Protokoll 6 Nachtrag zu Fetisch und Wert Marx zählt doch einmal auf, was in den Wert eingeht: Arbeitszeit, Arbeitskraft. Was ist da so schwierig? Da ist doch alles klar? Warum dann diese Mystifikation? Der Grund muß sein, daß der Wert sich immer erst im Austausch zeigt, gleich, wieviel Zeit und Mühe aufgewandt wurde. Auch aufgewendetes Material wird wertlos, wenn die Ware nicht verkauft wird, der Wert sich also nicht realisiert. Das steht aber in Widerspruch zum Robinson-Beispiel, wo von einer Gesellschaft, daher von einer ges. notw. Arbeitszeit nicht die Rede sein kann. Und das wurde in realsozialistischen Lehrbüchern so gedeutet, daß Wert überall ist, wo Arbeit investiert wurde, ohne jeglichen Markt und Tausch. Vielleicht meint Marx hier, daß alle Bestandteile enthalten, der Wert aber nicht umgesetzt ist? Ist der Satz mit den Bestandteilen des Wertes irgendwie sarkastisch gemeint, also,in dem Sinne, daß die Nationalökonomie in dieser Ausnahmesituation auch schon alle Gesetze der Marktwirtschaft entdeckt? Dennoch bleibt der Widerspruch, daß Marx in den vorigen Unterkapiteln die Bedeutung des Marktes für die Wertproduktion herausgearbeitet hat und jetzt auf einmal in Nicht-Marktwirtschaften und daher bei Nicht-Warenproduktion auch Wert dingfest macht, nur weil Arbeit drinsteckt! Einwand: Aber daß aus dem Buch anderes herausgelesen wurde, als der Autor gemeint hat, hat zunächst einmal mit dem Buch nichts zu tun. Dennoch bleibt festzustellen, daß manche seiner Formulierungen für Mißverständnisse Anlaß bieten bzw. in Widerspruch zu vorher Dargelegtem stehen. Und das sollte festgehalten werden. Auch in der Michael-Heinrich-Kapital-Rezeption kommt dem Fetisch eine überragende Bedeutung zu, als Erklärung dessen, warum die Arbeiterklasse ihrer „historischen Mission“, den Kapitalismus abzuschaffen, nicht nachgekommen ist: Der Fetischcharakter der Ware hindert sie daran, ihre eigene Ausbeutung zu erkennen. Es wird also ein Determinismus durch einen anderen ersetzt, mit Berufung auf den Fetisch. Noch einmal eine Nachfrage zum Wert: Was ist der Wert, was wird mit diesem Ausdruck bezeichnet? Die Entdeckung, daß das Gemeinsame der verschiedenen Gebrauchswerte die investierte Arbeit ist, stellt einen Angriff auf die Lehre von der Beliebigkeit des Wertes, Angebot-Nachfrage, subjektive Wertlehre, usw. dar. Wie hängen die Preise mit dem Wert zusammen? Weil die Preise der Dinge sind doch der Ausgangspunkt dafür, daß man sich Überlegungen über den Wert macht. Ansonsten kommen wir zu Preis später, weil in die Preise gehen ja auch Steuern, Abgaben und Inflation ein, die sich nicht aus der Produktion der Ware ergeben, sondern aus dem Geldbedarf des Staates. Daß Waren einen Wert haben und der auf der investierten Arbeit beruht, ist keine Festlegung, sondern ein Schluß, der sich aus der Frage ergibt, was das Gemeinsame zweier verschiedener Gebrauchswerte ist. Fragen: Eigentlich ging es bisher hauptsächlich um die Herleitung des Wertes, und ob man das so in 2 Sätzen ausdrücken kann, was der Wert ist, ist fraglich. Ist der Wert mit dem Tauschwert gleichzusetzen? Am nähesten kommt einer Definition ein Satz relativ am Anfang nahe: „Das Gemeinsame, was sich im Austauschverhältnis oder Tauschwert der Ware darstellt, ist also ihr Wert.“ (S 53, Absatz 1) Sobald sich der Wert realisiert, ist die Sache abgeschlossen. Der Tauschwert ist bloß das, was man dafür kriegt – aber notwendig dafür, daß Wert entsteht. Ausrechnen im Sinne von vorhersagen läßt sich da nichts. Der Markt knallt einem vor die Nase, was man dafür erhält. Ausrechnen kann man erst nachher, was man an Tauschmittel erhalten und daher an Wert zugestanden bekommen hat. Wenn man nur auf dem Standpunkt des Tauschwertes verharrt – was man halt so kriegt, ohne objektive Grundlage –, so bleibt dieser ein rein zufälliges Verhältnis und ein Spielball von Angebot und Nachfrage. Das ist der Standpunkt der modernen VWL, die von einem Gemeinsamen der Waren nichts wissen will. Auf den Wert kommt Marx einfach durch einen Schluß, und das ist etwas anderes