2. Darlehen an die Gemeinde Wien

 

2.1. Darlehen zur „Verproviantierung der Stadt“

Im Jahre 1831 kam es zu einem Versorgungsengpaß mit Fleisch und Mehl in Wien. Der Grund dafür lag wahrscheinlich in der in der ganzen Monarchie wütenden Cholerawelle der Jahre 1830/31, die die Handelsströme im Land teilweise zu Erliegen brachte. Die ausreichende Versorgung der Hauptstadt war der Regierung schon immer, noch mehr seit der französischen Revolution, ein dringendes Anliegen, da sie bei Lebensmittelknappheit Aufstände befürchtete. Die Stadtverwaltung Wiens war daher angewiesen, diesem Übelstand schnellstens abzuhelfen und das für Lebensmitteleinkäufe nötige Geld durch ein Darlehen zu beschaffen. Bereits 1816 und 1817 waren solche Vorschüsse zur Versorgung Wiens ausgezahlt worden. Die 4 Bankhäuser wurden daher aufgefordert, den Wiener Bäckern und Fleischern ein Darlehen in der Höhe von 280.000 fl.CM „zur Anschaffung von verstärkten Vorräten an Getreide und Schlachtvieh“ zu gewähren. Sie verlangten und erhielten eine Schuldurkunde der Gemeinde Wien, die sie bei der Hofkammer hinterlegten und dafür die bereits bekannten Anweisungen auf die Zentralkassa erhielten. Die Laufzeit der Schuldurkunde war ein Jahr ab ihrer Ausfertigung, die im Oktober stattfand. Die Zentralkassa-Anweisungen hatten den 20.4. 1832 als Verfallsdatum, an diesem Tag mußten sie also bei dieser Kasse eingereicht werden. Auf Wunsch der Bankhäuser wurde die Laufzeit dieser Anweisungen um ein halbes Jahr verlängert. Bis dahin waren sie so etwas wie Wechsel, die die Bankhäuser wie Zahlungsmittel, Geldersatz, zirkulieren lassen oder die weiter oben erwähnten Überweisungen tätigen konnten. Während der Laufzeit des Darlehens mußte die Gemeinde Wien „Abschlagszahlungen“ auf das Darlehen an die Bankhäuser leisten. Für dieses Darlehen verlangten die Bankhäuser 5% Zinsen, und keine Provision.

Die Bankhäuser hatten also 280.000 fl.CM zu 5%, – was in einem Jahr, als der Staat seine Schuldverschreibungen auf 4% konvertierte, ein relativ hoher Zinsfuß war –, auf ein Jahr verborgt. Das Geld erhielten sie aber nicht erst am Ende dieser Frist, sondern im Verlaufe jenes Zeitraums, während dessen die Kreditzettel der Staatsverwaltung, die Zentralkassa-Anweisungen, zu ihrer Verfügung standen. Sie gaben also genaugenommen gar kein Zahlungsmittel aus der Hand, erhielten aber dafür dennoch Kreditzinsen.

 

2.2. Darlehen für den Bau einer Wasserleitung

„Für die westlichen Vorstädte Wiens“ sollte in den 30-er Jahren eine Wasserleitung aus der Donau gebaut werden. Dabei handelte es sich um ein Pilotprojekt: „Für eine Anstalt wie die vorliegende, welche sich erst durch ihr Gelingen den Kredit in publico verschaffen muß, weil ein ähnliches Werk in der Monarchie noch nicht besteht, … konnte, so sehr der gemeine Wunsch und Eifer für dessen Gelingen bei Gemeinden und Privaten besteht, auf letztere insofern nicht gerechnet werden“, als sie nicht bereit waren, ihr voraussichtlich benötigtes Wasser im voraus zu bezahlen. (Mit „Privaten“ waren die Bewohner der Gemeinden gemeint.) Die Gemeinden wiederum, so wird in dem betreffenden Gutachten ausgeführt, könnten nicht mit Dumpingpreisen für die künftigen Abnehmer Werbung betreiben, weil sie diesen möglichst hohe Wasserpreise verrechnen wollten, um „Mittel zu gewinnen, den Leistungs-Dividenden für ihren eigenen Wasserbedarf auf Brunnen und Bassins so viel als möglich zu vermindern.“ Sie kalkulierten also von vornherein mit einem gespaltenen Wasserpreis, durch den sie ihren eigenen Bedarf auf Kosten der Privathaushalte verbilligen wollten. „Herr des Preises sind die Gemeinden aber nur dann, wenn das Gelingen des Unternehmens dasselbe gesprochen hat.“
Die Verhandlungen über dieses Darlehen liefen seit 1835. 16 Gemeinden sollten mit Wasser versorgt werden. Die Kosten für die Leitung wurden mit 1,1 Mill. fl.CM veranschlagt. Die Leitung wurde in drei Etappen gebaut, sodaß bereits nach Inbetriebnahme des ersten Abschnittes Einnahmen erzielt würden und dadurch der Kreditbedarf niedrig gehalten werden konnte.
Der schließlich noch benötigte Kredit belief sich auf 240.000 fl.CM. Die Stadt Wien übernahm die Haftung für die Gemeinden. Das Bankhaus Sina erteilte den Kredit im Jahr 1839, zu ähnlichen Bedingungen wie denjenigen von 1831: Die Stadt Wien stellte einen Schuldschein aus, den übergab Sina der Hofkammer gegen Zentralkassa-Anweisungen. Dieses Darlehen war nur mehr zu 4% verzinslich.  Es hatte eine Laufzeit von 6 Jahren.

