Protokoll 10
16.8. 2011

c) Die Münze. Das Wertzeichen

„Wie die Feststellung des Maßstabs der Preise, fällt das Geschäft der Münzung dem Staat anheim.“ (S 138, 2. Absatz)

Man erinnere sich zurück: Das allgemeine Äquivalent kann nicht aus dem Markt kommen, sondern wird von außen gesetzt. Mit der Münzung trennt sich der immanente Wert vom Nominalwert und der Gewichtsname vom Gewicht. Auch die Münze stellt bereits eine Emanzipation vom Wert dar, den sie zu repräsentieren vorgibt.

„In den verschiednen Nationaluniformen, die Gold und Silber als Münzen tragen, auf dem Weltmarkt aber wieder ausziehn ...“ (S 139, 1. Absatz)

... oder sich umziehen ... Unter den Bedingungen der Edelmetall-Zirkulation war gutes Geld (also mit hohem Edelmetall-Gehalt) auch außerhalb der Landesgrenzen nachgefragt, verarmte den Staat, der es prägte und wurde von anderen Staaten zur Herstellung des eigenen Geldes verwendet.
Während heute jeder Staat froh ist, wenn seine Währung nachgefragt ist auf dem Weltmarkt, so war das zu Zeiten der Münzzirkulation ein Ärgernis.

Na ja, der Schweiz ist es heute nicht so recht, daß der Franken so begehrt ist ...

Das ist aber eigentlich ein neueres Problem, daß Währungen zu Fluchtwährung werden, und deswegen nachgefragt werden, und nicht deswegen, weil so ein reger Warenaustausch in ihnen stattfindet. Dieser Hang zur Schatzbildung (kommt noch) steht der Funktion des Frankens als Zirkulationsmittel im Weg.

(Historisch wurden damals im internationalen Zahlungsverkehr eher Wechsel und Schuldscheine eingesetzt als Münzgeld, schon aus Gründen der Sicherheit und des Gewichts. Der Kredit, den Kaufleute einander gewährten, ersetzte die noch nicht vorhandene grenzüberschreitende Staatsgewalt.)

„Goldmünze und Barrengold unterscheiden sich also von Haus nur durch die Figur, und das Gold ist beständig aus einer Form in die andre verwandelbar.“ (S 139, 2. Absatz)

So ganz wars auch nicht, weil es handelte sich oftmals um Legierungen, die nicht so einfach wieder eingeschmolzen werden konnten.

„Im Umlauf verschleißen nämlich die Goldmünzen ... “(ebd.)

und müssen mühsam wieder neu geprägt werden. Auch da sieht man den Vorteil des Papiergeldes: Scheine sind leichter auszuwechseln.

Was meint Marx hiermit:

„Das Gold als Zirkulationsmittel weicht ab vom Gold als Maßstab der Preise und hört damit auch auf, wirkliches Äquivalent der Waren zu sein, deren Preise es realisiert.“ (ebd.) – ?

Es muß sich offenbar außer dem Gebrauch um die ständige Münzverfälschung durch die Fürsten handeln – die Behauptung, das was draufsteht, sei auch drin, wird ständig durch Prägungstricks und Verschleiß faktisch widerlegt. Geldentwertung.

„Wenn der Geldumlauf selbst den Realgehalt vom Nominalgehalt der Münze scheidet, ihr Metalldasein von ihrem funktionellen Dasein, so enthält er die Möglichkeit latent, das Metallgeld in seiner Münzfunktion durch Marken aus andrem Material oder Symbole zu ersetzen.“ (S 140, 1. Absatz)
„Relativ wertlose Dinge, Papierzettel, können also an seiner Statt als Münze funktionieren.“ (S 140, 2. Absatz)

Hiermit kommt zur Sprache, daß es für die Eigenschaft des Geldes als Zirkulationsmittel eigentlich überflüssig ist, daß es wert im Sinne von investierter Arbeit enthält.
(Es gibt aber andere Funktionen, für die es nicht gleichgültig ist ... Die Spannung steigt.)
All dies gilt natürlich nur für das Inland, weil dort kann der Zwangskurs eingeführt werden. Der Staat kann nur seine Bürger darauf verpflichten, bedruckte Zettel als Wertmaß anzunehmen.

