DIE ERMORDUNG DARJA DUGINAS SBU Attentat Bombe Eurasier Alexander Dugin Krieg Ukraine I. DER EURASISCHE GEDANKE Darja Dugina mußte sterben, weil sie die Tochter eines Mannes war, der als Einflüsterer Putins gilt und diesen zu Großmachtplänen für Rußland inspiriert haben soll. Abgesehen davon, daß es sowieso eine dümmliche Konstruktion ist, jemanden zum Anstifter von Politik zu erklären, und dann in Folge die tatsächlichen Machthaber zu Verführten und ferngesteuerten Ausführenden zu reduzieren, so sei hier einmal kurz vorgestellt, was eigentlich dieses Weltbild Dugins auszeichnet.
Der britische Geograph Halford Mackinder entwickelte in seiner Schrift „Die geographische Kernfrage der Geschichte“ 1904 die Theorie, daß, wer Europa und Asien beherrsche, sich die ganze Welt untertan machen könne. Die Verbindung dieser beiden Kontinente sei sozusagen eine Basis, die nicht mehr übertroffen werden könne. Mackinders Theorie ist also als eine Art Warnung zu verstehen: Die britischen Eliten müßten alles unternehmen, um diesen Zusammenschluß der beiden Kontinente zu verhindern, weil das würde den Untergang der britischen Weltmacht bedeuten.
Das Buch, das die eurasische Bewegung lostrat, „Exodus nach Osten“, erschien 1921 in Sofia. Darin machten sich russische Emigranten Gedanken darüber, wie es nach der Oktoberrevolution und dem russischen Bürgerkrieg mit Rußland weitergehen sollte. Damals, das muß man bedenken, war die Sowjetmacht noch nicht so lange in Amt und Würden. Viele Emigranten machten sich Hoffnungen auf ihren Sturz und die Rückkehr in die Heimat.
Die Wiederentdeckung bzw. Wiederauferstehung dieses Gedankengutes oder Modells ging langsam vonstatten. Der Eurasismus ist in erster Linie ein Ergebnis der Enttäuschung vieler Russen über den Westen, die Demokratie, die Marktwirtschaft. Sowohl die zerstörerischen Folgen der Westöffnung für die russische Gesellschaft als auch die Behandlung durch den Westen, der erst auf den weiteren Zerfall Rußlands hoffte und dann, mit Obamas Worten, Rußland auf den Status einer Regionalmacht reduzieren wollte, führten zu Zorn und Abwendung vom Westen unter vielen dieser russischen Patrioten. Zu den Anhängern des eurasischen Gedankens gehört der Ökonom Glasjew, der durchaus Einfluß hat und der in den späten 80-er Jahren und nach dem Zerfall der Sowjetunion zu den Reformern, den eifrigen Anhängern der Marktwirtschaft gehörte – in großer Einigkeit mit Jegor Gaidar, Tschubais und anderen westorientierten Wirtschaftsfuzis. Für diese Leute sind die jetzigen Sanktionen des Westens ein wahrer Segen, weil sie ihre Sicht der Dinge bestätigen und Rußland zum Gang nach Osten nötigen. Mit allen Heilslehren und Religionen hat der Eurasismus gemeinsam, daß er für das praktische Handeln nicht viel hergibt. Konkrete politische Schritte oder ökonomische Maßnahmen lassen sich daraus nicht herleiten, die müssen aus anderen Überlegungen folgen. Nachher läßt sich allerdings viel mit solchen Heilslehren rechtfertigen.