Vor Ablauf dieser Frist, im Juni 1843, nahm die Gemeinde Wien beim Bankhaus Rothschild ein Darlehen zu 3% auf und zahlte das von Sina zurück, um die Zinszahlungen zu verringern. Die beiden größten Bankhäuser der Monarchie konkurrierten hier also um eine Summe von 3% Zinsen auf 80.000 fl.CM, innerhalb von 2 Jahren in Raten von 40.000 zu tilgen, also um 2.400 fl. (1.Jahr) + 1.200 fl. (2.Jahr) = 3.600 fl. Diese Summe verdiente Rothschild durch sein Zinsen-Dumping gegenüber Sina.

 

3. Privatkredit

3.1. Die Privatanleihe

Die Privatanleihen, auch unter dem Namen Partialobligationen bekannt, wurden von den Zeitgenossen als österreichische Besonderheit betrachtet, sie existierten aber in geringerem Maße auch im Ausland. Sie waren nach dem Muster der Staatsanleihen gestaltet. Es ist möglich, daß auch diese Anleihen von Rothschild in Österreich populär gemacht wurden. Er vertrieb zumindest die bei ihm aufgenommenen über die Frankfurter Niederlassung auch in den deutschen Staaten.

Privatanleihen wurden fast ausschließlich von Mitgliedern des Hochadels begeben, die einem Bankhaus eine oder mehrere Schuldurkunden, die sogenannten Hauptschuldverschreibungen, ausstellten. Dann wurden auf diesem Haupt-Schuldschein beruhende Teilschuldverschreibungen gedruckt und durch das Bankhaus unter die Leute gebracht. Der Schuldner war verpflichtet, an fixen halbjährlichen oder jährlichen Terminen die Zinsen zu zahlen und einen Teil der Schuld zu tilgen. Genauso wie bei den Staatsanleihen gab es auch hier fix verzinsliche und Lotterie-Anleihen.

Die Frage der Haftung gegenüber den Partialen-Gläubigern befand sich in einer rechtlichen Grauzone und es kam auch in den 20-er Jahren zu Mißbräuchen dieser Verschuldungsform.(1) Die erste in einer Druckschrift erwähnte Privatanleihe stammt von dem Fürsten Grassalkovich aus dem Jahre 1820. Die Tatsache, daß dies eine Schwindel-Anleihe mit über 20 Jahre dauernden Folgeprozessen war, tat der Beliebtheit dieser Anleihenform bei ihrem Zielpublikum offenbar keinen Abbruch. Von den seriösen Privatanleihen waren die begehrtesten die der Fürsten Eszterházy, deren erste wahrscheinlich 1825 begeben wurde. In den 30er- und 40-er Jahren nahmen diese Anleihengeschäfte sehr zu, sowohl der Anzahl als auch dem Umfang nach. Nach 1849 scheinen keine neuen Privatanleihen mehr aufgenommen worden zu sein.

