Protokoll 16
8.1. 2012

Rekapitulieren wir noch einmal:

Die Wertübertragung der Rohmaterialien auf das Endprodukt ( S 202, Absatz 1 und 2) ist Bedingung des Werterhalts der ein ersteren enthaltenen Arbeit und Element der Wertbildung des Endprodukts. Die bereits in Baumwolle und Spindel vergegenständlichte Arbeit geht in den Wert des fertigen Garns ebensosehr ein wie die lebendige Arbeit des Spinners.

„Endlich“ bei Marx bezeichnet den Abschluß einer Aufzählung, also weder eine Schlußfolgerung, noch einen Ausdruck von Ungeduld, sondern das abschließende Moment der verschiedenen Gesichtspunkte, unter denen ein Gegenstand – ein Vorgang usw. betrachtet wird.

Zu der Debatte mit der goldenen Spindel und dem möglicherweise höheren Wert, den sie zusetzt – wenn Garn mit Gold-Spurenelementen als besondere Luxusware am Markt gehandelt wird, so ist sie eben nicht mehr diese Durchschnittsware, die mit den Eisenspindeln hergestellt wird, sondern läuft sozusagen außer Konkurrenz – ähnlich wie heute irgendwelche Marken-Lumpen, die ja genauso ihren Kleidungszweck erfüllen wie jede südostasiatische Billigware, aber für die dennoch mehr abgelegt wird. Das ist aber nicht die Art, wie der Durchschnittswert einer Ware in Konkurrenz zu anderen am Markt zustandekommt – da muß es sich um gleiche Waren handeln.
Das wiederum hat nichts mit der Ausbeutungsrate zu tun, um die es hier noch überhaupt nicht geht.

„Wird in einer Stunde 12/3 Pfund Baumwolle versponnen oder in 12/3 Pfund Garn verwandelt, so zeigen 10 Pfund Garn 6 eingesaugte Arbeitsstunden an.“(S 204, Absatz 4)

Hier geht es vermutlich nur darum, zu zeigen, daß es auf die Arbeitszeit ankommt und nicht auf die verarbeitete Baumwollmenge, daher der Bruch in der Einheit.
Die 6 Stunden, die hier immer als Beispiel für Reproduktion gewählt werden, sind einerseits ein bloßes Beispiel zur Veranschaulichung des Verhältnisses von Arbeitszeit und Wert, scheinen aber auch einem damaligen Stand der Technik zu entsprechen.

Klein d auf S 205 ist die Abkürzung des pennys. Der Dukaten war (und ist) eine ziemlich wertvolle Goldmünze, die auch in Großbritannien unüblich war, und keinesfalls eine Scheidemünze.

„katechisieren“ – Duden: (Religions)unterricht erteilen; Kapital, S 920: durch Frage und Antwort unterweisen, belehren (von Katechismus)
Die Sammlung von Bildungselementen und Gemeinplätzen S 206-207 soll bloß ironisch die Absurdität aufzeigen, die darin besteht, produzieren zu lassen, ohne auf Gewinn aus zu sein. Es sollen hier offenbar nationalökonomische-apologetische Theorien in ihrer Lächerlichkeit vorgeführt werden, die den Unternehmer als selbstlos darstellen, der zugrunde gehen müßte, wenn man ihm nicht einen – klitzekleinen! – Profit zugesteht.
Es wird hier ein Modell vorexertiert – in seiner ganzen Dummheit – von dem am Schluß herauskommt, daß es nicht stimmen kann.

Es ist das alles sehr lustig dargestellt, aber das ganze wird weniger lustig, wenn man bedenkt, daß Leute, die sich auf Marx berufen haben – die Sozialdemokraten – eigentlich in dem gleichen Fahrwasser unterwegs waren: Mit dem „gerechten“ Lohn und der Idee der Versöhnbarkeit von Kapital und Arbeit hängen sie doch genauso dem Gedanken an, daß es sich hier um eine Art Arbeitsteilung handelt, für die jeder das Seinige kriegt. Der eine seinen Profit, der andere seinen Lohn.

Zur Debatte, ob Manager oder Aufseher wertbildend sind, greift erstens dem Gang des Buches vor, weil diese Figur tritt erst im 3. Band, Fünfter Abschnitt (Spaltung des Profits in Zins und Unternehmergewinn) auf. Zweitens aber hat die Frage schon etwas von einer Überlegung der moralischen Rechtfertigung dieser Figur an sich: Hat der – und vor allem seine exorbitante Bezahlung! – eigentlich eine Berechtigung?
Hierzu noch ein kleiner Lesetipp aus dem Schatzkästlein der marxistischen Berufsberatung. Alt, aber gut.

