch beflügelten lateinamerikanischen Unabhängigkeitsbestrebungen setzte sich der Rechtsgelehrte und Lokalpolitiker Gaspar Rodríguez de Francia mit seiner Vorstellung eines unabhängigen Staates Paragyuay durch.
Die argentinischen Provinzen und die argentinischen Regierungen versuchten die Regierung in Asunción durch Blockade weichzuklopfen. Das betraf vor allem den wichtigen Wasserweg des Paraná. Darauf reagierte Paraguay mit verstärkter Abschottung. So schaukelte sich die Sache zu einer außenpolitischen Isolation und wirtschaftlichen Autarkie auf. Aller Grund und Boden wurde verstaatlicht: Die Haciendas der Großgrundbesitzer und auch die Ländereien der Kirche. Die Bauern erhielten Land zur Verfügung, aber nicht im Eigentum. Später wurden Staatsfarmen gegründet, wo die großen Viehbestände verwaltet wurden. Aussaat und Ernte wurden kontrolliert und dafür gesorgt, daß für alle genug da war. Beamte, so auch Priester oder Lehrer, wurden teilweise in Lebensmitteln bezahlt. Überhaupt spielte Geld eine geringe Rolle, da die Bauern eine Art Subsistenzwirtschaft betrieben und wenig Bedarf nach käuflichen Waren hatten. Paraguay hatte jahrzehntelang keine eigene Währung. Für den Außenhandel genügten die Währungen der Nachbarstaaten, im Inneren wurde spanisches Münzgeld verwendet, dessen Ausfuhr verboten war.
Unter Rodríguez de Francia erblühte das Handwerk und es kam zu einer bescheidenen Art der Versorgung mit dem Nötigsten. Die Erziehung wurde verstaatlicht, alle sollten Lesen und Schreiben lernen – von höherer Bildung hielt er wenig. Der Import von gedruckten Publikationen unterlag einer strengen Kontrolle. Nach dem Tod von Rodríguez de Francia nahm sein Nachfolger Carlos Antonio López einige Maßnahmen vor, die Paraguay als Staat etablierten: So wurde formell eine Staatsgründung verkündet, eine Fahne und ein Wappen geschaffen und erste außenpolitische Gehversuche gemacht, um diplomatische Beziehungen zu anderen, vor allen den benachbarten Staaten zu etablieren. Im Inneren wurde schließlich eine Art Verfassung durch das „Gesetz der öffentlichen Verwaltung“ erlassen, in dem eine Art Parlament, Rechte und Pflichten der Bürger und ein Präsident festgesetzt wurden. Unter der Regierung von López wurde eine Gießerei gegründet und verschiedene Manufakturen ins Leben gerufen. Er versuchte, ausländische Experten ins Land zu locken und schuf auch ein System von Stipendien, um die bescheidenen Erziehungsanstalten Paraguays durch den Besuch paraguayanisher Studenten in ausländischer Bildungsinstitutionen zu ergänzen.