Der Zins dieser Anleihen betrug zwischen 4,% und 6%. Der Nennwert der Partialobligationen bewegte sich zwischen 250 fl. und 1000 fl. CM, bei den Lotterie-Obligationen um 40 oder 50 fl. CM. Auch ihre Laufzeit glich derjenigen der Staatsanleihen und erreichte manchmal beinahe ein Menschenalter. Der eigentliche Gewinn der Bankhäuser lag bei diesen Anleihen in der geheimgehaltenen Provision, die sicher eine fünfstellige Summe ausmachte.
Das Bankhaus Sina war an diesen Anleihegeschäften stets zusammen mit Rothschild und/oder Arnstein & Eskeles beteiligt, es gab – zumindest soweit aus den Akten ersichtlich – nie alleine eine Privatanleihe heraus. Diese Bankhäuser wickelten zusammen folgende Privatanleihen ab:

Kreditnehmer Gesamtsumme Jahr der Anleihe beteiligte Bankhäuser Beteiligung Sinas
Fürst Paul Esterházy   7,000.000 fl. 1836 R, S 3,600.000 fl.
Josef und Anton Szapáry X300.000 fl. 1843 R, S, A&E X100.000 fl.
Erzhzg. Karl Ludwig v. Lucca 1,600.000 fl. 1844 R, S X800.000 fl.
Graf Niczky X340.000 fl. 1844 R, S, A&E X113.000 fl.
Fürst Paul Esterházy 6,400.000 fl. 1844 R, S 3,200.000 fl.
Graf Henckel-Donnnersmark 1,125.000 fl. 1846 R, S, A&E X375.000 fl.
Christian von Waldstein 2,700.000 fl. 1847 R, S, A&E X900.000 fl

Summe (= Beteiligung des Bankhauses Sina):                                       X XXX XXXXX XXXX XX 9,088.000 fl.

Diese Summe geht von der Annahme aus, daß die jeweiligen Bankhäuser zu gleichen Teilen an jeder der von ihnen abgewickelten Privatanleihen beteiligt waren. Außerdem erhebt die obige Liste keinen Anspruch auf Vollständigkeit, da nicht alle Privatanleihen in den Akten aufscheinen.
Die Obligationen aus diesen Privatanleihen wurden von den Bankhäusern ähnlich wie die der Staatsanleihen unter die Leute gebracht – als Wertpapiere auf der Börse, als Anlage für ihre Privatkunden usw. 1838 verfaßten Sina und Rothschild eine gemeinsame Beschwerde gegen die Behinderung des freien Verkaufs von Privatanleihen-Obligationen in Lombardo-Venetien. Sie waren dort nur mit Rückkaufbestimmungen und erhöhten Gebühren gehandelt worden. Das war ein Ausdruck des Mißtrauens, das generell in Oberitalien gegen Geldersatz und Wertpapiere existierte. Es kann auch sein, daß diese Praxis eine Reaktion auf die in den 20-er Jahren vorgekommen Betrügereien mit Privatanleihen war.(2)

 

3.2. Gewöhnliche Darlehen an Privatpersonen

In der Bilanz des Bankhauses von 1856 macht die gesamte an „Debitoren“ verliehene Summe beinahe 11 Millionen Gulden aus. Unter diesen Schuldnern figurieren jedoch sowohl Privatpersonen als auch Bank- und Handelshäuser im In- und Ausland, mit denen das Bankhaus Sina Geschäftsverbindungen unterhielt und die sich in diesem Augenblick bei der gegenseitigen Verrechnung im Minus befanden. Die Zahl der eigentlichen Privatschuldner(3) belief sich in diesem Ausweis auf ungefähr 70 Personen, fast ein Sechstel der gesamten Schuldner. Die Summe der an diese Personen verliehenen Gelder betrug über 2,7 Millionen Gulden, beinahe ein Viertel der gesamten (an Personen gebundenen) Außenstände und weniger, als sich zur gleichen Zeit im Wechselportfolio des Bankhauses befand. Der Löwenanteil dieser Schulden, 1,113.891 fl., entfiel auf zwei ungarische Adelige.(4) Ansonsten entstammten diese Privatschuldner allen Schichten der Gesellschaft, es gab unter ihnen Angehörige des Kaiserhauses und kleine Leute aus der Provinz. Die Schuldsummen reichten von 2 fl. 53 kr. bis 566.575 fl. Der überwiegende Teil stammte aus den verschiedenen Teilen der Monarchie, einige wenige aus Frankreich oder Deutschland.

