Protokoll 8
17.7. 2011

Maß der Werte, Fortsetzung

„Der Name einer Sache ist ihrer Natur ganz äußerlich. Ich weiß nichts vom Menschen, wenn ich weiß, daß ein Mensch Jacobus heißt. Ebenso verschwindet in den Geldnamen Pfund, Taler, Franc, Duktat usw. jede Spur des Wertverhältnisses. Die Wirre über den Geheimsinn dieser kabbalistischen Zeichen ist um so größer, als die Geldnamen den Wert der Waren und zugleich aliquote Teile eines Metallgewichts, des Geldmaßstabs, ausdrücken. Andrerseits ist es notwendig, daß der Wert im Unterschied von den bunten Körpern der Warenwelt sich zu dieser begriffslos sachlichen, aber auch einfach gesellschaftlichen Form fortentwickle.“ (S 115, letzter Absatz)

Was bedeutet der letzte Satz?
Daß der Wert zu Geld wird, sich notwendiger Weise in Geld ausdrückt, also eine eigene Erscheinungsform erhält.

Wie hängen die verschiedenen Geldnamen mit diesem Umstand zusammen?
Es geht offenbar darum, daß der Wert immer einer ist – ges. notwendige durchschn. Arbeitszeit – aber sehr viele verschiedene Gesichter in Form der verschiedenen nationalen Gelder hat, und diese dann noch einmal verwirrend sind, weil sie sich von den ihnen namensgebenden Gewichten schon längst weiterentwickelt haben zu reinen Eigennamen.

Entgegen unseren Prinzipien wenden wir uns der Fußnote 62 zu.
Was ist gemeint mit: „soweit sie nicht ungeschickte Finanzoperationen gegen Staats- und Privatgläubiger, sondern ökonomische "Wunderkuren" bezwecken“? Die Münzverschlechterung als Faktum, auf die sich Marx hier bezieht, hat sich doch als Mittel zur Finanzierung von Kriegen und zur Sanierung von Staatshaushalten bewährt – was soll das mit „ungeschickt“ und „Wunder“?
Im Außenhandel kann sich das doch nicht bewähren, da kommen doch die Leute drauf, daß man sie mit schlechterem Geld bezahlt.
Es war ja auch keine Maßnahme der Belebung des Außenhandels, sondern der Füllung der Staatskasse!
Ja, darum geht es eben: Daß aus der Gesellschaft Reichtum Richtung Staatskasse abgezogen, also durch die Verschlechterung des Münzfußes Geldwert verlagert wurde, aber der Reichtum des Landes nicht mehr wurde, weil der besteht aus dem konkreten Reichtum bzw. der Warenmenge, und nicht aus den Nullen auf dem Geld. „Reichtum der Nation“ wird so nicht vermehrt, aber das war ja auch nicht die Absicht.
Es handelt sich bei Petty offenbar um einen Nationalökonomen, der den Fürsten und Königen andere Ziele unterstellt als die, die sie hatten. Denen war das doch wurscht.

Hier kommen wir wieder zur Frage von „wahrem“ Wert von Gold oder Münzgeld und dem nicht auf Arbeit beruhenden Wert irgendwelcher papierener Hoheitsprodukte. Wir verweisen ans Ende des 1. Abschnitt, da wollen wir das alles noch einmal gesondert diskutieren.

S 116/117, Beispiel der Weizenpreise: Man kann zwar aus der ges. notwendige durchschn. Arbeitszeit auf den Preis schließen, aber nicht aus dem Preis auf die ges. notwendige durchschn. Arbeitszeit – oder? Der Preis variiert um Angebot und Nachfrage.
Was ist der Unterschied zwischen Wert und Preis? Der Wert ist eine klar bestimmte Sache, da ist ges. notwendige durchschn. Arbeitszeit drin, aber der Preis wird am Markt bestimmt, und es kann vorkommen, daß man unter Wert verkaufen muß.
Es ist also ein Unterschied zwischen Preissenkung durch Notverkauf, und Preissenkung durch Wertsenkung, weil sich neue Produktionsmethoden in einer Branche breitmachen. Erstere gehen nicht in die Wertbildung ein, zweitere schon.
Markt ist eben nicht der Ort der Anerkennung der investierten Arbeitszeit, sondern ein Produkt der Konkurrenz der Produzenten.
Aber das klingt so, als wäre die ges. notwendige durchschn. Arbeitszeit dem Markt völlig wurscht, und das stimmt nicht. Der Preis wird ja nicht am Markt erfunden.

