VON DER MORAL ALS STAATSMÄNNISCHER QUALITÄT
Zur Person des Hofkammerpräsidenten Kübeck


Über den Staatsbeamten Carl Friedrich Freiherr von Kübeck, von 1840 bis 1848 Präsident der Hofkammer – was damals dem Amt des Finanzministers entsprach –, herrscht in der Geschichtswissenschaft die einhellige Meinung, er sei ein besonders fähiger Kopf gewesen. Darin habe er sich sowohl von seinen Vorgängern in diesem Amt, Eichhoff, Nádasdy und Klebelsberg, aber auch von anderen Staatsmännern des Vormärz vorteilhaft unterschieden. In der hierzulande mehrheitlich von überzeugten Beamten geschriebenen historischen Literatur ist eine uneingeschränkte Ehrerbietung für diesen edlen Protagonisten seines Faches festzustellen: Kübeck, der treue Staatsdiener, wie er sein soll. Ein echtes Vorbild! Ihm wird zugeschrieben, er habe die „zerrütteten Staatsfinanzen“ ein Stück weit „geordnet“ – als handle es sich bei der Aufgabe, dem Staatsapparat die nötigen Mittel zu verschaffen, um eine Art Aufräumen in einem verwahrlosten Haus, wo das Geld nur durch Schlamperei in irgendwelchen Truhen schlummert, weil es noch niemand gefunden hat. Zu dieser etwas eigenartigen Auffassung des Staats„haushaltes“ später.

Kübecks charakterliche und fachliche Eignung wird durch folgende Momente belegt:

1. Seine Gutachten zu finanzpolitischen Fragen zeichnen sich durch besondere Sachkundigkeit aus

2. Er habe sich um die Übernahme des Eisenbahnbaus in Staatshand verdient gemacht, weil er die Bedeutung xxx xxsolcher infrastruktureller Unternehmungen für das Gedeihen der Volkswirtschaft erkannt habe.

3. Er war anständig und völlig unbestechlich.

Es geht im folgenden darum, zu untersuchen, welche Qualitäten Kübeck tatsächlich hatte und was eigentlich einen guten Finanzminister auszeichnet.


I. Hofkammerpräsident in schwerer Zeit: Im Wechselspiel von Gemeinwohl und Eigennutz

Die Gutachten Kübecks zeichnen sich zunächst durch außergewöhnliche Länge aus. Er hielt es für notwendig, nicht nur sich, sondern auch seine hochadeligen und kaiserlichen Zuhörer über alle Einzelheiten des jeweiligen Gegenstandes zu unterrichten. Das sah dann manchmal so aus, daß ihm z.B. die völlig routinemäßig verlaufene, alle 4 Jahre stattfindende Wahl der Direktoren der Nationalbank einen mehrseitigen Vortrag für den Kaiser wert war, (1) – Ferdinand, den das ganze sicherlich brennend interessierte, – oder ein andermal ein und dieselbe Frage in 2 oder 3 verschiedene Punkte untergliedert und dann in jedem von ihnen das gleiche abgehandelt wurde.
Kübecks Gutachten sind jedoch darüberhinaus von einem anderen Geist durchdrungen als diejenigen seiner Vorgänger. Er sah den Staatsapparat als Tummelplatz niedriger Selbstsucht an und wollte ihn davor bewahren, eine einzige Pfründe für geldgierige Bankiers, bestechliche Beamte und unredliche Lieferanten darzustellen. Vor allem auf den griechischen Bankier Sina, der mit dem Hofkammerpräsidenten Eichhoff so hervorragend zusammengearbeitet hatte, hatte Kübeck, damals bereits Mitglied der Hofkammer, es besonders abgesehen:

„Der Kammerpräsident“ (= Eichhoff) „ließ in Verbindung mit seinem und Kolowrats gemeinschaftlichen Freunde, dem Geldmann Sina, die Fonde steigen.“(2)
„Steigende Anmaßung Eichhoffs und dessen Verbindung mit Sina, der auf die auffallendste Weise gegen Gesetz und Recht in seinen Geldunternehmungen geschützt werde.“(3)

Das Angewiesensein des Staates auf die privaten Bankhäuser des Vormärz’, die die Staatspapiere bewarben und für ihren Absatz sorgten, während sie gleichzeitig den Staat kreditierten, war Kübeck ein Dorn im Auge. Seine ganze Tätigkeit als Finanzbeamter war darauf gerichtet, den Einfluß der Privaten auf die Staatsfinanzen zu benützen und zugleich zurückzudrängen. Er wußte, daß sie – zu seinem Leidewesen – für die Unterbringung der Staatspapiere unabkömmlich waren:

„Ein Teil der Abnehmer“ (von Staatsanleihen) „sucht Vorteile in den Kapitalsinteressen", (d.h., den fixen Zinsen auf Staatspapiere,) „welche durch die Kurse erzeugt werden, ein anderer Teil sucht die die günstigste Rente für seine Kapitals-Anlegung … Für den Staat ist die zweite Klasse der Gläubiger offenbar die entsprechendste und die erste die bedenklichste, obschon sie zur Unterbringung der Papiere unentbehrlich ist.“(4)

