IV. TEIL. DAS FEUDALE LAND

 

1. Die Kreditverhältnisse des Adels

Als Quelle für eine Untersuchung des Kreditwesens auf dem Land bieten sich die Intabulationsprotokolle der Komitatsversammlungen an. Bei den Sitzungen der Komitatsbehörden wurden die jeweiligen Kredittransaktionen, die seit der letzten Sitzung stattgefunden hatten, aufgezeichnet. (Sofern einer der Vertragspartner, meist der Gläubiger, dies wünschte.) Da die Intabulation gebührenpflichtig war (in Somogy z.B. 1 fl. 51 kr. pro 200 verliehene Gulden(1)), unterblieb sie oft bei kleineren Summen oder Schuldnern, die vom Gläubiger als vertrauenswürdig eingestuft wurden. Der Zeitpunkt der Intabulation fällt nicht unbedingt mit dem Zeitpunkt der Kreditaufnahme zusammen, da manche Gläubiger Schuldbriefe erst 20, 30 Jahre später eintragen ließen, wenn auf einmal auf Seiten des Schuldners Umstände eintraten, die die Bedienung oder Rückzahlung des Kredits zweifelhaft erscheinen ließen.
In manchen Komitaten wurden die Kredite neben den anderen Tagesordnungspunkten der Sitzungen eingetragen, in anderen wurde ein eigenes Intabulationsbuch geführt. Je nach Wunsch der Vertragspartner enthalten diese Intabulationen spärlichere oder ausführlichere Informationen über die Art der Transaktion, manchmal werden nur Summe und Zinsfuß genannt, manchmal der gesamte Inhalt des Schuldbriefes festgehalten.
Für einige Komitate wurden diese Intabulationsprotokolle aufgearbeitet. Auf diese Studien stützt sich dieser Abschnitt.
Für das Komitat Baranya von 1732 bis 1847.(2)
Für das Komitat Bihar im Zeitraum von 1837 bis 1848. Der Autor verwendet sowohl die gewöhnlichen Protokolle der Komitatsversammlungen als auch ein eigenes Intabulationsbuch, das aber erst ab 1837 geführt wurde.(3)
Für das Komitat Borsod existiert ein Zeitungsartikel eines zeitgenössischen adeligen Politikers aus dem Jahre 1845, der damit auf die Verschuldung seines Standes und die darin enthaltenen Gefahren hinweisen wollte. Er behandelt den Schuldenstand zwischen 1756 und 1844.(4)
Für das Komitat Pest existieren zwei Studien. Eine, von 1935 behandelt die Zeit zwischen 1750 und 1847. Die andere aus dem Jahr 1927 beschäftigt sich mit dem Zeitraum zwischen 1755 und 1846.(5)
Für das Komitat Somogy von 1756 bis 1812. 1756 beginnt man in Somogy Intabulationsbücher zu führen. Das Abschlußjahr der Studie ist absichtlich gewählt: Es ist das Jahr nach dem Devaluationspatent, das für viele Gläubiger alle Hoffnungen, ihr Geld jemals wiederzusehen, zunichte machte.(6)
Für das Komitat Tolna für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Autor hat sich vor allem die Kreditverhältnisse des kleinen und mittleren Adels zu Thema gewählt und die Magnaten bewußt ausgeklammert.(7)

 