Was ist gemeint mit dem Satz:

„Die Äquivalenz der Ware und des Geldquantums, dessen Name ihr Preis ist, ist daher eine Tautologie“ (S 116, 2. Absatz)

?

Angebot 1: Es gibt nur eine Ware, bei der Wert und Preis in eins fallen, und das ist das Geld!
Angebot 2, mit Bezug auf die Fußnote: Hat man Waren im Wert von 1000 Euro, so ist das so viel wie 1000 Euro!
Angebot 3: Es ist ein Seitenhieb auf die Ricardo’sche Theorie der Entsprechung von Waren- und Geldmenge. Die entsprechen sich auf jeden Fall, weil die Waren ja nur in Geld gemessen werden. Deswegen „Tautologie“

Einwand zu 3: Es kann aber doch mehr Geld in Umlauf sein, als man dafür Waren kauft, oder?
Die Zugriffsmacht des Geldes, also das, wieviel man dafür kriegt, kann sich doch auch ändern. Also von wegen, das sei ein fixes Verhältnis.

Behauptung: Was da über Geld und Waren gesagt wird, bezieht sich nur auf Goldgeld, nicht auf ungedecktes Papiergeld.
Selbst wenn dem so wäre: was meint Marx hier mit Tautologie? Also etwas, wo beiderseits des =-Zeichens das Gleiche steht.

Zurück zu 2: Vielleicht kann die Fußnote 61 hier Klarheit schaffen.
Etwas kann nicht mehr wert sein, als es wert ist.
Na klar. Aber gegen wen wird das gesagt, gegen welche Position?

Gegen 1 ist anzumerken, daß es hier um das Verhältnis von Waren und Geld, nicht nur ums Geld geht.
Völlige Klarheit konnte in dieser Runde nicht geschaffen werden, worum genau es in diesem Satz geht.

Um was es Marx hier, also in dem ganzen Absatz zu gehen scheint, ist die Begründung, warum der Preis vom Wert abweichen kann, warum das aber kein Argument gegen die Existenz und die Beschaffenheit (durch ges. notwendige durchschn. Arbeitszeit) des Wertes ist.
Außerdem geht es auch darum, daß nicht der Preis den Wert macht. Wenn ich heute etwas um 2 Euro verkaufe und morgen das gleiche um 3 Euro, so ist das Ding deswegen nicht mehr wert.
(Oder doch? Abstrakter Reichtum schlägt abstrakte Arbeit – die Geschichte der Finanzkrise ...)

„Andrerseits kann auch die imaginäre Preisform, wie z.B. der Preis des unkultivierten Bodens, der keinen Wert hat, weil keine menschliche Arbeit in ihm vergegenständlicht ist, ein wirkliches Wertverhältnis oder von ihm abgeleitete Beziehung verbergen.“ (S 117, 2. Absatz)

Was ist das „wirkliche Wertverhältnis“, das hier „verborgen“ wird?
Anhand eines Beispiels: wenn man z.B. ein Stück Wald hat, der einfach vor sich hingewachsen ist, also wirklich unkultiviert ist, so errechnet man seinen Wert aus dem, was Bäume aus vergleichbaren bewirtschafteten Forsten auf dem Holzmarkt an Preisen erzielen würde – die Preise für die Arbeitskraft von Förstern und Holzfällern gehen also in die Preisberechnung dieses Waldgrundstücks ein, ohne daß sie explizit Thema sind.

„formell“ und „imaginär“ – formell kann alles einen Preis bekommen, ob Brot, Boden, Sex oder Ehre. Das liegt an der Preisform – und natürlich auch an der Unterordnung aller menschlichen Tätigkeit unter das Diktat der Wertproduktion. Bei Dingen, wo keine Arbeitszeit investiert worden ist, ist ihr Preis imaginär, wird also aus anderen bekannten und mit Wert behafteten Waren abgeleitet.

„ ... muß die Ware ihren natürlichen Leib abstreifen, sich aus nur vorgestellten Gold in wirkliches Gold verwandeln, obgleich diese Transsubstantiation ihr "saurer" ankommen mag als ...“(S 117-118)

Die Stelle ist aufgrund der sie umgebenden Bildungselemente etwas mühsam zu begreifen, aber gemeint ist doch Folgendes, relativ Einfaches und inzwischen auch nicht mehr Neues: Es genügt nicht, daß eine Ware von sich behauptet, Wert, und noch dazu ein bestimmtes Wertquantum zu sein, sie muß es auch beweisen. Wenn sie sich eine Behauptung von 50 umhängt, am Schluß aber nur für 20 über den Ladentisch geht, so ist sie natürlich sauer.