Während Bolivien und Brasilien die Unabhängigkeit Paraguays 1843 und 1844 anerkannten, weigerte sich Argentinien, dies zu tun, mit dem erklärten Ziel, die vermeintlich abtrünnige Provinz dem argentinischen Staatsverband einzugemeinden, so oder so. Darauf folgten auch die Anerkennungen durch England und Frankreich. Alle diese Versuche der Öffnung und der internationalen Kooperation riefen jedoch Reibereien mit den europäischen Mächten und den USA hervor, die die Anerkennung als Freibrief für Einmischung betrachteten und versuchten, sich Paraguay über den Paraná als Markt zu erschließen und kommerzielle und militärische Stützpunkte in Paraguay zu gründen, – sich also dort als Macht in Form von Stützpunkten festzusetzen. Es stellte sich heraus, daß die Feindseligkeiten seitens des argentinischen Caudillos de Rosas ein Schutz für Paraguay gewesen waren, der Paraguay gegenüber den imperialistischen Mächten Europas und den USA abgeschirmt hatte. Als Carlos López 1862 verstarb, sah sich sein Sohn und Nachfolger, der sich zu Lebzeiten seines Vaters als militärischer Arm der Regierung betätigt hatte, bereits mit bedeutenden außenpolitischen Schwierigkeiten konfrontiert. Unter Solano López wurde neben der bereits bestehenden Eisengießerei in Ybycuí eine zweite in Caacupé gebaut, vor allem, um die Waffenproduktion zu beflügeln. Er betrieb die Erweiterung der unter seinem Vater eingerichteten Eisenbahn, um Asunción mit dem Hinterland und den bewußten Gießereien zu verbinden. Außerdem wurde eine Art Wehrdienst eingerichtet und Rekruten halb freiwillig, halb gezwungen in die Armee integriert. Die Geschichte der Gründung Paraguays ist ein Lehrstück über den Imperialismus in nachkolonialer Zeit. Und über Staatsgründungen überhaupt. 3. Schluß mit lustig: Der Krieg des Dreibundes gegen Paraguay Das „Problem Paraguay“ war Gegenstand von Debatten in den Parlamenten der USA und Großbritanniens. Beide Staaten hatten Bürger entsandt, teilweise in Absprache mit der Regierung in Asunción, die sich in Paraguay breitzumachen versuchten und in Folge von der Regierung in Asunción hinausgeworfen worden waren. Am 1. Mai 1865 wurde in Buenos Aires – im Geheimen – der Vertrag des Dreibunds gegen Paraguay unterzeichnet. Darin wurden gegen Paraguay Reparationen für alle Schäden des Krieges festgelegt. Außerdem sollte alle Kriegsbeute – die Plünderung Paraguays wurde also hiermit geplant – und alle Waffen Paraguays unter die Sieger aufgeteilt und alle Befestigungen Paraguays zerstört werden. Im Zuge der Mobilisation kam es zu massiven Desertionen, vor allem in Argentinien, weil sich die Soldaten weigerten, sich an diesem Feldzug gegen Paraguay zu beteiligen. Während des Feldzuges starben unzählige Soldaten aller Armeen an der Cholera. Genaue Zahlen sind nicht bekannt. Alle Versuche, einen Friedensschluß zu erreichen, scheiterten, weil sich die Invasoren ihrer Überlegenheit bewußt waren. Der Krieg dauerte vom Juni 1865 bis zum März 1870. Die letzten Reste der paraguayischen Truppen, geführt von López Solano, wurden an der Grenze zu Brasilien niedergemacht. Paraguay wurde zunächst zu einer Provinz Brasiliens erklärt und kam unter brasilianische Besatzung. Dieser Zustand dauerte bis 1876. Paraguay wurde nur deshalb als Staat wiederhergestellt, weil die anderen Beteiligten (Argentinien und die USA bzw. die europäischen Mächte) an einer territorialen Erweiterung Brasiliens nicht interessiert waren. Die Schätzungen des Bevölkerungsverlustes durch diesen Krieg reichen von einem Viertel bis 3 Viertel der Bevölkerung – durch Kriegsgeschehen, Seuchen und Emigration. Was immer die unter den Historikern umstrittenen Zahlen betrifft – Paraguay war erledigt. Paraguay ist hier ein weiteres Lehrstück