1.) Die Kreditverhältnisse in einigen Komitaten

Baranya, Somogy und Tolna liegen in Westungarn. Sie wurden nach der Vertreibung der Türken größtenteils neu besiedelt. Das ist insofern von Bedeutung, als die für die Verleihung des Grundes an die einzelnen Adeligen, die „donatio“, auch im 19. Jahrhundert noch Abgaben an den Ärar zu leisten waren, der dortige Grundbesitz also mit unproduktiven Fixkosten zusätzlich belastet war.
In Somogy gab es 10 Märkte, in Baranya 8. Baranya verfügte über eine königliche Freistadt: Pécs, und diese mit der Pécser Sparkasse ab 1845 über ein Kreditinstitut.
Pest und Bihar befinden sich auf der Tiefebene und gehörten flächenmäßig zu den größten Komitaten Ungarns. In Bihar lagen zwei königliche Freistädte: Nagyvárad (Oradea, Rumänien), das 1847 eine Sparkasse erhielt und die zweitgrößte Stadt Ungarns nach Pest, Debrecen, in Pest die Städte Pest und Buda, dazu 19 Märkte.
Borsod liegt am nördlichen Rand der großen Tiefebene, teilweise schon im Hügelland und verfügte über 10 Märkte. Im Vormärz wies dieses Komitat einige Manufakturen auf.
Um 1810, also vor dem in dieser Arbeit untersuchten Zeitraum, betrugen die intabulierten Gesamtschulden in Somogy 6 Millionen 612.254 fl. WW, mehr als das Doppelte derjenigen in Baranya und immer noch um 400.000 fl. mehr als das gebietsmäßig viel größere Komitat Pest.(8) Diese Zahlen nur zur Einführung, sie können bestenfalls die Ausgangslage verdeutlichen, in der sich der Landadel dieser Komitate an der Schwelle zum Vormärz befand. Im Vormärz selbst findet nämlich ein rasanter Anstieg der Kreditaufnahme statt, der keineswegs durch entsprechenden Anstieg der Einnahmen gedeckt war.
So betragen die intabulierten Gesamtschulden in Pest auf einer Fläche von ungefähr 1 Million Katastraljoch 1790 597.999 fl.CM. In den 3 folgenden Jahrzehnten, also bis 1820, – trotz oder wegen der Konjunktur während der napoleonischen Kriege, – wachsen sie um 2 Millionen 653.260 fl., also um fast das Fünffache. Das Ende der Kriegskonjunktur und die Agrarkrise der 20-er Jahre stürzen die Pester Grundherren vollends in den Teufelskreis der Verschuldung: In den 27 Jahren bis 1847 werden zusätzliche 12 Millionen 653.378 fl. aufgenommen – unter Abzug der zurückgezahlten Summen. Dabei ist auch die Auswirkung des Wechselgesetzes von 1840 deutlich zu beobachten: 1840 wurden fast keine Kredite vergeben, die Geldverleiher hielten sich mit Krediten zurück, um in den Genuß des neuen Gesetzes zu kommen. Sobald dieses in Kraft trat, vergaben sie bereitwillig neue Kredite: Allein zwischen 1841 und 1847, also innerhalb von 7 Jahren, wurden Nettoschulden in der Höhe von 7 Millionen 714.148 fl. aufgenommen.(9)
1847 ist somit der adelige Grundbesitz im Komitat Pest mit intabulierten Schulden in der Höhe von fast genau 16 Millionen Gulden belastet. (Wobei stets beachtet werden muß, daß nicht alle Schulden intabuliert wurden.) Nimmt man den in Ungarn üblichen Zinsfuß von 6% an, so ergibt das eine Summe von 960.000 fl. CM, die jährlich für die Bedienung der Schulden aufgewendet werden mußte. Das heißt bestenfalls, daß sie von den landwirtschaftlichen Erträgen abgezogen werden mußte. Im anderen, üblicheren Falle mußte die Schuldenlast durch die Aufnahme neuer Kredite noch vergrößert werden.
Im Komitat Baranya sind die Auswirkungen von Konjunktur, Krise und Wechselgesetz in geringerem Ausmaße zu beobachten. Ende 1847 betrug der Schuldenstand in Baranya 3 Millionen 904.893 fl. CM. Das nimmt sich im Vergleich zu anderen Komitaten, vor allem Pest, bescheiden aus. Allerdings war ein großer Teil von Baranya – das Gut Béllye mit 130.000 Joch – Krongut und schuldenfrei, außerdem verfügte die Kirche über ausgedehnte Besitzungen, die gleichfalls unbelastet waren. In Pest kommt noch dazu, daß die Nähe der Hauptstadt sicher die konsumptiven Bedürfnisse der Adeligen anders beeinflußt hat, als in Baranya das vergleichsweise provinzielle Pécs. Außerdem war das politische Schwergewicht des Pester Adels größer, er stellte einen guten Teil der höheren Ränge in der Verwaltung, war daher wegen seines Einflusses kreditwürdiger als der anderer Komitate.
In Bihar war mehr als die Hälfte der ungefähr 1,5 Millionen Katastraljoch urbar gemachten Landes (die Tiefebene bestand vor den vor allem im 19. Jahrhundert vorgenommenen Drainagen und dem Anlegen von Kanälen über weite Strecken aus Sumpf und Moor), nämlich 1 Million 111.504 Joch, in den Händen der Kirche oder der Kammer.(10) Die Schulden des Adels beliefen sich Ende 1847 auf 4 Millionen 492.838 fl. CM, wobei die Kredite, die vor 1837 aufgenommen wurden, in dieser Summe nicht aufscheinen. Die Schulden verteilten sich nach obigen Berechnungen auf eine Fläche von 985.292 ungarischen Joch.
Dessewffy errechnete seinerzeit für Borsod einen Schuldenstand von 7 Millionen 431.048 fl. im Jahr 1844. Bei seinen Angaben fällt vor allem das ungünstige Verhältnis zwischen aufgenommen und zurückgezahlten Schulden auf, sie stehen im Verhältnis 8 :1. Der Adel dieses Komitats war also mit der Schuldentilgung noch mehr überfordert als der anderer Komitate. Allerdings belasten nicht alle Schulden allein den adeligen Grundbesitz: Borsod besaß einen Markt mit 35.000 Einwohnern und ohne eigenes Intabulationsbuch, dessen Schulden in den Angaben inbegriffen sind. Es ist aber anzunehmen, daß die Einwohner des Marktes das Verhältnis nicht ungünstig beeinflußt haben, eher umgekehrt.
Zum Vergleich: In Pest beträgt das Verhältnis von aufgenommen und abgezahlten Schulden in einem ähnlichen Zeitraum 4,6 :1, in Baranya 3,7 :1. Für Bihar stehen nur Angaben für die letzten 11 Jahre des Vormärz zur Verfügung, in denen betrug diese Rate 4,9 :1. Im Vergleich dazu wiederum Pest (– da Ungár die Zahlen nur in 10-Jahres-Schritten veröffentlicht hat –) im Zeitabschnitt von1840 -1847: 6,35 :1, – also Anwachsen der Verschuldungsrate, Baranya von 1832-1847: 2,8 :1, von 1842-1847 sogar 1,6 :1 – also scheinbar eine Verminderung der Verschuldung. Ungár weist jedoch darauf hin, daß hier ein irreführendes Verhältnis entsteht: Denn von den zwischen 1842 und 1847 extabulierten Schulden in der Höhe von 588.553 fl. CM wurden 548.625 fl. vor 1840 zurückgezahlt, aber erst 1844 extabuliert. Sie wurden jedoch bei der Rückzahlung gleichzeitig in- und extabuliert. Daher ist diese Summe auf beiden Seiten der Gleichung abzuziehen und es ergibt sich für die Jahre von 1842-1847 ein anderes Bild: einer Summe von 364.591 fl. aufgenommenen steht eine Summe von nur 39.928 fl. gegenüber, die Tilgungsrate beträgt daher 9,1 :1.
Diese erwähnten Schulden (beim Krongut Béllye) wurden zwischen 1800 und 1820 aufgenommen, wann genau sie abgezahlt wurden, ist aus dem erwähnten Grund unklar. Die günstige Rate von 2,8 :1 ist jedoch wahrscheinlich durch den Umstand der verspäteten In- und Extabulation stark verzerrt.

Immer unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die intabulierten Schulden nicht alle Schulden umfassen, läßt sich eine ähnliche Entwicklung in Pest und Baranya beobachten: Die Möglichkeit, zu verschärften Pfändungs-Bedingungen zwar, aber problemloser, Kredit aufzunehmen, führt keineswegs zu einem solchen absoluten Anstieg der Verschuldung wie in Pest, relativ zur Rückzahlung steht jedoch Baranya unter den hier aufgeführten Komitaten an letzter Stelle.