„Im Vorbeigehn sei jedoch bemerkt, daß, wie eigentliches Papiergeld aus der Funktion des Geldes als Zirkulationsmittel entspringt, das Kreditgeld in der Funktion des Geldes als Zahlungsmittel seine naturwüchsige Wurzel besitzt.“ (S 141, 2. Absatz)

Das Auseinanderfallen von Kauf und Bezahlung ist der Ausgangspunkt der Zahlungsversprechen. Das wird aber erst später entwickelt, halten wir nur fest, daß da auch noch was kommt.

Frage: Was heißt eigentlich „Zwangskurs“? Muß man da ein vom Staat gesetztes Verhältnis zwischen Gold und Papiergeld akzeptieren?
Zunächst einmal heißt es, daß man dieses Papiergeld annehmen muß. Das Verhältnis muß man dabei natürlich auch akzeptieren, aber vor allem muß man akzeptieren: Papier statt realem Wert. Der Zwang, das Papiergeld zu verwenden, emanzipiert sich gerade von jedem Wert.
Man kann ja auch heute in Österreich nicht mit $ zahlen. Sogar in Bosnien-Herzegovina, das wirklich eine außerhalb der Landesgrenzen unerwünschte Währung hat, muß man beim Greißler mit KM zahlen, weil es strafbar wäre, das Geld als Hoheitssymbol zurückzuweisen – und da ist es jetzt zweitrangig, welches Verhältnis 10 KM zum Euro haben.

Marx geht hier schon davon aus, daß das Papiergeld mit Gold hinterlegt ist?
Davon geht er die ganze Zeit aus, daher auch sein Begriff „Wertzeichen“ – die Papierzettel verweisen auf, stehen für das „wirkliche“ Geld.
Nur: was heißt „hinterlegt“? – auch darüber muß man sich einmal unterhalten.

„Ein spezifisches Gesetz der Papierzirkulation kann nur aus ihrem Repräsentationsverhältnis zum Gold entspringen. Und dies Gesetz ist einfach dies, daß die Ausgabe des Papiergelds auf die Quantität zu beschränken ist, worin das von ihm symbolisch dargestellte Gold (resp. Silber) wirklich zirkulieren müßte. ...
Werden dagegen heute alle Zirkulationskanäle zum vollen Grad ihrer Geldabsorptionsfähigkeit mit Papiergeld gefüllt, so können sie infolge der Schwankungen der Warenzirkulation morgen übervoll sein. Alles Maß geht verloren. Überschreitet aber das Papier sein Maß, d.h. die Quantität von Goldmünze gleicher Denomination, welche zirkulieren könnte, so stellt es, von der Gefahr allgemeiner Diskreditierung abgesehn ... “(S 141/142)

Marx beharrt immer darauf, daß die Geldzirkulation in einer Relation zu den Warenwerten, also zur aufgewandten Arbeit stehen müsse. Damit wendet er sich gegen damals offenbar gängige Theorien, die darauf beharren, daß die Geldmenge beliebig groß und in Form von Papiergeld zirkulieren könne. Gleichzeitig gibt er aber immer wieder Bestimmungen an, die diesen Ersatz von Münze durch Papier nicht nur ermöglichen, sondern geradezu erheischen.
Die „Gefahr allgemeiner Diskreditierung“ bei Schwächeanfällen des das Papiergeld ausgebenden Staates ist dem Papiergeld natürlich immanent. Heute sind wir ja so weit, aber bei Währungen, die lange im Ruf von „Hartwährungen“ gestanden sind, obwohl sie damals das gleiche bedruckte Papier wie heute waren.
Auch die Frage, wie „die Ausgabe des Papiergelds auf die Quantität zu beschränken ist“, ist in diesen Ausführungen nicht geklärt, da ja die bedruckten Zettel und das mühselig aus dem Erdinneren herausgeholte Gold kein Gemeinsames in Form von aufgewandter Arbeit haben (die Druckarbeit geht nicht in den Wert der Banknoten ein. 10 Euro sind die gleiche Arbeit wie 100 Euro,) und daher jedes Verhältnis zwischen diesen beiden ein willkürliches, eine bloße Behauptung ist. Das Geschwätz von Golddeckung ist sowieso Unsinn, aber auch die Frage der Goldbindung drückt sich um diesen Umstand herum.

