Protokoll 15
18.12. 2011

 

III. Abschnitt. Die Produktion des absoluten Mehrwerts

V. Arbeitsprozeß und Verwertungsprozeß

1. Arbeitsprozeß

„Die Produktion von Gebrauchswerten oder Gütern ändert ihre allgemeine Natur nicht dadurch, daß sie für den Kapitalisten und unter seiner Kontrolle vorgeht.“ (S 192, Absatz 1)

Dieser Satz birgt in sich schon die Möglichkeit von Mißverständnissen. Natürlich ändert sich der Arbeitsprozeß dadurch, zu welchem Zweck er stattfindet.

„Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, daß er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut.“ (S 193, Absatz 1)

Dieses Evergreen des „Kapitals“ beschreibt zunächst einmal den Unterschied zwischen Tier und Mensch. Schwieriger ist der letzte Satz dieses Absatzes:

„Außer der Anstrengung der Organe, die arbeiten, ist der zweckmäßige Wille, der sich als Aufmerksamkeit äußert, für die ganze Dauer der Arbeit erheischt, und um so mehr, je weniger sie durch den eignen Inhalt und die Art und Weise ihrer Ausführung den Arbeiter mit sich fortreißt, je weniger er sie daher als Spiel seiner eignen körperlichen und geistigen Kräfte genießt.“ (ebd.)

Wenn bei der Arbeit etwas Gscheites herauskommen soll, so mehr muß sich Wille, Planung und Aufmerksamkeit gegenüber Spontanität oder Vergnügen durchsetzen. (Man denke an Haus- oder Dammbau, und die dafür nötigen Berechnungen, aber auch Einbeziehung der Jahreszeiten usw.)
Aber man sollte bedenken: Wenn Planung usw. es zulassen, so kann es kein Fehler sein, wenn die Arbeit auch Vergnügen bereitet. Man sollte nicht Zweckmäßigkeit und Freude an der Arbeit als Gegensatz auffassen.
Hierzu wiederum der „Entfremdungs“-Gedanke und die auch heute wieder populäre Vorstellung, Arbeit müsse auf jeden Fall Freude machen, und es sei die Aufgabe einer kommunistischen Gesellschaft, eine Art „Produktion durch Freude“ einzurichten: Demgegenüber muß man darauf hinweisen, daß jede rationell verrichtete Arbeit einen Zweck hat, man will etwas Nützliches herstellen, weil man es braucht, und das bestimmt einmal den Arbeitsverlauf, und nicht der Spaß, den man daran hat.

Die Beschreibung der Arbeitsprozesse, die Notwendigkeit, sich Werkzeug, Lagerungsmöglichkeiten und Kommunikationsmittel zuzulegen wird von Marx sehr genau genommen, um die allgemeinen Bestimmungen von Arbeit überhaupt von ihren jeweils gesellschaftlich bedingten besonderen Verlaufsformen zu trennen. Er führt also hier erst aus, was alle Arbeit auszeichnet, um dann zu zeigen, wie das im Kapitalismus ausschaut und was da alles gesellschaftliches Beiwerk ist, aber als Naturnotwendigkeit – sonst müssen wir alle verhungern! – behauptet und geglaubt wird.

Die auf Seite 197 gemachte Behauptung:

„Machen Produktionsmittel im Arbeitsprozeß ihren Charakter als Produkte vergangner Arbeit geltend, so durch ihre Mängel. ... Im gelungnen Produkt ist die Vermittlung seiner Gebrauchseigenschaften durch vergangne Arbeit ausgelöscht.“ (S 197 ganz unten)

ist falsch. Auch außergewöhnlich gute Qualität fällt auf und man merkt sich, wo das Zeug her ist.

Nur durch weiteren Gebrauch in der produktiven Konsumption bewahren die verarbeiteten Rohstoffe ihren Gebrauchswert und auch ihren Wert, also die in sie investierte Arbeit. (S 198)

Die Übergangsphase der Manufaktur und des Verlagssystems charakterisiert Marx so:

„Er muß die Arbeitskraft zunächst nehmen, wie er sie auf dem Markt vorfindet, also auch ihre Arbeit, wie sie in einer Periode entsprang, wo es noch keine Kapitalisten gab. Die Verwandlung der Produktionsweise selbst durch die Unterordnung der Arbeit unter das Kapital kann sich erst später ereignen und ist daher erst später zu betrachten.“ (S 199, Absatz 2)

Hieraus entnehmen wir: Die Teilung der Arbeit kommt nicht erst mit dem Kapitalismus in die Welt, sondern ist diesem vorausgesetzt. Der entscheidende Schritt, der hier gegenüber der Stufe des Handwerks getan wird, ist die Trennung des Arbeiters von seinen Arbeitsmitteln und dem Produkt seiner Arbeit, die beide Eigentum des Kapitalisten sind. Die Arbeitskraft wird gemietet, der Arbeitsvorgang wird zu einer bloßen Durchgangsphase zur Schaffung des endgültigen marktfähigen Produkts.