„Der Umstand, daß die tägliche Erhaltung der Arbeitskraft nur einen halben Arbeitstag kostet, obgleich die Arbeitskraft einen ganzen Tag wirken, arbeiten kann, daß daher der Wert, den ihr Gebrauch während eines Tags schafft, doppelt so groß ist als ihr eigner Tageswert, ist ein besondres Glück für den Käufer, aber durchaus kein Unrecht gegen den Verkäufer.“ (S 208, Ende 1. Absatz)

Hier gab es Unklarheiten zum Verhältnis von Lohn und Leistung. Wie ist das heute, man zahlt doch heute 8 Stunden, und wenn man wen länger beschäftigt, so muß man Überstunden zahlen?

Ja, aber es wird mit dem Wert der Ware Arbeitskraft ja ihre Zurverfügungstellung abgegolten. Man erinnere sich an den vorigen Abschnitt: Der Lohn wird vom Käufer festgesetzt, ebenso die zu erbringende Leistung und die abzuleistende Arbeitszeit. Es ist ein Irrtum, der immer wieder – gerade von der Sozialdemokratie – gefördert wird, daß der Arbeiter für die abgelieferte Arbeit, also seine Produkte bezahlt wird. Gekauft wird, und bezahlt wird für die Berechtigng, diese Arbeitskraft nach Ermessen des Käufers, also des Kapitalisten, anwenden zu dürfen.
Marx hat in der Kritik des Gothaer Programms gerade das an seinen Anhängern gerügt, daß sie sich dieser Einsicht verschlossen haben, und erst recht wieder „den vollen Arbeitsertrag“ gefordert haben..

Die Frage ist: Warum läßt sich der Arbeiter das gefallen, daß er mehr Wert schafft als den, den er in Lohnform erhält? Das liegt eben am Lohnsystem, das den Irrtum befördert, er würde für die abgelieferte Arbeit bezahlt. Sodaß alle Kritik sich an der Lohnhöhe festmacht, mit der Entrüstung, sie sei ungerecht.
Gehen wir doch vom Ergebnis aus: Daß es Profit gibt und der aus dem Unterschied zwischen gezahltem Lohn und hergestellten Arbeitsprodukten stammt, ist unbestreitbar. Aber wie das geht, wird vielleicht dann klarer, wenn man sich den hergestellten Waren zuwendet. Schauen wir doch jemand an, der/die in einer Bäckerei arbeitet ud jede Menge Backwaren herstellt, aber bis zum Monatsende eben so gerade durchkommt mit seinem/ihrem Lohn. Also die unmittelbare Anschauung zeigt auch, daß da ein „mehr“ über den gezahlten Lohn hinaus erzeugt wird. Wie das geht, das wird noch erläutert. Aber daß es so ist, das ist offensichtlich.

Daß mit diesem Verhältnis „durchaus kein Unrecht gegen den Verkäufer“ geschieht, sollte man auch noch einmal hervorheben: Es findet Äquivalententausch statt. Arbeitskraft wird verkauft, ihr Wert wird bezahlt. (Was sie wert ist, was der Verkäufer dafür erlösen kann, hängt von den Marktgegebenheiten ab und ist letztlich eine Frage des ständig, vor allem von der Kapitalistenklasse, ausgefochtenen Klassenkampfes.)

Die Frage von Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit ist dann schon die moralische Überhöhung der falschen Auffassung dessen, was über das Verhältnis von Lohn und Arbeitsleistung kursiert.
Subjektiv halten sich beide Seiten des Kapitalverhältnisses immer für angeschmiert.
Das hat aber nichts damit zu tun, was hier Sache ist.

„Dieser ganze Verlauf, die Verwandlung seines Geldes in Kapital, geht in der Zirkulationssphäre vor und geht nicht in ihr vor. Durch die Vermittlung der Zirkulation, weil bedingt durch den Kauf der Arbeitskraft auf dem Warenmarkt. Nicht in der Zirkulation, denn sie leitet nur den Verwertungsprozeß ein, der sich in der Produktionssphäre zuträgt.“ (S 209, 2. Absatz)

Ein sehr wichtiger Hinweis, der sich öfter wiederholen wird, aber jedesmal festgehalten gehört. Es genügt nicht, Produktionsmittel und Arbeitskraft zusammenzubringen, dadurch Waren zu erzeugen – diese müssen sich auch auf dem Markt bewähren, sonst ist alle in sie investierte Arbeit wertlos. Sieht man jedoch nur den Markt an und die auf ihm realisierten Wert, so bleibt es ein Rätsel, woher der Gewinn des Verkäufers stammt.

