Protokoll 14
3. Kauf und Verkauf der Arbeitskraft Der Mehrwert, der auf dem Markt erzielt wird, kann also weder aus bloßen Preisaufschlägen noch aus ehrlich investierter Arbeit der Verkäufer selbst entstehen. Also muß es eine Ware geben, die es in sich trägt, Wertsteigerung zu schaffen. „Die Veränderung muß sich also zutragen mit der Ware, die im ersten Akt G - W gekauft wird, aber nicht mit ihrem Wert, denn es werden Äquivalente ausgetauscht, die Ware wird zu ihrem Werte bezahlt. Die Veränderung kann also nur entspringen aus ihrem Gebrauchswert als solchem, d.h. aus ihrem Verbrauch.“ (S 181, 2. Absatz) „deren Gebrauchswert selbst die eigentümliche Beschaffenheit besäße, Quelle von Wert zu sein“(S 181, 2. Absatz) „Quelle“ heißt eben nicht sowas wie eine Goldmine, sondern damit die Gewinn abwirft, muß man Arbeitskraft hineinstecken. Weil von selber sprudelt die eben nicht. Erzeugt Sklavenarbeit auch Mehrwert? Aber klärt das irgendwas darüber, wie die Arbeitskraft im Kapitalismus vorkommt, wenn man sich mit vorkapitalistischen Produktionsformen beschäftigt? Dazu einmal ein Zitat von jemandem, der gemeinhin nicht mit dem Kapital in Verbindung gebracht wird: „Sklaven und Arbeiter. – Daß wir mehr Wert auf Befriedigung der Eitelkeit als auf alles übrige Wohlbefinden (Sicherheit, Unterkommen, Vergnügen aller Art) legen, zeigt sich in einem lächerlichen Grade daran, daß jedermann (abgesehen von politischen Gründen) die Aufhebung der Sklaverei wünscht und es aufs ärgste verabscheut, Menschen in diese Lage zu bringen: während jeder sich sagen muß, daß die Sklaven in allen Beziehungen sicherer und glücklicher leben als der moderne Arbeiter, daß Sklavenarbeit sehr wenig Arbeit im Verhältnis zu der des »Arbeiters« ist. Man protestiert im Namen der »Menschenwürde«: das ist aber, schlichter ausgedrückt, jene liebe Eitelkeit, welche das Nicht-gleichgestellt-sein, das Öffentlich-niedriger-geschätzt-werden als das härteste Los empfindet.“ (Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches, KSA 2/296) Alles andere, was in der Debatte noch gesagt wurde zu „Fairness“, „gerecht“ und „Äquivalententausch“ ist hier noch nicht Gegenstand. Außerdem sollte man nicht die ökonomischen Bestimmungen, die hier abgehandelt sind, mit den moralischen Sichtweisen, die es zu ihnen gibt, durcheinanderbringen. Die in der Debatte gemachte Feststellung, Marx „rechtfertige“ hier (S 183, 2. Absatz) die Differenz zwischen gezahltem Lohn und erlöstem Gewinn, ist abwegig, aber vermutlich nicht ganz unüblich in der Kapital-Rezeption. In diesem Absatz geht es gar nicht um Lohn oder die Anwendung des Arbeiters, sondern nur um ein paar Kleinigkeiten der Produktion für Verkauf, auf die Marx hier hinweisen will: Zum Beispiel darauf, daß ein Mensch Produktionsmittel braucht, die er ja auch erst einmal am Markt erwerben muß. Und sowohl die Produktions- als auch Verkaufszeit, die er auch irgendwie aus eigenen Mitteln überbrücken muß, bis er sein Zeug verscherbelt hat. Es wird also darauf hingewiesen, daß man, um zu produzieren, Geld haben muß, und nicht jeder so ohne weiteres Schuster oder Schneider werden kann. Und einer solchen Klasse von Menschen, die keine Produktionsmittel und kein Geld haben, um sie sich zu kaufen, sind nötig, damit man Arbeitskraft als Ware* vorfinden kann: „Zur Verwandlung von Geld in Kapital muß der Geldbesitzer also den freien Arbeiter auf dem Warenmarkt vorfinden, frei in dem Doppelsinn, daß er als freie Person über seine Arbeitskraft als seine Ware verfügt, daß er andrerseits andre Waren nicht zu verkaufen hat, los und ledig, frei ist von allen zur Verwirklichung seiner Arbeitskraft nötigen Sachen.