 

2. Verwertungsprozeß

„Gebrauchswerte werden hier überhaupt nur produziert, weil und sofern sie materielles Substrat, Träger des Tauschwerts sind.“ (S 201, Absatz 1)

Dieser Umstand wird gerade einmal wieder vor Augen geführt angesichts des jüngsten Bio-Skandals, bei dem irgendeinen Fraß herstellende italienische Firmen Bio-Zertifikate eingekauft haben, um ihr Zeug besser anzubringen.

Einwand: Es wird aber doch im Kapitalismus nicht nur Mist produziert, sondern auch durchaus brauchbare Dinge. Siehe die Aufteilung in Billig- und Bio-Produkte in Supermärkten.
Es ist aber auch nicht die Kritik am Kapitalismus, daß er nur mindere Qualität hervorbringt, sondern hier soll auf den Umstand hingewiesen werden, daß der Kapitalist nicht Gebrauchswerte für das Bedürfnis herstellt, sondern in erster Linie Tauschwerte, also Waren, für die er Geld haben will. Also kann es für ihn auch zweckmäßig sein, billiges minderwertiges Zeug herzustellen, oder etwas wegzuwerfen, was sich nicht verkaufen läßt. (Siehe Mist-Stirler bei Supermarkt-Mistkübeln.) Schließlich werden viele Dinge, nach denen es durchaus Bedürfnis gäbe, gar nicht erst produziert, weil es dafür keine zahlungsfähige Nachfrage gibt.

Das ist kein Verteilungsproblem, wie jemand eingewendet hat. Das würde voraussetzen, daß es den Kapitalisten um Verteilung ginge, und dagegen spricht alles, was wir bisher abgehandelt haben. Fürs Verteilen wäre Geldwirtschaft die ganz falsche Methode. (Das ganze Gerede von der „Verteilung“, die, nebenbei bemerkt, auch nichts Erstrebenswertes ist, unterstellt die Vorstellung der Versöhnbarkeit von Kapital und Arbeit und den guten Glauben an den Staat als ausgleichende Instanz. Es ist ein sozialdemokratisches Ideal, das in den Ideologie-Pool der Nationalökonomie übernommen wurde. Praktizierbar ist es übrigens nicht, und es ist auch beispiellos kindisch: Erst sollen alle drauflos produzieren, dann kommt der Weihnachtsmann und sammelt alles ein, und dann läßt er es durch seine guten Geister überallhin ausliefern. So geht rationelles Wirtschaften nicht.)

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DISKUSSION UM DIE VOLKSWIRTSCHAFTSLEHRE

Was ist von der von Adam Smith in die Welt gesetzten Behauptung zu halten, wenn jeder nur auf seinen Nutzen oder Vorteil schaut, so kommt doch am Schluß Wohlstand für alle heraus?

Die erste Beobachtung ist, daß „Nutzen“ oder „Vorteil“ bzw. „Egoismus“ hier schon sehr genau definiert ist. Wenn jemand seinen Nutzen darin sieht, möglichst viel Muße zu haben oder möglichst viel im Mittelmeer baden zu können, so folgt daraus noch nicht, daß man dafür möglichst viel Geld haben will – es sei denn, das betreffende Individuum findet eine Gesellschaft vor, in der die Verfügung über Geld die conditio sine qua non für alle Lebensregungen ist.

Zweitens braucht man doch nur einmal in die Welt schauen, um zu sehen, daß nicht nur Überfluss an Waren herrscht, sondern sehr viel Mangel daneben existiert, wo nicht zahlungsfähige Bedürfnisse auf der Strecke bleiben. Gerade zu Weihnachten soll man doch dauernd für irgendwelche bedauernswerten Zukurzgekommenen Geld locker machen.

Drittens nützt der ganze Egoimus nix, wenn man kein Kapital und deshalb auch keine Produktionsmittel hat.

Schließlich, wenn der „Haupteffekt“ ist: möglichst viel Gewinn machen! und als „Nebeneffekt“ kommen dabei dann auch noch Gebrauchswerte heraus, ist doch über das, worum es in dieser Wirtschaftsweise geht, ohnehin eine harte Wahrheit ausgesprochen.