Welche Schlüsse lassen sich aus diesen unterschiedlichen Tendenzen auf die wirtschaftliche Lage und die Gründe der Verschuldung in Bihar und anderen Komitaten ziehen, bzw. umgekehrt, wie können die wenigen bekannten Fakten über diese Komitate die Kreditsituation in diesen Komitaten erhellen? Dazu nur einige Angaben:
In Pest und Bihar herrschen gleiche klimatische und geographische Verhältnisse, die Größe des adeligen Grundbesitzes war ähnlich, das Schwergewicht lag auf dem Anbau von Weizen, aber auch die Schafzucht spielte eine Rolle; die Transportmöglichkeiten waren gleich schlecht und Lieferungen über größere Distanzen auf die großen Flüsse Donau und Theiss beschränkt. Die Hauptstadt Buda und das Handelszentrum Pest verursachen eine deutliche Differenz. In der Abwesenheit einer Metropole bei gleichzeitigem Vorhandensein einer bzw. zweier Freistädte wiederum ähneln sich Bihar und Baranya. In Baranya war die Schafzucht vorwiegend.
Für Tolna sind in der erwähnten Studie nur die Schulden des kleinen und mittleren Adels angeführt, über die Kreditverhältnisse der in Tolna ansässigen Magnatenfamilien Eszterházy (292.100 Joch), Apponyi (126.400 Joch), Festetics (33.100 Joch), Batthyány (23.050 Joch), Viczay (30.700 Joch) sind die Angaben eher spärlich. Der Autor erwähnt zwar Kredite in der Höhe von 13.450 fl. CM und 500 fl. in Gold an Rudolf Festetics, 18.200 fl. CM und 100 fl. in Gold an Sándor Festetics. Letzterer verlieh bei anderer Gelegenheit 51.000 fl. CM. Károly Eszterházy nahm von mehreren Adeligen in Tolna ebenfalls größere Summen auf. Unter den Geldverleihern aus dem Adelsstand nimmt ein gewisser Antal Gindly ein – gemeinsam mit seinem Sohn verlieh er bis 1848 183.650 fl. CM und 5250 fl. in Gold.(11)  Ohne die Schulden des Hochadels betragen die intabulierten Schulden der Tolnaer Grundherren 1848 (ab 1800 gerechnet) 1 Million 692.088 fl.CM. Den 2 Millionen 523.327 fl. aufgenommer stehen 831.239 fl. getilgter Schuld gegenüber, das ergibt ein Verhältnis von 3:1.
Da laut dem Autor dieser Studie über Tolna 542.000 Joch im Besitz des Hochadels sind, 165.500 Joch im Besitz dreier Abteien, und die Besitzverhältnisse in % mit 59 (Hochadel) zu 20 (Kirche) zu 21 (Landadel) angegeben werden, so ergibt sich ein – wenngleich der Realität nur angenäherter – Wert(12) von 188.069 Joch, die den Grundbesitz derjenigen ausmachen, auf die sich die oben erwähnte Summe bezieht.
Zu erwähnen ist noch, daß die Kredite gegen Pfand an Grund und Boden, also die Verpfändung des Grundbesitzes, um zu Geld zu kommen, in Tolna im Vormärz stark anwachsen(13), während Tóth für das benachbarte Somogy für die Zeit vor 1812 die Beobachtung macht, daß diese Art von Krediten verschwindend gering ist.(14) Der Autor schließt daraus, daß man bei solchen Krediten sehr vorsichtig war, weil die Adeligen sich der Wichtigkeit des Bodens als einzige Einkommensquelle bewußt waren. Falls der Schluß von Tóth richtig ist, so scheint dieses Bewußtsein später verlorengegangen zu sein. Die Untersuchung über Tolna zeigt, daß diese Art von Krediten, zusammen mit dem bei Konkursprozessen verhängten Sequestrum ein Durchgangsstadium zum Verkauf des Besitzes und Verlust jeglichen Einkommens waren.

 