Die Bankiers kauften damals dem Staat die Anleihen ratenweise ab, zu einem unter dem Nennwert der Anleihesumme liegenden Kurs, und setzten sie über die Börse im einfachen Volk, Kübecks bevorzugtem Gläubiger-Publikum, ab. Sie vereinbarten den von ihnen zu entrichtenden Ankaufspreis für die Anleihen mit der Staatsverwaltung und trieben dann durch Werbung und Käufe die Kurse in die Höhe, um zu der ohnehin vereinbarten Provision einen beträchtlichen Gewinn beim Weiterverkauf der Papiere zu machen. Es störte Kübeck, auf diese Vermittlung, die die Staatsfinanzen zu Gunsten der Geldhändler belastete, angewiesen zu sein. Andererseits war eine solche Bewerbung durch Private und Aufkäufe in großem Stil offensichtlich notwendig, um den so umworbenen kleinen Mann zum Kauf der Staatspapiere zu bewegen.


I. 1. Über die Schwierigkeiten bei der Einführung des Papiergeldes

In der Habsburgermonarchie wurde im 18. Jahrhundert das Papiergeld mit Zwangskurs eingeführt, die Kriege gegen Napoleon über die Ausgabe von Papiergeld finanziert, 1811 ein Staatsbankrott ausgerufen und abgewickelt und 1830 eine Konversions-Anleihe ausgegeben, wodurch der Zinsfuß der älteren Anleihen im Nachhinein von 5 auf 4% gesenkt worden war. Der Staat hatte somit eine Reihe von Maßnahmen gesetzt, die das Vertrauen in von ihm garantierte Papiere nicht gerade förderten. Das alles in einer Zeit, in der der Gedanke, seine Spargroschen nicht in Form wertbeständiger Münzen in der Matratze zu verstauen, sondern durch Investition in Wertpapiere gewinnbringend anzulegen, gerade erst Fuß zu fassen begann. Die Bankiers, als Vertreter des Reichtums, waren dem einfachen Bürger offensichtlich vertrauenswürdiger als die Staatsverwaltung, nach der Logik: Wenn die Geldsäcke dafür sind, muß es etwas Solides sein!
Außerdem gewährte die ratenweise Einzahlung von Geld von Seiten der Kontrahenten der Anleihen, der Bankiers, dem Staat kalkulierbare Einkünfte, während die Bankiers sich mit den Schwankungen des in- und ausländischen Geldmarktes herumschlugen und gegen entsprechenden Spekulationsgewinn den Staat von den Risiken der Spekulation entlasteten. Die Bankiers machten sich aber auch in anderer Weise um den Staatskredit verdient: Die Familie Rothschild z.B. machte über ihr internationales Filialnetz die österreichischen Anleihen im Ausland salonfähig, und trugen damit dazu bei – in Kübecks Worten –

„den finanziellen Vorteil“ zu gewähren, daß „Geld-Kapitalien vom Ausland her in die Monarchie eingeflossen sind.“(5)

Bei der Selbverständlichkeit, mit der Auslandsinvestitionen aller Art heute als eindeutiger Vorteil für den Staat, in dem sie stattfinden, gefeiert werden, muß hier darauf hingewiesen werden, daß sie diesen guten Ruf nur bedingt verdienen. Um so mehr, wenn es sich um Leihkapital für die Staatskasse handelt, die ausländischen Gläubiger also in Staatspapiere investieren.
Attraktion ausländischen Leihkapitals mag zwar zur kurzfristigen Überbrückung von Zahlungsschwierigkeiten eines Staates ein Hilfsmittel darstellen, erhöht aber im Augenblick der Tilgung den Abfluß von Geld ins Ausland. Die entscheidende Frage war damals wie heute die nach der Verwendung dieser aufgenommenen Gelder, und den Folgen ihrer Investition: Wenn sie die Produktion und, dadurch vermittelt, die reinen Einnahmen des Staates nicht erhöhen, so stellen sie Abzug vom nationalen Reichtum dar und erhöhen die Staatsschuld – damit die Notwendigkeit neuer Kreditaufnahmen, während gleichzeitig die Kreditwürdigkeit des betreffenden Staatswesens nicht unbedingt wächst. Letztere kann durch vielerlei in ein schlechtes Licht geraten: Verlorene Kriege und geschwächte Bündnisse, Unruhen im Inneren oder in verbündeten Staaten, Mißernten, usw.


I. 2. … und seine staatsmännische Besprechung

In diese Problematik, also in die Frage, was mit dem dem Staat geliehenen Geld zu geschehen habe, hat sich Kübeck nie eingemischt: Seine Aufgabe war, dem Staat die Mittel zu beschaffen, die von anderen Hütern des Staatswohls für notwendig befunden wurden. Gedanken wie der von ihm wegen seiner Selbstsucht verachtete Graf Kolowrat, der meinte, eine drastische Reduzierung der Ausgaben für das Militär würde zur Entlastung des Budgets wesentlicher beitragen als alle finanziellen Kniffe der Finanzverwaltung, hat sich Kübeck nie gemacht:

„Er“ (= Kolowrat) „habe mit Eichhoff auf eine fernere Armeereduktion gedrungen und den verzweifelten Zustand der Finanzen geschildert. Fürst Metternich sei aber siegend entgegengetreten und habe selbst einen Staatsbankerott als etwas ganz natürliches erklärt. Darauf habe er“ (= Kolowrat) „eine schriftliche Erklärung abgegeben, die er mir vorlas.“ … Demnach „könnten nur Einsparungen retten, wozu sich jedoch allein der Militäraufwand und die Staatsschuld eigne. Die Rubrik des Militäraufwandes erlaube die größte und zureichende Verminderung. Eine gezwungene Ersparung in der Rubrik der Staatsschuld sei der Bankerott. ...“(6)

Der einzige Einwand Kübecks gegen diese Überlegungen bestand darin, Schwächen des damaligen Hofkammerpräsidenten Eichhoff zu entdecken, der sich bei der Erstellung des Budgets verrechnet habe:

„Verzeihen E.E., wenn ich Sie aufmerksam mache, daß die Mitglieder der hohen Regierung sich vielleicht an dem Umstande stoßen können, daß der Hofkammerpräsident“ (=Eichhoff) „meines Wissens erst im September 1836 die Lage der Finanzen so glänzend schilderte, als fast kein Staat in Europa sich rühmen kann. Seitdem sind wir in dem 6. Monate des präliminierten Verwaltungsjahres und es ist nichts geschehen, was die damals geschilderte Lage verändern konnte.“(7)

Kübeck hängt hier ebenfalls der Vorstellung der „geordneten“ Finanzen an: Was immer die Ausgaben, irgendwo in der Gesellschaft findet sich schon das für sie nötige Geld, und ein findiger Finanzminister hat seine Fähigkeit darin zu beweisen, daß er es aufstöbert! Sein Amtskollege hat nicht eifrig genug gesucht und leichtfertig das Vorhandensein der verlangten Geldmengen behauptet. Denn so wie Kolowrat eine Unverhältnismäßigkeit zwischen den dem Staatsapparat zur Verfügung stehenden Mitteln und den ambiziösen Ansprüchen einer Großmacht festzustellen, wäre Kübeck nie in den Sinn gekommen. Ihn konnte nämlich höchstens die absolute Höhe des Defizits beunruhigen:

„Das Defizit für 1835 beträgt über 30 Millionen. Die Anarchie ist an den Thoren.“(8)


I. 3. Über den Kredit im Vormärz und im allgemeinen

Die Auskunft, wieso die Anarchie ausgerechnet bei 30 Millionen ans Tor klopft, bleibt Kübeck in seinen Tagebuchaufzeichnungen naturgemäß schuldig. Seine in der Geschichtswissenschaft weniger geschätzten Vorgänger haben allerdings das Chaos genauso vermieden, wie er selbst (– bis zu seinem krankheitsbedingten Rücktritt 1848.) Der Staat als der Garant des nationalen Zahlungsmittels, das alle Privatsubjekte für ihre Transaktionen benützen und in dem sie ihre Erfolge und Mißerfolge bilanzieren, hat eben Freiheiten bei seiner Verschuldungsfähigkeit, die ein gewöhnlicher Sterblicher nicht hat. Um die Staatsschuld zu finanzieren, wurden neue Anleihen aufgenommen, oft in Form einer „Lotterie-Anleihe“, bei der die Obligationen nicht fest verzinst waren, sondern in Form von niedrig verzinsten „Nieten“ und höher verzinsten „Treffern“ zu bestimmten Zahlungsterminen verlost wurden. Standen die Staatspapiere ganz schlecht im Kurs, so wurden direkt Kredite bei den Bankhäusern aufgenommen. Für letztere war das Geschäft mit dem Staat das lukrativste, denn es handelt sich hier um den solidesten Kunden, der erst als allerletzter in der Gesellschaft Konkurs anmelden kann. Eine Verweigerung von Kredit von Seiten der Finanzwelt hat weder zu Kübecks Zeiten noch später je stattgefunden. Die Geldhändler ließen sich schlechtere Absatzbedingungen einfach durch günstigere Einkaufsmodalitäten versüßen.

Der Staat bzw. der Finanzminister „findet“ also nicht das Geld in seiner Gesellschaft, sondern er macht es.

Die Verschuldungsfreiheit des Staates ist jedoch nicht unendlich: Ihre Grenzen hatte sie zu Kübecks Zeiten nach außen vor allem in der Bereitschaft der Bürger auswärtiger Staaten, die Schuldverschreibungen Österreichs als Wertpapiere anzuerkennen. Die Grenzen nach innen waren durch bittere Erfahrung ins Bewußtsein der Politiker gedrungen: Die massenhafte Ausgabe von Papiergeld mit Zwangskurs während der Napoleonischen Kriege, in Verbindung mit einem dualen Währungssystem – Papiergeld und Silbergeld waren gleichzeitig im Umlauf – und einer Volkswirtschaft, die in keiner Weise für die Aufsaugung einer solchen Menge von Zahlungsmitteln gerüstet war, hatten zu einem Zusammenbruch der Zirkulation und zu einem Staatsbankrott geführt. Zwischen diesen beiden Polen – Vermeidung des Staatsbankrottes und Deckung der Ausgaben für die Verwaltung, das Heer und andere Elemente eines mit seinen Ansprüchen wachsenden Staatsapparates – bewegte sich die Finanzpolitik des Vormärz’.
Der finanzielle Zusammenbruch Österreichs in den Revolutionsjahren 1848/49 war weder auf das Wirken Kübecks noch auf sein Ausscheiden aus dem Amt des Hofkammerpräsidenten zurückzuführen. Gegen die zwei Mißgeschicke des Staates, die nachhaltig zuungunsten des Staatskredits ausschlagen – Kriege, vor allem verlorene, und Revolutionen – ist eben kein finanzpolitisches Kraut gewachsen. (Deshalb hat z.B. Salomon Rothschild anläßlich der Anleihenverhandlungen des Jahres 1832 vorgeschlagen, in staatliche Anleihenverträge eine Klausel einzusetzen, daß alle Abmachungen im Kriegsfalle nichtig würden, was Metternich unwirsch abgelehnt hat,