II. PHILOSOPHIE IN RUSSLAND Eine russische Philosophiestudentin meinte mir gegenüber einmal, daß Rußland keine Philosophen hätte. Philosophie, so meinte sie, sei universalistisch. Das heißt, sie hätte immer die ganze Menschheit als Gegenstand, und sei nicht an nationale Grenzen gebunden. Wenn man diesen Gedanken weiterdenkt, so heißt das eigentlich, daß die europäische Philosophie für sich in Anspruch nimmt – und das ist tatsächlich so –, für die ganze Welt zuständig zu sein. Philosophie als Wissenschaft erhebt also einen imperialistischen Anspruch und gefällt sich in der Eitelkeit, ihre Regeln der ganzen Welt vorschreiben zu können. Im erweiterten Sinne heißt das, daß sie bestimmt, was als Wissenschaft und welche Moral weltweit zu gelten habe, und welchen Prinzipien sich der Rest der Menschheit zu unterordnen habe. Der universalistische Anspruch der Philosophie ist also erstens eurozentristisch und zweitens sehr gewalttätig. Die russischen Philosophen schauen demgegenüber alt aus, weil sie wären schon damit zufrieden gewesen, wenn es wenigstens in Rußland nach ihren Vorstellungen zuginge. Diese Selbstbeschränkung ist auch vielen Philosophie-Fans in Rußland seit jeher unangenehm aufgefallen, weshalb sie sich der westeuropäischen, vor allem deutschen Philosophie zuwandten. Vor allem Kant, dem Staatsphilosoph per se: »Welche Philosophie gibt die höchste Formel für den Staats-Beamten?« Die Kants: Der Staatsbeamte als Ding an sich zum Richter gesetzt über den Staats-Beamten als Erscheinung“ (Nietzsche, Götzen-Dämmerung, KSA Bd. 6, 129-130) Kant war sowohl bei den deutschen als auch bei den russischen Sozialdemokraten populär, obwohl Hegel, den Marx mehr schätzte, ihn in seinen Schriften ziemlich vernichtend kritisiert hatte. Aber wegen seiner Nützlichkeit für staatliche Herrschaft war und blieb er in Rußland ein Dauerbrenner. Der erste, der eine Abhandlung von Hegel ins Russische übersetzte, war Michail Bakunin, der nach Berlin übersiedelte, um dort Hegel genauer studieren zu können. Er unterhielt dort eine Art privaten Diskussionzirkel zum Studium der Philosophie Hegels, bis er sich anderen Themen, namentlich der Rebellion und Revolution zuwandte. Es ist bemerkenswert, wie sehr die vorrevolutionäre Theorie der Bolschewiki mit Philosophie befaßt war. Ökonomie spielte eine sehr untergeordnete Rolle. Einige Jahre vor der Oktoberrevolution faßten die Bolschewiki übrigens den Beschluß, Nietzsche zu verbieten. Er sei ein Reaktionär und deshalb für Sozialisten als Denker abzulehnen. Der größte Nietzsche-Anhänger in der russischen Sozialdemokratie war bis dahin Anatolij Lunatscharskij, der spätere Volkskommissar für Bildung. Die ganze sowjetische Epoche hindurch galt daher: Kant und Hegel – huj! – Nietzsche – pfuj! Ein anderes Thema sind die russischen Philosophen, die nach der obigen Definition wegen ihres mangelnden Internationalismus nur als patriotische Denker zu gelten haben. Herzen, Dobroljubow, Nekrassow und Tschernyschewski, auch die Anarchisten Bakunin und Kropotkin können genausogut als Philosophen gelten wie ihre westlichen Kollegen, sie wurden und werden jedoch jenseits der Grenzen Rußlands nicht zur Kenntnis genommen und gehen nicht in den Kanon des europäischen Bildungsbürgertums ein. Gleichzeitig und später dachten und schrieben die religiösen Philosophen Solowjow, Berdjajew, und Iljin. Berdjajew und Iljin wurden mit den sogenannten „Philosophenschiffen“ nach dem Ende des russischen Bürgerkrieges aus Rußland ausgewiesen und entfalteten einen guten Teil ihres Gedankengutes im Exil. Während sie im Exil ein Aschenbrödeldasein für Emigrantenzirkel führten, wurden sie nach dem Zerfall der SU und der darauf folgenden Orientierungslosigkeit in Rußland wiederentdeckt. Diese Rückholung der russischen Philosophie aus dem Exil ist mit dem Namen des Regisseurs Nikita Michalkow verbunden, der aktiv auf die Suche nach Quellen und Inspirationen für die Größe Rußlands ging und medienwirksam die Heimholung der sterblichen Überreste Ivan Iljins nach Moskau organisierte. In den 90-er Jahren sagte mir ein Mann auf der Krim: „Sieh an, was geschehen ist: Der Staat ist zerfallen, aber Gott ist geblieben.“