2.) Die Verschuldung der Familie Eszterházy(15) in Tata und Gesztes

Die Verschuldung der Magnatenfamilie Eszterházy in Tata weist eine fallende Tendenz auf. Die von Szabad aufgestellte Tabelle für den Zeitraum zwischen 1829 und 1856 ist zwar lückenhaft, aber an den ausgewiesenen Zinsen läßt sich doch einiges erkennen. 1830 wurden Zinsen in der Höhe von 61.881 fl. CM ausgezahlt, bei 5% Zinsen erhalten wir durch Kapitalisierung einen Wert von 1 Million 237.620 fl. CM. Auch hier müssen Faktoren in Betracht gezogen werden, die die Exaktheit der Berechnung negativ beeinflussen: Nicht alle aufgenommene Schuld war jährlich zu verzinsen, das gehörte zu den Modalitäten, die bei der Schuldaufnahme festgesetzt wurden.
Diese Zinsensumme stieg im Verlauf der folgenden Jahre an: 1833 betrug sie 71.310 fl., 1836 112.764 fl., 1839 106.023 fl., 1842 87.595 fl., 1848 68.285 fl. Die starken Schwankungen ergeben sich aus dem oben erwähnten Umstand der unregelmäßigen Zinsenzahlung.
Die jährlichen Summen der aufgenommenen Kredite und der getilgten Schuld zeigten eine günstige Tendenz. Wurden 1832 240.989 fl. Neuschulden aufgenommen und 70.871 zurückgezahlt, so stehen 1840 215.461 fl. neu aufgenommenen Schulden 160.761 fl. zurückgezahlter Schuld gegenüber. Im folgenden Jahr ist die Bilanz sogar positiv: 75.606 fl. zu 90.010 fl. Im letzten Jahr vor der Revolution wurden 133.452 fl. aufgenommen und 111.266 fl. zurückgezahlt. Der Gesamtschuldenstand weist eine abnehmende Tendenz auf: 1840 betrug er 2 Millionen 142.786 fl., 1847, im Jahr vor der Revolution 1 Million 464.438 fl.(16)
Das Wechselgesetz von 1840 hat auf die Kreditverhältnisse der Eszterházys keinerlei Wirkung gehabt. Der Grund dafür geht aus ihrem Schuldausweis von 1841 hervor: Sie befanden sich in der glücklichen Lage – im Ungarn des Vormärz ein Ausnahmefall –, aufgrund ihrer ausgedehnten Besitzungen und ihres politischen Einflusses noch aus den althergebrachten, vergleichsweise wohlfeilen Kreditquellen ( – fast alle im Schuldausweis aufscheinenden Kredite waren zu 5% verzinslich,) schöpfen zu können. Kirchliche Institutionen und Geistliche, Witwen und Waisen, ihre eigenen Angestellten: Ober- und Unterjäger, Gutsgespane, Gesindemeister und Kastner, sowie Bürger von Győr finden sich unter den Kreditgebern der Eszterházys. Ihr wichtigster Gläubiger war die französische Thronfolgerin, die Herzogin von Angloueme: Sie verlieh zwischen 1819 und 1842 750.125 fl. CM an die Familie Eszterházy, dann forderte sie ihr Geld innerhalb kurzer Zeit vollständig ein. Sie traute wahrscheinlich der politischen Stabilität in Ungarn nicht mehr und wollte ihr Vermögen in Sicherheit bringen.(17)
Auch andere ausländische Kreditgeber sind hier verzeichnet: einige in Wien ansässige ungarische Adlige, die alle mit den Esterházys verwandt waren, mit 150.000 fl. CM zwischen 1835 und 1840. Weitere in Wien ansässige Krediteure waren: ein Offizier mit 8.500 fl. zwischen 1818 und 1824, zwei adelige Damen mit insgesamt 35.000 fl. 1836 und 1837, die ebenfalls aus Ungarn stammende Gräfin Josepha Windischgrätz mit 37.000 fl. CM 1835, Baron Christoph Ottilienfeld mit 8.000 fl. WW 1821 und 1822 und ein gewisser Mihály Szentiványi mit 1.000 fl. WW 1815.
Über die direkte Verwendung der solcherart aufgenommenen Gelder gibt es keine Unterlagen. Die Tataer Eszterházys ließen durch ihre Gutsverwalter durchaus Modernisierungen in der Landwirtschaft vornehmen, sogar in Richtung der damals in Ungarn noch sehr wenig verbreiteten Milchwirtschaft. Szabad erwähnt noch, daß die Familie selbst sich sehr selten auf den Gütern, sondern meist in Wien und dem Ausland aufhielt. Über das Verhältnis von Erträgen des Gutes, aufgenommenem Kredit, Investitionen und unproduktivem Verzehr ist jedoch nichts bekannt.

 

3.) Die Schulden Széchenyis und die Frage des ansteigenden Zinsfußes

Aus dem Schuldausweis des Reformpolitikers Graf István Széchenyi aus dem Jahr 1833(18) geht klar hervor, daß die Adeligen des Vormärz bereits mit einer ererbten Schuldenlast in die Zeit des für die meisten ungünstig verlaufenden wirtschaftlichen Umbruchs gerieten. (Die Summen sind ausnahmslos in Konventionsmünze.)
Welche Summe István Széchenyi von seinen Vorfahren übernommen hat, geht aus diesem Schuldausweis nicht hervor, sondern nur, daß 1833 von dieser Schuld 36.887 fl. noch nicht zurückgezahlt sind, während er selbst in der Zeit von 1820 bis 1833 eine Schuld von 196.941 fl. CM angehäuft hat. Allerdings werden 35.472 fl. davon als „Familienschulden“ eingestuft. Da es genaugenommen nicht Széchenyis Schuldausweis, sondern derjenige der Gutskasse von seinem Gut Cenk war, ist anzunehmen, daß diese Kredite von oder für Geschwister oder andere Verwandte(n) aufgenommen wurden, oder zusammen mit ihnen. Damit verbleiben jedoch 161.469 als wirklich „eigene“ Schulden.
In diesem Schuldausweis ist das Ansteigen des Zinsfußes auffällig. Die einzige sicherlich noch von seinem Großvater übernommene Schuld, 800 fl. CM bei den Wiener Neustädter Zisterziensern aus dem Jahr 1741, ist zu 4% verzinslich. Die Kredite, die sein Vater, Ferenc Széchenyi, bis zum Jahr 1817 aufgenommen hat, wurden zu einem Zinssatz von 5% vergeben, und István Széchenyi mußte, mit Ausnahme zweier Kredite, die aus einer Stiftungskasse stammten, eines Kredites von Waisen und eines vierten Kredites von einem Privatmann, stets 6% Zinsen für seine Kredite zahlen.
Diese Aufstellung ist jedoch irreführend. So zahlte z.B. Zsigmond Széchenyi, der Großvater, für 1769 und 1770 in Somogy aufgenommene Kredite ebenfalls 5% und 6% Zinsen.(19) Das war zwar 28 Jahre später als der Kredit in Wiener Neustadt, – damals mag der 4%-ige Zinsfuß noch vorgekommen sein – aber dennoch tritt der 6%-ige Zinsfuß bereits hier auf, nicht erst beim Enkel im Vormärz.
Tóth kommt bei seiner Untersuchung in Somogy zu dem Ergebnis, daß die niedriger verzinslichen Kredite fast ausschließlich von kirchlichen Institutionen oder Personen vergeben wurden. Aus einigen der Intabulations-Aufzeichnungen geht hervor, daß die 5%-igen Kredite oft in Wirklichkeit den Schuldner teurer zu stehen kamen als die 6%-igen, weil sie Zusatzbedingungen enthielten. So mußte ein Mann in Somogy für einen 1807 aufgenommenen, zu 5% verzinslichen Kredit neben der Zinsen seinen Weingarten für 15 Jahre dem Gläubiger, einem reformierten Geistlichen, überlassen.(20) Ein ähnliches Geschäft machte 1780 ein Gläubiger mit seiner Schuldnerin, die ihm während der 3 Jahre, die die Laufzeit des Kredites betrug, ihre Gründe in 3 verschiedenen Gemeinden überlassen mußte und für den Fall, daß sie innerhalb der 3 Jahre ihre Schuld nicht begleichen würde, für weitere 20 Jahre auf die Nutznießung dieser Gründe verzichten mußte.
Insgesamt errechnete Tóth für die Zeit zwischen 1756 und 1812 und für Somogy, in dem die Széchenyis auch Besitzungen hatten, einen Durchschnittszinsfuß von 5,6-5,7%. Der in István Széchenyis Schuldausweis aufscheinende 5%-ige Zins spiegelt also die tatsächlichen Verhältnisse ungenau wieder. Schließlich war der Höchstsatz für Zinsen, der den Unterschied zwischen gesetzmäßigem Zins und Wucher bezeichnen sollte, bereits mit dem Artikel 144 aus 1647 festgelegt worden, der 6%-ige Zins scheint also damals schon üblich gewesen zu sein.