Das Bankhaus Sina war die erste Adresse für den ungarischen Adel. Széchenyi vermerkte in seinen Tagebüchern öfter, von ungarischen Adeligen darum ersucht worden zu sein, ihnen durch seine Fürsprache bei Sina ein Darlehen zu verschaffen. Das deutet darauf hin, daß diese Personen entweder unter gewöhnlichen Umständen kein Darlehen erhalten hätten, schon gar nicht bei einem anderen Bankhaus; oder zu wesentlich ungünstigeren Konditionen. 1830 schilderte Széchenyi die Lage für Ungarn so: „Wenn Sina keinen Kredit gibt, so gewiß auch kein anderer.“ In einem Nachruf auf Georg Sina heißt es, er hätte eigentlich in Ungarn die Rolle einer Bank eingenommen.

 

3.3. Kontoführung, Filialen, Überweisungen

Das Bankhaus Sina eröffnete auch auf Verlangen seinen Kunden Konten und wickelte dann deren Zahlungsverkehr für sie ab. Es berechnete 4% an Haben-Zinsen und 5% an Soll- bzw. Kreditzinsen für diese Kontoinhaber.(5) Für besondere Transaktionen, meist Käufe oder Verkäufe von Immobilien, eröffnete das Bankhaus zusätzlich zu dem gewöhnlichen „Conto corrente“ ein „Conto separato“, zu Konditionen, die mit dem Kontoinhaber gesondert verhandelt wurden und sich entsprechend von denen des „Conto corrente“ unterscheiden konnten. Die sahen z.B. so aus: Der Kunde durfte von diesem Sonderkonto nie mehr als 10.000 fl. auf einmal erheben, die Zinsen wurden alle 3 Monate erhoben, zu einem Zinsfuß von 6% jährlich. Da dieser Kredit bei einer Filiale des Bankhauses eingeräumt wurde, die nicht über die gleiche Liquidität verfügte wie das Bankhaus in Wien, war für jede Abhebung eine Vorankündigung von 14 Tagen erforderlich.

Das Bankhaus Sina erledigte auch Einkäufe für seine Kunden im Ausland und zog Preis und Spesen dieser Transaktionen vom Konto (corrente) ab. Auch Transport und Zollformalitäten wurden vom Bankhaus erledigt.(6)  Oft wurden Konten im Zuge eines durch das Bankhaus getätigten Einkaufes (von Wolle, Baumwolle etc.) eröffnet und nur solange geführt, bis das Guthaben des Verkäufers erschöpft war.

Das Bankhaus erledigte ferner Überweisungen im Inland. Zu diesem Zweck bediente es sich seiner Filialen in verschiedenen Städten der Monarchie. Diese Filialen waren durch Verwandtschaft, Heirat oder Herkunft mit den Sinas verbundene selbständige Bank- und Handelshäuser. Sinas Filiale in Pest war das Haus Konstantin Derra, in Preßburg Konstantin Kalotta. (Über ersteren wickelte Georg Sina auch viele mit seiner eigenen Handelstätigkeit in Ungarn verbundenen Zahlungen ab, vor allen in Verbindung mit seinen Tabakgeschäften. Bei Kalotta unterhielt Sina ein Lager für seinen Wollhandel.)

Eine andere Möglichkeit für Überweisungen waren die bereits erwähnten Anweisungen auf die Filialen der Nationalbank. Diese Form des Zahlungsverkehrs war aber nur beschränkt einsetzbar, da die Nationalbank nicht überall Filialen besaß. (In Ungarn wurden nur an wenigen Orten solche Filialen eröffnet, und auch die recht spät.) Dort, wo es weder Filialen der Nationalbank noch solche des Bankhauses gab, überwies das Bankhaus an ein anderes Bank- und Wechselhaus, was höhere Spesen verursachte.
Lebte ein Kunde ständig oder temporär in einer anderen Stadt als Wien, so wurde ihm ein Zusatzkonto bei der an seinem Wohnort befindlichen Filiale des Bankhauses eröffnet. Die Bilanz, d.h. der Kontoauszug, wurde stets von der Zentrale erstellt und verschickt, meist halbjährlich, im Januar und Juni/Juli. Zusätzlich erfolgten, ebenfalls von der Zentrale, unmittelbare Benachrichtigungen über jede größere Transaktion.

Bei Überweisungen ins Ausland bediente sich das Bankhaus Sina für private Kunden der gleichen Kredit- und Wechselbriefe und Handelspartner(7) wie auch bei seinen für den Staat erledigten Auslandstransaktionen. Es verrechnete dabei ca. 1% an Provision & Spesen.