(Abschweifung zu MEW- und MEGA-Ausgabe, aus Anlaß eines neu erscheinenden Ergänzungsbandes Kapital 1/1, der eine von Marx selbst verfaßte Art Zusammenfassung des 1. Abschnitts sein soll. Bei der MEGA soll auch Engels teilweise hinausgesäubert werden und bestimmte Marx-Interpretationen seiner Schüler zurechtgerückt werden.)

Eisen und Gold – das Eisen ist kein Geld, es kann sich daher nicht auf sein im Preis ausgedrücktes Verhältnis zu Gold berufen und damit zu einem allgemeinen Äquivalent aufschwingen.
Man merkt hier auch, daß es dem Produzenten im Grunde genommen wurscht ist, welche Waren er produziert – Hauptsache, am Schluß hat er Gold in der Hand.

Fazit dieses Unterkapitels: Es muß bereits ein fertiges und durchgesetztes Geld geben, damit man auf alle Waren einen Preiszettel draufpicken kann. (Umgekehrt braucht natürlich das Geld die Waren, die ihren Wert in ihm ausdrücken, weil sonst würde es selber ja gar nicht so nachgefragt. Aber da Geld Warenproduktion voraussetzt, ist das ja sozusagen eine banale Feststellung.)
Die mit Preis ausgestatteten Waren haben Wert und gleichzeitig doch nicht – kauft sie keiner, so wurde ihr Wert nicht realisiert und ist damit nichtig, nicht vorhanden. Oder sie werden unter Wert verkauft, was die Abhängigkeit der Ware vom Geld noch einmal zum Ausdruck bringt.

 

Zirkulationsmittel

a) Die Metamorphose der Waren

„Die Entwicklung der Ware hebt diese Widersprüche nicht auf, schafft aber die Form, worin sie sich bewegen können. Dies ist überhaupt die Methode, wodurch sich wirkliche Widersprüche lösen.“ (S 118, letzter Absatz)

Mißverständlich. Die Widersprüche „lösen“ sich ja nicht, sondern werden bestenfalls handhabbar gemacht, oder in eine andere Sphäre verschoben.

„Hält man an diesem stofflichen Moment, dem Austausch von Ware mit Gold, allein fest, so übersieht man grade, was man sehn soll, nämlich was sich mit der Form zuträgt. Man übersieht, daß Gold als bloße Ware nicht Geld ist und daß die andren Waren sich selbst in ihren Preisen auf Gold als ihre eigne Geldgestalt beziehn.“ (S 119, 3. Absatz)

Was wird hier „übersehen“? Daß da nicht eine Ware X gegen eine Ware Y ausgetauscht wird, sondern die in Äquivalent-/Geldform befindliche die andere quasi zu sich hinauf erhebt.

„Verdopplung der Ware in Ware und Geld“ (S 119) – ?

Der in der Ware immanente Gegensatz zwischen Gebrauchswert und Wert/Tauschwert erhält durch die Etablierung des Geldes ein Außenverhältnis. Ihr Anspruch auf Verwertung steht ihr feindselig gegenüber in dem Sinne, daß der Markt auch „nein!“ sagen kann.

(Für Insider: Wir erreichen den ersten anvisierten Gipfel dieses Abschnitts, die Formel W–G–W um 15 49, und begeben uns hiermit auf Level 2.)

Bei W–G–W ist der Austauschprozeß sozusagen ausgelöscht, Geld war nur ein Durchgangsposten, der Weber hat seine Bibel und ist in die Kosumtionssphäre zurückgekehrt.

Die Beschreibung („Salto mortale ff.) dessen, was bei einem Verkauf alles schiefgehen kann, hat was für sich. Bei der Formulierung, man müsse den Käufern das Geld aus der Tasche ziehen, denke man an das Quengelregal ...

Der Satz

„Die Teilung de Arbeit verwandelt das Arbeitsprodukt in Ware und macht dadurch seine Verwandlung in Geld notwendig.“(S 122, 3. Absatz)

stimmt nicht.

Auch diese Sätze sind nicht ganz klar:

„Aber womit tauscht sich die Ware aus? Mit ihrer eignen allgemeinen Wertgestalt. Und womit das Gold? Mit einer besondren Gestalt seines Gebrauchswerts.“ (S 122/123)

Gemeint ist offenbar, daß Geld den Gebrauchswert hat, Tauschwert zu sein. Eine haarige Formulierung, die dem widerspricht, als was Gebrauchswert eingeführt wurde, nämlich als eine von der Warenproduktion unabhängige stoffliche Eigenschaft der Gebrauchsgegenstände.

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