Die wichtigsten Gläubiger Széchenyis waren auch Adelige. Die größten Summen erhielt er von:
den Erben des Grafen János Batthyány: 30.000 fl. 1824, 20.000 1825 und 30.000 fl. 1826, also insgesamt 80.000 fl. innerhalb von 3 Jahren,
einem Baron Rában Spiegel in Wien, (einem Offizier,) 42.000 fl. 1824,
dem Vizegespan von Tolna, Vince Dőry: 6.066 fl.,
dem Oberstuhlrichter von Tolna, Antal Augusz: 3.731 fl.,
einem Geschäftsträger des Wiener Hofes: 5.000 fl.
Unter den restlichen Gläubigern finden sich (unter der nicht ganz zulässigen Voraussetzung, daß der Ort der Ausstellung gleich dem Wohnort ist, aber unter Ermangelung anderer Daten) mit Summen zwischen 233 und 4.000:
Bürger von Sopron, von denen er insgesamt 26.424 fl. erhielt, und
Einwohner seiner Besitzungen in Cenk, oder aus der näheren Umgebung, mit Summen zwischen 100 und 3000 fl., insgesamt 24.387 fl. wobei sich unter den Gläubigern auch Amtsträger des Komitats Sopron befinden, die üblichen Witwen und Waisen, sein Gutsverwalter János Lukányi, u.a.
Von der Kirche erhielt Széchenyi bis 1833 einen einzigen Kredit in der Höhe von 130 fl., noch zu Lebzeiten seines Vaters. Allerdings firmieren in dem Schuldausweis 6 Personen mit Krediten in der Gesamthöhe von 7.911 fl., bei denen nicht eindeutig auszuschließen ist, daß es sich um Geistliche handelt. (Der Schuldausweis Széchenyis enthält nämlich keine Angaben über den Beruf des Gläubigers, zum Unterschied von dem der Eszterházys.) Die These J. Vargas, daß die Kirche im Vormärz ihre Kredite auch nach politischen Gesichtspunkten vergab, wird dadurch gestützt: István Széchenyi war der Protagonist der Reformbestrebungen des Adels, er galt Metternich, obwohl er in dessen Haus verkehrte, als „gefährlich“.

Dieser Schuldausweis Széchenyis fällt allerdings in die Zeit seiner größten finanziellen Bedrängnis, in der ihm z.B. das Wiener Bankhaus Arnstein und Eskeles im Jahre 1828 einen 10.000 fl.-Kredit(21) verweigerte und erst auf einen verbitterten Brief hin einen Monat später doch gewährte. (Dieser Kredit scheint im Schuldausweis nicht auf, war also bereits zurückgezahlt.) Es war die Zeit, in der er einer ebenfalls adeligen Freundin, die sich in finanzieller Bedrängnis befand, mit Hinweis auf seine eigene prekäre Lage einen Kredit verweigern mußte. Auch der Anlaß für die Zusammenstellung des Schuldausweises hängt mit seinen Geldnöten zusammen: Er verkaufte einen Teil seines Besitzes, die Güter in Csokonya, an seine beiden Brüder, die den Preis teils in Bargeld auszahlten, teils durch Übernahme seiner Schulden abgalten.
Der Schuldausweis spiegelt daher nicht die Lage Széchenyis schlechthin – seine Einkommenslage verbesserte sich später grundlegend, vor allem durch die Schafzucht, er stand in den 30-er und 40-er Jahren in enger Verbindung mit Georg Sina, der sein Hausbankier wurde –, sehr wohl aber die Lage der ungarischen Adeligen während der Zeit der Agrarkrise der 20er Jahre. In dieser Zeit schreibt Széchenyi sein Buch „Kredit“, in dem Auswege aus dieser Krise gesucht werden.
In Bihar, in Tolna und bei den Eszterházys, wo die Untersuchung sich auch auf die Art der Gläubiger erstreckt, war der größte Kreditgeber ebenfalls der Adel. In Bihar z.B. verliehen diejenigen Adeligen, die günstige Kredite bei der Kirche aufnahmen, das Geld oft zu höherem Zinsfuß an andere Adelige weiter und machten somit ihre guten Beziehungen bzw. ihre Kreditwürdigkeit zu barem Geld. Das ist einer der Gründe, warum die gleichen Personen im gleichen Zeitraum sowohl als Gläubiger als auch als Schuldner in den Intabulationsprotokollen aufscheinen.
Andere Gründe dafür waren innerhalb der Verwandtschaft verliehene Summen, um auf diese Weise in Notlagen auszuhelfen oder aber sie auszunützen, um auf diese Weise zu durch die Avitizität gegenüber Außenstehenden, Fremden geschützten, aber der eigenen Familie zugänglichem Grundbesitz zu kommen.
Schließlich wird auch darauf hingewiesen, daß Schulden unter den Adeligen des Vormärz als etwas ganz Normales galten. Schulden hatten alle, Gerichtsprozesse wegen Krediten waren an der Tagesordnung, und so war auch kaum einer der adeligen Schuldner bemüht, seine Bilanz zu bereinigen, also erst einmal die eigenen Schulden zu bezahlen und dann erst Geld an andere zu verleihen. In Bihar wurden von den gesamten Krediten der untersuchten 11 Jahre 2 Millionen 413.487 fl. CM, also mehr als die Hälfte, von Adeligen vergeben.