III. DER WERDEGANG ALEXANDER DUGINS UND DIE HEUTIGEN „EURASIER“ Die geistige Entwicklung Alexander Dugins spiegelt das widersprüchliche Geistesleben der Sowjetunion wider, wo es anerkannte Denker und Künstler gab, die einer stets von parteitreuen Ideologen vorgegebenen Linie folgten und alles andere in den Untergrund gedrängt wurde, wo dann eigenartige Sumpfblüten entstanden. Der Sohn eines Offiziers des Militärgeheimdienstes trieb sich in jungen Jahren in einem Esoterik-Zirkel herum, wo zwischen Mystik und Sex alles Mögliche getrieben wurde, was wir gar nicht wissen wollen. Dieser segensreiche Einfluß führte dazu, daß er mit 18 zusammen mit Gleichgesinnten einem Orden beitrat, der sich „Schwarzer SS-Orden“ nannte, und von einem „Reichsführer“ geleitet wurde. Man muß sich vor Augen halten, was für eine Verwirrung bei diesen jungen Gemütern herrschen mußte, um sich mit solchem Unsinn abzugeben. Alles, was verboten wurde, war einfach interessant. Einige Zeit später trat er der klerikofaschistischen Untergrundbewegung „Pamjat“ (Gedächtnis) bei. Bei diesem Verein versammelte sich alles, was in der Sowjetunion schlecht war. Bigotterie, die Verehrung von Zaren, weißen Generälen, Schwarzhundertern und ähnlichem zeichnen seine Geisteshaltung ebenso aus wie Abneigung gegen Juden, Schwule, Kommunisten und überhaupt alle Elemente des sowjetischen Systems. Der Übergang von der SS-Gruppe zu Pamjat bedeutete jedoch, daß Dugin jetzt seine Vorbilder nicht mehr bei den deutschen Invasoren, sondern bei russischen Lichtgestalten zu suchen gewillt war. Nach dem Zerfall der Sowjetunion nutzte er die allgemeine Verwirrung, um publizistisch tätig zu werden und noch sein Scherflein zu dieser Verwirrung beizutragen. Er trat im Fernsehen auf, gründete einen Verlag und gab eine Zeitschrift namens „Hyperboräer“ heraus. „1994 nennt die französische Zeitschrift Actuelle (M43/44/45, Sommer 1994) A. Dugin »den einflussreichsten Denker der postkommunistischen Ära«.“ (russ. Wikipedia) Man fragt sich, wie dieses nicht sehr bekannte Organ zu dieser Einstufung kommt? Man erkennt bereits hier, daß es seit dem Zerfall der Sowjetunion in westlichen publizistischen Kreisen ein Bedürfnis gibt, russische Ideologen ausfindig zu machen und ihren Einfluß aufzublasen, möglicherweise deshalb, um der Politik der russischen Führung ihren rationalen Kern abzusprechen. Dugin ist auch heute nicht der einflußreiche Vordenker, als der er gerne präsentiert wird. Die eurasische Partei und Bewegung ist genauso wie das Wohnhaus, in dem seine Tochter lebte, ein Vogelhaus, bei dem die verschiedensten Denker und nach Orientierung Suchenden aus- und eingehen. Nie und nimmer ist dieser Philosoph und Mystiker eine Person von Einfluß auf die Politik, und genausowenig oder noch weniger war es seine Tochter. Der ganze Bildungsmüll, mit dem sich diese Menschen belasten, verstellt jeden Blick auf die Realität und macht handlungsunfähig. Ähnlich geht es ja bei uns auch zu.
IV. DAS ATTENTAT SELBST: SELTSAME ZIELSETZUNG VERSCHIEDENER GEHEIMDIENSTE Darja Dugina war ein einfaches Ziel für ein Attentat. Niemand nahm an, daß dieser jungen Frau eine gewaltsame Auslöschung drohen könnte. Auch sie selbst nicht. Sie traf daher auch keinerlei Sicherheitsvorkehrungen.