Aber was den Kapitalmangel betrifft, so sind die VWL-ler auch keineswegs verlegen – es gibt hier keine wissenschaftlichen Schamgrenzen – auch den Lohn, den wer bekommt, als eine Art „Gewinn“ aufzufassen. Etwas weniger halt als der Profit des Unternehmers, aber immerhin, und kein „Risiko“! Egoismus, Vorteil, Nutzen – alle diese Begriffe sind bereits „frisiert“, um für die Lobhudelei auf die Marktwirtschaft herzuhalten.

Und von wegen Nationalökonomie! In Wirklichkeit ist das Psychologie: Das ganze Produktionsverhältnis wird als Ergebnis einer allgemeinmenschlichen Eigenschaft aufgefaßt: Streben nach mehr, Gier.

Ansonsten ist auch die Ausdrucksweise mit „Hauptzweck“ und „Nebeneffekt“ verkehrt, weil es den Zusammenhang zwischen Gewinne-Machen, Warenproduktion und moderner Armut falsch bestimmt – es stellt sich als ein zufälliges Nebeneinander dar, so in der Art: das gibts auch.
Es sind nicht einfach „Neben“-Effekte oder „Dis“funktionalitäten, sondern ein Grundwiderspruch der kapitalistischen Produktion tritt hier auf: Produktion & Verkauf dienen dem Gewinn, aber die Waren, die genau deswegen nicht verkauft werden können, verfallen, entwerten sich und damit auch wieder das Kapital, das sie zwecks Gewinn-Machen herstellen hat lassen.
Die VWL hingegen will von Widersprüchen nichts wissen und baut Modelle, um das an und für sich gute System irgendwie zu verbessern, und störende „Neben“effekte zu beseitigen. Und wenn ein Modell „gescheitert“ ist, so macht sie sich frohgemut ans nächste.

Hunger in der Welt ist für VWL-ler eine Disfunktionalität, die man aufheben muß, wie das ja auch in verschiedenen UNO-Programmen verkündet wird. Für Marx ist es ein notwendiges Ergebnis des Kapitalismus, ein Zeichen dafür daß und wie er funktioniert.

Aber gibt es nicht irgendwie vernünftigere VWL-ler?

In dieser Frage – das System ist verbesserungsbedürftig, aber im Grunde solid – sind sich alle einig. Das sieht man ja auch an den Auseinandersetzungen zwischen Keynesianern und Friedmanianern – da werden verschiedene Methoden, den Kapitalismus von Staatsseite zu handhaben, gegeneinander ausgespielt.
Man sieht die Parteilichkeit und eigentlich auch ökonomisch Inkompetenz der Ökonomen angesichts der jetzigen Finanzkrise: Soros läßt Geld springen, damit sie sich was einfallen lassen, und heraus kommt – nichts.
http://NestorMachno.blogsport.de/2010/04/13/die-nationaloekonomen-treten-an-zur-rettung-der-welt/
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Die Geschichte mit Garn und Spindel (S 202, Absatz 1) ist verwirrend. Hier tritt das „allgemeine Wertgesetz“ auf, ohne daß ganz klar wird, was damit gemeint ist. Warum ist Garn äquivalent mit Baumwolle und Spindelverbrauch? Wo ist die zugesetzte Arbeit? Wie kann dieselbe Arbeitszeit erforderlich sein, um die Baumwolle und das Garn zu erzeugen? Es wird erst die Spinn-Arbeit weggelassen, um dann wieder hinzugefügt zu werden.

All diese Ausführungen münden in der Feststellung:

„Die Werte der Produktionsmittel, der Baumwolle und der Spindel, ausgedrückt in dem Preise von 12 sh., bilden also Bestandteile des Garnwerts oder des Werts des Produkts.“ (S 203, 2. Absatz)

Irgendwie keine besondere Überraschung. Es kommt Marx offenbar hier darauf an, zu zeigen, wie der Wert (und damit in der Folge eben der Preis) einer verarbeiteten Ware sich aus mehreren Einzelarbeiten, die zu ihrer Herstellung notwendig sind, zusammensetzt. Es macht dabei auch keinen Unterschied, ob einer oder viele dabei beteiligt sind – es geht nur um die tatsächlich aufgewendete – und natürlich ges. durchschn. notw. – Arbeitszeit.

Es muß jedoch am Ende brauchbares Garn herauskommen, sonst war die Spinnarbeit für die Katz und auch die vorherige Arbeit würde damit vernichtet. Außerdem geht nur ges.notw. durchschn. Arbeitszeit ein, also nicht nur daß der Spinner nicht länger brauchen darf, er darf auch nicht mehr oder wertvolleres Material verbrauchen.

Gebrauchswert mag zwar in der individuellen Konsumtion etwas Subjektives sein, aber bei der produktiven Konsumtion ist er etwas sehr Objektives: die Spindel aus Eisen leistet genausoviel oder sogar mehr als die aus Gold.

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