über den Imperialismus, wie er nach dem Ende der Kolonialmächte von ebendiesen eingerichtet wurde. Das sieht man an Paraguays Schicksal: Die frischgebackenen neuen Staaten Lateinamerikas hatten die Kolonialmächte als Vorbild. Sie wollten durch die Unabhängigkeit genauso erfolgreich werden wie diejenigen Staaten, die sie einst kolonisiert hatten. Die kreolischen Eliten maßen sich an den europäischen und versuchten es ihnen gleichzutun. Der Krieg des Dreibunds brauchte einerseits den Siegerstaaten wenig ein. Aber er trug dazu bei, daß sich genau diese Europa und den USA zugewandten und bereicherungswilligen Eliten dort etablierten, die diese 3 Staaten bis heute beherrschen. 4. Die Einwanderung – weitere Experimente Das zerstörte und entvölkerte Land fand nach einigen Wirren unter Überlebenden und zurückgekehrten Emigranten zu einer neuen Führung. Die späteren Regierenden wurden übrigens auch nicht durch Plebiszite gewählt, sondern die Eliten machten das irgendwie untereinander aus. Dazu kam, und das bestimmte bzw. behinderte im Weiteren die Einwanderungspolitik, daß der verlorene Krieg auch eine andere schwerwiegende Folge gehabt hatte, nämlich die Einführung des Privateigentums. 1872 wurde ein Einwanderungsamt eingerichtet, später unter dem Präsidenten Caballero im Jahr 1881 ein Einwanderungsgesetz erlassen und alles Mögliche angeboten, Landzuteilungen und Hilfen aller Art. Sogar mit angeblich vorhandenen Bodenschätzen versuchte man Siedler anzulocken, die Informationen waren aber mehr von Wunschdenken als von wirklichen Funden und Fakten beseelt. 4.1. Nächstes Experiment: Eine antisemitische Kolonie Nach Vorarbeiten seit 1883 traf 1886 eine Gruppe von Siedlern ein, die von der Schwester Friedrich Nietzsches, Elisabeth, und deren Mann, Bernhard Förster, angeführt wurden. Das Ziel dieser Gruppe war, eine judenfreie deutsche Kolonie im paraguayischen Dschungel zu gründen. (!) Daß es überhaupt so weit kommen konnte, hatte mit der Industrialisierung in Deutschland zu tun, die viele Handwerker ihrer Existenz beraubte, sowie mit dem damals beginnenden Erwerb von Kolonien durch das Deutsche Reich. Auswandern erschien vielen als Lösungsmöglichkeit angesichts wirtschaftlicher Schwierigkeiten. Die Risiken und Unwegbarkeiten eines solchen Schrittes wurden geringgeschätzt und gerne glaubte man Märchen über fremde Länder, wo mehr oder weniger das Geld auf der Straße lag, für tüchtige Deutsche zumindest. Warum sich die Försters ausgerechnet Paraguay aussuchten, ist vermutlich eine Reihe von Zufällen geschuldet. Der Umstand, daß Bernhard Förster auch noch an diesem Projekt festhielt, nachdem er sich auf einer Reise dort umgesehen hatte, ist im Nachhinein schwer zu begreifen. Erst nach der Ankunft der ersten Gruppe von Einwanderern stellte sich heraus, daß das Land, wo die beiden Organisatoren ihr ehrgeiziges Projekt angehen wollten, jemandem gehörte. Dieser Umstand war vorher offenbar weder den Behörden noch den Kolonisten bekannt gewesen. Aber in dem Augenblick, wo sich herausstellte, daß jemand Interesse an dieser Gegend im Dschungel besaß, wurde von dem plötzlich aufgetauchten Eigentümer ein Besitztitel präsentiert und ein stolzer Preis verlangt. Die einzige Möglichkeit, sich aus der Affäre zu ziehen, bestand für die Försters darin, neue Siedler anzuwerben. Sobald sie innerhalb bestimmter Fristen erfolgreich wären, so würde ihnen der Kaufpreis erlassen, so lautete die Zusicherung des Einwanderungsministeriums. Es begann eine Werbekampagne in deutschen Zeitungen, mit Spenden finanziert und teilweise über die Wagner-Gesellschaft organisiert, in dem dieser Flecken im paraguayanischen Urwald als eine Art Paradies auf Erden angepriesen wurde, wo Milch und Honig fließen.