Einen Teil der Bankhaustätigkeit machte auch die Vermögensverwaltung aus. Vor allem die in Wien und Ungarn ansässigen Griechen und deren Nachkommen vertrauten ihr Geld, aber manchmal auch ihre Immobilien dem Bankhaus zur Verwaltung an, wenn der Familienvater verstarb oder sie sich aus anderen Gründen aus dem kommerziellen Leben zurückzogen. Das Bankhaus fungierte auch als eine Art Waisenkasse bei den Griechen. Für diese Vermögensverwaltung berechnete das Bankhaus 5 oder 6% Provision.

 

3.4. Handel mit Wertpapieren

Das Bankhaus Sina handelte mit allen Arten von Wertpapieren, die in der Monarchie zirkulierten, und mit einer großen Menge von ausländischen Anleihen und Aktien.

Zunächst verfügte es durch seine Tätigkeit als Krediteur des Staates stets über eine große Menge von Obligationen der österreichischen Staatsanleihen. Es besaß und handelte auch mit Staatspapieren, die in Zeiten ausgegeben waren, als das Bankhaus noch nicht Kreditgeber des Staates gewesen war, wie mit Papieren des Wiener Stadt-Bancos aus dem 18. Jahrhundert. Für besonders wichtige Kunden reservierte es eine ansehnliche Anzahl Obligationen zum Nennwert, noch vor ihrer offiziellen Veräußerung an der Börse, oder zu einem unmittelbar nach der Ausgabe erreichten niedrigen Wert. Dann trieb es im Verein mit den anderen Großbankiers die Kurse in die Höhe, sodaß der Kunde automatisch einen Gewinn machte.(8)

Bei Losanleihen stellte Sina es den Kunden im Falle einer Ziehung frei, ob sie die verloste Obligation in bar beziehen oder aber gegen eine noch unverloste eintauschen wollten. (Dies war dann vorteilhaft, wenn die Kurse gerade im Steigen begriffen waren.) Diese Wahlmöglichkeit hatten alle Kunden, die diesbezügliche Aufforderung wurde nämlich mittels vorgedrucktem Formular verschickt. Es gibt einen Hinweis darauf, daß das Bankhaus auch über Möglichkeiten verfügte, diejenigen Nummern, die als Haupt-Treffer bei Losanleihen gezogen wurden, im vornherein zu kennen und für spezielle Kunden zu reservieren.

Über seine ausländischen Geschäftspartner bezog es Obligationen aus fremden Staatsanleihen und ausländische Aktien. Für Széchenyi besorgte Georg Sina z.B. Aktien der Rhein-Dampfschiffahrts-Gesellschaft und französische 5%-ige „Renten“, eine Form von Staatsanleihen. Ebenso verkaufte das Bankhaus auf Verlangen des Kunden für ihn Wertpapiere, auch wenn diese gar nicht über selbiges bezogen worden waren.

Da Wertpapiere vererbt wurden und es vor allem in Frankreich und Italien üblich war, Obligationen auf den Namen des Besitzers auszustellen, so wandten sich die Erben oft mit der Bitte um Umschreibung auf den Namen des neuen Besitzers an das Bankhaus. Die Besitzer dieser umzuschreibenden Obligationen stammten aus Frankreich oder aus der französichen Schweiz. Es läßt sich mangels zusätzlicher Angaben nicht feststellen, ob diese Gesuche deshalb aus diesen Ländern bei dem Bankhaus Sina einlangten, weil das Bedürfnis nach Namens-Obligationen dort so stark ausgeprägt war, oder deshalb, weil dies die bevorzugten ausländischen Absatzgebiete des Bankhauses für österreichische Staatsanleihen war.

Nach 1849 wurde der österreichische Wertpapiermarkt durch die Grundentlastungs-Obligationen um ein zweifelhaftes Element bereichert. Aus der Art und Weise, wie sie vom Bankhaus Sina eingesetzt wurden – als Kaution bei Staatsanleihen, als Zahlungsmittel zum Kauf anderer Staatspapiere, – läßt sich schließen, daß diese Papiere als Objekte der Spekulation wenig hergaben. Sie waren ein staatlich garantiertes Papier ohne kommerziellen Wert und landeten bei der ersten sich bietenden Gelegenheit wieder beim Aussteller selbst. Das Bankhaus Sina besaß diese Papiere in großen Mengen aufgrund seines ausgedehnten Grundbesitzes und versuchte sich ihrer zu entledigen, sobald sich eine Gelegenheit bot.

