Protokoll 3
13.3. 2011

2. Die relative Wertform

a) Gehalt der relativen Wertform
Das wichtige in diesem Abschnitt ist, daß die Ware auf dem Markt einen Wert erhält – dadurch, daß sie mit einer anderen gleichgesetzt wird. So wird sie erst zur Ware. Sie kann auch nicht genommen werden, liegenbleiben, dann ist sie sozusagen durchgefallen, und ein wertloser Gegenstand.
Was meint Marx in der Fußnote 17 (S 64) , wenn er den Ökonomen vorwirft, sie hätten Wert und Wertform verwechselt?
Damit ist gemeint, daß sie sich immer über die Höhe des Preises, das „wieviel“, das eine Ware erlösen kann, den Kopf zerbrochen hätten, und diesen ersten entscheidenden Schritt, daß sie im Tausch überhaupt als Wert anerkannt wird, als Selbstverständlichkeit voraussetzen.

Es kann daher nie eine einzige Ware geben. Ohne mindestens eine andere, an der er sich messen, mit der er sich austauschen kann, erhält kein Gegenstand Warencharakter.

Noch einmal ein Rekapitulieren der Begriffe:
„Wertform“ bedeutet die Gleichung: x Ware A = y Ware B.
Die Ware A, die in der „relativen Wertform“, also links des Ist-gleich-Zeichens steht, ist die, die sich erst bewähren muß. Sie kommt mit einem Fragezeichen auf den Markt: Bin ich Ware oder nicht?
Die Ware B, die sich in der „Äquivalentform“, also rechts des Ist-gleich-Zeichens steht, hat sich schon bewährt, ist schon Ware, und kann anderen das Ware-Sein verleihen. Sie ist sozusagen Richter über die Werthaftigkeit von Ware A.

Für spätere Debatten ist es wichtig, sich hier vor Augen zu halten: wert entsteht sowohl in der Produktion als auch in der Zirkulation. Im vorherigen Abschnitt wurde abgehandelt, wie Arbeit die Substanz des Wertes ist. Jetzt geht es darum, daß sich diese investierte Arbeit auf dem Markt bewähren muß.

Beispiel: Jemand strickt Pullover und will sie am Markt veräußern. Wenn er niemanden findet, der ihm dafür einen Sack Kartoffeln oder 2 Euro gibt, so sind diese Pullover nichts wert, und die in sie investierte Arbeit war für Arsch und Friederich.

Zwei methodische Einschübe:
1. Die Fußnoten sind für den Fortschritt des Gedankens meistens überflüssig. Marx will hier den früheren Ökonomen sozusagen eine Reverenz erweisen, sofern sie schon etwas begriffen haben von dem, worauf es in der kapitalistischen Ökonomie, oder beim Tausch ankommt.
2. Es wird viel wiederholt. Das ist ganz gut, um immer wieder zu überprüfen, ob man jetzt einen Gedanken oder Begriff wirklich begriffen hat, ob er „sitzt“. Man sollte sich aber nicht zu sehr dabei aufhalten.

Wiederholung: konkrete und abstrakte Arbeit (weil Person X damals nicht da war): Verschiedene (= konkrete) Arbeiten werden nur darüber gleichgesetzt, daß sie in der gleichen Zeit verrichtet wurden – nur so können die Produkte dieser beiden Arbeiten sich am Markt austauschen.
Gesellschaftlich durchschnittlich notwendige Arbeit(szeit): Dadurch, daß über den Austausch der Produkte die Produzenten ständig in Konkurrenz zueinander stehen, werden die Langsamen „bestraft“, die Geschwinden „belohnt“, und es kann sich keiner leisten, langsamer als der Durchschnitt zu produzieren, weil ihm seine Arbeitszeit sonst nicht abgegolten wird. So müssen sich auch Klitschen in der Provinz mit durchorganisierten Fabriken in den Metropolen vergleichen. Der erreichte Stand der Produktivität gibt den Rhythmus für die anderen vor, die diesen Stand noch nicht erreicht haben. Beispiel des Dampfwebstuhls gegen die Handweberei.
Von dem ganzen ausgenommen wären entlegene Gegenden, wo der technische Fortschritt noch nicht angekommen ist. Solche sind aber in der heutigen globalisierten Welt eher die Ausnahme.

