Protokoll 13
6.11. 2011

„Denn die Bewegung, worin er“ (= der Wert) „Mehrwert zusetzt, ist seine eigne Bewegung, seine Verwertung also Selbstverwertung. Er hat die okkulte Qualität erhalten, Wert zu setzen, weil er Wert ist. Er wirft lebendige Junge oder legt wenigstens goldne Eier.“(S  169, 1. Absatz)

In diesem Absatz wird hervorgehoben, daß dasjenige Geld, das zum Zweck der Vermehrung die Zirkulation betritt, sich die Zirkulation unterwirft und damit sowohl die Waren als auch das Geld nur mehr Erscheinungsformen des Kapitals sind, das somit in einer Art Automatismus nur seine eigene Vermehrung betreibt. „Okkult“ deshalb, weil es nur in seinen Erscheinungsformen existiert, der eigentliche Zweck jedoch nicht gesondert auftritt.

(Der Exkurs, der in der Debatte auf den Kredit gemacht wurde – Kapital vermehrt sich, ohne die Warenform anzunehmen – , nimmt wieder einmal etwas vorweg, wo wir beim derzeitigen Stand der Analyse noch nicht sind. Alle Kreditmanöver sind nur möglich, weil alle Produktion bereits Kapitalproduktion ist.)

„Innerlich beschnittene Juden“ ist kein antisemitischer Schlenker, sondern nur das Bild für Leute, die zwar nicht als Juden gelten würden, sich jedoch als solche benehmen, als mäßig geglückte Analogie von Waren, in denen bereits Kapital gerochen wird, auch wenn sie äußerlich nicht so wirken. Z.B. Abfallverwertung ...

„Wenn in der einfachen Zirkulation der Wert der Waren ihrem Gebrauchswert gegenüber höchstens die selbständige Form des Geldes erhält, so stellt er sich hier plötzlich dar als eine prozessierende, sich selbst bewegende Substanz, für welche Ware und Geld beide bloße Formen.“ (S  169, 3. Absatz)

Es geht hier darum, – eigentlich eine Wiederholung des Vorherigen – daß mit der Verwandlung von Geld in Kapital sich Ware und Geld, anders als in der einfachen Zirkulation W–G–W nicht mehr als voneinander unterschiedene Momente des Warentausches gegenüberstehen, sondern beide nur mehr Formen des Kapitals sind.
Warum sind Gott Vater und Gott Sohn vom „selben Alter“? Der Mehrwert kommt doch zur Stammsumme erst später hinzu.
Ja, aber erst durch sein Hinzutreten bestätigt der Mehrwert der Stammsumme, daß sie Kapital ist – also erst, wo sie sich treffen, entsteht das Kapital.

Das Bild des perpeetuum mobile, das das Kapital in seiner ständigen Ausbreitung bietet, ist das Ideal des Kapitals, das auch in der Theorie seiner Apologeten vorherrscht, aber nur bedingt seine Realität ...

„Kaufen, um zu verkaufen, oder vollständiger, kaufen, um teurer zu verkaufen, G - W - G', scheint zwar nur einer Art des Kapitals, dem Kaufmannskapital, eigentümliche Form. Aber auch das industrielle Kapital ist Geld, das sich im Ware verwandelt und durch den Verkauf der Ware in mehr Geld rückverwandelt. Akte, die etwa zwischen dem Kauf und dem Verkaufe, außerhalb der Zirkulationssphäre, vorgehn, ändern nichts an dieser Form der Bewegung. In dem zinstragenden Kapital endlich stellt sich die Zirkulation G - W - G' abgekürzt dar, in ihrem Resultat ohne die Vermittlung, sozusagen im Lapidarstil, als G - G', Geld, das gleich mehr Geld, Wert, der größer als er selbst ist.
In der Tat also ist G - W - G' die allgemeine Formel des Kapitals, wie es unmittelbar in der Zirkulationssphäre erscheint.“

In diesen 2 Absätzen wird auf einige Dinge hingewiesen, die man sich für den Fortgang der Debatte merken sollte.
1. Er weist auf die Rolle des Marktes für die Bildung des Wertes und die Realisierung des Kapitals hin. Ohne Markt kein Wert, das ist schon aus dem 1. Abschnitt bekannt, aber auch das Kapital muß sich am Markt bewähren und bilden, indem es Geldform annimmt und wieder abstreift, Warenform annimmt und wieder in Geld zurückkehrt. Blamiert es sich am Markt, so ist es futsch. Das einmal gegen ML-Vertreter, Anhänger von „Wertgesetz“ ff.
2. Es weist aber auch drauf hin, daß der Markt nicht alles sein kann. Hätte das Kapital nur den Markt zur Verfügung, so bliebe eigentlich nichts anderes übrig, als dauernd um den Globus zu huschen und Preisunterschiede der verschiedenen Waren für sich zu nutzen – eine magere Einkommensquelle, die vielleicht eine Familie ernähren würde, aber keine großen Sprünge zuläßt. Es muß sich also der Produktion bemächtigen und dort irgendwas machen, um damit am Markt Mehrwert zu erzielen. Das einmal gegen nationalökonomische Marktfreunde.
3. Schließlich der Zins. Das Geheimnis, warum man aus Geld durch bloßen Verleih einen Zuwachs erzielen kann, ist ja noch nicht gelüftet. Es weist aber darauf hin, daß der Zuwachs woanders erzielt werden muß, damit der Zins bedient werden kann – bzw. das Geld oft nur geliehen wird, weil jemand damit etwas machen will, damit es mehr wird und der Zins gezahlt werden kann. (Die alten Wucherer des Feudalismus, sofern sie trotz des Berufsrisikos ein hohes Alter erreichten, hatten eben nur eine begrenzt zahlungsfähige Kundschaft und konnten deshalb auch keine großen Vermögen anhäufen.)

