Protokoll 12, Teil 1
16.10. 2011

Nachtrag Zahlungsmittel: Jede Menge Geschäfte wird möglich, die ohne kommerziellen Kredit gar nicht über die Bühne gegangen wäre. Das verschärft natürlich den Crash, wenn irgendwo der Kredit zusammenbricht.

Das ist etwas anderes, als gewöhnliche Zahlungsunfähigkeit ohne Kredit. A glaubt, B könne nicht zahlen, und kündigt ihm daher den Kredit. B hat vielleicht nur Zahlungsverzögerungen – sein Kunde C hat nach Land D geliefert, wo es gerade Währungsturbulenzen gibt. Es ist möglich, daß C aus D nix kriegt – aber die Kündigung von A gegenüber B antizipiert das bereits und die Kette der Zahlungsaufkündigungen und Konkurse ist bereits am Laufen, wenn auch C aus D sein Geld doch kriegen sollte.

(Frage: Hab ich was über den Zins versäumt?

Antwort: nein, weil Zins ist in der Tat nicht Thema dieses ersten Abschnitts. Der kommerzielle Kredit wird eingeführt, aber um zu begreifen, was Zins ist und worauf er beruht, bedarf es schon einiger weiterer Lektüre. )

Noch einmal der Abschnitt übers Weltgeld, der beim letztenmal nicht ganz vollständig abgehandelt wurde.

Wie ist das mit der abstrakten Arbeit, also gesdurnotw Arbeitszeit, die sich weltweit durchsetzt? („Verwirklichungsform der menschlichen Arbeit in abstracto“) Wenn es um die Konkurrenz der Nationen geht, so ist eben die durch höhere Produktivität geschaffene Wettbewerbsfähigkeit das Mittel, mehr Weltgeld an Land zu ziehen, also sich einen Teil des Mehrwerts der anderen Nationen anzueignen. Oder, um den Gedanken auf heutige Zustände auszudehnen – dort ist das Weltgeld auch in dem Sinne zu Hause, daß es dort erzeugt wird.
Ist das wirklich so? Man betrachte China: Es punktet wegen seiner niedrigeren Löhne, nicht wegen seiner höheren Arbeitsproduktivität. Und es gibt auch kein Weltgeld heraus, obwohl es Mords-Devisen-Reserven hat.

(Exkurs zu Produktivität und niedrigen Löhnen am Beispiel Rumäniens: Wenn man sich als Billiglohnland attraktiv macht, so zieht man dadurch gerade solche Investitionen an, die nicht oder wenig zur Produktivitätssteigerung beitragen, weil ja der Anreiz, lebendige durch vergegenständlichte Arbeit zu ersetzen, gering ist.
Bei China ist das anders – die haben ja neben jeder Menge arbeitsintensiver Sweatshops auch hochmoderne Fabriken.)

Doppeltes Wertmaß – Gold und Silber – gibt es heute in Form verschiedener Währungen auf dem Weltmarkt. Man könnte sagen, das Problem hat sich vervielfacht und damit dem Geldhandel neue Sphären eröffnet.
Das Rätsel mit dem Wert bzw. der Arbeitszeit, die sich international messen muß, löst sich dahingehend auf, daß sie eben in Weltgeld gemessen wird und darin der Unterschied der geringeren Anwendung (höhere Produktivität) und der geringeren Kosten (niedrigere Löhne, Sklavenarbeit) gelöscht ist.

„Die Funktion als Zahlungsmittel, zur Ausgleichung internationaler Bilanzen, herrscht vor.“ (157, Abs. 2)

Es ist natürlich zweckmäßig, nicht alle Zahlungen im internationalen Verkehr in Edelmetallen zu leisten, also diese hin und her zu schieben, sondern anschreiben zu lassen – wie es die Kaufleute auch machten – und dann zu bestimmten Stichtagen Bilanz zu ziehen und die Bilanzen auszugleichen.
(Handelsbilanz, Außenhandel als Reichtumsquelle der Merkantilisten – nur was für Weltgeld verkauft wird, bringt die Nation voran.)
Dieser Bilanzausgleich wird im Falle einer befürchteten Zahlungsunfähigkeit des Handelspartners aufgekündigt, er erhält keinen Kredit mehr.