„Werden dagegen heute alle Zirkulationskanäle zum vollen Grad ihrer Geldabsorptionsfähigkeit mit Papiergeld gefüllt,“ –

wie geht das? Man druckt Geld wie wild? Na und? Haben doch die USA lang gemacht.
Woher weiß man, daß die „Geldabsorptionsfähigkeit“ erschöpft ist? Wenn das Geld nachgefragt ist, so erschließt es sich eben neue „Kanäle“, in denen es dahinblubbern kann. Oder verschwindet in Matratzen, als Schatz.
Vorher hat Marx Geldmengentheorien zurückgewiesen, jetzt erscheint es so, als ob er ihnen recht geben wollte:

„Überschreitet aber das Papier sein Maß, d.h. die Quantität von Goldmünze gleicher Denomination“

– wie ist denn diese Quantität festgelegt?

Marx meint einfach, das mit dem Papiergeld kann auf Dauer nicht gutgehen, sieht aber auch ein, daß bereits zu seiner Zeit aufgrund der Entwicklung der Warenproduktion am Papiergeld kein Weg mehr vorbeiführt.

Die „allgemeine Diskreditierung“ ist also dann die Inflation?

Man muß unterscheiden: Geldentwertung, um die geht es beim allgemeinen Gebrauch des Wortes „Inflation“, gehört zum gewöhnlichen Kapitalismus dazu – deswegen gibt es Warenkörbe und einen Index usw. Es wird von Nationalökonomen sogar als bedenklich angesehen, wenn diese ausbleibt, weil dann „wächst“ „die Wirtschaft“ womöglich nicht!
Die „allgemeine Diskreditierung“ oder „galoppierende Inflation“ heißt hingegen, daß das Geld als Maß der Werte nichts mehr taugt, weil es sich so schnell entwertet. Allgemeiner Vertrauensverlust tritt ein, niemand will dieses Geld mehr haben, und die Warenzirkulation bricht zusammen.

Die normale, ständige Geldentwertung ist auch ein Mittel zur Verarmung der Arbeiterklasse, weil die Löhne und Gehälter sind etwas, das nicht automatisch inflationsangepaßt wird.

Aber wenn jemand ein Geld am Konto hat oder ein Unternehmen ein bestimmtes Betriebsvermögen, das verringert sich doch auch mit der Inflation?

Deswegen werden Vermögen ja auch angelegt, um einen „Ertrag“ oberhalb der Inflationsrate zu erzielen, und das gute alte Sparbuch ist in Mißkredit geraten, weil die Zinsen so niedrig waren, daß sie unterhalb der Inflationsrate gelegen sind. Inzwischen suchen die Anleger ja nach etwas, was wenigstens die Inflationsrate ausgleicht, also zumindest den Wert beibehält, und deshalb kommt der Schweizer Franken zu denjenigen Ehren, die ihm gar nicht recht sind.

„so stellt es ... innerhalb der Warenwelt dennoch nur die durch ihre immanenten Gesetze bestimmte, also auch allein repräsentierbare Goldquantität vor.“ (ebd.)

Inwiefern „repräsentiert“ Papiergeld die Goldquantität? Wenn es das Gold als Zirkulationsmittel ersetzt hat, so ist es eben das Zirkulationsmittel, und nicht das Gold.
Marx stellt hier den Markt als eine Art Regulativ für die Papiergeldemission dar. Solange der Markt das umlaufen Geldquantum „aufsaugen“ kann, ist genug da, sonst zuviel.
Dabei kann der Markt diese ihm hier zugeteilte Rolle wirklich nicht erfüllen. Es kann doch z.B. gleichzeitig zuviel und zuwenig Geld da sein: Zu viel in den Händen derer, die keine Anlage finden und es deshalb der Zirkulation entziehen, und zuwenig in den Händen derer, die bestimmte Waren brauchen würden. Dann gibt es hier Schatzbildung, dort Mangel, und an dritter Stelle unverkäufliche Waren, aber keine übervollen „Geldkanäle“.