Warum ist G–W–G die „allgemeine Formel“ des Kapitals? Weil es, wie bereits am Anfang des Kapitels gesagt wurde, sowohl historisch wie logisch die erste Form ist, in der es auftritt.

Alles Bisherige steigert die Spannung, was eigentlich außerhalb der Zirkulationssphäre vorgeht?

 

2. Widersprüche der allgemeinen Formel

(Mitschnitt für die Seiten 170-175 fehlt, ist bei Gelegenheit zu rekonstruieren.)

Bei der Argumentation von Marx, daß der Gewinn nicht dadurch zustandekommen kann, daß dauernd über dem Wert verkauft wird, hat doch einmal auch das das VWL-Evergreen von Angebot und Nachfrage seinen Platz. An dieser Behauptung ist ja nicht der Umstand falsch, daß beides Auswirkungen auf die Preise hat, sondern der Umstand, daß es als die ausschließliche Erklärung des Preises (bzw. ihm zugrundeliegenden Wertes) daherkommt, und damit zur subjektiven Wertlehre überleitet, wo die Bildung der Preise rein der Willkür der handelnden Individuen überantwortet ist.
Also, mit dem Beispiel des Schweinezyklus: Hat man ein Gut, das begrenzt vorhanden, aber stark nachgefragt wird, so kann man höhere Preise erzielen. Dann züchten alle Schweine, jede Menge von den Viechern ist da, aber kaum mehr braucht sie mehr, weil er selber eins im Stall stehen hat, und dann rasselt der Schweinepreis in den Keller.
Man erinnere sich: Das alles war schon einmal im 1. Abschnitt erwähnt, also die Wirkung der Konkurrenz auf den Marktpreis und damit auf den Wert der Ware. Gesellschaftlich durchschnittlich notwendige Arbeitszeit bestimmt den Wert und niemand kann auf Dauer über oder unter Wert verkaufen.

Zu der in der Diskussion aufgetauchten Ansicht, man müsse eine Theorie in der Wirklichkeit überprüfen und es bedürfe dafür auch noch Zusatztheorien: Das ist eine verkehrte Auffassung von Wissenschaft. Jede Theorie muß von der Empirie, den Tatsachen, Fakten ausgehen, und diese durch Abstraktion vom Einzelnen erklären. Es kann nicht sein, obwohl viele Wissenschaften umgekehrt vorgehen, und das deshalb als Wissenschaft gilt, daß man sich erst ein Modell zusammendenkt und dann schaut, ob es in der Wirklichkeit auch funktioniert. Da wird sozusagen (in der Philosophie heißt das „Rationalismus“) die Vorstellungskraft, oder die Einbildung als Grundlage genommen, mit der man dann auf die Wirklichkeit losgeht.
Vielleicht liegt die Schwierigkeit hier darin, daß Marx das Buch auf einem hohen Abstraktionsniveau beginnt, bei Ware und Geld. Aber bitte sich zurückerinnern, daß wir das alles schon einmal erarbeitet hatten, wie die Preise am Markt zustandekommen und wie sich der Wert in ihnen manifestiert. Marx setzt das voraus, wenn er gegen die Prellerei als Bereicherungsgrundlage argumentiert.

Vielleicht noch ein methodischer Hinweis, für die Zukunft. Das Kapital ist ein aufbauendes Werk. Die Abschnitte stehen nicht hintereinander in der Art: und das gibt’s auch noch, sondern jeder Abschnitt baut auf den Erkenntnissen des vorigen auf. Man muß also, wenn man von Preisen und Markt redet, nicht das Pulver immer wieder neu erfinden. Das wurde alles bereits abgehandelt.

„Wucherkapital“, um die in der Debatte aufgetauchte Frage zu beantworten, bezeichnet eben das Kapital, das durch Geldverleih entsteht, und zwar zunächst in vorkapitalistischen Gesellschaften, wo es deswegen eine ruinierende Wirkung auf den Schuldner hatte, weil dieser eben nicht über eine wachsende Einkommensquelle verfügte, um den Kredit zu bedienen.
Generell bezeichnet Wucher eine Form des Geldverleihs, die den Schuldner ruiniert.
In den postsozialistischen Staaten feiert der Wucher heut fröhliche Urständ, vor allem in ländlichen Gebieten, und auch die Frankenkredite, die in Ungarn vergeben wurden, werden heute als Wucherkredite bezeichnet, was sie zwar nicht der ursprünglichen Absicht nach, aber dem späteren Verlauf nach tatsächlich auch sind.
Es ist nicht richtig, Geldverleih als eine Form von G–W–G zu betrachten. Das, was im Laufe der Untersuchung erst noch zu klären ist, ist, warum man einfach aus Geld mehr Geld machen kann, ohne Warentausch.
Der Exkurs über den Immobilienkredit ist irreführend, weil da wirklich Ware im Spiel ist. Aber vom Standpunkt der Bank, also des Geldverleihers, geht es nur um Geld, das sie hergibt, und Geld, das sie zurückkriegt. Aber das ist wirklich nicht Gegenstand hier, im Kapital. Man muß das ganz gesondert behandeln.