Wie die Nachforschungen der „Komsomolskaja Pravda“ (KP) und anderer Zeitungen ergaben, lebte sie in einem Haus mit 33(!) Stockwerken am südwestlichen Stadtrand Moskaus. Diese Gegend war in den letzten Jahrzehnten durch viel Neubautätigkeit vor allem für junge Leute attraktiv geworden, weil sich viele Hochschulen und andere Bildungseinrichtungen dort angesiedelt hatten. Ähnlich ideal für das Verüben von Attentaten war das Festival im Westen Moskaus, von wo aus Darja Dugina die Reise in den Tod antrat. Jede Menge Leute, aufgrund der Menge praktisch nicht zu kontrollieren, ein überfüllter Parkplatz, auf dem es auch keine oder nicht funktionierende Überwachungskameras gab, und eine eigentlich überraschende Sorglosigkeit der Veranstalter in einem Land, das sich immerhin seit 6 Monaten im Krieg befindet, auch wenn man den offiziell nicht so nennen darf.
Die Hauptverdächtige, Natalja Wowk, stammt aus Mariupol. Den Recherchen der KP zufolge hatte sie eine unglückliche Ehe hinter sich, mit einem Mann, der sie beinahe totprügelte. Nach der Trennung von ihm hatte sie das Problem, wie sie in der Ukraine in einer höchst trostlosen wirtschaftlichen Situation ihre beiden Kinder ernähren sollte. Sie schrieb sich daher bei der Nationalgarde ein und wurde Soldatin der ukrainischen Streitkräfte. Die Vermutung liegt nahe, daß sie dort vom SBU, dem ukrainischen Geheimdienst angeworben wurde, für den sie aufgrund ihrer prekären Situation eine willige Mitarbeiterin wurde. Sie reiste gegen Ende Juli mit ihrer 12-jährigen Tochter aus dem russisch besetzten Teil des Donbass in einem Auto mit ukrainischer Nummer nach Rußland ein. Die Tochter diente sozusagen als Mittel, um jeden Verdacht von sich zu lenken. So entging es den Grenzkontrolloren, daß diese Frau ursprünglich bei der ukrainischen Nationalgarde gedient hatte, angeblich sogar beim Azov-Batallion. Natalja Wowk verwendete auf dem gleichen Auto, mit dem sie eingereist war – einem Mini-Cooper – während ihres einmontigen Aufenthalts in Moskau ein kasachisches Kennzeichen und reiste am Tag nach dem Attentat mit dem gleichen Auto, diesmal mit ukrainischem Kennzeichen und wieder in Begleitung ihrer Tochter über die Grenze nach Estland aus. Am gleichen Tag bot ihr – bereits erwachsener – Sohn in der Ukraine das Auto bereits im Internet zum Verkauf an. Die Anwesenheit von Natalja Wowk ist durch Videoaufnahmen gut dokumentiert. Es ist klar, daß sie nur der sichtbare Teil einer Organisation zur Abwicklung des Attentats war. Man weiß derzeit nicht, ob sie selbst die Autobombe im Auto ihres Opfers plaziert hat, und ob das in der Tiefgarage oder auf dem Parkplatz des Festivals geschah. Es ist inzwischen – auch aufgrund der Reaktionen aus der Ukraine – sicher, daß der ukrainische Geheimdiens SBU das Attentat organisiert hat. Die ganze Ausführung ähnelt sehr der Art, wie verschiedene Akteure der Donbass-Republiken vom SBU beseitigt wurden. Wowk hatte auf jeden Fall einige weniger sichtbare Mittäter. Immerhin besaß sie 3 Autokennzeichen mitsamt der nötigen Dokumentation für den Fall einer Kontrolle. Auch die Wohnung wurde vermutlich von jemandem anderen angemietet. Die Wohnung in Moskau hat sie bereits vor dem Attentat verlassen, um es rechtzeitig über eine EU-Grenze zu schaffen. Der zweite Verdächtige, Bogdan Tsyganenko, stammt aus Donezk. Wie Natalja Wowk hatte er eine gescheiterte Familiengründung hinter sich. Es ist ist anzunehmen, daß der SBU gerne Leute aus dem Donbass für dergleichen Attentate anwirbt. Erstens