“ (S 183, 2. Absatz) Der Verweis auf den Kredit ist zwar nicht ganz verkehrt, aber auch hier geht es wieder nicht um das, was an dieser Stelle im Buch Thema ist. Der Unterschied zwischen Sklaven und freien Lohnarbeitern ist doch nicht die „Motivation“! Lauter Sozio- und Psychologen und Gruppendynamiker sitzen hier herum! Den Sklaven muß man zwingen und beaufsichtigen, alle Unkosten für ihn tragen, für ihn Geld zahlen – beim Freien ist das alles das Problem des Hacklers, wie er mit seinem Lohn zurechtkommt. Der Absatz S 183/184, daß es ein Charakteristikum der kapitalistischen Gesellschaft ist, daß die Warenproduktion den überwiegenden Teil der Produktion erfaßt hat, ist auch wieder nur eine Rückerinnerung an den 1. Abschnitt. Was ist hiermit gemeint: „Die Darstellung des Produkts als Ware bedingt eine so weit entwickelte Teilung der Arbeit innerhalb der Gesellschaft, daß die Scheidung zwischen Gebrauchswert und Tauschwert, die im unmittelbaren Tauschhandel erst beginnt, bereits vollzogen ist. Eine solche Entwicklungsstufe ist aber den geschichtlich verschiedensten ökonomischen Gesellschaftsformationen gemein.“ (S 184, 1. Absatz) ?? Das heißt doch soviel wie: Warenproduktion gab es schon öfter, und zwar so, daß sie den größten Teil der Produktion umfaßt hat. Der Fehler der Debatte mit dem Schlosser ist, daß er zwar für 10 Pfund einkauft und 10 braucht, um sich zu reproduzieren, aber ob ers für 20 loswird, hängt davon ab, wieviel Arbeit er zugesetzt hat, und inwiefern das ges. notw. durchsch. Arbeitszeit ist. Es ist nicht sein Bedürfnis, das den Preis bestimmt, sondern seine Arbeitsleistung. Der Wert, den er zugesetzt hat, ist die aufgewendete Arbeit. Er erlöst den Preis, den er dann am Markt kriegt, nicht den, den er gern hätte. („Selbstausbeutung“ ist, da geb ich L. recht, ein verkehrter Begriff. Wenn man mehr verdient, als man zum Leben braucht – wie ist das übrigens zu entscheiden? – so hat man halt ein gutes Auskommen, aber keine „Ausbeutung“ betrieben. Noch dazu wird der Begriff doch immer auf Leute in kleinen Klitschen angewendet, die eigentlich nur gerade so notdürftig über die Runden kommen, weil ihre Arbeit im Vergleich zur durchgesetzten Durchschnittsarbeitszeit unproduktiv bzw. minderproduktiv ist. Bei Lehrlingsausbildung bitte auch nicht immer Zünfte und kapitalistische Produktion durcheinanderbringen. Das Problem beim Lehrling heute ist doch, daß man aus ihm nicht so viel herausholen kann, und auf ihn Zeit verwenden muß. Deshalb wird die Lehrlingsausbildung auch subventioniert, bzw. für überflüssig erklärt, indem die Bedingungen für Konzessionen gelockert, also auch die ungelernten Arbeiter auf dem Facharbeitermarkt zugelassen werden. Es wär halt schlauer, man täte sich erstens beim Lesen des Kapitals auf das zu besinnen, was bereits klar ist, und dann an dem weiterzumachen, und an dem herumzuüberlegen, was gerade im Buch dasteht, – und nicht etwas anderes erklären zu wollen, wie das Funktionieren eines kapitalistischen Betriebs oder den Kredit, was erst viel später Thema ist und genau erläutert wird. Weil so debattiert man an einem Absatz eine Stunde und kommt nicht weiter. Aussage in der Debatte: „Die Unterscheidung zwischen Gebrauchs- und Verkaufs(= Tausch.)wert macht ja nur dann Sinn, wenn du der bist, der das Ding selber hergestellt hat.“ „Die Arbeitskraft existiert nur als Anlage des lebendigen Individuums. Ihre Produktion setzt also seine Existenz voraus.