„indem er sich niemals dazu verstehen würde, die Entscheidung der Kriegs- und Friedensfragen von dem Wohlgefallen der Wechselhäuser abhängig zu machen.“) (9)

Für Kübeck wurde aufgrund der vorgefundenen Lage: Die Bedürfnisse des Staatshaushaltes können nur mit Hilfe privater Geldhändler befriedigt werden – das Zusammenspiel und der Gegensatz von Privat- und Staatsinteresse zum bevorzugten Themengebiet. Den Zielen des Staates, die undiskutierbar und über allen Verdacht erhaben sind, hat sich das Interesse des Einzelnen – letztlich zum eigenen Vorteil – unterzuordnen. Für diejenigen Wirtschaftssubjekte, von denen der Staatskredit abhängt, gilt dies genauso wie für alle anderen – es mußte ihnen nur erst beigebracht werden. Um Vorteile der Finanzen zu Lasten der Geldhändler feilschte Kübeck daher wie auf einem türkischen Basar:

„Nach mehrfachen Verhandlungen und Besprechungen über die von ihnen überreichten Versionen des Vertrages, wobei sich ihre Ansichten sowohl über die Grundlagen als auch die einzelnenen Bestimmungen derselben mehrmals in grellem Kontraste änderten, kam endlich der Entwurf einer Submission (10) zu Stande …“(11)

Als er 1841 erstmals in der Geschichte der österreichischen Staatsanleihen eine solche zustandebrachte, die über pari stand, bei der also die Bankhäuser einen höheren Preis für die Papiere entrichteten, als deren Nennwert ausmachte, so schrieb er das vielleicht nicht ganz zu Unrecht seinem Verhandlungsgeschick zu. Allerdings gingen die Bankiers nur deshalb darauf ein, weil sie die Papiere weit über dem Nennwert verkaufen konnten. Diese Konjunktur auf dem Geldmarkt verdankte sich außenpolitischen Erfolgen Österreichs, auch der Gewöhnung des österreichischen Publikums an die Existenz und Vertrauenswürdigkeit von Wertpapieren, und war nicht durch das entschlossene Auftreten des Finanzministers verursacht, wenngleich letzteres einen günstigen Einfluß auf den Fortbestand jener Konjunktur gehabt haben mag.
Kübecks Vorbehalt gegen das Interesse der Bankhäuser war jedoch nur relativ, es bezog sich auf dessen Verhältnis zum Staatskredit. An anderer Stelle, wo es um die Stellung des Leihkapitals im Privatverkehr der Unternehmer geht, ergriff er die Partei der Geldverleiher und sprach sich für eine Aufhebung des Wucherverbotes aus:

„Es ist z.B. jemand in dem Falle, eine Unternehmung mit dem Vorteile einer 12% oder 15% Verzinsung der Vorauslage zu vollziehen, und es wird ihm ohne Sicherheit und Vertrauen ein Kapital zu 8% oder 10% Zinsen geliehen, wodurch er in den Stand gesetzt wird, seinen Wohlstand zu gründen und zu Reichtum zu gelangen. Hier würde das Gesetz den Verleiher als Wucherer bestrafen, während er doch als Freund und Wohltäter des Unternehmers anzusehen ist.“(12)

Kübeck spricht hier zunächst das aus, was den Wucherkredit vom kapitalistischen Kredit unterscheidet: Es ist das Verhältnis des verlangten Zinses zum Gewinn des Unternehmers. Ist der Zins höher als der Gewinn, so liegt Wucher vor, ist er geringer, dann nicht. Der Geldverleiher kennt natürlich vorher den erzielten Gewinn des Unternehmers nicht, daher ist er gar nicht in der Lage, zwischen Wucher- und „anständigem“ Zins zu unterscheiden, sondern er nimmt, was er erhalten kann. Der Zinsfuß eines Landes wird daher nur dadurch gesenkt, daß genügend Geldkapitale vorhanden sind, um zueinander in Konkurrenz zu treten, und nicht durch Gesetze. Und der Zinsfuß erweist sich als „solid“, die Geldverleiher als „Freunde und Wohltäter“ des Unternehmers, wenn die Gewinne so beschaffen sind, daß der Zins aus ihnen ohne Abzug vom Kapital bezahlt werden kann.