rufen sie beim Überschreiten der russischen Grenze weniger Verdacht hervor. Schließlich sind es „Unsrige“ aus „befreiten Gebieten“. Sie werden daher weniger kontrolliert, vor allem, wenn es sich um eine Frau mit Kind oder einen Mann handelt, zu dem keine Vermerke vorliegen. Bei Tsyganenko wird übrigens in den russischen Medien immer angegeben, daß er über Estland eingereist ist, aber nicht, bei welchem Grenzübergang er ausgereist ist. Es muß aber den russischen Behörden bekannt sein, weil das Datum der Ausreise – 19. August – veröffentlicht wird. Die KP weist auch zweitens auf den propagandistischen Effekt hin, wenn Leute aus dem Donbass für dergleichen Attentate rekrutiert werden: Kiew kann sagen, das ist die Rache der durch den russischen Bären unterdrückten Ostukrainer! Tsyganenko übergab Wowk die falschen Autonummern und Dokumente. Da eine Autonummer plus Dokumentation auf Kasachstan lautete, und auch Natalia Wowk selbst in Moskau unter einer falschen kasachischen Identität lebte, ist anzunehmen, daß es auch dort Mittäter gab bzw. gibt. Es ist zwar immer noch nicht klar, wo und von wem die Bombe am Auto montiert wurde. Es kann aber als sicher angenommen werden, daß Wowk diejenige war, die sie schließlich per Auslöser zur Detonation brachte, weil ihre Anwesenheit auf dem Festival durch Überwachungskameras festgehalten wurde. Sie wußte also, wann Dugina mit dem Auto den Heimweg antrat. In österreichischen Medien tauchte die Falschmeldung auf, Natalia Wowk wäre irgendwo in einem Hotel tot aufgefunden worden.
Darja Dugina war 29 Jahre alt. Wie ihr Vater hatte sie Philosophie studiert. Ihre Diplomarbeit schrieb sie über die Neo-Platoniker. Sie betrieb ein Doktoratsstudium zu einem verwandten Thema. Außerdem sprach sie Französisch. Dennoch, die Wahl fiel wahrscheinlich auf sie, weil sie die Tochter Alexander Dugins war. Es ist auch ziemlich sicher, daß die Zielperson des Attentats er war und der Tod der Tochter als Kollateralschaden in Kauf genommen worden wäre. Als die Täter den Zeitzünder aktivierten, wußten sie vermutlich, daß sie nur die Tochter erwischen würden und dachten sich: Besser als gar nichts. Immerhin war die Bombe am Auto befestigt. Sie zu entfernen, wäre schwierig und riskant gewesen, und eine zufällige Detonation irgendwo hätte keinerlei erwünschten Effekt gehabt. 4. Warum dieses Attentat? Ausgehend von der Überzeugung, daß das Attentat eigentlich Alexander Dugin gegolten hat, erhebt sich die Frage, was der SBU und andere Geheimdienste eigentlich mit einem solchen Attentat bezwecken? Erstens überschätzen sie die Rolle von Ideologen auf die russische und überhaupt jede Gesellschaft. Abgesehen davon, daß diese Leute nicht die Entscheidungsträger sind, so ist Dugin eben nur der Vorsitzende der Eurasischen Bewegung bzw. Partei. Diese Bewegung existiert auch ohne ihn, weil die Gründe für das Aufkommen dieser Art von Gedankengut nicht in seiner Person liegen. Zweitens werden solche Personen wie die Dugins ausgewählt, weil die wirklich wichtigen Akteure in Rußland natürlich gut bewacht sind. An Putin, Schoigu, Medwedjew usw. kommen solche Bombenattentäter nicht heran. Selbst wenn diese Personen einmal ein Bad in der Menge nehmen, sind dort die höchsten Sicherheitsvorkehrungen angesagt. Die Idee war also, eine bekannte Persönlichkeit umzubringen, um zu zeigen, daß die Unterstützer der russischen Politik ihres Lebens nicht sicher sind. Um so mehr, als das Opfer eine junge Frau war, die niemandem etwas zuleide getan hat.