“ (S 185 ganz oben) ff. Der Mensch, der Arbeiter muß da sein, das ist klar. Aber er muß auch im Besitz seiner Arbeitskraft sein, also frei, und er muß imstande sein, sie einzusetzen, also halbwegs gesund. (Alles keine Selbstverständlichkeiten unter der Bedingung, daß dieses Individuum gleichzeitig nix hat, wovon es leben kann, außer seiner Anwendung durch einen Käufer.) Zum Wert der Ware Arbeitskraft sind sowohls Ms Bemerkung, daß das ganz am Anfang bei „einfacher“ und „komplizierter“ Arbeit bereits Thema war, und Js Hinweis, daß diese Unkosten bei der Wertsteigerung dieser Ware der Staat trägt, wichtig: Deswegen kriegen manche Leute für ihre Arbeit mehr bezahlt, obwohl sie genauso Lohnarbeiter sind. Die Reproduktionskosten sind auch sehr flexibel, wie man derzeit an Griechenland ff. sehen kann: Die Löhne, Pensionen usw. werden gekürzt, ohne daß die Preise sinken. Fortpflanzung und Bildung (S. 185 unten, S. 186 oben): Es ist nicht so, daß der Staat hier „noch nicht vorkommt“, also theoretisch noch nicht zum Thema gemacht worden wäre, sondern daß zu Marx’ Zeiten das wirklich noch ausschließliches Problem der Individuen war. Zur Schulpflicht in England, die ja auch noch gegen die Kinderarbeit durchgesetzt werden mußte: Das ist was anderes als Abstraktionen, die gemacht werden, um den Fortgang des Gedankens zu erleichtern. (Exkurs zur Debatte über den Realsozialismus: Der Begriff ist eine Erfindung Honeckers, der dann allgemein in den Bruderstaaten und auch im Westen übernommen wurde, in Abgrenzung zum Kommunismus. Die Idee Honeckers war die, daß man nicht immer herummeckern soll, daß der Übergang zum Kommunismus nicht so richtig hinhaut, was solls, was immer wir gemacht haben, ist gut, weil es gibt es wenigstens, es ist real, alles andere, alle Kritik ist bloß Theorie, Idealismus, Sektierertum. So viel zum „real“. Der Begriff „Sozialismus“ hingegen ist eine derartige Leerformel, daß er auf alles von der Gratis-Schulbuchaktion bis hin zur Verstaatlichung der Produktionsbetriebe, von Reformen im Gesundheitswesen bis zu Gewerkschaftsforderungen nach mehr Lohn angewendet werden kann und auch wird. Sich also darauf zu versteifen, daß er doch etwas „ganz anderes“ – was eigentlich? – bezeichnet, ist irgendwie unzeitgemäß. Das nächste: Man macht als Revolutionär nach geglückter Revolutions erst etwas ganz anderes, als man eigentlich will, und bezeichnet das als „Übergang“, ist sowieso schon eine verfehlte Strategie. Aber noch verräterischer ist der Begriff des „utopischen“ Sozialismus, den Engels erfunden hat, um Fourier, Saint Simon und Owen zu seinen und Marx „Vorläufern“ zu erklären. In der Rezeption heißt diese Schrift ein Schatzkastl des Marxismus. (Und noch ein Exkurs: Der „KSV“ in Deutschland war die Studentenvereinigung der KPD und das waren eher Maoisten, zum Unterschied von der moskautreuen DKP, deren Studentenvereinigung der MSB Spartakus war. ) Zurück zum Buch: „Gesetzt, in dieser für den Durchschnittstag nötigen Warenmasse steckten 6 Stunden gesellschaftlicher Arbeit, so vergegenständlicht sich in der Arbeitskraft täglich ein halber Tag gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit, oder ein halber Arbeitstag ist zur täglichen Produktion der Arbeitskraft erheischt.“ (S 186/187) Offenbar war damals eine 12-Stunden-Arbeitstag üblich? Was, wenn es wahr ist, in der Tat sehr ruinös auf die Gesundheit des Arbeiters gewirkt haben muß. „Wenn sich ein halber Tag gesellschaftlicher Durchschnittsarbeit ebenfalls in einer Goldmasse von 3 sh. oder einem Taler darstellt, so ist ein Taler der dem Tauschwert der Arbeitskraft entsprechende Preis. Bietet der Besitzer der Arbeitskraft sie feil für einen Taler täglich, so ist ihr Verkaufspreis gleich ihrem Wert und, nach unsrer Voraussetzung, zahlt der auf Verwandlung seiner Taler in Kapital erpichte Geldbesitzer diesen Wert.