Die Kolonie prosperierte nie, obwohl später einer der dort Gestrandeten durch Zufall das Geheimnis des Mate-Anbaus (wieder-)entdeckte – der Samen mußte unmittelbar nach der Aussaat gedüngt werden – und damit den Mate-Boom in der ganzen Region auslöste. Später soll sich Josef Mengele eine Zeitlang unter einem falschen Namen in der Kolonie aufgehalten haben … Mehr Erfolg war einer Gruppe von Einwanderern im 20. Jahrhundert beschieden, den Mennoniten. 4.2. Der Chaco und die Mennoniten 4.2.a) Die Mennoniten Die Mennoniten sind eine prostantische Glaubensgemeinschaft, die im 16. Jahrhundert im Zuge der Reformation im heutigen Grenzgebiet zwischen Deutschland und Holland entstand. Sie bildeten relativ abgeschlossene bäuerliche Gemeinschaften, die verschiedene Prinzipien befolgten. Zu diesen gehörte die auf dem ausschließlichen Bibelstudium beruhende Schulautonomie und die Verweigerung jeglicher Art von Wehrdienst. Die mennonitischen Siedler wußten nicht, was der Grund für den Schwenk der russischen Behörden war. Die Insel Chortitza, neben der sie angesiedelt wurden, war der Treffpunkt der Sjetsch, des Rates der Dnjeprkosaken gewesen. Die Organisation der Kosaken und damit auch dieser Rat wurden von der Zarin Katharina nach der Beendigung der Türkenkriege 1775 aufgelöst und verboten, weil sie als unruhiges Element einen Störfaktor für das expandierende zentralistische Staatswesen darstellten. Die ersten mennonitischen Aussiedler aus Rußland wanderten im 19. Jdh. in die USA und nach Kanada aus, weil Rußland 1874 eine allgemeine Wehrpflicht eingeführt hatte. (Vom z.B. in Preußen üblichen System des Freikaufs wollte das zaristische Rußland nichts wissen.)
Ihnen folgten nach dem russischen Bürgerkrieg ab 1922 Wellen von Mennoniten aus der Ukraine, die während des Bürgerkrieges bedrängt und verfolgt worden waren und denen ihre neue kommunistische Umgebung erst recht nicht geheuer war. Die nächste große Welle mennonitischer Siedler kam 1929-30, sie flüchteten vor der Kollektivierung in der Sowjetunion.
4.2.b) Der Chaco Als sie in den 20-er Jahren des 20. Jahrhunderts aufkreuzten, war auch der Chaco nicht mehr ganz Niemandsland. 1883 hatte die argentinische Firma Carlos Casado AG sich Besitztitel von 6,5 Millionen Hektar im nordöstlichen Teil des Chaco gesichert. Außerdem hatte die Firma von Puerto Casado am Rio Paraguay eine Eisenbahn nach Westen gebaut, um den im Chaco heimischen Quebracho-Baum in großem Stil zu fällen, abzutransportieren und zu dem für die Gerberei und andere Gewerbe nötigen Tannin zu verarbeiten. Es ist nicht mehr genau festzustellen, wo diese Eisenbahn verlaufen ist. Sie führte von Puerto Casado am Fluß ziemlich gerade nach Westen. Die Besiedlung durch die Mennoniten ereignete sich vor und während des Krieges um den Chaco und war ein weiterer Faktor, warum der paraguayische (nördliche) Chaco bei Paraguay landete, obwohl Bolivien ihn aus rein strategischen Gründen – Zugang zum Rio Paraguay – ebenfalls beanspruchte. Der Chaco-Krieg hatte sich lange angekündigt und war aber nie bis zu offenen Kampfhandlungen ausgeartet, weil das Territorium eben bis auf wenige halbnomadische Eingeborene unbewohnt und unwirtlich, also für Truppenbewegungen denkbar ungeeignet war. Die endgültige Grenze zwischen Paraguay und Bolivien wurde übrigens erst 2009 unter den Regierungen Lugo in Paraguay und Morales in Bolivien formell und von beiden Staaten anerkannt. (Am Ende hatte auch Bolivien in einem kleinen Winkel den Zugang zum Río Paraguay erhalten … ) Die nächsten mennonitischen Siedler kamen als Flüchtlinge des 2. Weltkrieges, auch meistens ursprünglich aus der Sowjetunion. Manche hatten in der Wehrmacht gedient und waren auch deshalb daran interessiert, möglichst weit weg von sowjetischen Behörden zu kommen. So unwirtlich auch der nördliche Chaco sein mag – die Mennoniten haben ihn erschlossen.