(Beispiele mit Almen und dortigen Preisen sind hier nur bedingt hilfreich: Entweder sie haben höhere Preise als im Durchschnitt, weil erhöhte Transportkosten für woanders gekaufte Produkte, oder sie haben niedrigere, weil es für die dort vor Ort hergestellten Produkte keinen Zwischenhandel gibt. In beiden Fällen ist es kein Indiz dafür, daß hier die Konkurrenz ausgeschaltet ist.)

Frage: Was ist „Gallerte“, warum verwendet Marx diesen Ausdruck?
Antwort: Weil das sein Bild ist für die aufgewendete Arbeit, die in unbestimmter, noch nicht realisierter Form vorliegt. Sie verlangt erst nach Vergegenständlichung in Form des Wertes:

„Menschliche Arbeitskraft bildet Wert, aber ist nicht Wert.“ (S 65)

Lange Debatte über das, was „Arbeit“ ist: Marx weist darauf hin, daß im Kapitalismus nur das gilt, was verwertbar ist. Arbeit, die keinen Wert schafft, mag viel Aufwand bedeuten, aber wenn sie sich nicht am Markt als Produkt vergegenständlicht, so ist sie nicht wertbildende Arbeit, und deshalb nicht als Arbeit anerkannt.
Es gibt jede Menge von Arbeit in dieser Gesellschaft, die nicht als „Arbeit“ gilt – Stichwort „Reproduktionsarbeit“ (Putzen, Kochen, Pflegen, Kinderaufzucht) – weil sie sich eben nicht in marktfähigen Produkten ausdrückt. Das ist nicht ein Fehler von Marx, der da was „übersehen“ hätte, sondern eine Auskunft darüber, was Arbeit im Kapitalismus bedeutet: Nur diejenige, die für andere Mehrwert, Gewinn schafft, ist als Arbeit anerkannt. Die andere ist entweder Gegenstand des Sozialstaats, oder fällt in die Sphäre des privaten Überlebens innerhalb der Marktstrukturen.
Ist es eine gute Idee, zu verlangen, daß diese Reproduktionsarbeit „marktfähig gemacht“ werden soll? Wer entscheidet eigentlich über deren „Marktfähigkeit“?

Exkurs zum Begriff „Arbeit“: In den „Grundrissen“ weist Marx darauf hin, wie absurd es ist, daß der Reichtum der kapitalistischen Gesellschaft sich darin vergegenständlicht, wieviel oder wie wenig Arbeit dafür aufgewendet wird. In einer vernünftig eingerichteten Gesellschaft ist es doch die Muße, die disposable time, die darüber Auskunft gibt, wie sehr sich die Gesellschaft von der Not und dem Stress, sich ums tägliche Brot zu kümmern, freigestrampelt hat.

Frage: Was ist jetzt eigentlich Wert, Arbeit oder Arbeitskraft? Was schafft den Wert, oder wie hängt das zusammen?
Antwort: Hier geht es noch nicht um den Wert der Ware Arbeitskraft, sondern darum, was eine Ware ist.

Was meint Marx mit: „Die Aufgabe ist bereits gelöst“ (S 66, Absatz 1) ?
Er meint damit, daß der Wert/Tauschwert als gemeinsames Drittes zweier unterschiedlicher Gebrauchswerte bereits erklärt ist. (Wieder eine Wiederholung.)

Trotz seiner zugeknöpften Erscheinung hat die Leinwand in ihm die stammverwandte schöne Wertseele erkannt. Der Rock kann ihr gegenüber jedoch nicht Wert darstellen, ohne daß für sie gleichzeitig der Wert die Form eines Rockes annimmt. So kann sich das Individuum A nicht zum Individuum B als einer Majestät verhalten, ohne daß für A die Majestät zugleich die Leibesgestalt von B annimmt und daher Gesichtszüge, Haare und manches andre noch mit dem jedesmaligen Landesvater wechselt. (S 66, 3. Absatz)

Was soll der Vergleich mit der politischen Herrschaft?