V. DIE REAKTION IN DEN WESTLICHEN MEDIEN: ZWISCHEN HOHN UND SCHADENFREUDE Das Attentat hat nirgends in westlichen Medien und Stellungnahmen die Verurteilung hervorgerufen wie andere Attentate der letzten Jahre. Die Textbausteine „unfaßbar“, „unmenschlich“, „schrecklich“ usw., mit denen School-Shootings, islamistische Attentate oder Amokläufe normalerweise bedacht werden, wurden in der Schublade gelassen. Von ukrainischer Seite erfolgten sehr unglaubwürdige Erklärungen der Art: „Wir machen so etwas nicht! Wir sind kein Terrorstaat!“ – die natürlich den westlichen Medien eine Art Befehl waren, andere Verursacher ausfindig zu machen. Die Artikel in verschiedenen Medien sind daher sehr bemüht, nachzuweisen, daß es 1. schon die Richtige erwischt habe, und Die beiden Beweiszwecke widersprechen einander, aber dergleichen stört die Medienvertreter heutzutage nicht. Für den ersten Beweiszweck wird Darja Dugina, die sich öffentlich sehr patriotisch auf die Ukraine-Invasion bezog – wie übrigens viele andere Personen des öffentlichen Lebens in Rußland – als eine Furie dargestellt, die sich im Schafspelz der hübschen Blondine versteckte, aber in Wirklichkeit mehr oder weniger im Blut unschuldiger Kinder baden würde. Damit wird einerseits einem Terroropfer der Opferstatus abgesprochen. Die Fakten werden so verdreht, als wäre sie im Kampf gefallen – und wo gehobelt wird, da fliegen eben Späne. Dazu paßt auch gut, daß ihr posthum von Putin ein Orden verliehen wurde – da sieht man es doch, was die für eine war! Damit tritt dann der zweite Beweiszweck auf den Plan: Nachdem „wir“ das nicht waren, müssen es „sie“ gewesen sein. Im New Yorker wird sehr plump dafür argumentiert, daß es „möglicherweise“ der FSB selber gewesen sei, der die eigene Propagandistin beseitigt hätte. Und zwar, weil einige „Outlets“ – also Websites, die von irgendwelchen Zwerg Bumstis betrieben werden – diese „Verschwörungstheorie“ in die Welt gesetzt hätten. Die zweite Theorie ist von dem in die Ukraine übersiedelten ehemaligen Duma-Abgeordneten Ilja Ponomarjow in die Welt gesetzt und von vielen westlichen Medien begierig aufgegriffen worden. Diese Lichtgestalt, die ziemlich sicher auf der Payroll von US-Institutionen steht, verkündete, daß es „Partisanen“, eine Art Anti-Putin-Organisation namens „Nationale Republikanische Armee“ in Rußland gäbe, die in Zukunft auch mit derartigen Attentaten Angst und Schrecken verbreiten würden, bis zum endgültigen Sieg gegen Putin & Co. Der New Yorker – stellvertretend für die gesamte westliche Qualitätspresse – will dergleichen auch glauben: „In jedem Fall – ob die Nationale Republikanische Armee real oder fiktiv ist – kommt diese Version der Wahrheit wahrscheinlich näher. Dugina starb wahrscheinlich durch nichtstaatliche Akteure, wahrscheinlich eine neu gegründete Gruppe oder eine neu radikalisierte Person. Es ist nicht verwunderlich, dass eine solche Gruppe oder Einzelperson fast sechs Monate nach Beginn des Krieges auftaucht, nachdem Zehntausende von Kriegsverbrechen, die von russischen Truppen begangen wurden, dokumentiert wurden. Für denjenigen, der Darja Dugina getötet hat, mag der Angriff auf einen Propagandisten wie eine betont milde Reaktion auf den Tod von Hunderten von Kindern und die Auslöschung ganzer Städte wie Mariupol erscheinen.“ (New Yorker, 26.8.) Was zu beweisen war: Es traf die Richtige, und hoffen wir auf einen baldigen Aufstand in Rußland!
August 2022 |