Ein zusätzliches Argument Kübecks lautete: Wucher kann nicht ungesetzlich sein, denn der Staat selbst zahlt oft Wucherzinsen:

„Auch die Regierungen, wenn sie sich in finanzieller Bedrängnis befinden, sind genöthigt, höhere Preise für das Aufbringen von Anleihen zuzugestehen.“(13)

Hier verweist Kübeck wieder auf die ihm zutiefst zuwidere, aber wohlbekannte Abhängigkeit der Staatsverwaltung von dem durch sie selbst ins Recht gesetzten Geschäftsinteresse der Geldbesitzer und darauf, daß etwas, dem der Staat selbst unterworfen ist, für seine Bürger wohl mindestens ebenso gelten müsse.


I. 4. Das private Geschäftsinteresse: Von Staatsmännern anerkannt

Kübeck macht sich also zum Wortführer des geschäftlichen Interesses überhaupt. Der Kaufmann, der Manufakturbetreiber investiert, um sein Vermögen zu vergrößern, um über des Investierte hinaus einen Gewinn an Land zu ziehen. Wenn er dabei Fremdkapital benötigt und dessen Preis aus seinem Gewinn bezahlen kann, so ist es doch unsinnig und ein schädlicher Eingriff in die Wirtschaft, dem Gläubiger die Höhe des Zinses ankreiden zu wollen. Solange sich die beiden einig sind, sich also die Interessen der beiden Parteien ergänzen, hat das Gesetz sich nicht einzumischen, meinte Kübeck. Er stellte sich damit auf den Standpunkte des Vertrages und war Wortführer der bürgerlichen Gesellschaft, die in der Tat dann am besten gedeiht, wenn die Individuen ihre gemeinsamen Interessen über ihre gegensätzlichen stellen, sich zum beiderseitigen Vorteil einigen, anstatt zum Kadi zu laufen, also eine Entscheidung einer übergeordneten Instanz suchen. In diesem Sinne verteidigte er auch dieAnleihengeschäfte der Bankiers mit dem Adel, die in Form von Privatanleihen abgewickelt wurden:

„Große Summen, wie sie die Besitzer großer Gutskörper … bedürfen, können nach der heutigen Lage der Geldverhältnisse kaum mehr auf anderem Wege aufgebracht werden," (als auf dem der Privatanleihe), … „der sich eben auf eine natürliche Weise von selbst entwickelt hat.“(14)

Diese Interpretation der Privatgeschäfte als quasi naturwüchsige und die Berufung auf den Vertrag als reine Privatsache, in die sich die Staatsgewalt mit ihren Gesetzen möglichst wenig einmischen soll, verschweigt allerdings vornehm, daß eben diese Staatsgewalt gerade die Gültigkeit des Vertrages garantiert, ihm also erst die Möglichkeit verschafft, den säumigen Schuldner vor das Gericht zu zitieren. Es ist auch hier wieder das Wechselspiel von Privatinteresse und Allgemeinwohl, von Eigennutz und Unterordnung um des Eigennutzes willen, mit dem der Hofkammerpräsident konfrontiert ist, dem er sich widmet und das er ein Stück weit auch exekutiert. Ähnlich geht es zu bei seiner Entscheidung für den Eisenbahnbau.


II. Die Eisenbahn – ein Teil der Ökonomie, dessen Existenz nicht von den Privaten abhängig sein darf

Der Eisenbahnbau in Österreich fällt zusammen mit dem Aufkommen der Aktiengesellschaften. Die Anfänge der kommerziellen Wertpapiere lagen in Unternehmungen aus dem Bereich der Infrastruktur, die selbst wiederum eine Spekulation auf die künftige volkswirtschaftliche Entwicklung darstellten: Eine Eisenbahn, eine mautpflichtige Brücke, ein schiffbarer Kanal oder eine Dampfschiffahrtsgesellschaft florieren nur dann, wenn viel zahlungsfähige Nachfrage nach derartigen Dienstleistungen besteht, wenn viel Fracht auf ihnen befördert wird und wenn in einer Gesellschaft viel Mobilität herrscht. Diese Wirtschaftstätigkeit kann aber auch durch Kommunikationsmittel hervorgerufen, zumindest angespornt werden: Wenn an einen Ort schon eine Eisenbahn hinführt, so kann das einen Fabrikanten dazu bewegen, gerade dort und nicht woanders sein neues Werk hinzubauen.

Die ersten hierzulande projektierten Eisenbahnstrecken orientierten sich an Abbaustätten von Rohstoffen wie Kohle und Salz, oder an der Verbindung der Hauptstadt mit dem wichtigsten Hafen der Monarchie, mit Triest. Auch politische Überlegungen spielten eine Rolle: In Ungarn wurde eine Eisenbahnlinie geplant, die das Handelszentrum des Landes, Pest, mit dem Tagungsort des Reichstages, Preßburg, verbinden sollte. Ein anderes Eisenbahnprojekt war dafür vorgesehen, landwirtschaftliche Produkte von den Gütern des Adels an ihre Märkte zu transportieren. Noch andere, besonders luftige Projekte, sollten Rohstoffquellen erst erschließen, und wiederum andere waren dafür vorgesehen, die Verbindung mit dem Ausland zu verbessern.