Es geht um den Widerspruch, daß das Äquivalent, der Rock, während er Wert, also etwas Abstraktes vermittelt, gleichzeitig Gebrauchswert ist. In einem Gebrauchswert, einem Rock, etwas Konkretem, drückt dich die Abstraktion des Wertes aus. Das allen Waren innewohnende, der Wert, manifestiert sich im Tausch in der Form eines konkreten Gegenstandes, eines Gebrauchswertes.
Genauso, meint Marx, verhält es sich im Verhältnis des Untertanen zum König, – oder, heute, zum gewählten Politiker, zum Präsidenten oder Kanzler, usw. Er erkennt an der Person das Amt, und als Repräsentanten des Amtes, die konkrete Person. (Faymann oder Fischer sind anerkannt als Ausüber ihres Amtes. Ansonsten wären sie Nullnummern, Niemande. Die hier folgende Debatte über die demokratischen Repräsentanten ihrer Ämter und den sich um sie entwickelnden Personenkult ist zwar interessant, gehört aber nicht hierher.)
Ebenso, so meint Marx, sind die Waren, die sich in der Äquivalentform befinden, anerkannt als Geber, Anerkenner von Wert, ungeachtet ihrer stofflichen Existenz, ihres Gebrauchswerts. Der Gebrauchswert des Äquivalents ist als Wert und damit als Wertgeber am Markt etabliert.

Dies ist ein Hinweis darauf, daß es ein Widerspruch der Äquivalentform ist, gleichzeitig Gebrauchswert, stoffliches und nützliches Ding zu sein, und als Wert-Geber gesucht zu werden. Die Ware, die sich in der Äquivalentform befindet, hat den Widerspruch in sich, gleichzeitig Gebrauchswert, stoffliches Ding, und andererseits Geber, Repräsentant von Wert zu sein. Dieser Widerspruch wird stets schlagend, was immer das Äquivalent ist: Edelmetall, Marderfelle, Muscheln, Kaffeebohnen, usw.

Ein Gedankenexperiment: Wäre z.B. Zucker gratis, so wäre er als Äquivalent futsch. Aber nicht nur das: Würde man eine einzige Ware aus dem Markt herausnehmen, so wäre der Markt als Ganzes gefährdet. Man hätte etwas zum Tauschen, das alle anderen Waren gefährden und des Nullwertes überführen würde. Jeder, der Zucker will, würde seine Ware/sein Produkt dafür hergeben, und es damit seiner Werthaftigkeit berauben. Nur eine einzige Ware in unbegrenzter Menge herzuschenken wäre das Ende des Marktes, des Tausches und des Geldes. Deshalb werden jede Menge überschüssige Lebensmittel eher vernichtet, als an die Bedürftigen verschenkt.
(Das führt schon weiter zur entfalteten Wertform, insofern lassen wir das daweil einmal.)

Bildungselement zu „Paris vaut bien une messe – Paris ist eine Messe wert“ – Ausspruch Heinrich von Navarras, um seine Konversion zum Katholizismus zu rechtfertigen, die ihm Frankreichs Thron einbrachte.

Was ist vom vorhergehenden Zitat zu halten:

Nebenbei bemerkt, hat auch die Warensprache, außer dem Hebräischen, noch viele andre mehr oder minder korrekte Mundarten. Das deutsche "Wertsein" drückt z.B. minder schlagend aus als das romanische Zeitwort valere, valer, valoir, daß Gleichsetzung der Ware B mit der Ware der eigne Wertausdruck der Ware A ist. (S 67, 1. Absatz)

„Hebräisch“ ist hier nichts Antisemitisches, sondern Marx bezieht sich darauf, daß die Sprache der Kaufleute im deutschsprachigen Raum vorwiegend jiddisch (deutsch in hebräischer Schrift) war. Und es geht hier eben darum, daß Kaufleute aller Herren Länder angehören, und nicht bloß Juden sind.
„Valere, valoir“ weist darauf hin, daß hier die wertverleihende Gleichsetzung zweier unterschiedlicher Gegenstände auch in der Sprache ihren Niederschlag findet.

Was ist zu halten von der Behauptung, der Mensch erkenne sich erst im Kontakt mit anderen? (Fußnote S. 67)
Es gab die folgenden Angebote:
Neugeborene wissen bereits, daß sie ein Gesicht haben.
Man spiegelt sich im anderen, meint Marx.
Man erkennt sich im anderen.
Dagegen: die Leute machen einander doch dauernd etwas vor. Von wegen „erkennen“! Weder sich selbst, noch den anderen. Lauter Blöff. 
Dagegen wieder: Um zu täuschen, muß man schon wissen, was eigentlich Sache ist.