Der Aristoteles ist hier mehr verwirrend als klärend. Aber nur kurz: Er entwickelt die „Ökonomie“, wo es darum geht, wie man einen Haushalt führt, einen Gemüsegarten anlegt, spinnt und webt usw. Wie man einen Austausch der Gebrauchswerte bewerkstelligt. Davon unterscheidet er die „Chrematistik“, die Lehre vom Handel und dem Geldgeschäft. Das ist für ihn eine eigene Abteilung, wo irgendwelche Kaufleute schachern und Geld hin und herschieben. Er meinte, na ja, solche gibt es auch. Er meinte aber nicht, daß die zu der Frage, wie man Gemüse pflanzt und verzehrt und den Kreislauf der Bedürfnisse reguliert, irgendetwas beitragen. Deshalb zitiert der Marx den Aristoteles so oft, nicht, weil er mit seiner Bildung glänzen wollte, sondern weil er meinte, der Typ hätte den Gegensatz zwischen Gebrauchs- und Tauschwert begriffen.

Bisher wurde so argumentiert, daß der Mehrwert nicht der Zirkulation entspringen kann, da der dauernde Verkauf von Waren über ihren Herstellungskosten unmöglich ist. Der mehrwert muß also aus der Produktion kommen.
Der nächste Punkt ist: Entspringt Mehrwert einfach durch zugesetzte Arbeit? Offenbar nicht:

„ … seine Arbeit stellt sich nicht dar im Werte der Ware und einem Überschuß über ihrem eignen Wert, nicht in einem Preise von 10, der zugleich ein Preis von 11, nicht in einem Wert, der größer als er selbst ist. Der Warenbesitzer kann durch seine Arbeit Werte bilden, aber keine sich verwertenden Werte.“ (S 180, 1. Absatz)

Klar, der Gegenstand ist nach der zugesetzten Arbeit mehr Wert, aber im Verkauf wird eben nur der ursprüngliche Wert des Leders + zugesetzter Arbeit entgolten. Wert + Wert wurde addiert und am Markt realisiert, es kam aber kein Zusatzwert hinzu. Auf diese Art und Weise kann man nur bereits vorhandenen Wert zu Geld machen, aber nicht zusätzlichen Wert an Land ziehen. Auf gut deusch: Arbeit allein schafft keinen in Geld gemessenen Reichtum. Man zieht nicht aus der Zirkulation mehr Geld heraus, als man in sie hineingeworfen hat, oder genauer: das was man an „Mehrwert“ erhält, hat man vorher hineingesteckt, in Form der Arbeit, nicht in Geldform.
Umgekehrt lernen wir hieraus: Die zugesetzte Arbeit muß doch irgendwie der Grund sein, warum man am Markt mehr erlöst, als man vorher investiert hat.
Noch was: Derjenige, der Arbeit investiert, kann also keinen Mehrwert erzielen. Es muß wer anderer sein.
Die Spannung steigt.

„Kapital kann also nicht aus der Zirkulation entspringen, und es kann ebensowenig aus der Zirkulation nicht entspringen. Es muß zugleich in ihr und nicht in ihr entspringen.“ (S 180, 2. Absatz)

Halten wir das doch einmal fest, als Ergebnis bisheriger Erkenntnisse. Und für die Zukunft.

 

3. Kauf und Verkauf der Arbeitskraft

Der Mehrwert, der auf dem Markt erzielt wird, kann also weder aus bloßen Preisaufschlägen noch aus ehrlich investierter Arbeit der Verkäufer selbst entstehen. Also muß es eine Ware geben, die es in sich trägt, Wertsteigerung zu schaffen.
Da wir bereits wissen, daß mit Arbeit Wert zugesetzt wird, so kann es nur eine Ware sein, die es in sich hat, Arbeit zu verrichten. Diese Ware ist die Arbeitskraft. Diese muß selbst als Ware auf dem Markt vorfindlich sein, um ihre Rolle erfüllen zu können:

„Die Veränderung muß sich also zutragen mit der Ware, die im ersten Akt G - W gekauft wird, aber nicht mit ihrem Wert, denn es werden Äquivalente ausgetauscht, die Ware wird zu ihrem Werte bezahlt. Die Veränderung kann also nur entspringen aus ihrem Gebrauchswert als solchem, d.h. aus ihrem Verbrauch.“ (S 181, 2. Absatz)

Die Diskussion bricht sehr abrupt ab …

zum Inhaltsverzeichnis Kapital-Protokolle