Es gab eben damals wie heute viele gute Gründe dafür und dagegen, eine – immerhin mit hohen Kosten verbundene – Verkehrsverbindung zwischen zwei Punkten einzurichten. Nun wird es Kübeck als Verdienst angerechnet, einen nationalen übergeordneten Standpunkt gegenüber den widerstreitenden Partikularinteressen durchgesetzt zu haben. Er sprach sich jedenfalls eindeutig dagegen aus, eine durch Private geplante und in Angriff genommene Eisenbahnlinie nachträglich durch Kredite oder Zinsgarantien aus dem Staatshaushalt zu stützen:

„Die Kommunikationsmittel zerfallen in eine dreifache Leistung … Straßen, Flußregulierungen, Eisenbahnen.“ Straßen und Eisenbahnen schienen ihm „unbedingt Sache und Aufgabe der Regierung zu sein.“(15)

Wenn schon der Staat stützend eingreifen müsse, um den Bau von Eisenbahnen auf seinem Staatsgebiet zu ermöglichen, so solle er auch gleich die Planung derselben in die Hand nehmen und bestimmen, wo Eisenbahnen gebaut werden. Oder eine Privatgesellschaft „provozieren“, die dann nach von der Staatsverwaltung vorgezeichneten Trassen bauen würde. Im Dezember 1841 erließ die Regierung auf seine Initiative einen Beschluß zum Bau von Staatsbahnen. Hier herrschte – wie auch sonst oft – Einigkeit zwischen Kübeck und Metternich:

„Die Gewährung von staatlichen Zinsgarantien an die Privatunternehmer hatte Kübeck als unzweckmäßig erkannt … Bezeichnend ein Schriftstück Metternichs vom 3.8. 1841,“ in dem er „betonte, … daß garantierte Papiere lediglich denjenigen belasten, der die Garantie übernehme, und wenn dies der Staat ist, so seien die Papiere Staatsobligationen …“(16)

Obwohl es noch einige Jahre dauern sollte, bis die Staatsverwaltung sich tatsächlich selbst des Eisenbahnbaus annahm, so war mit diesem Beschluß zunächst einmal ein Datum für den Aktienmarkt gesetzt und die Aktien der bereits bestehenden Eisenbahngesellschaften, deren Kurs zu diesem Zeitpunkt bereits ziemlich in den Keller gefallen war, erholten sich zusehends. Ein Eingreifen des Staates war damals auf jeden Fall notwendig, sollte es überhaupt Eisenbahnen in Österreich geben. Die Einsicht, daß Erfolg oder Mißerfolg eines künftigen Staatswesens vom Vorhandensein dieser Transportmittel abhängen, hatte sich zu diesem Zeitpunkt europaweit, also sogar bis nach Österreich, durchgesetzt. (Kübeck hat in dieser Frage u.a. auch mit Friedrich List, dem Apostel des Eisenbahnbaus in Preußen, anläßlich einer Reise desselben durch Österreich, Rücksprache gehalten.) Die Mittel der Unternehmer der ersten Eisenbahnen reichten nicht aus für Aufgaben dieses Umfanges, und das über die Aktienausgabe angesprochene Interesse der umworbenen „kleinen Leute“ war ebenso an seine Grenzen gestoßen wie deren Zahlungsfähigkeit.

Nach einigen Jahren der durch den Staatsbeschluß verursachten oder zumindest angeheizten Euphorie war die Begeisterung des Publikums neuerlich erschöpft. Unfälle und mangelnde Rentabilität der zu dieser Zeit bereits in Betrieb befindlichen Eisenbahnen haben vermutlich auch ihren Teil dazu beigetragen. Der Eisenbahnbau drohte erneut zu stocken. 1846 begann, wieder auf Initiative Kübecks, der Kauf halbfertiger Eisenbahnstrecken durch den österreichischen Staat, und 10 Jahre später verkaufte dieser selbige wieder an eine private Gesellschaft, um die chronisch leere Staatskasse zu füllen. (Die erste größere Auslastung der ersten Eisenbahn Österreichs, der Kaiser Ferdinand-Nordbahn, waren übrigens Truppentransporte.)

So hat Kübeck sicher seinen Teil dazu beigetragen, daß sich der Eisenbahnbau in Österreich nicht um Jahrzehnte verzögert hat. Darin hat er sich allerdings nicht von vielen seiner zeitgenössischen Amtskollegen unterschieden. In den meisten europäischen Ländern erfolgte damals eine entweder direkte oder indirekte Stützung des Eisenbahnbaus. Es wäre eher verwunderlich, wenn ausgerechnet hierzulande die Bedeutung dieses Transportmittels nicht erkannt worden wäre.


III. Ein Sinn fürs Höhere: Für Gott und Vaterland

Was den dritten Punkt angeht, so geben seine Tagebücher Aufschluß über das Pflichtbewußtsein und die und die Unbestechlichkeit dieses Mannes. Er reagierte
– mit Entrüstung auf die Bestechungspraktiken griechischer Händler:

„Einige Tage darauf“ (nach Unterhandlungen wegen freiwilliger Kriegskontributionen während der Napoleonischen Kriege) „erschien einer der Griechen … bei mir; dankte mir in gebrochenem Italienisch für meine Verwendung, überreichte mir zwei Bankozettel zu je 500 f als Zeichen der Dankbarkeit. Ich ward darüber in höchstem Grade entrüstet, rief Kreiskommissar Mertens, der gleich neben mir arbeitete, setzte ihn in Gegenwart des Griechen von dem ganzen Vorfalle in Kenntnis und gab dem Griechen seine Bankozettel zurück“,(17)

– mit einem Schwächeanfall auf einen Versuch Metternichs, ihn in die Ränke des Staatsrates miteinzubeziehen:

„Über diese Zumutung stieg mir das Blut zum Herzen und ich hatte Mühe, kalt zu scheinen. Nie werde ich mich zum Werkzeug einer Intrigue entwürdigen lassen“,(18)

– kommentierte mit Abscheu die allgemeine Korruption und Vetternwirtschaft in der Regierungsspitze und galt auch seinen Zeitgenossen als Beispiel einer untadeligen Lebensführung.