Wirklich Klarheit konnte in dieser Frage nicht geschaffen werden. (Auch hier erweist sich eine Fußnote wieder einmal als hinderlich beim Begreifen des Textes.)

Indem sich die Ware A auf die Ware B als Wertkörper bezieht, als Materiatur menschlicher Arbeit, macht sie den Gebrauchswert B zum Material ihres eignen Wertausdrucks. (S 67, 2. Absatz)

Warum drückt sich Ware A über Gebrauchswert der Ware B aus? Sollte es nicht der Tauschwert sein?
Nein. Denn der Tauschwert kommt ja erst so zustande, daß zwei Gebrauchswerte sich vergleichen. Tauschwert ist keine Eigenschaft einer Sache, kann sich also auch nicht vergleichen, und auch nicht ausdrücken. Er wird erst durch den Tausch geschaffen.
Der Hinweis auf Geld als Äquivalent löst dieses Problem nicht, sondern führt eigentlich von der hier angesprochenen Problematik weg. Solange sich ein Gegenstand, ein Gebrauchswert nicht ausgetauscht hat, ist er noch nicht Ware. Es bedarf eines anderen Gebrauchswertes B, der A als Wertträger anerkennt, zur Ware macht.
Dagegen wieder: Der Leinwandbesitzer will den Rock ja nicht, um ihn zu tragen, also nicht seines Gebrauchswertes willen, sondern wegen seines Wertes, den er mit ihm an Land ziehen will, im Tausch gegen die Leinwand.
Aber das geht nur, weil dieser Gebrauchswert (der in der Äquivalentform steht,) bereits als Repräsentant von Wert anerkannt ist. Deshalb sucht die Leinwand den Rock, um auch in diesen Kreis aufgenommen zu werden.

 

b) Quantitative Bestimmtheit der relativen Wertform
So. Jetzt sind wir endlich da, wo die klassischen und modernen Ökonomen immer gleich hinwollen. Wieviel Röcke kriegt der Weber/Händler für seine 20 Ellen Leinwand?

Bei den Ausführungen zum Schwanken des Arbeitsaufwands für Leinwand und Röcke geht es darum, zu zeigen, was für Veränderungen des Warenwertes sich ergeben, wenn bei den Produktionsbedingungen derjenigen Ware, die in der Äquivalentform steht, Veränderungen eintreten, und daß das Auswirkungen auf den Wert der Leinwand oder Ware A hat, obwohl sich bei ihr nichts geändert hat.
Dies ist ein Hinweis darauf, daß es eine gewisse Unangemessenheit für den zu leistenden Dienst – Wert zu verleihen – darstellt, wenn das Äquivalent ein gewöhnlicher Gebrauchswert ist, der durch konkrete Arbeit zustandekommt.
Der Besitzer der Leinwand hat das Interesse, auf ein verläßliches Äquivalent zu treffen, auf stabile Preise. Ohne daß er etwas falsch gemacht hat, ist seine Arbeit auf einmal nur mehr die Hälfte wert – das stört.
Einwand: Aber das kann einem mit Geld auch passieren!
Nicht immer gleich zum Geld weitereilen, sondern einmal zur Kenntnis nehmen, daß das ein Mangel des Äquivalents, des Rockes ist, wenn er keine Wertbeständigkeit hat.

Die Rechnereien in diesem Abschnitt sind vielleicht etwas mühsam, haben aber einen anderen Charakter als in der heuten Nationalökonomie: Marx will hier etwas veranschaulichen (vielleicht nicht allzu gelungen), aber die VWL (und sonstige Geistes- und Gesellschaftswissenschaften) ersetzt Argumente durch Tabellen, Zahlen, Graphen und Statistiken, um den Anschein von Wissenschaftlichkeit zu erwecken. Es wird auch oftmals mit Quantitäten jongliert, denen gar keine Qualität zugrunde liegt. (Grenznutzen, Umwegrentabilität, ...)

Bei allgemeinem Konsens wurden die Fußnoten S. 69 ausgelassen.