„Stoffwechsel zwischen verschiednen Nationen“ = Warenaustausch. Wenn der „gestört“ ist – muß man da gleich an Kriege oder Katastrophen denken? Können nicht auch Ungleichgewichte gemeint sein, ein Land führt ständig mehr ein als aus und irgendwann kippt das dann, und es wird zahlungsunfähig? (Argentinien, Griechenland?) Auch ein Börsencrash kann so etwas auslösen, es muß nicht eine außerökonomische Heimsuchung sein, auch der friedliche Handel und Wandel kann Krisen verursachen, wie sie im Augenblick wieder einmal schlagend werden.

Zu der ganzen Debatte um Subsidien ist Wikipedia wieder einmal erhellend. Es geht eben um Unterstützungen, für die man Weltgeld braucht und nicht Waren zur Verfügung stellen kann.

Sich einen Staatsschatz zu halten, um Kriegsentschädigungen (Fn. 110a) locker wegzuzahlen, ist etwas überholt angesichts der modernen Kriege, die Staatsschätze entweder aufzehren oder wo sie gleich vom Sieger kassiert werden.
Allgemein als Mittel, sich unabhängig zu machen, hat ein Staatsschatz natürlich schon was für sich, und es hat sich ja bei den Amis bewährt, in Fort Knox und anderswo jede Menge Gold einzulagern. So konnten sie den $ zum Weltgeld machen.

„ … eine Bewegung, die den unaufhörlichen Oszillationen des Wechselkurses folgt.“ (S 159, Absatz 2)

Wie kamen in früheren Zeiten Wechselkurse zustande?
Die nationalen Währungen waren ja früher auch Metallgelder, enthielten also Gold und Silber. Auch das Prosperieren eines Landes und das Abschiffen eines anderen zeigte sich  beim Vergleich der Währungen. Hier wird irgendwie eine verkehrte Trennung zwischen „nationalen Geldern – bestehen nur aus Blech“, und „Weltgeld = Gold und Silber in Barrenform“ gemacht. Weltgeld waren auch Dukaten oder Maria-Theresientaler, wenn sie rein waren.
Die Wechselkurse wurden auf den Börsen gemacht und spiegelten das Handelsvolumen der verschiedenen Staaten wieder, sodaß auf einer Börse ein anderer Wechselkurs zwischen zwei Währungen entstand als auf einer anderen. In der Wertschätzung einer Währung äußert sich das Vertrauen, daß der private Handelspartner oder der Staat selbst zahlungsfähig bleibt. (Bei den Rating-Agenturen heute ist es genauso.)
Die nicht ganz geklärte Frage über das Entstehen des Wechselkurses zu Marx’ Zeiten weist darauf hin, daß wir auch nicht genau wissen, wie heute Wechselkurse zustandekommen. 

„Länder entwickelter bürgerlicher Produktion beschränken die in Bankreservoirs massenhaft konzentrierten Schätze auf das zu ihren spezifischen Funktionen erheischte Minimum. Mit gewisser Ausnahme zeigt auffallendes Überfüllen der Schatzreservoirs über ihr Durchschnittsniveau Stockung der Warenzirkulation an oder unterbrochenen Fluß der Warenmetamorphose.“(S 160)

Hier tritt auf Staatsebene derselbe Widerspruch auf, der auch den privaten Schatzbildner quält: Herumliegende Reichtümer sind totes Kapital, sie stärken weder Wirtschaft noch Staatsmacht noch Militär, und der Notgroschen wird daher möglichst beschränkt. Umgekehrt: Wenn wie heute Krise ist und die Banken lieber auf ihrem Geld sitzen, als es herzuborgen, oder private Geldbesitzer nicht wissen, wo sie ihr Geld halbwegs sicher anlegen können, so führt diese Art von moderner Schatzbildung auch zu „Stockung der Warenzirkulation“.
Umgekehrt: wenn wo zuviel aufgeschatzt wird, so ist das eben schon ein Krisensymptom, weil wenn alles flutscht, so wird jeder Groschen investiert.

Wir sind übereingekommen, folgende zwei Fragenkomplexe einmal gesondert abzuhandeln, irgendwann im Winter:

1. Wert, Geld, Gold, Weltgeld in Zeiten des Staatspapiergeldes – welche Bestimmungen desselben finden sich bereits im 1. Abschnitt? Wo ist Marx obsolet – und weshalb?

2. Die „neue“ Marxlektüre. Welche Interpretationen von Marx kursieren heute über diesen Abschnitt, inwiefern beziehen sie sich auf die klassischen ML-Interpretationen, und was ist dran, bzw. wo handelt es sich nur um philosophisch-methodisches Geschwätz?

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