 

4.) Modalitäten der Kreditvergabe. Vorschuß- und Warenkredit.

Der Charakter der Kreditaufnahme bestimmte meist auch über die Art der Schuldentilgung.
Eine besondere Art von Krediten waren die Vorschußkredite auf landwirtschaftliche Erträge, in Bihar vor allem auf Getreide. Diese Art von Krediten machten über 60% der Kredite aus, die von Nicht-Adeligen vergeben wurden. Die Gläubiger waren – meist jüdische – Händler(22), und diese Art von Kreditaufnahme war für den Schuldner einer der sicheren Wege in den wirtschaftlichen Zusammenbruch. Denn verschiedene Quellen und auch Klagen von Abgeordneten auf den Landtagen deuten darauf hin, daß der Händler das Getreide bzw. andere Ware keineswegs nach der Ernte entgegennehmen mußte, sondern dann, wenn es ihm genehm war, weil er eine gute Verkaufsmöglichkeit in Aussicht hatte. Dadurch war dem Schuldner die Möglichkeit genommen, durch Verkauf seines Ertrages zu Bargeld zu kommen und einen neuen Kreislauf der Produktion zu beginnen – er mußte sich zu diesem Zweck wiederum verschulden. Zusätzlich war ihm die Last der Lagerung aufgebürdet, die sich im vormärzlichen Ungarn auf einer jämmerlichen Entwicklungsstufe befand. Meistens wurde das Getreide nach dem Drusch vergraben. Solange nur der Leibeigene oder das Gesinde dann einen Winter lang oder länger sein Brot aus schimmeligem Getreide backen mußte, hielt sich der Schaden für den Grundherren in Grenzen. Der Händler jedoch weigerte sich natürlich, solchermaßen verdorbenes Getreide als Schuld-Rückzahlung anzunehmen. Wenn er es aber in gutem Zustand übernahm, war er nicht an den herrschenden Marktpreis gebunden, sondern z.B. an den, der zur Zeit der Kreditvergabe gegolten hatte – sofern nicht bereits im Schuldbrief ein anderer Preis festgelegt worden war. Da der Händler die solchermaßen zu seiner Verfügung stehende Ware übernehmen konnte, wann er wollte, so konnte er in Zeiten schlechter Ernte, wenn die Preise hoch waren, die Ernte von seinem Schuldner einfordern, dem damit die Möglichkeit genommen war, die Preisschwankungen für sich auszunützen und sich damit schuldenfrei zu machen. Ein Beispiel aus einem Prozeß der 40-er Jahre: Der Grundbesitzer (ein Angehöriger des Kleinadels) hatte sich verpflichtet, 2000 Pester Metzen Hafer zum Preis von 2 fl. 15 kr. WW je Metzen und 1333 Pester Metzen Weizen zu 7 fl. 15 kr. WW der Metzen an einen Händler in Óbuda zu verkaufen. Grundlage dieses Vertrages war ein Kredit in der Höhe von 800 fl. CM, der im Vertrag als „Anzahlung“ deklariert war, sowie zusätzliche 530 fl. CM, die er im Laufe eines Monats bei besagtem Händler aufnahm. Für eine verliehene Summe von 1330 fl. CM sicherte sich der Getreidehändler also eine Getreidemenge zum Ankaufspreis von umgerechnet 5533,3 fl. CM. Im Vertrag war festgehalten, daß der Händler das Getreide „nach seinem jeweiligen Belieben“ anfordern konnte und der Schuldner zur Lieferung in die nächste größere Gemeinde verpflichtet war. Zum Zeitpunkt der Übernahme der Ware waren die Preise auf 10 fl. 30 für Weizen und 3 fl. 36 für Hafer gestiegen und der Grundbesitzer lieferte nur einen Teil der vereinbarten Menge, – und zwar genau so viel, wie es dem Wert der aufgenommenen Geldsumme entsprach: 466,6 Metzen Weizen. Den Rest versuchte er zu einem besseren Preis zu verkaufen. Darauf klagten ihn die Kaufleute, die den Vertrag wie ein Wertpapier oder einen Wechsel vom ursprünglichen Vertragspartner gekauft hatten, nicht auf die Lieferung des Getreides, sondern auf den Verdienstentgang, der ihnen durch die nicht erfolgte Lieferung entstanden war. Als solchen stellten sie die Summe zwischen dem vertraglich vereinbarten Preis und dem Marktpreis, wie er zu dem Zeitpunkt, als sie das Getreide anforderten, bestanden hatte, in Rechnung. Ihre Forderung belief sich auf 5516 fl. 40 kr. WW, also immer noch weit mehr als die ursprünglich verliehene Summe.(23)
Ein älterer Vertrag über solch einen Warenvorschuß-Kredit stammt aus dem Jahre 1827. Er ist zwischen dem Magnaten Grassalkovich und dem Pester Großhändler Móricz Ullmann abgeschlossen. Es geht hier nicht um Getreide, sondern um Wolle. Hier wurde dem adeligen Schuldner die Möglichkeit eingeräumt, seine Ware auch an andere zu verkaufen, falls er sich mit seinem Vertragspartner nicht auf den Preis einigen könne. In diesem Falle sei die Schuld in Bargeld zu begleichen. Grassalkovich verkaufte die Wolle an andere, ohne die Schuld zu bezahlen. Die beiden scheinen sich aber dennoch geeinigt zu haben, da sie weiterhin Geschäftsbeziehungen miteinander unterhielten.(24)