 

3.5. Handel mit Wechseln und Schuldscheinen

Um den (oft nicht vorhandenen) Unterschied zwischen diesen beiden Kreditpapieren begreiflich zu machen, ist es nötig, darauf hinzuweisen, was ein Wechsel ist und kurz auf die Wechsel einzugehen, die in der Monarchie zirkulierten.

Ein Wechsel ist ein kommerzielles Zahlungsmittel, er kommt mit dem Händewechsel einer Ware auf die Welt. Der Käufer hat kein Geld, rechnet aber mit Einkünften in absehbarer Zeit und braucht die Ware jetzt. Der Verkäufer will das Geschäft nicht an der augenblicklichen Zahlungsunfähigkeit des Käufers scheitern lassen und kreditiert ihn daher. Der Käufer in seiner neuen Eigenschaft als Schuldner, verspricht Zahlung an einem bestimmten Ort und Zeitpunkt. Der klassische Wechsel, wie er in Gegenden zirkulierte, wo eine rege Handelstätigkeit bestand, war der gezogene Wechsel, bei dem eine dritte Person als derjenige, der die Zahlung zu leisten hatte, genannt wurde. Der Aussteller, derjenige, der Wechsel annahm und der, der auf Zahlung verpflichtet wurde, hafteten in unterschiedlichem Maße für die Geldsumme, auf die der Wechsel ausgestellt wurde. Der Gläubiger verwahrte den Wechsel meist nicht bis zum Zahlungstag in der Schublade, sondern gab ihn bei einem von ihm getätigten Kauf an Zahlungs statt weiter. So konnte ein Wechsel bis zum Zahlungstag durch viele Hände gehen, wobei jeder, der ihn weitergab, selbst in gewissem Grade für die Bonität des Wechsels bürgte. Es hing vom Ruf aller auf dem Wechsel verzeichneten Personen ab, wie leicht ein solcher Wechsel angenommen wurde und wie oft er als Geldersatz diente.

Der Wechsel war eine der Vorformen des Papiergeldes und von großer Wichtigkeit in Zeiten, in denen es beschwerlich und gefährlich war, Münzgeld durch die Lande zu transportieren.

Wird der Wechsel am Verfallstag nicht beglichen, „platzt“ er also, so wird der letzte, der ihn unterschrieben hat, zur Zahlung verpflichtet. Er kann diese Zahlung wieder bei seinem Vorgänger einfordern, und so weiter bis hin zum Aussteller. Dieser „Wechselregreß“ ist genauso wie die Modalitäten der Ausstellung und Cession gesetzlich geregelt. Der ausgiebigste Wechselverkehr bestand jedoch in jenen Ländern und Zeiten, in denen rege Handel getrieben wurde und viele Käufe und Verkäufe in kurzer Zeit stattfanden, und nicht dort, wo strenge Gesetze herrschten. Der Wechsel bezieht seine Wichtigkeit und Einsetzbarkeit aus der Ökonomie und nicht aus staatlichen Garantien. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

In Ungarn gab es bis 1841 kein Wechselgesetz und daher auch keine Möglichkeit der Klage im Falle des Nicht-Zahlens am Fälligkeitstag. Die ungarischen Wechsel zirkulierten entweder überhaupt nicht oder – außerhalb Ungarns – nur mit Hilfe einer Bürgschaft (des sogenannten Akzeptes) eines außerhalb Ungarns ansässigen österreichischen Handelsmannes, der sich diese Garantie meist mit 4% der Summe vergüten ließ. Mit dem vom ungarischen Reichstag erlassenen Wechselgesetz von 1841, das auch den Angehörigen des Adels das Ausstellen von Wechseln gestattete, verlor der Wechsel vollends seinen Charakter als kommerzielles Zahlungsmittel und wurde zum Synonym für „Schuldschein“ überhaupt.
In Lombardo-Venetien war das Ausstellen von Wechseln unüblich, dort scheint bei Käufen und Verkäufen aller Art meistens Barzahlung verlangt und auch geleistet worden zu sein.
In den Erblanden schließlich hat sich der gezogene Wechsel als Zahlungsmittel aufgrund der Schwäche des Handelskapitals nie so recht durchgesetzt. Die hier gängigen Wechsel waren meistens Solawechsel, d.h., auf den Aussteller selbst lautende Wechsel, denen schwer anzusehen war, ob sie Zeugen eines bloßen Geldverleihs oder eines tatsächlichen Verkaufes waren. Auch sie dürften, wie es ein Preßburger Kaufmann für Ungarn beanstandete, in den meisten Fällen ein „totes Papier“ gewesen sein, das von dem, der es angenommen hatte, bis zum Zahlungstag aufbewahrt wurde und nicht als Zahlungsmittel weiter zirkulierte.
Es mag sein, aber darüber liegt der Verfasserin kein Material vor, daß Böhmen und Mähren die einzigen Gebiete der Monarchie waren, in denen ein auf Warenverkauf beruhender etwas regerer Wechselverkehr stattgefunden hat.