Kübeck war überzeugter Katholik und hat auch seine zahlreiche Nachkommenschaft auf diesen Standpunkt verpflichtet. Es genügte ihm jedoch nicht, bloß zu glauben, er hatte auch ein theoretisches Bedürfnis zur Begründung der Unterordnung unter ein höheres Prinzip, sei es der Allmächtige, oder der Staat, in dessen Diensten er stand. Er war ein glühender Anhänger Kants, wie sein Tagebuch genauso verrät wie seine Gutachten. Dieser deutsche Philosoph, von dem ein Berufskollege bemerkte:

„»Welche Philosophie gibt die höchste Formel für den Staats-Beamten?« Die Kants: Der Staatsbeamte als Ding an sich zum Richter gesetzt über den Staats-Beamten als Erscheinung“,(19)

inspirierte Kübeck zu selbstauferlegten Hausübungen – als „Betrachtungen zur Tugendübung“: Er verfaßte zu seiner eigenen Erbauung Aufsätze über die „Wahrhaftigkeit“ und die „Willensstärke“.(20) Diese seine Elaborate hat er der Nachwelt vorenthalten, im Unterschied zu den in seinen Tagebüchern immer wieder eingeflochtenen Betrachtungen über die Vollendetheit der göttlichen Vorsehung, die – in Kübecks Überzeugung – auf Erden vor allem durch den österreichischen Staat repräsentiert war; und die mit ihr kontrastierende Unvollendetheit der Menschennatur, die den ihr auferlegten hehren Pflichten nie genügend nachkommen kann, wodurch das ganze Uhrwerk nie so richtig funktionieren mag.

Auch in seine ökonomischen Aufsätze geht die Überzeugung ein, daß Tugendhaftigkeit die Grundlage aller menschlichen Handlungen ist oder zumindest sein sollte. Dem habe auch die Gesetzgebung Rechnung zu tragen:

„Wucher ist unstreitig eine unsittliche Handlung und kann unter Umständen, wo weder Gesetz noch Meinung einen Wucher bezeichnen, doch ein solcher aus dem moralischen Standpunkte sein, während umgekehrt, eine nach dem Gesetze als Wucher sich darstellende Handlung in moralischer Würdigung sich tadellos bewähren kann.“(21)

und deshalb dafür zu sorgen, daß das, was nach Kübeck sittlich statthaft war, nicht durch Strafen an seiner Entfaltung gehindert werde.

Kübeck verkörperte somit den Idealtypus des Staatsbürgers und Beamten: Sein Beruf, dem Staat zu dienen, wurde von ihm als Berufung verstanden und ausgeübt. Die abstrakte Unterordnung unter das Allgemeinwohl, d.h. das, was für den Staat gut ist, ist für einen solchen Menschen nicht eine lästige Pflicht, der er sich berechnend zu unterziehen hat, um Schlimmeres zu vermeiden. Es gilt ihm vielmehr als Bestimmung des Menschen schlechthin, als das Höchste, zu dem diese Spezies fähig ist. Die Pflicht zur Neigung zu machen, jeden auftretenden Gegensatz zwischen dem privaten Interesse und dem staatlichen Anspruch auf seine Bürger nicht nur nicht auszutragen, sondern gar nicht mehr als solchen wahrzunehmen: Das war für Kübeck der Inbegriff der charakterlichen Vollendung. Das Individuum ist für einen solchen Menschen nur das Spiegelbild staatlicher Notwendigkeiten, die es getreu wiederzugeben hat. Mit Abscheu kommentierte Kübeck „Umtriebe“ und andere sein Mißfallen erregende Äußerungen und Handlungen, die verschiedene Untertanen, Politiker anderer Nationalitäten, unkorrekte Kollegen sich zuschulden kommen ließen – nach seiner Überzeugung:

„In der physischen Natur herrscht das Naturgesetz, in der sozialen das Sittengesetz!“(22)

benahmen sich diese Menschen schwer daneben, weil sie sich zuwenig um den höheren Auftrag scherten, den ihnen Gott oder der oberste Schöpfer, wer auch immer, erteilt hatte:

„Der Mensch tut, was er weiß, daß er soll. Die übrigen planetarischen Wesen tun, was sie müssen.“(23)