“ (S 187, 1. Absatz) Hier ist irgendwie nicht ganz richtig dargestellt, wer das Subjekt der Lohnhöhe ist: Es ist wohl nicht der Arbeiter, der sagt: Das und das brauch ich, her damit! – sondern der Unternehmer, der sagt: Das kriegst du, und damit mußt du auskommen! Der Fehler von dem Rossi-Zitat liegt in den Worten „ während des Produktionsprozesses“ – er wirft irgendwie Arbeit und Arbeitsvermögen, -kraft durcheinander. Der Arbeiter reproduziert sich ja (bis auf die Jause) gerade außerhalb des Produktionsprozesses, dafür braucht er den Lohn. Den kriegt er aber nicht für sein Arbeitsvermögen, sondern für dessen Anwendung. „Der Arbeiter kreditiert den Kapitalisten“ stimmt schon, weil er kriegt ja den Lohn nicht im voraus, sondern am Monatsende. Da hat er aber schon jede Menge Arbeit abgeliefert. Die feine Ironie der Idylle zwischen den beiden ungleichen Vertretern der kapitalistischen Gesellschaft ist eben dann perfekt, wenn man in der Sphäre der Zirkulation verbleibt, wie Bentham und andere Freunde der Marktwirtschaft. Deswegen, um weitere Geheimnisse dieser Gesellschaft zu lüften, muß man sich jetzt der Produktion zuwenden, und schauen, was dort geschieht. ******* Zur anschließenden Kraut und Rüben-Diskussion: Ich würde nicht so einfach sagen, daß es „verschiedene“ Begriffe z.B. von Freiheit gibt, weil da führt sich ein Begriff ad absurdum, wenn jeder sich was anderes dazu denken kann. Der Begriff der Freiheit ist ein schwieriger, weil er sehr viel einschließt. Aber worauf Marx hier hinweisen will, ist doch das Moment der Freiwilligkeit, das dem Lohnarbeitsverhältnis innewohnt und es so angenehm für den Unternehmer macht. Heute gilt doch der Arbeitgeber richtig als Wohltäter, der seine Schäfchen vor Not und Elend schützt. Die Gewalt des Staates schützt die Eigentumsordnung im weitesten Sinne, aber auch das ist hier nicht das Thema, sondern einmal das Kapitalverhältnis als solches der Privatsubjekte. Und da soll man sich an dem abarbeiten, was dasteht, und nicht an dem, was nicht dasteht. „Der Staat dient nie dem Volk“ – stimmt nicht, weil das Volk definiert sich ja über den Staat, und da gehören die Staatsdiener und die Kapitalisten auch dazu, denen der sehr wohl dient. Aber auch andere, weniger begünstigte Volksteile fühlen sich offenbar von ihm gut bedient, deshalb bestätigen sie ihn mehrheitlich ja bei jeder Wahl. Bei der Verbrechensbekämpfung betätigt sich der Staat nur insofern, als er den Rechtsbruch bestraft, aber nicht, indem er das Verbrechen verhindert, ja nicht einmal, indem ein materieller Schaden ersetzt wird. Bei Eifersuchts- und anderen Morden zeigt sich doch genau, daß der Staat das nicht verhindern kann. Wenn man genauer nachschaut, so kann man doch sehen, daß er mit Familien- und Ehegesetzgebung dergleichen sogar befördert. Ein „Nutzen“ ist schließlich bei einem Mord aus Leidenschaft wirklich nicht zu erkennen. Also eine Nutzenkalkulation als Motivation von allem und jedem zu behaupten, führt sich gerade an diesem Beispiel ad absurdum. __________________________________ * Damit auch ich eine Abweichung vom Thema machen kann und nicht nur ihr die ganze Hetz habt: In Griechenland, das sich nach ’45 gegen eine und auf den Ruinen einer kommunistische(n) Aufstandsarmee konstituiert hat, war diese massenhafte Proletarisierung nicht durchzuziehen: Jeder klammerte sich irgendwie an eine Scholle, eine Werkstatt, ein Fischerboot, oder ging in den Staatsdienst, und das ist einer der Gründe, warum Griechenland als Standort nie attraktiv für das internationale – und nicht einmal für das nationale – Kapital war. |