Die Nationalbank mit ihren Zensoren konnte es sich nicht leisten, bei der Beurteilung der Wechsel strenge Maßstäbe anzulegen und „richtige“ Handelswechsel zu fordern. Sie hätte in diesem Falle kaum Wechsel eskomptieren können. Das Wechseleskompte war jedoch eine der Haupt-Einnahmequellen der Nationalbank, die bei ihrer Gründung 1816 quasi darauf verpflichtet worden war, wie ein privates Institut zu wirtschaften und Gewinne und Verluste zu bilanzieren. Die Nationalbank ging mit diesem Dilemma so um, daß sie fast nur die Sola-Wechsel der 4 „Häuser“ annahm, sodaß jeder andere Geschäftstreibende seine Wechsel bei diesen Bankhäusern eskomptieren lassen mußte, zu einem höheren Zinsfuß als den 4% der Nationalbank. Da Sina, Geymüller und Eskeles auch Bankdirektoren waren, liegt die Annahme nahe, daß sie für diese eingeschränkte Handhabung des Wechselescomptes der Nationalbank (mit)verantwortlich waren, die ihre privaten Wechselgeschäfte so sehr begünstigte. (Siehe dazu: VII.2. Das Wechselescompte)
Als die sich Nationalbank 1848 durch die politischen Wirren veranlaßt fand, ihre Bilanzen zu veröffentlichen, glich dies einem Offenbarungseid: Im Wechselportfolio befanden sich nämlich keine Wechsel, sondern die sogenannten Anweisungen, d.h. Schuldscheine der Hofkammer und die Solawechsel, also auch Schuldscheine, der großen Bankhäuser.

Sicherlich diskontierte das Bankhaus Sina selbst große Mengen von Wechseln, und vergab auf ungarische Wechsel Akzepte. Aus den wenigen Fällen, die aktenkundig wurden, geht jedenfalls hervor, daß es in Fragen der Solidität von Schuldscheinen, in Kenntnis der Kreditverbindungen der inländischen Kaufleute, im Sammeln von Informationen über ausländische Bank- und Handelshäuser sehr beschlagen war und diese Eigenschaft auch von Privaten und Behörden in Anspruch genommen wurde.

1834 tauchten in einer Schublade eines soeben pensionierten Beamten der Hofkammer Wechsel aus dem Jahre 1806 auf, die damals von einem Offizier des französischen Heeres zur Bezahlung einer Salzlieferung an die Hofkammer übergeben worden waren. Diese Wechsel waren von Linzer und Augsburger Handelshäusern ausgestellt worden, insgesamt lauteten sie auf 10.000 fl.. Die Hofkammer wandte sich schließlich 1839 an Sina mit der Bitte, diese Summe einzutreiben. Der Schriftverkehr des Bankhauses mit Augsburger und Linzer Kaufleuten zog sich durch das ganze Jahr 1839, mit dem Ergebnis, daß keiner der Aussteller mehr existierte, und deren Erben, die das Bankhaus ausfindig machte, wegen Verjährung oder Mangel an Eigenmitteln jede Verpflichtung von sich wiesen.

1852 brachten Verwandte der Familie Sina, die sich von Georg Sina übervorteilt fühlten, eine Reihe von Klagen gegen ihn ein, die alle von den Gerichten zurückgewiesen wurden. Einer der Klagepunkte, der zwar als wahr, aber nicht als strafbar erkannt wurde, lautete: Georg Sina hatte dem Grafen Moritz Fries, dem Erben des in Konkurs gegangenen Bankhauses Fries, zwei von diesem als uneinbringlich angesehene Schuldscheine abgekauft. Beide waren von bereits aufgelösten griechische Handelhäusern in Pest ausgestellt.(9) Der erste lautete auf 44.170 fl. und wurde 1833 von Fries an Sina cediert, um 6.000 fl. Den zweiten im Betrag von 24.000 fl. kaufte Georg Sina 1841 ebenfalls um 6.000 fl. Laut Klage soll Sina den Grafen Fries vorher mit Alkohol in einen unterschriftswilligen Zustand versetzt haben, was letzterer aber vor Gericht bestritt.(10) Sina wußte, daß die (zum Zeitpunkt des von den Erben geführten Rechtsstreites bereits verstorbene) Mutter der Kläger mit den Ausstellern dieser Schuldscheine verwandt oder verschwägert war, daher als deren Rechtsnachfolger haftbar gemacht werden konnte. Er verrechnete ihr diese alten Schulden zusammen mit ihren eigenen und erwarb im Gegenzug von der Dame günstig eine Immobilie in Pest.