Die Ungarische Handelsgesellschaft, von der die Gutsbesitzer eigentlich eine Verbesserung ihrer Verkaufsbedingungen erwarteten, stellte in einem Geschäftsbrief an einen belgischen Agenten fest: „Unsere Grundbesitzer lieben den Luxus, da sie aber nicht die nötigen Mittel dazu besitzen, befinden sie sich in ständiger Geldverlegenheit, vor allem im Winter. Es ist daher ein sehr vorteilhaftes Geschäft, ihnen zu Beginn der Saison einen zur der Erntezeit fälligen Vorschußkredit zu geben, um sich ihre Produkte zu lächerlich geringem Preis zu sichern. Nach Einbringung der Ernte sind sie verpflichtet, ihre Produkte zum vereinbarten Preis zu liefern, oder aber den Kredit mit 6% Zinsen und 4-5% Prémium (vermutlich eine Art Pönale) zurückzuzahlen. Dieser letzte Fall tritt jedoch niemals ein, da der Gutsherr nicht so viel Geld hat, um das Kapital mit 10-11% Zinsen zurückzuzahlen. Tut er es dennoch, so hat das Kapital eben auf anständigste und völlig gesetzliche Art und Weise 10-11% eingebracht, darüberhinaus kann man die Ware immer noch weit unter dem Marktpreis einkaufen. Wir denken, daß dieses Verfahren ganz nach dem Geschmack Ihrer reichen Spekulanten wäre. Deshalb unterbreiten wir Ihnen ein sich auf das sog. Prémiumgeschäft beziehendes Angebot auf die Rapsernte des kommenden Jahres ...“ Die Vertreter der Ungarischen Handelsgesellschaft bieten dem belgischen Aufkäufer den Raps zu 4,5 fl. je Star (1 Star = 61,6 kg) von Fiume aus an, wenn die belgischen Käufer 1 fl. pro Star vorschießen, für sich bedingen sie 2% Delcredere und 2% Provision.(25)

Eine andere Art von Krediten waren die sogenannten Warenkredite. Sie wurden, in Bihar zumindest, meist von Handwerkern vergeben. Über die Natur dieser Warenkredite wurde bereits an anderer Stelle(26) das wichtigste ausgeführt. Ob ein Warenkredit tatsächlich den Besitzwechsel von Ware zur Grundlage hatte oder ob sich dahinter ein Wucherkredit verbarg, läßt sich am ehesten aus dem gesellschaftlichen Stand des Schuldners erschließen. Gehörte letzterer dem Adelsstand an, so erhöht das die Wahrscheinlichkeit, daß dieser Kredit ein Wucherkredit war. Aber auch der Gläubiger spielte eine Rolle: war er ein Händler, so ist bei ihm eher anzunehmen, daß er professioneller Geldverleiher war, als bei den in Bihar aufscheinenden Handwerkern.

Sodann wurden Kredite in Form von Pachtvorauszahlung gewährt. Da die meisten dieser Kredite innerhalb von 11 Jahren nicht zurückgezahlt wurden, läßt sich schließen, daß die auf mehrere Jahre, sogar auf ein Jahrzehnt im voraus einverlangte Pacht schnell aufgebraucht war, sodaß von dem verpachteten Grund für den Besitzer über Jahre weder Erträge noch Pacht blieben, was die finanzielle Lage desselben ungünstig beeinflußte.

Eine Art von Krediten, die meist von Angehörigen des niederen Adels in Anspruch genommen wurde, war die des Bürgschaftskredits gegen vorgeschossene „Dienstleistungen“. Es handelte sich bei den Schuldnern meist um Individuen mit Schulabschluss, die lange und oft vergeblich darauf warten mußten, bei irgendeiner Behörde als Beamter oder auf einem Gut als Schreiber angestellt zu werden. Meist verfügten sie über keinerlei Besitz, von dem sie in dieser Zeit leben konnten, und mußten sich zum Zweck des Überlebens verschulden. Da sie aber eben keinen Grund hatten, der dem Gläubiger als Sicherheit hätte dienen können, mußten sie einen Bürgen stellen, und als Sicherheit für diesen meist ihre eigene Arbeitskraft einsetzen. Da diese Kreditaufnahmen, wie sich aus den Umständen klar ergibt – „sehr viele arme, aber gebildete, anständige junge Menschen verlebten ihre Tage, ohne eine Anstellung zu haben“(27), – meistens nicht zurückgezahlt werden konnten, war ihre Arbeitskraft für den etwaigen Bedarf des Bürgen gebunden. Das hieß aber nicht, daß er ihre Dienste auch in Anspruch nehmen mußte, sondern nur, daß sie ihm zur Verfügung stehen mußten, also nicht ohne weiteres eine Stellung annehmen konnten. So oder so – ob der Bürge sie jetzt ihre Schuld abdienen ließ oder nicht – war die Möglichkeit, die Schuld zurückzuzahlen und sich frei zu machen von den Ansprüchen der Gläubiger, sehr gering.

Für das Komitat Bihar untersucht der Verfasser den Verwendungszweck der aufgenommenen Schulden, soweit ihm das bei den zur Verfügung stehenden Quellen möglich war.
Von insgesamt 5 Millionen 174.394 fl.:
60.735 fl. für Mitgift
52.690 fl. für sogenannte moralische Garantien bei Antritt einer neuen Stelle (als Angestellter auf einem Gut oder bei einer Behörde) In diesen Fällen wurde eine Bürgschaft gefordert, um sicherzugehen, daß sich der neue Angestellte keine Unregelmäßigkeiten zuschulden kommen lassen wird.
119.760 fl. zur Zahlung von (Wucher-)Zinsen
327.001 fl. zur Rückzahlung von Altschulden
1 Million 193.606 fl. für das bloße Überleben, also Überbrücken der Zahlungsunfähigkeit

Der Rest – 3 Millionen 420.602 fl. – mag für wirtschaftliche Investitionen in der Landwirtschaft verwendet worden sein, zumindest ist keine andere Verwendung nachzuweisen.(28)

Aus dem oben Ausgeführten ergibt sich noch einmal die praktische Unmöglichkeit des Vorgehens gegen den Wucher. Die beschriebenen Kreditoperationen waren völlig legal, sonst hätten sie gar nicht bei der obersten Behörde des Komitats intabuliert werden können, und dennoch verhielten sich die Zinsen völlig unverhältnismäßig zur Höhe des aufgenommenen Kapitals und mußten früher oder später mit Notwendigkeit die Ruinierung des Schuldners nach sich ziehen.