 

c) Die Äquivalentform

Aber sobald die Warenart Rock im Wertausdruck die Stelle des Äquivalents einnimmt, erhält ihre Wertgröße keinen Ausdruck als Wertgröße. Sie figuriert in der Wertgleichung vielmehr nur als bestimmtes Quantum einer Sache. (S 70, 2. Absatz)

Was ist hiermit gemeint?

Die in Äquivalentform befindliche Ware kann nicht bewertet werden, da sie Wertausdruck darstellt. Sie ist Wert, an ihr mißt sich Ware A. Daher ist an ihr nur mehr interessant, in welcher Menge sie sich gegen Ware A tauscht.
Tauschen, man erinnere sich, können sich nur verschiedene Gebrauchswerte. Ein Rock kann daher nie sich selbst oder einen anderen Rock bewerten.

Die Äquivalentform einer Ware enthält ... keine quantitative Wertbestimmung. (S 70, 3. Absatz)

Da die Ware B/der Rock Wert verleiht, kann er keinen erhalten, und braucht das auch nicht.
(Seufzer: Sehr tricky, das Ganze.)
Dadurch, daß sie immer wieder Wert stiftet, beweist sie sich auch immer wieder als Wert.
Aussage: Ware B/Äquivalent ist nur eine Sache, ein Platzhalter für Werthaftigkeit.
Was heißt „nur“?! So, indem ein Äquivalent anerkannt ist, wird für Wert produziert, Wert verliehen und eingeklagt, und alles dreht sich um diese Ware B.
(Man stelle sich vor, man würde sagen: Der Papst ist nur der Vertreter Gottes auf Erden. Welch ein schäbiges Amt!)
In die Äquivalentform können auch andere Gebrauchswerte treten, nicht nur Röcke. Aber dann hätten sie genauso diese wertverleihende Macht wie der Rock.
Wollte der Rock seinen Wert ausdrücken, so müßte er in die relative Wertform schlüpfen und sich nach einem Äquivalent umschauen, das eben diese Macht hat, Wert zu verleihen.
Um die Sache zu veranschaulichen, vergleicht Marx den Wert mit Gewicht, das ja auch allen Gegenständen zukommt, ohne daß man es ihnen ansieht, und das nur durch Vergleich ermittelt werden kann. Allerdings ist Gewicht eine Natureigenschaft, Wert eine gesellschaftlich bedingte.

Daher das Rätselhafte der Äquivalentform, das den bürgerlich rohen Blick des politischen Ökonomen erst schlägt, sobald diese Form ihm fertig gegenübertritt im Geld. (S 72, 1. Absatz)

Was ist damit gemeint?
Der Akt des Tausches, des Vergleichs überhaupt ist das, womit die Jagd nach dem Wert beginnt. Die meisten Ökonomen fangen jedoch erst bei Geld an, zu überlegen: was alles als Geld taugt („Warenpöbel“), welche Eigenschaften es haben muß, um als Geld zu zirkulieren, usw.
Es geht hier nicht darum, daß sie einem „Rätsel“ gegenüberstehen und nicht draufkommen, warum Geld Geld ist, sondern sie setzen das fertige Geld, die Warenzirkulation auf Grundlage von Geld voraus und wundern sich dann darüber, was alles in der Vergangenheit seinen Platz eingenommen hat, Muscheln und Marderfelle usw. Daß es Markt, Tausch und daher diesen Vergleich geben muß, ist eine Selbstverständlichkeit in der VWL.

Frage, zu etwas weiter vorn:

Indem die relative Wertform einer Ware ... ihr Wertsein als etwas von ihrem Körper und seinen Eigenschaften durchaus Unterschiedenes ausdrückt, ... deutet dieser Ausdruck selbst an, daß er ein gesellschaftliches Verhältnis verbirgt. Umgekehrt mit der Äquivalentform. (S 71 unten)