Vom Bankhaus Todesco auf Sina ausgestellter Wechsel von 1858

 

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(1) Für eine ausführlichere Beschreibung dieser Anleihen, siehe Brusatti

(2) zu dem Betrug mit den Privatanleihen siehe: Amelie Lanier, Das Kreditwesen Ungarns im Vormärz, Wien 1995, Die Partialobligationen

(3) Die Unterscheidung wird dadurch möglich, daß bei den Bank- oder Handelshäusern meist die Stadt genannt wird, in der sie sich befinden, bei den Privatschuldnern selten oder nur dann, wenn es sich um gänzlich unbekannte Orte handelt.

(4) Karl Graf Viczay und Fürst Paul Esterházy

(5) Alle Einzelheiten über die Kontoführung hauptsächlich aus: ESL, Storno levéltár (Széchenyi-Schriften) Dort befinden sich zahlreiche Kontoauszüge und begleitende Schreiben zu den Verrechnungsmodalitäten zwischen dem Bankhaus und dem Kunden.

(6) Széchenyi bezog regelmäßig kubanische Zigarren und französischen Wein, unregelmäßig andere Gegenstände, wie z.B. Maulbeerbäume aus Frankreich oder englische Sättel, über das Bankhaus Sina.

(7) diese waren z.B. Thurneyssen & Co. in Paris und Stieglitz & Co. in St. Petersburg (ESL), Johann Cumandi in Belgrad (FA, PA 11779/1852), Havenith & Co. und L.R. Bischoffsheim in Antwerpen (FA, PA 21802/1855 und WSLA, Handelsgericht  76/1856, F6, S. 148-151), Süsskind in Augsburg (FA, PA 3626/1839), Königswarter in Frankfurt (KMA, Umschlag 3, 19.7. 1847), Josef Epstein und Gustav Landau in Warschau, M.R. Mieses in Lemberg, Epaminonda Parra in Galatz, Oppenheim in Breslau, Giovanni Batista Negri in Mailand, J. Papadopolou in Venedig, Ralli in Triest, J. Alleon & Co. in Stambul, L. Forchheimer in Berlin, Salomon Heine und L. Behrens in Hamburg, Salomon Oppenheim in Köln, Lafuente & Pasquali und Figli Baltazzi & Co. in London, (WSLA, Handelsgericht, Verlassenschaften 76/1856, F 6, S. 148-151)

(8) z.B. ESL, Briefe vom 11. und 12.4.1839. Sina hatte Széchenyi zum Kurs von 105 mit 50.000 fl. an der Anleihe von 1839 beteiligt, deren Kurs angeblich bereits auf 111 stehen würde. Er bat sich strengste Geheimhaltung aus. Diese Obligationen waren in monatlichen Raten über mehrere Jahre abzuzahlen. Die Ratenzahlung erledigte das Bankhaus selbst vom Konto Széchenyis. (Brief vom 17.5. 1839) Einige Zeit später unterrichtete er Széchenyi, daß diese Obligationen inzwischen auf 138 stünden. (Brief vom 19.2. 1840). 1842 bedankte sich Széchenyi dafür „daß Sie mich durch das neue Anleihen in dem Gewinn mehrerer 100 fl. partizipieren ließen. … was meinen belasteten Verhältnissen sehr wohl tat. Denken Sie, ich bitte, ein ander Mal auch auf mich“ (MTA, Ms 4221/41, Brief vom 6.2. 1842)

(9) J.Rosa Emanuel & Co und Konstantin Ghika

(10) Genau äußerte sich Fries so, „daß er durchaus keine Beschuldigung einer absichtlichen Berauschung gegen Baron Sina aussprechen“ könne – er bestritt also die Absicht Sinas, nicht aber seine eigene Berauschung …

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