„Vergleichen wir nun Wertbildungsprozeß und Verwertungsprozeß, so ist der Verwertungsprozeß nichts als ein über einen gewissen Punkt hinaus verlängerter Wertbildungsprozeß. Dauert der letztre nur bis zu dem Punkt, wo der vom Kapital gezahlte Wert der Arbeitskraft durch ein neues Äquivalent ersetzt ist, so ist er einfacher Wertbildungsprozeß. Dauert der Wertbildungsprozeß über diesen Punkt hinaus, so wird er Verwertungsprozeß.“ (S 209, 4. Absatz)

„Wertbildungsprozeß“ heißt, daß einer Ware durch Arbeit Wert zugesetzt wird. Sobald dieser Zusatz über die zur Reproduktion nötige Arbeit hinausgeht, also Arbeit für wen andern ist, so findet Verwertung statt – investiertes Geld verwandelt sich in Wert, der nur mehr dem Kapitalisten gehört.

Frage: Historisch ist das aber nicht so, wie es in diesem Kapitel dargestellt wird, also daß der Kapitalist erst durch trial and error draufkommt, daß er länger arbeiten lassen muß?

Nein, es wird hier nur veranschaulicht, daß es eine Notwendigkeit kapitalistischer Produktion ist, daß der Arbeiter länger arbeitet, als zu seiner Reproduktion nötig ist.
Das „Kapital“ ist absichtlich nicht historisch aufgebaut. Deswegen kommt das Kapitel über die historische Entwicklung – das 23. – erst gegen Schluß, sozusagen als Veranschaulichung, Bebilderung. Obwohl manche Leute das für das wichtigste halten ...

„Wirkliche“, „nützliche“ Arbeit (S 209 unten) als Synonyme für die konkrete Arbeit – warum eigentlich?
Alle Arbeit im Kapitalismus hat immer beide Seiten, sie ist nützlich für die Gesellschaft, schafft Gebrauchswerte, steht für bestimmte Tätigkeiten. Als abstrakte hingegen befördert sie die Konkurrenz und bereichert ihren Anwender, während sie ihren Verausgaber verarmt.
„Nutzlose“ Arbeit wäre dann in dieser Logik solche Arbeit, die keinen Gebrauchswert schafft, und deshalb in einer bedürfnisorientierten Produktion verschwände. Man denke an Kassiererinnen im Supermarkt, Kellner, Notare, Finanzspekulanten usw.
Aber es geht eben nicht um die Gegenüberstellung von nützlich und nutzlos, sondern um die zwei Momente, konkret & abstrakt, die den Arbeitsprozeß auszeichnen:

„Ursprünglich erschien uns die Ware als ein Zwieschlächtiges, Gebrauchswert und Tauschwert. Später zeigte sich, daß auch die Arbeit, soweit sie im Wert ausgedrückt ist, nicht mehr dieselben Merkmale besitzt, die ihr als Erzeugerin von Gebrauchswerten zukommen. Diese zwieschlächtige Natur der in der Ware enthaltenen Arbeit ist zuerst von mir kritisch nachgewiesen worden.“ (S 56, 1. Absatz)

Man sollte hier vielleicht einmal darauf hinweisen, daß es nicht die Erfindung Marx’ ist, daß Arbeit Wert schafft – das, was gemeinhin als „Arbeitswertlehre“ durch die marxistische Theorie geistert. Das war der Konsens der gesamten Nationalökonomie zu seiner Zeit, und weder Marx, noch Ricardo usw. hätten gedacht, daß das einmal von der Wissenschaft bestritten werden würde. Was denn sonst, wenn nicht die Arbeit!
Die Besonderheit von Marx’ Theorie ist die Entdeckung der abstrakten Arbeit, als gesellschaftlich notwendige Durchschnittsarbeit, die sich über den Markt ständig mit allen anderen Arbeiten vergleicht, und deren Festlegung als immanentes Wertmaß. Das ist der Fortschritt gegenüber z.B. Ricardo, der die individuelle Arbeit als wertbildend bestimmt, was dann zu absurden praktischen Konsequenzen wie der Proudhon’schen Tauschbank geführt hat, wo Arbeitsleistungs-Anerkennungs-Zettel als Ersatzgeld ausgegeben wurden und der langsamste das meiste erhielt.