Der Mensch zeichnete sich für Kübeck rein durch seine Moralität vor der übrigen Natur aus. Diese Festlegung der Menschennatur kämpft allerdings immer mit dem Nachteil, daß zwischen das Individuum und die moralische Handlung ein Wille geschaltet ist, der es sich erlauben kann, diese Handlung auch nicht zu begehen. Der Gehorsam gegenüber einem mit welchem Inhalt auch immer gefüllten „Sollen“ ist eine Leistung dieses Willens und kein Automatismus, kann daher auch unterlassen – in der Sichtweise des Moralisten: verweigert – werden. Darin unterscheidet sich eben auch das Natur- von dem „Sitten“gesetz, daß ersteres gilt, letzteres aber immer wieder eingefordert werden muß, weil es eben nicht durch einen natürlichen Automatismus von selbst wirkt. Die Gesetze, die ein moderner Staat erläßt, dienen übrigens auch nicht der Erzeugung von Tugendhaftigkeit, sondern denjenigen Interessen, die – wie bereits weiter oben ausgeführt – von Staats wegen ins Recht gesetzt, anerkannt und gefördert werden. Die Feststellung Kübecks, daß die Menschen wüßten, was sie sollen, ist auch keine einfache Aussage über die Natur des Menschen: Sie ist ein staatsmännischer Anspruch, dem diese nachzukommen haben, andernfalls sie als unvollkommen und widerspenstig angesehen werden. Und er ist von jemandem ausgesprochen, der ein Stück weit von seiner Position her in der Lage war, diesen Anspruch auch durchzusetzen, ihm Realität zu verschaffen.

Mit einer Einstellung wie derjenigen Kübecks kann man allerdings auch andere Berufe ausüben, denen eines gemeinsam ist: Sie verpflichten andere auf die prinzipielle Unterordnung unter die staatlichen Notwendigkeiten und sie erhalten im allgemeinen auch vom Staat ihre Entlohnung. Glaube an die eingepflanzte Moralität der Menschen und Haß gegen diejenigen Exemplare, bei denen dieser Zug zu wenig oder gar nicht zum Ausdruck kommt, ist eine goldrichtige Einstellung für alle Staatsdiener, obgleich sie beileibe nicht auf diese beschränkt ist. Mit dieser Einstellung kann jemand z.B. Pädagoge werden und für sein Teil alles zu geben, um die Heranwachsenden auf ihre „Bestimmung“ aufmerksam zu machen. Oder Jurist, um das abstrakte Allgemeinwohl an denen zu exekutieren, die sich dagegen vergangen haben. Sehr angemessen ist dieser Sichtweise auch das Amt des Polizisten, oder, im 20. Jahrhundert keineswegs ausgestorben, das des Henkers, der die hoffnungslosen Fälle aussortiert, bei denen jede Chance auf Besserung und „Erkennen“ ihrer Bestimmung bereits aufgegeben worden ist.

Wenn ein Politiker, ein Teilhaber an der Macht, Tugend einklagt, so hat diese Forderung mehr Gewicht als die einer alten Tante mit erhobenem Zeigefinger: Er ist in der Lage, Maßnahmen zu setzen, die die von ihnen Betroffenen zumindest in eine Lage bringen können, in der diese Tugenden sehr notwendig werden können, um ihre neuen Aufgaben zu „bewältigen“. Tugend und Anstand sind nämlich immer dann gefragt, wenn die materiellen Bedingungen, mit denen ein Mensch zurechtkommen muß, nicht viel Anlaß zur Freude bieten. Oder wenn Gehorsam ohne Wenn und Aber verlangt ist.

Politiker, also auch Finanzminister, schaffen die Bedingungen, nach denen sich das gemeine Volk richten muß.

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(1) FA (Finanzarchiv), PA (Präsidialakten) 679/1847

(2) Freiherr Kübeck von Kübau, Tagebücher (im folgenden Tb) I, S 742 (Dezember 1836)

(3) Tb I, S 757 (20.3. 1837)

(4) Gutachten zur Staatsanleihe von 1841, FA, PA 4008/1841

(5) Gutachten zur Bodenkreditanstalt für Ungarn, FA, PA 4328/1845

(6) Tb I, S 758-759 (1836)

(7) ebd.

(8) Tb I, S 661-662 (6.10.1834)

(9) Egon Caesar Conte Corti, Der Aufstieg des Hauses Rothschild. Wien 1949, S 338

(10) Der Vorschlag der Bankiers an die Finanzverwaltung hieß Submission. Einer finanziellen Transaktion konnten mehrere Submissionen vorausgehen, bis eine Fassung die Zustimmung der Behörden fand. Diese endgültige Submission nahm die Stelle eines Vertrages ein, in ihr waren die Bedingungen festgelegt, unter denen die Anleihe schließlich über die Bühne ging.

(11) Gutachten zur Staatsanleihe von 1841, FA, PA 4008/1841

(12) Gutachten zu den Partialobligationen, FA, PA 8561/1845

(13) ebd.

(14) ebd.

(15) Gutachten zur „Hebung des Wohlstandes in Ungarn“, FA, PA 769/1845

(16) Herrmann Strach (Hrsg.), Geschichte der Eisenbahnen der ö-u. Monarchie, Wien-Teschen-Leipzig 1898, S 195

(17) Tb I, S 167

(18) Tb I, S 761

(19) Nietzsche, Götzen-Dämmerung, KSA Bd. 6, 129-130

(20) Tb I, S 298

(21) Gutachten zu den Partialobligationen, FA, PA 8561/1845

(22) Tb. I, S 200

(23) ebd.

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Erschienen in: VOLKSKULTUR IM WIENER VORMÄRZ. Hg. Wolfgang Greif. Historisch-anthropologische Studienreihe des Peter Lang Verlag 1998

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