als eine Definition: All die verschiedenen Waren liegen nebeneinander zum Verkauf und haben gar nichts gemeinsam – wie kommt es, daß sie sich dennoch austauschen können? Und das einzige Gemeinsame, was sie haben, ist die Arbeit, die drinsteckt. Bestimmt also jetzt die darin enthaltene Arbeit den Tauschwert? Ja und nein. Erstens ja, weil die Marktteilnehmer wollen ja das, was sie an Arbeit hineingesteckt haben, irgendwie abgegolten kriegen. – Ja, wollen! Ob sie es auch kriegen, hängt wieder von den anderen ab. Und so bestimmt eben der gesellschaftliche Durchschnitt den Tauschwert und nicht der individuelle Aufwand. Zum Abschluß: Worin besteht jetzt eigentlich der Fetischcharakter der Ware? In dem Umstand, daß die gesellschaftlichen Rollen der Konkurrenten am Markt sich in den Waren einnisten und dadurch der Eindruck entsteht, daß die Gegenstände selbst ihren Besitzern die Konkurrenz aufnötigen würden, indem der Tauschwert als Bedingung oder ein Moment des Gebrauchswertes erscheint, also von ihm gar nicht getrennt wahrgenommen, und somit als Bedingung aller Produktion aufgefaßt wird. Alle Produktion erscheint daher als Wertproduktion, oder Wertproduktion als einzig mögliche Form von Produktion.
Kapitel 2: Der Austauschprozeß Die Ware wird als der ungemütliche Hort zweier entgegengesetzter Willen eingeführt. Von den bisher gewonnen Bestimmungen der Ware macht Marx jetzt einen Rückschluß auf die Warenbesitzer, die voneinander etwas wollen und gleichzeitig einander vom Besitz ihrer jeweiligen Waren ausschließen: „Sie müssen sich daher wechselseitig als Privateigentümer anerkennen. Dies Rechtsverhältnis, dessen Form der Vertrag ist, ob nun legal entwickelt oder nicht, ist ein Willensverhältnis, worin sich das ökonomische Verhältnis widerspiegelt. Der Inhalt dieses Rechts- oder Willensverhältnisses ist durch das ökonomische Verhältnis selbst gegeben.“ (S 99) Was ist gemeint mit „das ökonomische Verhältnis“? Das Privateigentum wird hier als Grundlage des Rechtes und des Vertrages angesprochen. Aus dem bloßen Bezug zweier gegensätzlicher Willen zueinander entsteht jedoch kein bürgerliches Recht. Jetzt und auch später wird die bürgerliche Konkurrenz als eine brüchige Idylle besprochen, die auf einer Art Gesellschaftsvertrag fußt. „Wir werden überhaupt im Fortgang der Entwicklung finden, daß die ökonomischen Charaktermasken der Personen nur die Personifikationen der ökonomischen Verhältnisse sind, als deren Träger sie sich gegenübertreten.“ (S 100, Absatz 1) Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, daß der Begriff der „ökonomischen Charaktermaske“ bereits hier auftaucht, und nicht erst der Unternehmer oder Finanzkapitalist als Feinbild ausgemalt wird, sondern der bloße Warenbesitzer und Privateigentümer bereits eine Charaktermaske darstellt. „Seine Ware hat für ihn keinen unmittelbaren Gebrauchswert. Sonst führte er sie nicht zu Markt. Sie hat Gebrauchswert für andre. Für ihn hat sie unmittelbar nur den Gebrauchswert, Träger von Tauschwert und so Tauschmittel zu sein.“ (S 100, Absatz 2) Der Hunger nach Tauschwert ist gleichgültig gegen den Gebrauchswert einer Ware – der Verkäufer bietet alles an, was er für verkäuflich hält. Aber so kommt der Gebrauchswert auch wieder ins Spiel – er muß auf dem Markt nachgefragt werden, sonst geht er mitsamt dem Tauschwert unter in die Warenhölle der Ladenhüter. „Andrerseits müssen sie sich als Gebrauchswerte bewähren, bevor sie sich als Werte realisieren können.“(S 100, Absatz 3) Wie das? „Aber derselbe Prozeß kann nicht gleichzeitig für alle Warenbesitzer nur individuell und zugleich nur allgemein gesellschaftlich sein.“ (S 101, Absatz 2) Was heißt das? „Sie haben daher schon gehandelt, bevor sie gedacht haben. Die Gesetze der Warennatur betätigten sich im Naturinstinkt der Warenbesitzer.“ (S 101, Absatz 4) Hier werden „Natur“ und „Instinkt“ auf Verhältnisse bzw. Denkweisen angewandt, die weder mit Natur noch mit Instinkt zu tun haben. Und das wird als ein Akt des Konsenses der Warenbesitzer hingestellt, die sich sozusagen um des lieben Friedens willen auf eine Ware als allgemeines Äquivalent einigen: „Die gesellschaftliche Aktion aller andren Waren schließt daher eine bestimmte Ware aus, worin sie allseitig ihre Werte darstellen.