Unter der 35 Jahre lang – von 1954 bis 1989 – andauernden Diktatur von Alfredo Stroessner spielte Paraguay eine bedeutende Rolle bei der Kommunismusbekämpfung in Lateinamerika im Rahmen der Operation Condor der USA. Obwohl oder gerade weil die Opposition in Paraguay schwach und zerstritten war, konnte sich Paraguay als eine Art verläßliche Basis und Ausgangspunkt für verschiedene Aktionen des CIA, der Militärs und der Geheimdienste der Nachbarstaaten etablieren. Die nach dem Sturz Stroessners und vor allem nach dem Fall der Sowjetunion 1992 in Asunción aufgefundenen bzw. zugänglich gemachten „Archive des Terrors“ geben detailliert Aufschluß, welche Rolle verschiedene paraguayische Personen, Behörden und Örtlichkeiten bei der Bespitzelung, Verschleppung und Ermordung der Bürger sowohl Paraguays als auch anderer lateinamerikanischer Staaten gespielt hatten. Stroessner baute einerseits auf die Traditionen Paraguays, denen Diktatur als Staatsform nicht fremd war, machte aber nie den Fehler De Francias oder der beiden López’, sich in seiner Politik gegen die Weltmächte zu stellen. Es ist unbestreitbar, daß Stroessners Amtszeit einen wirtschaftlichen Aufschwung für Paraguay gebracht hat: Straßen wurden gebaut, die Infrastruktur überhaupt wurde modernisiert. Die beiden großen, hauptsächlich von den beiden Nachbarn gebauten und genutzten Staudämme und Wasserkraftwerke am Paraná, Itaipú und Yacyretá, gehen auf die Regierungszeit Stroessners zurück. Auch die Einwanderer brachten Geld mit und veranlaßten wirtschaftlichen Aufschwung. Bei all diesen guten Diensten ist es zumindest verwunderlich, daß die USA eines Tages doch genug von diesem nützlichen Diktator hatten. Das hatte seinen Grund in der veränderten internationalen Situation. Unter Gorbatschow wurden im Versuch, sich der Feindschaft der USA zu entziehen, viele Zugeständnisse gemacht. Unter anderem zog sich die SU aus Lateinamerika zurück und machte damit viel US-Intervention überflüssig. Nach dem Ende der Militärdiktaturen des Cono Sur wurde auch Stroessners Paraguay überflüssig und unzeitgemäß. Die Kürzung der Militärhilfe und anderer Unterstützungen aus den USA traf die Wirtschaft Paraguays. Daher ist es nur angemessen, daß genau aus seiner Umgebung einige gegen ihn erhoben und seiner Herrschaft 1989 ein Ende setzten. Auch Stroessner hat ein Erbe hinterlassen: Seine Einheitspartei, das Partido Colorado, regiert mit einer Unterbrechung Paraguay bis heute und läßt sich regelmäßig bei Wahlen bestätigen. Paraguay heute Das politische System Paraguays ist einfach und wirksam: Das Partido Colorado hat alles im Griff, und wird auch bei Wahlen immer stärkste Partei, ungefährdet von den anderen. Dafür hat der Präsident nur eine Amtszeit von 5 Jahren. Der einzige Unfall in dieser prästabilisierten Harmonie ereignete sich 2008, als der Geistliche und Anhänger der Befreiungstheologie Fernando Lugo mit Hilfe einer sehr breiten Regierungskoalition zu Präsidenten gewählt wurde. Heute ist Lugo Parlamentspräsident von Paraguay.
Dezember 2024 |