Das Beispiel mit der Unze Gold zu Papiergeldmenge (ebd.) illustriert nur einmal mehr, daß das Verhältnis von Papiergeld zu Gold ein willkürlich gesetztes ist, das ebenso willkürlich verändert werden kann. Wenn jetzt doppelt so viel Papiergeld-Nominale ausgegeben wird, so hat sich das Goldquantum, auf das sich diese Papiergeldmenge bezieht, ja nicht verändert – in der obig entwickelten Logik ist das Geld also nicht mehr geworden, weil es die gleiche Goldquantität repräsentiert.
Aber das klingt ja so, als würde die Inflation vom Staat festgesetzt, also verursacht, und so ist es ja auch nicht.
Ja, aber eben deshalb, weil die Geldentwertung nicht über ihr Verhältnis zum Gold, sondern über das Verhältnis zur Warenmenge zustandekommt. Heute gibt es sie ja auch, und es gibt kein Goldverhältnis mehr. Es ist heute auch nicht der Goldpreis, der die Geldentwertung bestimmt.

(Exkurs: Wie solche Geldmengentheorien, wenn ernst genommen, Schaden anrichten können, hat Marx im K III selbst beschrieben:
http://www.mlwerke.de/me/me25/me25_562.htm )

„Nur sofern das Papiergeld Goldquanta repräsentiert, die, wie alle andren Warenquanta, auch Wertquanta, ist es Wertzeichen.“(S 142, 2. Absatz)

Also ist heute das Geld kein Wertzeichen mehr, weil es nicht auf etwas anderes verweist.
Mit solchen Sätzen wie dem obigen können Leute mit Marx gegen die heutigen Praktiken der Geldmacherei argumentieren: Ja ja, das konnte ja nicht gutgehen!
40 Jahre lang ist es aber gutgegangen ...

Wie ist das jetzt eigentlich mit der Goldbindung, die von Nixon 1973 aufgehoben wurde?

„Dieser Kurs belief sich auf 35 Dollar je Unze Feingold, dabei entsprach eine Unze 31,104 Gramm Gold.“ <http://de.wikipedia.org/wiki/Bretton-Woods-System>

Theoretisch hätten damit doch die USA alle von ihnen ausgegebenen $ in entsprechende Goldmengen umwechseln müssen, wenn das von ihnen verlangt worden wäre?

Aber nein!

„Im System von Bretton Woods waren keine Deckungsvorschriften für den Geldumlauf vorgesehen. ... Die Länder konnten eine Geldpolitik ohne Rücksicht auf ihre Währungsreserven betreiben. “ (ebd.)

Die USA hatten zwar ein Verhältnis festgelegt, sich damit aber gar nicht verpflichtet, nur in diesem Verhältnis Geld auszugeben. Genauso war es mit den anderen Staaten, die ihre Währungen mit festen Wechselkursen an den Dollar banden, aber genauso nach eigenem Gutdünken Geld emittierten.

Haha! Auch nix mit der guten alten Zeit!

Deswegen wurde das System von Nixon auch aufgekündigt. Warum gutes Gold hergeben für Papierzettel?!

(Vor dem 2. Weltkrieg scheint es diese Bindung, also Selbstbeschränkung in der Geldausgabe schon gegeben zu haben, aber dem geh ich jetzt nicht nach.)

Ja, aber wenn die Inflation so ein Problem wäre, warum sagen dann die Regierungen nicht: Na gut, dann machen wir halt auf Deflation! und beschränken die Geldmenge.