Enthält oder verbirgt die jetzt kein gesellschaftliches Verhältnis?
Die Ware A irrt über den Markt und sucht eine Ware B, die ihr Wert zugesteht. Die Ware B sitzt gemütlich da und wartet, was da so alles kommt, weil sie weiß, sie braucht sich nicht bemühen. alle landen bei ihr. Dadurch entsteht der Eindruck, sie hätte es an sich, es käme ihr qua Natur zu, Wert zu haben und Wert zu sein. Und da kommen wieder die Nationalökonomen ins Spiel, die sich jetzt wundern, was für verschiedene Gegenstände Wert in ihrer „Natur“ hatten, und ihn dann irgendwie wieder „verloren“ haben.
Es ist sogar noch zu schwach, zu sagen, das Äquivalent „hätte“ Wert, so wie alle anderen Waren auch. Es ist Wert, die Ware, die von allen gesucht wird und an der sich alle bewähren müssen.
Sobald etwas als Äquivalent gesetzt wird, ist es Wert – hier ist „sobald“ irreführend, denn das ist keine zeitliche Frage. Es ist Wert, weil es als Äquivalent anerkannt ist.

Der Körper der Ware, die zum Äquivalent dient, gilt stets als Verkörperung abstrakt menschlicher Arbeit und ist stets das Produkt einer bestimmten nützlichen, konkreten Arbeit.“ (S 72, 2. Absatz)

Das bedeutet, daß Veränderungen im Produktionsprozeß derjenigen Ware, die Äquivalent ist, den Wertmaßstab verändern und daß die zur Produktion der Äquivalent-Ware aufgewendete Arbeit den Produktivitätsmaßstab für alle andere Arbeit setzt. Sie definiert, was als gesellschaftlich notwendige Durchschnittsarbeit zu gelten hat.

Es folgte eine Debatte um den Arbeitsbegriff:
Es geht jetzt darum, was eigentlich als wertschaffende Arbeit gilt: Wie ist es mit Reproduktionsarbeit und Dienstleistungen?
„Arbeit“ als Anerkennungsfrage: Was ist als Arbeit anerkannt, was ist davon ausgeschlossen? Reproduktionsarbeit schafft doch die Grundlagen, damit Lohnarbeit erst möglich ist.
Aber im „Kapital“ geht es eben nur um die Arbeit, die Wert schafft. Ist das ein Mangel, eine „Auslassung“? Hat Marx hier etwas übersehen?
Und überhaupt, was heißt „keinen Wert schaffen“? Hier muß wieder daran erinnert werden, daß sich „Wert“ auf den Warenwert bezieht und nicht auf gesellschaftlich anerkannte Werte aller Art.
Wenn ein(e) fertige(r) Lohnarbeiter(in) auf den Markt tritt, so ist ja da auch Wert da, der nicht abgegolten wurde.
Hier muß wieder eingewendet werden, daß ein Mensch im Kapitalismus überhaupt keinen Wert hat, höchstens seine Arbeitskraft, und auch diese nur, wenn sie einen Anwender findet, also jemand, der sie kauft und einsetzt. Die menschliche Reproduktion spielt sich unabhängig von der Wertproduktion ab, und es ist die Perfidie des Lohnsystems, die erstere der letzteren unterordnet: Die Leute kriegen ihr Gehalt und müssen dann schauen, wie sie damit über die Runden kommen.
Es kann daher auch keine Lösung sein, alle Tätigkeiten „marktkompatibel“ zu machen und ihnen auch einen Preis zu verpassen.
Es hat sich auch in dieser Sphäre – Reproduktionsarbeit wird marktförmig gemacht – einiges getan: Fertiggerichte, Mikrowelle, Tarife für Kinderbetreuung.
Eine Sphäre, wo lauter nicht bezahlte Arbeit in die Reproduktion und Produktion eingeht, sind seit jeher landwirtschaftliche Familienbetriebe.

Zäumt Marx das Pferd am Schwanz auf, weil er beim Markt anfängt, ohne auf das einzugehen, was alles gelaufen sein muß, bevor eine Ware zum Markt kommt?
Nein. Marx meint, der Markt und die Produktion für den Markt ist das, was das Leben der Menschen im Kapitalismus bestimmt, dem alles andere untergeordnet ist, und deshalb fängt er dort an.
(Irgendwie trägt der allgemeine Sprachgebrauch dem Rechnung, wenn er von unserem Wirtschaftssystem als der Marktwirtschaft spricht.)
Aber es wird doch gar nicht darauf eingegangen, warum der Mensch den Markt braucht!
Ja, da sind wir bei der bürgerlichen Ideologie, die alles auf die Natur des Menschen zurückführt und meint, er schafft sich sein eigenes Gefängnis, oder den Markt, oder die Atombombe, usw. Man erfährt halt dabei weder etwas über die Motive der handelnden Personen, noch über den Markt, sondern alles wird durch das Deuten auf den Zusammenhang erledigt.