„Fernere Bedingung ist der normale Charakter der Arbeitskraft selbst. In dem Fach, worin sie verwandt wird, muß sie das herrschende Durchschnittsmaß von Geschick, Fertigkeit und Raschheit besitzen. Aber unser Kapitalist kaufte auf dem Arbeitsmarkt Arbeitskraft von normaler Güte. Diese Kraft muß in dem gewöhnlichen Durchschnittsmaß der Anstrengung, mit dem gesellschaftlich üblichen Grad von Intensität verausgabt werden.“ (S 210, 2. Absatz)

Wenn man also gesundheitlich nicht die nötigen Voraussetzungen mitbringt, verkrüppelt ist oder so, so wird man entweder als Arbeitskraft gar nicht gekauft, oder zu einem geringeren Preis, also Lohn. Ist man jedoch voll arbeitsfähig, so wird diese Arbeitskraft mindestens „in dem gewöhnlichen Durchschnittsmaß der Anstrengung ...“ angewendet!

Hier wird noch ein sehr einfaches Arbeitsverhältnis abgehandelt, wo der Unternehmer den Arbeiter an seinen Arbeitsplatz stellt und ihm die Arbeitsmittel in die Hand drückt. Aber heute wird ja schon sehr viel ausgelagert an Subunternehmer und Heimarbeiter, wodurch der Kapitalist viele Kosten und Risiken auf den Arbeiter abwälzt.

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Diskussion:
Frage: Wie ist das eigentlich, gibt es eine Kritik daran, daß Marx den Wert auf die investierte Arbeit reduziert?

„Reduziert“ ist nicht richtig – die enthaltene Arbeitszeit macht den Wert aus, ist mit ihm identisch.

Kritik an der Arbeitswertlehre gibt es eben von der Nationalökonomie, die sich nach Marx gegen diesen bisherigen Konsens der Zunft gewendet hat, um den Beitrag der verausgabten Arbeit zur Wertbildung zu leugnen und selbige völlig auf den Markt und in die Willkür des Konsumenten zu verweisen. Nach der heute gelehrten Sichtweise entsteht der Wert irgendwo im Niemandsland zwischen Angebot und Nachfrage.
Der Begründer dieser Anti-Marx und Anti-Arbeitswert-Lehre war Eugen Böhm-Bawerk. Mit ihm nimmt die Wiener Schule der Nationalökonomie und die subjektive Wertlehre ihren Ausgang. Mit dummen Beispielen wie anhand von Wasser in der Wüste oder Kunstwerken wird „bewiesen“, daß Preise vollkommen willkürlich sind.
Böhm-Bawerk führt unter anderem gegen Marx ins Feld, daß er mit der Beschränkung auf die Analyse der Ware eine unzulässige Einschränkung der Untersuchung der Marktwirtschaft macht, weil er den Boden damit ausschließt. Außerdem macht er einen Widerspruch dingfest zwischen der Annahme, daß Waren zu ihrem Wert verkauft werden, und der Erkenntnis, daß die ständige Neubestimmung des Wertes eben eine Frage der Konkurrenz ist.

Kritik an der Wertlehre hatte auch Silvio Gesell, der den Wert überhaupt für eine falsche Abstraktion hält und dann bloß über die Preise fabuliert, die in einer Art Übereinkunft zwischen Verkäufer und Käufer festgelegt werden. Solange der Sündenfall des Zinsnehmens nicht eintritt, ist die Warenproduktion für ihn eine reine Idylle a la Asterix und Obelix.

Aber eigentlich gehört diese Frage und ihre Erörterung in den ersten Abschnitt des Kapitals, denn dort wird der Wert eingeführt und erläutert. Später wird diese Bestimmung des Wertes als bekannt vorausgesetzt.
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Einfache und komplizierte Arbeit wird unter den Bedingungen, daß beide als abstrakte Arbeit gelten, nur mehr nach Quantität unterschieden, sodaß es keinerlei Abstrich von der Analyse bedeutet, im weiteren nur mehr von einfacher Arbeit zu reden.

Die Fußnote 18 (S 212) über die Willkür bei der Entlohnung verschiedener Arbeiten ist heute genauso aktuell wie damals. Es läßt sich sogar weiterentwickeln, daß inzwischen höchst komplizierte Arbeit aufgrund der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt zu Hungerlöhnen zu haben ist.

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In diesem Kapitel geht es darum, zu zeigen, wie sich die konkrete Arbeit gestaltet, wenn sie unter dem Kommando des Kapitals und zum Zweck der Mehrwertproduktion eingesetzt wird. Dieses Kapitel klaubt sozusagen auseinander, was jede Arbeit notwendigerweise bedingt und hervorbringt, und wie sich diese Arbeit im Kapitalismus gestaltet – Naturnotwendigkeiten und notwendige Elemente dieser Produktionsweise werden voneinander geschieden.

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