Erstens steht es gar nicht in der Macht der jeweiligen Notenbank, Deflation selbst hervorzubringen. Wenn sie einfach Geld einzieht, anstatt mehr auszugeben, finden sicher Pleiten und Firmenzusammenbrüche statt, und jede andere Menge unschöner Dinge, die der Staat seiner Wirtschaft nicht wirklich verordnen will. Zweitens hat der Staat aber dann das Problem, sich zu finanzieren – der Grund für die Erhöhung der Menge des umlaufenden Geldes ist die Staatsverschuldung, also der Finanzbedarf des Staates. Und die Geldentwertung muß nicht eine Folge davon sein. (In Ungarn und Griechenland wurden nach den IWF-Stützungspaketen gewaltige Erhöhungen der MW-Steuer und der Mineralölsteuer vorgenommen, und damit ein Inflationsschub verordnet. Mit der Geldmenge hat das zunächst gar nichts zu tun.)
Die Deflation, die in Japan seit geraumer Zeit üblich ist, muß nicht ein Ergebnis eingeschränkten Geldumlaufs sein. (Auch dem geh ich jetzt nicht nach.)

Dergleichen Vorschläge beruhen auf 2 Irrtümern: erstens der Überschätzung des Staates als Lenker der Wirtschaft, 2. auf der Vorstellung, daß die Staatsgewalt in Dienst an der Wirtschaft aufgeht. Und 3., in Folge dessen, daß die Politiker und Nationalbankchefs es mit Wirtschafts- und Geldpolitik (Zinsfuß usw.) in der Hand hätten, den Erfolg der Nation hervorzurufen und zu garantieren.

Den letzten Absatz (und auch die vorigen) des Abschnitts Münze/Wertzeichen ließen sich doch so zusammenfassen: Es gibt sowohl von den Agenten der Zirkulation, also Käufern wie Verkäufern, als auch vom Hersteller des allgemeinen Äquivalents, dem Staat, ein Interesse, die Geldfunktion von der Wertmaterie zu trennen.
Von Seiten des Handels deshalb, weil Papiergeld leichter handhabbar und bei Verschleiß problemlos ersetzbar ist. Vom Staat deshalb, weil er sich dadurch Mittel beschafft, ohne Wert hergeben zu müssen.
Eine Folge davon ist natürlich, wie Marx weiter oben formuliert: Jedes Maß geht verloren.

X sagt dagegen, er entnehme dem Absatz etwas anderes: Solange Gold bzw. Silber wirklich als Münze zirkuliert, ist nur das Nominale interessant. Sobald es außerhalb der Zirkulation ist, ist es sein realer Wert, der ins Gewicht fällt, und auf den sich alles bezieht. Immanenter, „wirklicher“ Wert und draufgedruckter, behaupteter Wert trennen sich vollständig – der eine steckt(e) im NB-Tresor, der andere zirkuliert frischfröhlich als bloßes Zeichen.
Mit dem Zwangskurs wird dem Geld ein Nominale verliehen, das von den Marktteilnehmern als Gegenwert angenommen wird.

Nachtrag zum Begriff „Zwangskurs“: Als Zwang mußte die Annahme von Papiergeld in denjenigen Zeiten verordnet werden, als es noch die Alternative der Gold/Silbermünze gab. Heute wird dieser Zwang noch in Bosnien oder der Ukraine als solcher empfunden, wo das nationale Geld kein Vertrauen genießt, – im Vergleich zu den bedruckten Zetteln anderer Staaten, die vertrauenswürdig erscheinen.
Bei uns hingegen, also in funktionierenden kapitalistischen Ökonomien, würde doch heute niemand sagen: ich bin leider gezwungen, Euro zu nehmen! – die Bürger Mitteleuropas empfinden es als Selbstverständlichkeit, dieses Zirkulationsmittel zur Verfügung gestellt zu bekommen, und werfen der EZB höchstens vor, sich nicht genug um seine Solidität zu kümmern.

Es ist auch bei dem ganzen Unterkapitel „Zirkulationsmittel“ auch der Grund angegeben, warum das Gold durch Papier ersetzt werden kann: Weil es nur ein flüchtiges, verschwindendes Element beim Händewechsel der Waren ist, das niemand festhalten will.
In der Zirkulation, nur zur Erinnerung, ist ja immer W – G – W der Vorgang, Geld ist immer nur Mittel, um an Waren heranzukommen, und nicht der Zweck des Warentausches.

Das alles leitet über zum nächsten Punkt: Was passiert mit dem Geld, sobald es die Zirkulation verläßt? Da bleibt es ja auch nicht auf der Straße liegen.