Weiterer Einwand: Marx fängt das Buch doch an, daß er sagt, unsere Gesellschaft präsentiert sich als Warenansammlung. Und jetzt gehts um den Austausch dieser Waren. Warum fehlt da jetzt etwas, wenn Dienstleistungen nicht angesprochen werden?

Hier einmal als Zwischenbilanz die 3 Momente, die Marx als Eigentümlichkeiten der Äquivalentform bezeichnet:

1. Gebrauchswert wird zur Erscheinungsform seines Gegenteils, des Werts. (S 70 unten)
2. Konkrete Arbeit wird zur Erscheinungsform ihres Gegenteils, abstrakt menschlicher Arbeit. (S 73, Absatz 2), und
3. Privatarbeit wird zur Form ihres Gegenteils, zu Arbeit in unmittelbar gesellschaftlicher Form.

Hier etwas zu dem, was Marx mit „gesellschaftlich“ bezeichnet: es ist immer ein Verhältnis zweier oder mehrerer Individuen, zum Unterschied von singulär, nur auf sich selbst bezogen. Es hat nichts mit diesem Rechtstitel zu tun, zu dem es später wurde, so auf die Art, alles, was „gesellschaftlich“ ist, gehört uns allen.
Die Ware braucht immer eine andere, auf die sie sich beziehen kann. Und in der Äquivalentform ist dieser gesellschaftliche Bezug dadurch enthalten, als sie zum Richter über andere Waren bestellt ist, bevor diese überhaupt aufkreuzen.

Würdigung von Aristoteles, der schon einiges über den Markt wußte, obwohl der damals noch nicht die beherrschende Stellung über die Produktion innehatte, die er im Kapitalismus einnimmt. Er fragte sich auch schon: Wie kommt der Vergleich der Waren am Markt zustande, obwohl es sich doch um ganz verschiedene Gegenstände handelt? Bis zur Erklärung schafft ers nicht, weil er in keiner warenproduzierenden Gesellschaft lebte.

 

d) Das Ganze der einfachen Wertform

Im Grunde nur Wiederholung und Zusammenfassung des bisher Ausgeführten:

Wenn es im Eingang dieses Kapitels in der gang und gäben Manier hieß: Die Ware ist Gebrauchswert und Tauschwert, so war dies, genau gesprochen, falsch. Die Ware ist Gebrauchswert oder Gebrauchsgegenstand und "Wert". Sie stellt sich dar als dies Doppelte, was sie ist, sobald ihr Wert eine eigne, von ihrer Naturalform verschiedene Erscheinungsform besitzt, die des Tauschwerts, und sie besitzt diese Form niemals isoliert betrachtet, sondern stets nur im Wert- oder Austauschverhältnis zu einer zweiten, verschiedenartigen Ware. (S. 75, Absatz 1)

Die äußerst schmeichelhafte Charakterisierung der im nächsten Absatz angeführten Ökonomen läßt es verzichtbar erscheinen, sich mit ihnen näher auseinanderzusetzen.

Wieder das Paradox (S 75, Absatz 3), daß Ware B, Äquivalentform, Gebrauchswert ist und gleichzeitig Tauschwert. Aber Tauschwert einer anderen Ware kann sie eben nur sein, als ihr Gebrauchswert als Wertrepräsentant etabliert ist.
Dieses Paradox wird uns weiter begleiten, und ist ein Charakteristikum der Metallzirkulation. Es ist störend für den Handel, wenn das Äquivalent eine Ware ist und wie eine solche zustandekommt, durch Arbeit nämlich. Gesetzt, Geld wäre Gold: Der Goldpreis erhöht sich und alles wird teurer. Vom Standpunkt dessen, was das Äquivalent zu leisten hat – Wert zu verleihen –, ist es ein Mangel, wenn sein eigener Wert Schwankungen unterworfen ist.

Das bisherige nennt Marx „einfache“ Wertform, weil es nur um das Verhältnis zweier Waren geht. Das leitet weiter zum nächsten Teil, wo dann die ganze bunte Warenwelt auf ein Äquivalent trifft.

 

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