 

5.) Schätzwert für die Gesamtschulden des ungarischen Adels

Auf die Berechnungen Graf Emil Dessewffys und des Agronomen Korizmics, der zur Zeit der revolutionären Regierung der persönliche Sekretär des Landwirtschaftsministers Gábor Klauzál war, aufbauend, schätzte Ungár die Gesamtverschuldung der Adeligen in Ungarn auf 300 Millionen Gulden Silber. Das ergäbe eine Durchschnittsverschuldung pro Komitat von 5 Millionen Gulden und einen Schuldendienst von 18 Millionen Gulden, was ungefähr dem jährlichen Steueraufkommen Ungarns (– das von den Leibeigenen und den königlichen Freistädten geleistet wurde –) entspricht.(29)
Um diese Schuldsummen in ein Verhältnis zu den Verkaufsbedingungen für landwirtschaftliche Produkte zu setzen, seien einige Preise aus dem Jahre 1845(30) angeführt:
1 Zentner Weizen…………………………………………   10-11 fl.
1 Liter guter Wein ………………………………………         8-9 kr.
1 kg erstklassiger Debrecener Tabak……………………         20-25 kr.
1 kg ungarische Rohseide………………………………         22-24 fl.
1 kg Schmalz………………………………………………         30-35 kr.
1 kg Einschurwolle mittlerer Qualität…………………         1 fl. 40 kr.-1 fl. 50 kr.

Am Vorabend der Revolution stand ein guter Teil des kleinen und mittleren Adels, aber durchaus auch einige Magnatenfamilien, vor dem existenziellen Nichts: Ihre Güter waren bis zum vollen Wert und manchmal auch darüber mit Schulden belastet, oder sie waren bereits als richterliches Pfand in den Händen ihrer Gläubiger, die die Erträge in ihre eigene Tasche steckten und damit die Begleichung der Schulden vollends verunmöglichten. Ihre kommenden Ernten oder Schafschuren waren auf Jahre hinaus verpfändet, und die neuen strengen Gesetze von 1840 beraubten sie aller legalen Möglichkeiten, den Konkurs und dessen Vollstreckung, die Pfändung, mit rechtlichen Mitteln hinauszuzögern.(31)

(1) Tóth 2, S. 8

(2) Ungár 1

(3) Varga

(4) Dessewffy Emil, Adósság és hypothéka. Budapesti Híradó Nr. 135/Februar1845, zitiert nach: Ungár 1

(5) Iványi-Grünwald 1

(6) Tóth 2

(7) Glósz

(8) Tóth 2, S. 19

(9) Ungár 1, S. 52-53

(10) Fényes Elek, Magyarország leírása, S. 377-388

(11) Glósz, S. 37

(12) Glósz, S. 13. Es ist nicht klar, ob die Kirche noch andere Besitzungen hatte. Ebenso kann ein Teil des Grundbesitzes der Aristokraten Streubesitz von geringer Größe sein, weil der Schwerpunkt ihrer Besitzungen in anderen Komitaten lag. Bei Glósz werden jedoch nur diejenigen angeführt, die in Tolna über nennenswerte Besitzungen verfügten.

(13) Glósz, S. 50-66

(14) Tóth 2, S. 31

(15)  Das damalige Oberhaupt dieser Familie war Graf Miklós Eszterházy, der Sohn des Obergespans von Bereg, Graf János Eszterházy. Zu dem Londoner Gesandten Fürst Pál Eszterházy bestand keine unmittelbare Verwandtschaft.

(16) Szabad, S. 473

(17) ebd., S. 114-115

(18) alle Angaben im folgenden aus: Spira

(19) Tóth 2, S. 74/75

(20) ebd., S. 37

(21) Ein Kredit, der übrigens zur Hälfte dazu diente, die Zinsen für andere Schulden zu zahlen (Viszota Gyula, Széchenyi Hitel című műve keletkezése, Budapesti Szemle CLXVII 1916, S. 345; zitiert nach: Spira, S. 352)

(22) Sie waren auch entsprechend unbeliebt: In der Jászság (Jazygien) wickelten sie ihre Geschäfte innerhalb einiger Tage an geheimen Orten ab und verschwanden möglichst schnell wieder, auf daß ihnen kein Unheil zustoße. (Ödön Kálmán, A zsidók letelepedése a Jászságban, Bp. 1916, zitiert nach: Ungár 1, S. 47)
In den Wirren des Freiheitskampfes nutzten einige der Bewohner von Bihar die Gunst der Stunde zu antisemitischen Progromen, nachdem aus diesem Komitat bereits vorher ein Vorschlag im Landtag vorgelegt worden war, demzufolge den Juden der Getreidehandel untersagt werden sollte. Varga, S. 51

(23) O.L., Hétszemélyes Tábla Váltóosztálya, O 34, 2. csomó

(24) O.L., Grassalkovich Család, … 5. doboz/1827

(25) O.L., Magyar Kereskedelmi Társaság, Breuls, 3. Dezember, zitiert nach: Gyömrei 1, S. 221

(26) zum „Auszugalien-Wechsel“, siehe: II. 2. Der Schuldbrief

(27) aus dem Brief eines Anwaltes aus Nagyvárad an einen Freund in Zsigmondfalva im Jahre 1848. Staatliches Archiv in Debrecen, zitiert nach: Varga, S. 45

(28) Varga, S. 50

(29) Ungár 1, S. 56

(30) Varga, S. 49. Die Preise sind der landwirtschaftlichen Zeitschrift „Magyar Gazda“ entnommen und sind nach den Preisen der Pester Medardi- (Juni-), Johannes-Enthauptungs- (August-) und Leopoldi- (November-)Märkte des Jahres 1845 errechnet. Für die Getreidepreise hat der Autor die Preise der Märkte von Nagyvárad (Oradea, Rumänien) zur Grundlage genommen.

(31) Die hypothekarische Verschuldung des preußischen Adels soll übrigens 1848 256 Millionen 663.509 Mark betragen haben. Nach: Felix Hecht, Die Landschaften und landschaftsähnlichen Kreditinstitute in Deutschland. I.k. Die Statistik. Leipzig 1908, zitiert nach: Ungár 1, S. 56

weiter zu: Teil IV: Das feudale Land: Die Kreditgeber

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