 

3. Geld

„Die Ware, welche als Wertmaß und daher auch, leiblich oder durch Stellvertreter, als Zirkulationsmittel funktioniert, ist Geld. Gold (resp. Silber) ist daher Geld.“ (S 143, 2. Absatz)

Alles, was als Geld genommen wird, ist Geld – also auch Papier.
Die warenproduzierende Gesellschaft braucht Geld, ganz gleich, was als solches angeboten wird und wie es „gesichert“ oder „hinterlegt“ ist. (Salinenscheine, Rentenmark, Currency Board, Regionalgelder 1, 2, 3)

a) Schatzbildung

„Es wird immobilisiert, oder verwandelt sich, wie Boisguillebert sagt, aus meuble in immeuble, aus Münze in Geld, sobald die Metamorphosenreihe unterbrochen, der Verkauf nicht durch nachfolgenden Kauf ergänzt wird.“ (S 144, 2. Absatz)

Ist es richtig, zu sagen, daß die Münze erst Geld wird, wenn die Kette der Metamorphosen bei W – G unterbrochen wird? Das würde ja bedeuten, daß Geld erst durch Schatzbildung zu Geld wird, würde also dieser Funktion des Geldes sozusagen die Bestimmungsmacht darüber, wann Geld als Geld zu gelten habe, zusprechen.

Exkurs:
Die Schatzbildung wird von manchen Geldtheoretikern, wie Gesell und in dessen Kielwasser Keynes, als eine Art Sündenfall der Marktwirtschaft betrachtet, den es zu verhindern gilt. Sie unterbricht die Kette der Verkäufe, entzieht Geld der Zirkulation und ist der eigentliche Grund der Krise. Diese Leute betrachten das Geld als eine Art Anerkennung für geleistete Arbeit, das in der Bestimmung aufgeht, Vermittler des Warentausches zu sein. Wer Geld hortet, verweigert den Produzenten die Anerkennung und möchte sich in eine privilegierte Position begeben, um die anderen letztlich in die Schuldknechtschaft zu zwingen.
Die Vertreter dieser nationalökonomischen Schule sind Anhänger des Privateigentums und des Marktes und Gegner des Kredits, und darin sehr glaubwürdige Verfechter eines „guten“ Kapitalismus. Dieser ist allerdings ohne Kredit nicht zu haben. Wer Tausch und Verkauf, Markt gutheißt, und die Fortsetzung desselben, also Verwandlung von Geld in Kapital, ablehnt, outet sich als jemand, der das Prinzip des Verkaufs nicht begriffen hat: Man will den anderen benützen, um sich selbst zu bereichern.

Die Schatzbildung galt hierzulande in den letzten eineinhalb oder 2 Jahrzehnten als etwas Lächerliches: Geld gehört angelegt, um mehr zu werden! Heute suchen viele Anleger irgendeine Materie, um wenigstens den Wert ihres Vermögens zu erhalten, ohne zu erwarten, daß es mehr wird.

„Die entäußerte Gestalt der Ware wird verhindert, als ihre absolut veräußerliche Gestalt oder nur verschwindende Geldform zu funktionieren.“ (S 144, 3. Absatz)

Das ganze allgemein verständlich: „Die entäußerte Gestalt der Ware“ = „absolut veräußerliche Gestalt“ = „verschwindende Geldform“ sind einfach verschiedene Bezeichnungen des Geldes, und es geht darum, daß das Geld daran gehindert wird, sich wieder gegen Ware auszutauschen.