“ (S 101, Absatz 4) Schau, schau: Die Waren selbst treten in Aktion! Das ist ja überhaupt das beste! Noch einmal zurück zum vorigen Absatz: „Sie stehn sich daher überhaupt nicht gegenüber als Waren, sondern nur als Produkte oder Gebrauchswerte.“ (S 101, Absatz 3) Soll das jetzt heißen, vor dem Auftreten des allgemeinen Äquivalents wurde bereits getauscht, aber das war dann kein Warentausch? Schließlich: Wir reden ja von einem entwickelten Markt, mit allgem. Äquivalent, Warenproduktion und allem Drum und Dran. Es ist nicht zielführend, über unentwickelte Märkte im Sinne von „Wie konnte es dazu kommen?!“ nachzudenken. Außerdem sollten wir uns besinnen, worum es in diesem Kapitel geht: Die Bestimmungen der Ware wurden bereits im vorigen Kapitel abgehandelt, jetzt kommt der Rückschluß auf die Warenbesitzer, wie die so herumlaufen, denken und handeln. Darüber sollte man sich jetzt den Kopf zerbrechen. Am liebsten wären alle Besitzer des a.Ä., damit ihre Ware ihnen aus der Hand gerissen wird. Das geht aber nicht, also bieten sie sie eben als solche an, die ihren Wert erst erweisen müssen, und solange ihnen ihre Waren nicht abgekauft werden, sind sie nur Gebrauchswerte. „Das Bedürfnis, diesen Gegensatz für den Verkehr äußerlich darzustellen, treibt zu einer selbständigen Form des Warenwerts und ruht und rastet nicht, bis sie endgültig erzielt ist durch die Verdopplung der Ware in Ware und Geld.“ (S 102, Absatz 1) Auf gut deutsch: Alles bekommt einen Preis, auf den Gebrauchswert wird der Tauschwert draufgepappt. Der zwieschlächtige Charakter der Ware tritt offen zutage. Was ist gemeint mit dem „in der Warennatur schlummernden Gegensatz von Gebrauchswert & Wert“? Was soll hier die Natur? Wert ist doch nichts Natürliches! Die „Warennatur“ ist so etwas wie ihr Sein, ihre Bestimmung. Der nächste Absatz hat etwas Soziologisches an sich. „Der Warenaustausch beginnt, wo die Gemeinwesen enden, an den Punkten ihres Kontakts mit fremden Gemeinwesen oder Gliedern fremder Gemeinwesen.“(S 102, Absatz 2) Das Bild der Gemeinde, der alles gemeinsam gehört, gibt Anlaß zu dem Irrtum, unmittelbare Bedürfnisproduktion ginge nur in kleinen Einheiten, sobald etwas größer wird, muß man leider tauschen, weil sonst alles „zu unübersichtlich“ wird. Als Zusammenfassung des ganzen Absatzes: Das Tauschverhältnis zersetzt die Gemeinwesen von außen nach innen. Während sie zunächst noch zufällig und Überschüssiges tauschten, so beginnen sie, mehr und mehr für den Tausch zu produzieren und immer größere Teile ihrer eigenen Produktion für den Tausch herzurichten – was dann auch wieder das Volumen der zu tauschenden Güter erhöht und den Handel ausweitet, usw. „Ihr Gebrauchswert scheidet sich von ihrem Tauschwerte. Andrerseits wird das quantitative Verhältnis, worin sie sich austauschen, von ihrer Produktion selbst abhängig.“(S 103, Absatz 1) Was ist damit gemeint? Beides ist vereinbar: weil, wenn man mehr für Austausch herstellt, so schaut man auch genauer auf den Aufwand, den die Herstellung dieses Gegenstandes erfordert. „Die Gewohnheit fixiert sie als Wertgrößen.“ (ebd.) Das heißt zunächst nur, daß sie von zufälligen überschüssigen Gebrauchsgütern zu richtigen Waren werden, also solchen Gütern, die für den Austausch produziert werden. Ist das, was auf S 102 und 103 ausgeführt wird, jetzt eine historische Argumentation? Wird hier die Entwicklung der Warenproduktion geschildert? Diese Idylle, die hier ausgemalt wird, hat in Angesicht der Weltgeschichte etwas Idealistisches an sich. Aber vielleicht soll nur das Ideal vom friedlichen Handel und Wandel widerlegt werden und gezeigt werden: This is the road to hell. Die Anmerkung 34 zum Inkastaat stieß in unserer Runde nicht auf uneingeschränkte Zustimmung. Vor allem das Wort „Urgesellschaft“ erregte Unmut.
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