„Vanderlint, der die Warenpreise durch die Masse des in einem Land befindliche Goldes und Silbers bestimmt wähnt, fragt sich, warum die indische Waren so wohlfeil? Antwort: Weil die Inder das Geld vergraben.“ (S 144/145)

Es mag ja sein, daß reiche Inder Gold/Silber vergraben, für bessere Zeiten. Ist das aber eine korrekte Erklärung der indischen Preise? Wohl kaum. Dies erscheint hier nur als eine Bebilderung von Schatzbildung, ohne deren Erklärung. Es mag sein, daß die damaligen Maharadschas/Mogulen meinten, man müsse für mögliche magere Jahre vorsorgen, und zwar vom Standpunkt des Handels. (Seehandel, Seidenstraße)

„Mit der Möglichkeit, die Ware als Tauschwert oder den Tauschwert als Ware festzuhalten, erwacht die Goldgier.“ (S 145, 2. Absatz)

Der Kaufmann legt sich zunächst einen Geld-Schatz an, um immer Liquidität zu besitzen. Er sieht das Geld als etwas, was er (und andere) immer in genügend großer Menge haben muß/müssen, damit der Umlauf funktioniert. Aus dem Bedürfnis des Händlers, sich einen Schatz anzulegen für die mageren Zeiten (Winter/Herbst, einfach naturwüchsig notwendige Ruhezeiten des Handels) entsteht das Bedürfnis, sich möglichst viel von dem allgemein akzeptierten Zahlungsmittel, also möglichst viel gesellschaftlichen Reichtum in Form von Edelmetallen zuzulegen. Diese Art von Schatz ist dann nicht mehr dazu da, um kommerzielle Tätigkeit zu garantieren, sondern nur mehr für Bedürfnisse des Konsums. Es wird nicht gekauft, um zu verkaufen, sondern um zu vernaschen.
(Das leitet dann wieder über zu dem Bedürfnis, allen zu zeigen, daß man Kohle hat, weil man sie als tüchtiger Geschäftsmann/Erfolgsmensch einfach verdient hat, wie auch auf S. 148 oben beschrieben.)
Die Zirkulation hat inzwischen zwei „Löcher“: hinein kommt das Geld über die Münze/das Papiergeld, beides über die Staatsgewalt, und hinaus fließt es in Richtung Tresor/Matratze.

„Mit der Ausdehnung der Warenzirkulation wächst die Macht des Geldes“ (ebd.)

Es wird immer mehr käuflich und das heißt auch, daß immer weniger „for free“ ist, also immer mehr Leute an Geld herankommen müssen, um an Waren heranzukommen. Der Kaufmann findet ein größeres Warenangebot vor, der Produzent muß seine Produktion steigern, um an andere Güter heranzukommen.
(Die Klagen über die nivellierenden und den Charakter verderbenden Eigenschaften des Geldes ziehen sich offenbar durch die Literaturgeschichte.)

„Die gesellschaftliche Macht wird so zur Privatmacht der Privatperson.“ (S 146, Absatz)

Mit Geld kann man daher nicht nur Waren kaufen, sondern auch Personen.

„Die Ware als Gebrauchswert befriedigt ein besondres Bedürfnis ... die metallne Naturalform dieses Dings die allgemeine Äquivalentform aller Waren bleibt, die unmittelbar gesellschaftliche Inkarnation aller menschlichen Arbeit. Der Trieb der Schatzbildung ist von Natur maßlos.“ (S 147, 2. Absatz)

Jeder Gebrauchswert befriedigt ein bestimmtes Bedürfnis, Geld einerseits keines, andererseits aber die Möglichkeit nach unendlich viele, weil es Zugriff auf alle Waren sichert. Und darum kann man von diesem universellen Zugriffsmittel nie genug haben. wer zur Schatzbildung schreitet, hat ja keinen Grund, zu sagen, 100 oder 1000 Taler/Schilling/Euro sind genug, mehr brauch ich nicht.

Die Sphäre der Schatzbildung ergänzt die der Zirkulation und bildet das Reservoir, wohin überflüssiges Geld hingesteckt bzw. bei gesteigerter Nachfrage wieder in die Zirkulation geworfen wird.

Die Eingangsfrage – warum wird Geld erst in der Schatzbildung zu Geld? – klärt sich jetzt folgendermaßen: Schatzbildung setzt die Zirkulation und andere Funktionen voraus. Wenn das Zirkulationsmittel aber nicht zur Wertaufbewahrung taugen würde – z.B. Bananen – so könnten in der Tat keine Vermögen aufgehäuft werden und damit ginge auch die Universalität des Zugriffsmittels verloren.
Damit allgemeines Äquivalent zu Geld wird, muß es also wertbeständig sein.

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